Tagung: Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945: Freitag, den 20.6.2014

Die Tagung „Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945 – Geschichte und Vermittlung“ fand am 19.-21. Juni 2014 in Göttingen statt.

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9:00 h Silke Petry „Im Kampf gegen den Faschismus“ – Organisierter Widerstand sowjetischer Kriegsgefangener in Norddeutschland

10:00 h: Marcus Herrberger „Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Motiven – Opfer der NS-Miltärjustiz (bezogen auf Niedersachsen)“

11:30 h: Dr. Hans-Peter Klausch „Heinz Taxweiler – ein niedersächsischer Deserteur,Moorsoldat und Widerstandskämpfer“

13:30 h Heide Janicki, Paul Pockrandt „Drei Widerstandkämpferinnen aus dem sozialdemokratisch/kommunistischen Milieu, Braunschweig

16:00 h: Dr. Rainer Driver Das Forschungsprojekt „Widerstand in Göttingen“

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 Freitag, den 20.Juni 2014

„Im Kampf gegen den Faschismus“ – Organisierter Widerstand sowjetischer Kriegsgefangener in Norddeutschland

Zusammenfassung des Referates von Silke Petry (Celle)

 

Ein aktiver und organisierter Widerstand sowjetischer Kriegsgefangener entwickelte sich erst ab 1943.

Die sowjetischen, französischen, belgischen und serbischen Kriegsgefangenen organisierten sich in Norddeutschland in jeweils selbstständigen Gruppen.

 

Organisierter Widerstand sowjetischer, französischer, belgischer und serbischer Kriegsgefangener

Im Stalag (Stammlager) X B Sandbostel bemühten sich  kleinere Gruppen französischer Gefangenen (fast ausschließlich Kommunisten) Einfluss auf ihre Kameraden in den industriellen Kommandos Hamburgs zu bekommen.  Im Lager Sandbostel selbst ging es hauptsächlich „um die ideologische und organisatorische Festigung des Zusammenhaltes und um die Weitergabe von Informationen.“

Im Stalag XI B Fallingbostel  organisierten vor allem  die französischen und die sowjetischen Kriegsgefangenen den kollektiven und konspirativen Widerstand; in Bergen–Belsen waren es die sowjetischen Kriegsgefangenen.

 

Quellenmaterial und Erlebnisgerichte der sowjetischen Kriegsgefangenen

Die in Deutschland bekannteste und durch Quellenmaterial am besten belegteste Widerstandsgruppe ist die „Brüderliche Zusammenarbeit der Kriegsgefangenen“ (BSW) .Sie ist „eine kommunistische Organisation sowjetischer Kriegsgefangener, die 1943 von Offizieren in Süddeutschland gegründet und 1944 von der Gestapo aufgedeckt wurde“.

„Bei der Forschung und Recherche“ über den organisierten Widerstand sowjetischer Kriegsgefangener „ist man zum größten Teil auf die Erinnerungen einzelner Mitglieder verschiedener Gruppen angewiesen“.  Zum Teil  wurden diese Berichte bereits unmittelbar nach Kriegsende verfasst, aber erst nach Stalins Tod veröffentlicht. Da „in diesen Berichten der Wille zum Widerstand und die Handlungen der Gefangenen in den Lagern sehr stark betont“ werden, ist anzunehmen, dass dadurch dem „generellen Verdacht der Kollaboration mit dem Feind“ entgegengewirkt werden sollte. Gefangenschaft wurde von Stalin als „Verrat“ gesehen. Möglicherweise hoffte man dieses Stigma tilgen zu können, in dem man bekannt gab, dass  sowjetische Gefangenen den Kampf für „das Vaterland“ auch in der Gefangenschaft weiter führten.

Die Erinnerungen und Erlebnisberichte und „darin geschilderte Ereignisse müssen anhand von Hinweisen in zeitgenössischen Dokumenten oder anhand anderer Hinweise überprüft werden, um die Zuverlässigkeit der Aussagen zu belegen“.

Unterlagen der Verfolgungsbehörden z. B vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA)  und „Stapostellen wurden bei Kriegsende planmäßig vernichtet“. Zu den einzelnen Gruppen sind nur wenige zeitgenössische Dokumente und Aufzeichnungen vorhanden.

Auch  „Sabotage“ aufgrund von Widerstandstätigkeiten lässt sich schwer nachweisen. Da erfolgreiche Sabotage in den meisten Fällen nicht erkennbar war,  wurden sie als „Störungen möglicherweise unter Ausschuss oder Betriebsstörung verbucht“.

 

Die Widerstandstätigkeit der sowjetischen Gefangenen lässt sich in drei Phasen einteilen:

1941/42 Gründungsphase: Im Winter 1942/42 sind erste Zusammenschlüsse nachweisbar. Ihre Tätigkeit bestand hauptsächlich im“ Aufbau von Kontakten und die Anwerbung von Gefangenen für einen organisierten Widerstand. Man stärkte sich gegenseitig „seelisch“.

Da die sowjetischen Gefangenen ums Überleben kämpften, gab es noch keinen Widerstand außer „gegen die schlechte Versorgung“.

1942/1943  Festigung: Fluchten und die Durchführung von Sabotage wurden in den Rüstungsbetrieben organisiert. „Außerdem sollte durch Aufklärungsarbeit verhindert werden, dass Kameraden mit der Wehrmacht kollaborierten“.

1944 – Intensive Arbeit: 1944 nahm „die Bereitschaft zur aktiven Beteiligung an Widerstandsaktionen“ zu. In den Lazaretten der Kriegsgefangenenlager entstanden häufig Widerstandsgruppen: Die dort eingesetzten Kriegsgefangenen Ärzte und Sanitäter verfügten über eine relativ große Bewegungsfreiheit. Sie stellten mit Hilfe der genesenen Gefangenen den Kontakt zu den Arbeitskommandos her und bauten ein konspiratives Netzwerk auf.

Die  Stammlager waren in der Regel die Zentren des Widerstandes. In der Verwaltung und den Lazaretts arbeiteten Kriegsgefangene eigenverantwortlich. Da es nur wenige deutsche Kräfte dort gab, war „in den Stammlagern die Steuerung und Manipulation möglich:

„Zum Beispiel Arbeitseinsatzplanung oder auch ‚Untertauchen‘ im Lazarett bzw. Identitätswechsel (Namen eines Toten übernehmen)“ , sowie „die Steuerung und Verbreitung von Informationen“.

Hinweise auf organisierten Widerstand findet man vorwiegend im Industriesektor.

 

Abwehrbemühungen

Dem Amt Ausland/Abwehr blieb nicht verborgen, dass sich in Lazaretten Nachrichten-Zentralen gebildet hatten, die  Verbindungen zu den Arbeitskommandos geknüpft hatten. Durch „V-Männer“, die als Spitzel eingeschleust wurden, konnten zahlreiche Widerstandsgruppen verschiedener Nationalitäten (Serben, Franzosen, SU) aufgedeckt und deren Mitglieder verhaftet werden.

 

Stalag Fallingbostel „Komitee zum Kampf gegen den Faschismus“ –  Stalag Bergen-Belsen „Hannoveraner Komitee“

 

Das „Komitee zum Kampf gegen den Faschismus“ agierte vom  Stalag XI B Fallingbostel aus, aber „seine Tätigkeit war aber auf zahlreiche Arbeitskommandos im gesamten westlichen Bereich des Wehrkreises XI (geografisch im heutigen Südniedersachsen: Hannover, Salzgitter, Wolfsburg und Braunschweig) ausgedehnt“. Das Komitee wurde Ende 1942 von dem Arzt Arkadij Alalykin initiert.  Im Dezember bestand der  Führungszirkel bereits aus etwa 10 Personen. „Bei der Gründung des Komitees erhielt die Gruppe Hilfestellung und Unterstützung durch die kommunistisch orientierten Untergrundorganisationen der belgischen und französischen sowie der jugoslawischen Kriegsgefangenen im Lager Fallingbostel.“

Besonders die französischen und sowjetischen Kriegsgefangenen arbeiteten eng zusammen.

Henri Cornil (Tarnnamen „Piet“), der Leiter der belgisch-französischen Organisation, unterstützte das Komitee mit deutschen Landkarten, Kompasse und Lebensmittel für Gefangene, die ihre Flucht vorbereiteten.

Als im Herbst 1943 eine Gruppe aus Lazarett in Bergen-Belsen nach Fallingbostel kam, schlossen sie sich dem „Komitee zum Kampf gegen den Faschismus“ an. „Dazu gehörte Wassilij Morosow, der im Herbst 1943 Max Minz als Leiter ablöste.“

Der Führungszirkel des Fallingbostelers Komitees (fast ausschließlich Offiziere) war auf ca. 18 Mitglieder angewachsen. „Zu ihren Aufgaben zählten unter anderem die Werbung und die Auswahl von Mitgliedern sowie die gezielte Delegierung von zuverlässigen Personen für Sabotagetätigkeiten in den Arbeitskommandos“.

Jedes Mitglied im Führungszirkel hatte seinen eigenen Bereich für den er  verantwortlich war: Zum Beispiel als Verantwortlicher für Propaganda und Agitation oder als  Verbindungsmann zu der französischen Widerstandsgruppe im Lager.

 

Efim Pcelkin berichtet in seinen Erinnerungen von („nach 1956“) wie bei der Auswahl und Werbung weiterer Mitglieder vorgegangen wurde (Zusammenfassung des Zitats):

In den Personaldokumenten der Wehrmacht befanden sich  genaue Angaben über jeden Gefangenen, die zum Stalag gehörten. Kriegsgefangene, die in der Schreibstube arbeiteten, trafen zunächst eine Auswahl über evtl. Kandidaten, die man als Mitglieder werben wollte. Durch Gespräche über die Vergangenheit, konnte man die persönlichen Qualitäten herausfinden. Entsprach der „Neuling“ den Anforderungen führte das Kommiteemitglied für propagandistische Tätigkeit ein vertrauliches Gespräch mit ihm.

Als Mitglied galt nur der Kriegsgefangene, der sich auch persönlich einschaltete.  Wurde er in ein Arbeitskommando geschickt, in dem schon eine Untergrundzelle bestand, musste er bei seinem Eintreffen unverzüglich die Verbindung herstellen. Gab es noch keine Untergrundtätigkeit, war er verpflichtet eine Untergrundzelle zu schaffen und zu führen.

So entstand ein „konspiratives Netz von Widerstandszellen weit über das Stammlager Fallingbostel hinaus“, in dem Kriegsgefangene und sowjetische zivile Zwangsarbeiter zusammenarbeiteten.

Ende 1941 hatte sich im Lazarett Bergen-Belsen die Widerstandgruppe „Hannoveraner Komitee“ gebildet. Ab 1943 stand sie im engen Kontakt zum Fallingbosteler „Komitee zum Kampf gegen den Faschismus“. Eine intensive Zusammenarbeit kam durch die Auflösung des Stalags Bergen-Belsen  und die Übernahme des Lazaretts durch das Stalag XI B Fallingbostel als „Zweiglager Bergen-Belsen zustande.

1948 wurden Informationen über das  „Hannoveraner Komitee“ durch  das von Georgij Ovtschinnikov und Vladimir Jakimov verfasste Manuskript „Die Arbeitsmethoden des Hannoverschen Komitees“ bekannt. Die Autoren waren „Pfleger“ im Lazarett des Stalag Bergen-Belsen.

Anfangs bestanden die Tätigkeiten des „Hannoveraner Komitees“ aus der „Beschaffung von Informationen über den Kriegsverlauf und deren Verbreitung sowie auf gegenseitige Hilfe vor allem bei der Organisation zusätzlicher Nahrungsmittel“. Außerdem versuchte man die Gruppe durch die Anwerbung von Kameraden zu vergrößern.

Nach dem Sieg der Roten Armee bei Stalingrad verteilte das  „Hannoveraner Komitee“ ein Flugblatt an alle sowjetischen Kriegsgefangenen. Das sogenannte „Hannoveraner Programm“ legte die Pflichten und Aufgaben eines jeden sowjetischen Kriegsgefangenen dar. Anfangs wurde das Flugblatt per Hand abgeschrieben und später  durch eine heimlich eingerichtete provisorische Druckerei vervielfältigt und verbreitet.

Genesene Gefangene aus dem Lazarett in Bergen-Belsen wurden häufig über Fallingbostel zurück in den Arbeitseinsatz geschickt wurden – es entwickelte sich ein regelrechter „Pendelverkehr“.

Beispiele für solch einen „Pendelverkehr“ kann man an Hand der Personalakten der Kriegsgefangenen Andrijanow und Wladimir Jakimov ausmachen.

„Außer einem ausgeprägten Pendelverkehr zwischen Uslar-Bergen-Belsen-Fallingbostel (auch auf anderen Personalkarten nachweisbar) gibt es aber keine Belege oder sonstige Hinweise für die Existenz einer Untergruppe des Bergen-Belsener Komitees in Uslar.“

 

Spitzel

Trotz sorgfältiger Auswahl der Mitglieder und Vorsichtsmaßnahmen „wurde eine ganze Reihe von sowjetischen Organisationen aufgedeckt, darunter auch das Fallingbosteler ‚Komitee zum Kampf gegen den Faschismus‘. Das ‚Hannoveraner Komitee‘ in Bergen-Belsen blieb unentdeckt“.

Ein sogenannter Provokateur konnte in  eine Untergruppe des Komitees im Arbeitskommando 3133 Salzgitter-Drütte Organisation eindringen. So konnte die Gestapo die gesamte Organisation (bis auf Bergen-Belsen) zurückverfolgen. Die Drütter Gruppe galt als eine der aktivsten Untergrundgruppen. „Sie verübten Sabotageakte, zum Beispiel wurde Werkzeug beschädigt oder Ausschuss produziert. Außerdem organisierten sie mehrere Fluchtunternehmen“. Leiter dieser Gruppe war Fjodor Simonenko. Er wurde am 13. April 1944 von der Gestapo Braunschweig festgenommen und noch am gleichen Tag in das Strafgefängnis Wolfenbüttel eingeliefert. Fünf Tage später beging er in seiner Zelle Selbstmord. Nach dem Tod Simonenkos wurden 21 Personen an vier Orten verhaftet.

Am 9. Juni 1944 vermeldete das Reichssicherheitshauptamt einen Fahndungserfolg.

 

Zweite Verhaftungswelle Ende Juni 1944

Es begann eine intensive Fahndung nach führenden Mitgliedern des „Komitees zum Kampf gegen den Faschismus“.  Man vermutete ähnliche Organisatoren auch in anderen Lagern und betrachtete Fallingbostel als die führende Zentrale.

„Die Folge war eine zweite Verhaftungswelle Ende Juni 1944. Die Gefangenen aus Drütte und Fallingbostel wurden von Wolfenbüttel aus im August 1944 in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald und Mauthausen überstellt. Mit der Überstellung wurden sie aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und galten nun als KZ-Häftling“.

Nur von vier sowjetischen Kriegsgefangenen ist bekannt, dass sie überlebt haben.

 

Schluss

Es bleiben noch viele Fragen offen, zum Beispiel die Frage nach der Zusammenarbeit der einzelnen Gruppen, die für dasselbe Gebiet bzw. dieselben Arbeitskommandos zuständig waren.

„Die Existenz des ‚Komitees zum Kampf gegen den Faschismus‘ mit Zentrale in Fallingbostel und die Vernetzung und Etablierung von Untergruppen in den Arbeitskommandos in der Region steht jedenfalls außer Zweifel“. Überlieferungen über die Verhaftungsaktionen der Gestapo Braunschweig im Frühsommer 1944 bestätigen die sowjetischen Berichte zum Teil.

„Für das Arbeitskommando in Salzgitter-Drütte kann die Verbindung ebenfalls ausreichend dokumentiert werden – für viele andere Untergruppen und deren Tätigkeiten fehlen aber die ergänzenden Nachweise“

Überlieferte Meldungen über das Hannoveraner Komitee im Lazarett Bergen-Belsen gibt es nicht.

Warum fehlen sichtbare Beweise ihres Engagements?

Genau das ist das Dilemma der erfolgreichen Widerstandskämpfer:

Sie werden nicht entdeckt – ihre Urheberschaft z.B. bei Sabotageakten nicht erkannt. Ihr Name taucht in den Akten der Feinde daher nicht auf.“

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Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Motiven – Opfer der NS-Miltärjustiz (bezogen auf Niedersachsen)

Referat Markus Herrberger (Zusammenfassung)

 

Einleitung – Überblick über Wehrdienstverweigerer in Deutschland

Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas bilden den Hauptteil der Opfergruppe der religiös motivierten Kriegsdienstverweigerer.

Hanns Lilje, der ehemalige Landesbischof von Hannover, traf 1944 im Gefängnis mit Zeugen Jehovas zusammen.  In seinem Buch „Im finstern Tal“, S. 58f schreibt er, dass sich keine christliche Gemeinschaft mit der Zahl ihrer Blutzeugen auch nur von ferne mit  den Bibelforscher (jetzt Zeugen Jehovas genannt) messen könne. Sie könnten für sich in Anspruch nehmen, die einzigen Kriegsdienstverweigerer großen Stils zu sein, die es im Dritten Reich gegeben hat, und zwar offen und um des Gewissens willen.

Urteile und Briefe der Familienväter oder Jugendlichen, die hingerichtet wurden, bestätigen den Gewissenskampf. Auch in der Region Niedersachsen findet man  einige dieser „Blutzeugen“.

„In der Zeit des NS zeigt sich die Verweigerung als Akt religiöser Selbstbehauptung“.

Neben den meisten Zeugen Jehovas lehnten auch  Adventisten der Reformgemeinde, einzelne Katholiken und Protestanten sowie Angehörige kleinerer religiöser Gruppen den sogenannten „Ehrendienst in der Wehrmacht“ demonstrativ ab.  „Ebenso wenig konnten und wollten sie Adolf Hitler den „unbedingten Gehorsam“ schwören“. Durch Ablehnung des Absolutheitsanspruch der Nationalsozialisten gerieten besonders die Zeugen Jehovas, aber auch die Splittergruppe der Reformadventisten mit dem Staat in Konflikt. 1935 wurde die allgemeine Wehrpflicht eingesetzt. Regimegegner, die sich noch im Gefängnis oder in Konzentrationslagern befanden, erhielten nun ihre Einberufung.

73 Verurteilungen (5 aus Niedersachsen) von Kriegsdienstverweigerern sind bekannt.

Im August 1939 trat  die „Kriegssonderstrafrechtsverordnung“ (KSSVO) in Kraft, die besagte, dass jede Tat und Äußerung „die den Wehrwillen des deutschen Volkes zersetzen würde“ mit dem Tod bestraft werden soll.

 „Dazu zählte jede Art „Entziehung vom Wehrdienst“ und auch „Äußerungen“ gegen den Krieg oder das NS-System.“

 

Wehrdienstverweigerung im Zweiten Weltkrieg – Verfolgung durch die Wehrmachtsjustiz

Zahlen

Laut den Akten des Reichskriegsgerichtes (RKG) im Militärarchiv Prag , Urteilen und Vollstreckungslisten gab es in Niedersachsen 27 Verurteilte (85 % Zeugen Jehovas), 17 Todesurteile, 14 wurden davon vollstreckt

Nach Niedersachsen einberufen wurden 8 Verurteilte, 3 Todesurteile wurden vollstreckt.

 

Verweigerer in Niedersachsen

„Der erste deutsche zum Tode verurteilte Wehrdienstverweigerer stammte aus Delmenhorst. Adolf

Bultmeyer wurde am 9.9.1939 in Berlin angeklagt und bereits am 13.9. zum Tode verurteilt.

Vier Wochen später im Gefängnis Berlin-Plötzensee enthauptet.“

Heinrich Warnke aus Klein-Bramstedt bei Bassum wurde bereits am 4.10.1939 hingerichtet. Er war  erste Hingerichtete und kam ebenfalls aus Niedersachsen.

 

Die Rolle örtlicher Wehrmachtgerichte

Es ist bekannt, dass gegen drei Personen in Hannover Verfahren eingeleitet wurden:

Gegen „Josef Kischka aus Bottrop (1942 nach Goslar einberufen, hatte bereits in Wolfenbüttel eine Gefängnisstrafe wegen Eidesverweigerung verbüßt), wurde das Verfahren vor dem Gericht der Division 171 in Hannover eingeleitet. Es gab später mehrere Verfahren gegen ihn. Er überlebte den Krieg.“

Alfred Lumma aus Hannover wurde in die Wehrmachthaftanstalt „Am Waterlooplatz“ gebracht; hier gab er an, dass er „als Zeuge Jehovas weder den Eid leisten, noch gegen irgendeinen Menschen die Waffe führen könne. Gott habe verboten, irgendeinen Menschen zu töten.“

Bei Recherchen für eine Stolpersteinverlegung in Baden-Württemberg wurde bekannt, dass der ein Kriegsdienstverweigerer nach Hannover einberufen wurde. Er beging „1942 Selbstmord durch Erhängen in der Standortarrestanstalt Hannover.“

 

In den örtlichen Wehrmachtsgerichten gab es nur in wenigen Fällen eine Verurteilung, da ab 1936 das Reichskriegsgericht in Berlin als oberster Gerichtshof schwerwiegende Delikte aburteilte. „Wehrkraftzersetzung“ war ein schwerwiegendes Delikt.

 

Reichskriegsgericht (RKG)

 

Das Reichskriegsgericht (RKG) war Ende 1939 ausschließlichen zuständig bei Wehrdienstverweigerung als Form der Wehrkraftzersetzung, welche „zu einem

Kapitalverbrechen im Krieg stilisiert“ wurde.

Das RKG sprach insgesamt ca. 1100 Todesurteile mit Vollstreckung aus. Darunter befanden sich 264 Wehrdienstverweigerer.

In einer Handreichung für andere Kriegsgerichte wurde der Grund für die Todesstrafe bei Wehrdienstverweigerung der Zeugen Jehovas (Bibelforscher) genannt: „Gegen den hartnäckigen Überzeugungstäter – Bibelforscher – wird wegen der propagandistischen Wirkung in der Regel die Todesstrafe angezeigt sein.“

Obwohl die Atmosphäre am RKD sehr einschüchternd wirkte, ließ sich nicht jeder Angeklagte davon beeindrucken. Von dem Zeugen Jehovas Gustav Henke wird berichtet, er habe in seinem Schlusswort den Senat gefragt, ob er „in der Lage sei, die Verhängung der Todesstrafe vor Gott zu verantworten.“

„Die Richter hat dies wohl eher nicht beeindruckt. Der Vorsitzende Generalrichter

Werner Lüben, beging allerdings 1944 Selbstmord. Von ihm sind mindestens 20 Todesurteile

gegen Zeugen Jehovas bekannt“. Seltsamerweise findet man seinen Namen im  „Lexikon der Evangelischen Märtyrer des 20. Jh.“ So wird der Täter zum Opfer gemacht.

 

Admiral Max Bastian aus Wilhelmshaven fungierte als Präsident des Reichskriegsgerichts. Er  „ließ ca. 200

Todesurteile gegen Zeugen Jehovas und Adventisten vollstrecken. Nach dem Krieg beteuerte

er in seinen Erinnerungen, dass er alles versucht habe, dem Problem „menschlich Herr“ zu

werden. Die Tatsachen zeigen anderes. Admiral Bastian wurde für sein Wirken nicht zur

Rechenschaft gezogen. 1958 setzte man ihn mit militärischen Ehren der Bundesmarine bei.“

Formen der Kriegsdienstverweigerung

 

Die Formen der Kriegsdienstverweigerung waren unterschiedlich:

  1. Nichterscheinen zur Musterung
  2. Verweigerung der Unterschrift des Wehrpasses
  3. Zurücksenden des Einberufungsbefehls
  4. Fahren zur Einheit, Einkleidung mit Uniform, aber Verweigerung der Ausbildung mit der Waffe
  5. Verweigerung der Vereidigung
  6. Andere gingen bis an die Front und verweigerten nach Wochen oder Monaten den Dienst an der Waffe

 

Motive und Gewissenskonflikt

 

Adolf Bultmeyer schrieb an seine Frau, dass er für den Herrn sterben würde. Er wolle lieber wie ein Christ sterben als wie ein Heuchler.

Bruno Grundmann (20 Jahre) war zwar bereit seinem Volk im friedlichen Sinne zu dienen, war aber nicht bereit gegen die 10 Gebote zu handeln, die u. a. lauten: Du sollst nicht töten. Er liebte Gott und wollte dessen Gebote unter allen Umständen befolgen.

Peter Wrieden (54-Jähriger Witwer und Vater von 4 Kindern) sagte am Schluss seiner Verhandlung, dass er unglücklich werden würde, wenn er anders handeln würde. „Sein Inneres befehle ihm, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.“

 

Einzelbiografien

 

Otto Kolkhorst

Otto Kolkhorst (26, ledig) war ein Landwirtschaftshelfer aus Diepholz. Als Zeuge Jehovas

verweigerte bereits 1935 beim Reichsarbeitsdienst (RAD)  den Eid. Im November 1937 erhielt er  die

Einberufung zur Wehrmacht. Da er den Eid verweigerte verurteilte ihn das Kriegsgericht in Wandsbek zu 4 Jahren Gefängnis. Nach seiner Entlassung wurde er einen Monat später wieder einberufen. Er fuhr zwar nach Delmenhorst, weigerte sich aber die Uniform anzuziehen und den Eid abzulegen anziehen. Im März 1942 fand  in Berlin die Verhandlung statt. Er wurde „wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode verurteilt“. Wer in dieser Weise im Kriege die Treuepflicht gegenüber seinem Vaterland verletze, könne keine Milde beanspruchen.

Das Urteil wurde am 28.2.1942 im Zuchthaus Brandenburg mit dem Fallbeil vollstreckt.

 

Gustav Schnitger

„Beide Eltern kamen 1939 in ein Konzentrationslager: Der Vater Wilhelm kam in KZ Sachsenhausen, seine  Mutter Helene kam erst in KZ  Ravensbrück, später nach Bergen-Belsen. Bruder Heino wurde 1941 vom RKG zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und kam 1945 frei“.

Weil der 18-Jährige Gustav Schnitger den Wehrdienst verweigerte, wurde er im Zuchthaus Brandenburg enthauptet.

Der Vorsitzende Richter Walther Biron beging 1946 im Gefangenenlager Neu-Ulm Selbstmord. Er hatte mindestens 21 Todesurteile  gegen Zeugen Jehovas ausgesprochen.

 

Emslandlager – Übersicht

„Zur Geschichte der Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern gehören für den Raum Niedersachsen auch die Emslandlager“. Verurteilte Kriegsdienstverweigerer waren zwar im Emslandlager inhaftiert, aber die eigentliche Strafe wurde nicht sofort vollzogen. Auf den erhalten gebliebenen Karteikarten steht: „Die Strafe wird nach Beendigung des Krieges vollstreckt.“

Es war nur eine Art der „Verwahrung während der Kriegszeit“, die unter „strengeren Voraussetzungen als üblich“ stattfand. Die bedeutete für die Inhaftierten „schmale Kost, schwere und gefährliche Arbeit“.

Bisher ist bekannt, dass 22 Kriegsdienstverweigerer im Emslandlager „verwahrt wurden“. Die  meisten von ihnen wurden vom Reichskriegsgericht zu Zuchthausstrafen verurteilt. Luftwaffengerichte hatten drei der Kriegsdienstverweigerer zum Tode verurteilt. Obwohl sie nie ihren Standpunkt geändert haben, wurden sie aber erstaunlicherweise von Hermann Göring begnadigt. Sie überlebten den Krieg.

Zwei Kriegsdienstverweigerer „verstarben in Esterwegen. Die Hälfte der 22 Personen überlebte den Krieg mit schweren körperlichen Schäden“.

 

Heinz Hentschel

Der Drogist Heinz Hentschel aus Schlesien erhielt vom Reichskriegsgericht ein  mildes Urteil. Er wurde  nur zu  5 Jahren Zuchthaus verurteilt. Er kam in das Emslandlager Aschendorfer Moor. Nach zwei Jahren im Lager wird er bedingt durch Unterernährung als  nicht lagerfähig für das Moor eingestuft und kam in ein schlesisches Zuchthaus. In seiner Haftakte, die sich in Leipzig befindet, ist ein Brief an Mutter aufbewahrt. Der Brief gelangte nicht durch die Zensur. Er berichtet darin von „Hunger, Kälte, Auspeitschung und übermenschlich schwerer Arbeit“ und, dass er „ nur noch 98 Pfund wog.“ Ebenfalls in der Akte befindet sich eine „Abschrift aus dem Meldebuch des Lagers Aschendorfer Moor“. Es heißt dort, dass 30 Strafgefangene sehr faul gewesen wären und die Arbeit trotz mehrmaliger Aufforderung nicht ausgeführt hätten. Der Halbzugführer habe deshalb den Gummiknüppel gebrauchen müssen.

Heinz Hentschel überlebte den Krieg nicht, sondern verstarb 1944 entkräftet im Zuchthaus Waldheim

 

Keine Entschädigung  für Herbert Steinadler

Herbert Steinadler war zwei Mal in den Emslandlagern gefangen. Sein Name steht für einen beschämenden Teil Justizgeschichte der Bundesrepublik“.

Fast 20 Jahre war er auf Grund seines Glaubens inhaftiert und zwar im Emsland Lager von 1936-38 und ein 2. Mal 1939-45 als Kriegsdienstverweigerer, sowie 1950-1960 in DDR-Zuchhäusern. Seit 1961 lebte er in der Bundesrepublik in Hamburg und beantragte “Entschädigung und klagte“ sich „durch mehrere Instanzen“. Nach seinem Tod  „sprach sich der Bundesgerichtshof im Wesentlichen gegen Wiedergutmachungsansprüche wegen seiner Kriegsdienstverweigerung aus.

Herbert Steinadler hatte ohne Belege für die Zeit 1936-38 im Emslandlager eine Entschädigung bekommen, aber die nachweisbare Haft in den Jahren 1939-45, aufgrund eines kriegsgerichtlichen Urteils, hielt man nicht für entschädigungswürdig.

„Die Bundesrichter urteilten, dass man nicht sagen könne, dass die Verurteilung wegen Wehrkraftzersetzung Unrecht gewesen sei. Denn so würde man den Richtern von damals unterstellen, dass sie kein Recht, sondern Unrecht gesprochen hätten. (am BGH waren damals mehr als 10 ehem. Kriegsrichter tätig.) Außerdem: da der Kriegsdienst in der Wehrmacht kein Verbrechen gewesen sei, könne im Umkehrschluss eine Verweigerung auch kein ‚Widerstand‘ gewesen sein. Es habe sich auch nicht um Verfolgung aus religiösen Gründen gehandelt. Rein militärische Notwendigkeiten hätten die Verurteilung begründet.“

Dies war nicht das einzige negative Wiedergutmachungsurteil in der BRD, dass durch ehemalige Kriegsrichter in der NS-Zeit gefällt wurde.

Da die Opfer nur mangelnde Wiedergutmachung und Anerkennung des erlittenen Unrechts erhielten, gingen viele der Opfer selbst nicht an die Öffentlichkeit. Das führte dazu, dass die „Opfergruppe der Kriegsdienstverweigerer“ als Gesamtheit in Vergessenheit geriet.

In den 1990er Jahren stand die  juristische Rehabilitierung von Kriegsdienstverweigerern im Fokus. Doch erst 2002 wurde per Bundesgesetz die Aufhebung der Urteile wegen Wehrkraftzersetzung beschlossen.

Inzwischen hat auch im öffentlichen Gedenken in Niedersachsen die Kriegsdienstverweigerung ihren Platz gefunden. Dies geschieht u.a. durch die Aufnahme von Biografien in die Dauerausstellungen von Gedenkstätten oder deren Bildungsarbeit, Straßenbenennungen und Stolpersteine.

 

Literaturhinweis:

Marcus Herrberger (Hrsg.): Denn es steht geschrieben: „Du sollst nicht töten!“ Die Verfolgung religiöser Kriegsdienstverweigerer unter dem NS-Regime mit besonderer Berücksichtigung der Zeugen Jehovas (1939–1945). Verlag Österreich, Wien 2005, ISBN 3-7046-4671-7, S. 159, 406 (Schriftenreihe Colloquium, Bd. 12

Ausstellung:

Die Sonderausstellung „Was damals Recht war – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht“ wurde vom Beirat der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ initiiert.

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Heinz Taxweiler – ein niedersächsischer Deserteur,

Moorsoldat und Widerstandskämpfer (Zusammenfassung  des Referats von Hans-Peter K l a u s c h)

 

Heinz Taxweiler wurde am 14. September 1920 in Celle als Sohn eines Schuhmachers geboren.

Am 21. Oktober 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Im Pionierbataillon der „niedersächsischen“ 1 1 1 . Infanterie-Division Fallingbostel erhielt er eine Ausbildung am Karabiner 98 und am Minensuchgerät. Am 15. April 1941 wurde er mit seiner Einheit in das besetzte Polen verlegt. Er bekam mit, dass die jüdische Bevölkerung in den Städten in separaten Vierteln hinter Drahtverhauen zusammen gepfercht lebte. Posten bewachten die Ghettos.

Heinz Taxweiler war von Anfang an beim Überfall auf die Sowjetunion dabei. Fein säuberlich eingetragen in seinem Wehrstammbuch sind die Kämpfe von Mai 1941 bis September 1941, an denen er teilnahm. Nachweislich war er im Oktober 1941 in Lubny stationiert. Dort entfernte er sich im Laufe des Monats von der Truppe. Die Gründe seiner Desertation können nur vermutet werden. Allerdings gibt es ein Dossier der Roten Armee,  in das Ergebnisse verschiedener Verhöre eingeflossen sind. Gründe für seine Desertion könnten die „unaufhörlichen Verlegungen, das schlechte Essen und die Barbarei seiner Kameraden“  sein.

Laut Befehl sollten keine Russen gefangen genommen, sondern auf der Stelle erschossen werden. Es gab aber auch Durchgangslager für Kriegsgefangene. Ein Überlebender Rotarmist berichtet später, dass die Gefangenen ohne Vorwarnung wegen kleinster Verfehlungen erschossen wurden. Jüdische Kriegsgefangene wurden sofort erschossen. Täglich wurde die Prügelstrafe vollzogen. Gefangene verhungerten.

Tätigkeitsberichte des Divisionsgerichts für die disziplinare Ahndung enthalten Berichte für den Juli 1941 über die Wegnahme von Zucht- und Zugpferden und das wahllose Abschlachten von Kühen,  Zuchtschweinen und Geflügel. Plünderungsfälle mehrten sich. Es gibt einen Bericht darüber, dass vier Kameraden von Heinz Taxweiler am 25. September 1941 einer Ukrainerin Lebensmitteln, ein paar Frauenstiefel, eine gesteppte Frauenjacke, eine Armbanduhr und eine Waschschüssel geraubt haben. „Auf die Bitte der Frau ihr wenigstens eine Bescheinigung auszustellen, wurde sie mit Fäusten tätlich angegriffen und mit einer Axt bedroht“.

Laut Aussage eines Soldaten wurden Mitte Oktober 1941 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus der näheren Umgebung von Lubny gesammelt und  in Lubny selbst niedergeschossen. Die übrige Bevölkerung und die Soldaten hätten sich auf das Eigentum der Erschossenen gestürzt.

Es lässt sich anhand von Dokumenten nicht feststellen, ob Heinz Taxweiler zu diesem Zeitpunkt schon zuvor desertiert war.

Aufgrund von brieflichen Berichten von überlebenden Sowjetbürgern kann nachvollzogen werden, wo er zeitweise Unterschlupf gefunden hatte. Längere Zeit hielt er sich im dem  unbesetzten ukrainischen Dorf Besljudowka auf. Man nannte ihn dort Mikola. Als eine deutsche Streife auftauchte und die Bevölkerung zur Arbeit trieb, deckten ihn die Dorfbewohner und sagten er wäre taubstumm und zu nichts zu gebrauchen.

Am 9. März 1942 kamen  vier deutschen Gendarmen ins Dorf. Diesmal hatte er weniger Glück. Er wurde als Deserteur enttarnt und verhaftet.

Er kam vor ein Kriegsgericht. Das gegen Heinz Taxweiler gefällte Urteil ist nicht erhalten geblieben. Laut eigener Aussage sei er zum Tode verurteilt worden. Er durchlief verschiedenen Gefängnisse in den besetzen Gebieten. Danach wurde er in das  Strafgefangenenlager VII in Esterwegen eingeliefert. Durch die schwere Arbeit wurde Heinz Taxweiler im April 1943 völlig erschöpft und ausgezehrt, in ein Lazarett eingeliefert. Er kämpfte fünf Monate mit dem Tod und wurde im Zuchthaus Werl einigermaßen wiederhergestellt. Anschließend wurde er in das Wehrmachtgefängnis Torgau-Fort Zinna überführt. Da er durch seine Desertion „wehrunwürdig“ war, erhielt er die Möglichkeit sich der „Bewährungstruppe 500 anzuschließen. Hierfür durchlief er eine Prüfung der körperlichen und mentalen Eignung für sogenannte „Mutproben“ bei Sport- und Nahkampfübungen. Bei Bewährung stand ihm Strafmilderung und Straferlass in Aussicht. Allerdings wurde die Truppe zu Einsätzen an Brennpunkten des Kampfes berufen. Sein Bataillon  hatte anfangs die Stärke von 1.300 Mann.  Am 27. Januar1944 zählte die Einheit noch ganze 24 Kämpfer. Heinz Taxweiler befand sich zu dieser Zeit schon seit mehr als fünf Wochen auf der anderen Seite der Front.

Strittig ist die Frage, ob er freiwillig zur Roten Armee wechselte oder ob er sich nur gerne von sowjetischen Aufklärern gefangen nehmen ließ. Die sowjetischen Stellen stuften ihn auf Grund seiner Erzählungen von der Desertion im Jahre 1941 als Gegner des Hitlerregimes ein. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Kriegsgefangenenlager lässt er sich von dem Nationalkomitee  „Freies Deutschland“ (NKFD) anwerben. Die Frontorganisation des NKFD versuchte u.a. durch Flugblätter und Lautsprecher-Ansprachen, aber auch in persönlichen Gesprächen mit deutschen Soldaten für die Ziele des Nationalkomitees zu werben. Das Ziel war die Beendigung des Krieges und der Sturz Hitlers. Bewaffnete Einsätze waren innerhalb des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ höchst umstritten. Heinz Taxweiler gehörte zu den Befürwortern der bewaffneten Einsätze. Am 12. Mai schlug eine Granate einen halben Meter neben ihm ein. Er wurde von vier Splittern getroffen.  Trotz Notoperation verstarb er am 13.5.1944.

Heinz Taxweilers Angehörige erfuhren nichts von seinem Tod. In der der Vermisstenbildliste des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes stand der Vermerk „Ort und Zeit der letzten Nachricht: Wolchow I2.43″.

Obwohl er ein Deserteur und „Kriegsverräter“ war, steht sein Name auf einer Bronzetafel  im „Ehrensaal“ des Hannoveraner Wehrbereichskommandos II der Bundeswehr in Celle zu Ehren seiner I I I . Infanteriedivision.

Wären die Todesumstände von Heinz Taxweiler in seiner Heimatstadt bekannt gewesen, wäre ihm eine öffentliche Anerkennung kaum zuteil geworden.

Literaturhinweis: SONDERDRUCK aus OSNABRÜCKER MITTEILUNGEN, Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück (Historischer Verein) Band 118, 2013, Selbstverlag des Vereins

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Drei WiderstandskämpferInnen aus dem sozialdemokratisch/ kommunistischen Milieu, Braunschweig  (Referenten Heidi Janicki/ Paul Pockrandt)

Minna Faßhauer

Ich darf Ihnen Minna Faßhauer vorstellen. Sie gehörte zu den politisch aktiven Menschen der Braunschweiger Arbeiterklasse Anfang des letzten Jahrhunderts. Ihre Verfolgung  beginnt lange vor 1933 und ist im politischen Raum bis heute nicht beendet.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAMinna Nicolai kam aus Bleckenstedt im Bördekreis Wanzleben, heute Egeln, nach Braunschweig. Ihre Kindheit erlebte sie in großer Armut. Als sie 3 Jahre alt ist, stirbt ihr Vater. Sie erinnert sich später:

„Meine Mutter erhielt keine Unterstützung, und so mussten wir Kinder sehr früh mithelfen, unser Brot zu verdienen. Knapp aus der Schule entlassen, musste ich in Dienst bei fremden Leuten.“

Mit 24 Jahren heiratet sie 1899 den Schmied Georg Faßhauer. Die Söhne Walter und Otto werden geboren.

Hermann Wallbaum, mit dem sie 1918 in der Novemberrevolution kämpfen wird, wusste noch, daß sie von Haus zu Haus den Leuten die Wäsche wusch. Sie sei eine ehrliche und aktive Frau gewesen, die für die Bewegung alles hergab. Sie habe sich aus dem niedrigsten Milieu „raufgearbeitet durch Lesen und so weiter“. Verschiedene Schnitzer, die da beim Schreiben vorkamen, die habe die Bourgeoisie ausgeschlachtet und sie als dummes Weib hingestellt.

Das „Raufarbeiten“ war im rückständigen Herzogtum Braunschweig  so eine Sache. Es war den Frauen zwar gestattet, sich karitativ für andere einzusetzen, aber ihnen war bei Strafe verboten, für die eigene Sache politisch tätig zu werden. Gerade das war für die Arbeiterinnen aber dringend notwendig, wenn sie ihre Lage verbessern wollten. Erst das neue Vereins- und Versammlungsgesetz von 1908 schaffte die Voraussetzungen dazu.

Artur Krull, auch ein Zeitgenosse, sagt später bei ihrer Beerdigung: „Auf regionaler Ebene hatte sie erheblichen Anteil daran, daß 1908 das Verbot für die politische Betätigung der Frauen aufgehoben werden muss (…).“ Bis dahin traf sie sich mit der Arbeiterjugend im  sozialdemokratischen Bildungsverein, ihre politischen Diskussionen waren illegal. In diesem Bildungsverein lernten die jungen Menschen ihre  Lage zu erkennen und ihre Erkenntnisse in politisches Handeln umzusetzen.

Minna Faßhauer dazu:

„Schon als junges Mädchen hatte ich Gelegenheit, sozialistische Schriften zu lesen. (…) Wir Frauen durften damals noch nicht am öffentlichen politischen Leben teilnehmen. Wir kamen dennoch heimlich zusammen. Der von uns Frauen geführte Kampf, voll unterstützt durch die Männer, führte 1908 zum Siege und damit zu unserer Gleichberechtigung im Versammlungsleben. Von da ab stand ich ständig in den Reihen der kämpfenden Arbeiterschaft, habe auch meine Söhne in diesem Sinne erzogen.“

Jetzt konnten auch die Frauen für das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht kämpfen.

1908 wird Minna von der Partei zur Nürnberger Frauenkonferenz delegiert, die unter der Leitung von Clara Zetkin und Luise Zietz stand. Beschlossen wurden dort u.a. die Bildung von Kinderschutzkommissionen, die Schaffung von Kindergärten in den  Kommunen  und die Organisierung von Kinderfreizeiten. Im Herzogtum war das auch nötig:

Minna Faßhauers Sorge galt den Wohn- und Lebensbedingungen der Arbeiterkinder. Im Volksfreund steht sie neben anderen als Organisatorin der Kinderfreizeiten.

Bis in die Kriegsjahre unternimmt sie mit den Kindern Sonntagswanderungen, organisiert Feste und Spiele im Wald. Es gibt die Erinnerung eines Teilnehmers an eine Wanderung in den Elm Himmelfahrt 1917, an der Hunderte Kinder und Jugendliche teilnahmen.

Die Bildung einer Kinderschutzkommission folgt, in die sie gewählt wird.

1914 berichtet der Volksfreund auch über ihre Gewerkschaftsarbeit.

Eine organisierte Arbeitsvermittlung oder -verwaltung gab es noch nicht, ein zentraler Arbeitsnachweis wird aber von der Reichsregierung für das Herzogtum Braunschweig gefordert.

Dazu trafen sich Vertreter der Landwirtschafts-, Handels- und Handwerkskammer, der Innungsausschuß, die bürgerlichen Frauenvereine – auch die Gewerkschaften. Von diesen werden drei Kollegen und Minna Faßhauer gewählt, was vor 100 Jahren von dem großen Vertrauen zeugt, das die Arbeiterschaft in sie setzte.

1920 berichtet die Niedersächsische Arbeiter-Zeitung, daß Minna Faßhauer auf einer Arbeitslosen-Versammlung gesprochen hat, die von der KAPD einberufen worden war, einer linken Abspaltung der 1919 gegründeten KPD. Sie prangert die überlangen Arbeitstage an, denen millionenfache Arbeitslosigkeit und große Not gegenüber stehen.

1914. Im Krieg, mit dem Wilhelm II. die Welt überzog, verändert sich auch die politische Frauenarbeit.  Um den Frauen zu helfen, deren Männer sich im Krieg befinden, nahm Minna Faßhauer an einem Treffen des Braunschweiger Verbandes der bürgerlichen Frauenvereine teil. Der Volksfreund dazu:

„Übereinstimmung bestand, (sich für) diese Aufgaben ohne Unterschied der Partei, des Vereins und der Person zu einer Vereinigung unter dem Namen „Nationaler

Frauendienst“ zusammen zu schließen.“ 18 Verantwortlichen, unter ihnen Minna Faßhauer,  wird der Bereich Familienfürsorge übertragen.

Als der Reichstag die Kriegskredite bewilligt, stellt sie sich angesichts der drohenden Kriegsgefahr mit der Mehrheit der Braunschweiger Arbeiterschaft auf die Seite Karl Liebknechts. Und stand auch dazu, als Liebknecht sich 1916 wieder gegen Kriegsanleihen zu Lasten des Volkes wendet und dafür als Vaterlandsverräter beschimpft wurde.

Das hat Folgen. In einer Stadtverordnetensitzung 1916 berichtet der Ortsvorstand der SPD, Genzen, von einem Brief der Vorsitzenden der nationalen Frauenverbände, Frau Götze, an Minna Faßhauer, daß sie nicht mehr mit dieser zusammenarbeiten könne, weil sie nicht auf nationalem Boden stehe.

In einem späteren Schreiben heißt es zum Schluss: „Wir stehen nur auf einem nationalen Boden, und da Frau Faßhauer sich durch ihre öffentlichen Auslassungen von diesem entfernt hat, haben wir ihre fernere Mitarbeit im Interesse der Sache abgelehnt.“

Genzen schreibt daraufhin im Namen des SPD-Ortsvorstandes:

„Sie hat rechtzeitig die Gefahren des Weltkrieges erkannt, hat sich durch ihre Mitarbeit mit den bürgerlichen Damen von ihrer politischen Überzeugung, … nicht abbringen lassen.“

Diese kompromisslose Haltung von Minna Faßhauer gegen nationalistisches Denken markiert und begründet den Beginn ihrer späteren Verfolgung.

Während des Krieges versucht sie, Verpflegung für die Menschen zu organisieren. Vom Rat der Stadt fordert sie mit weiteren Frauen, daß eine „Deputation zu den Ministern geschickt“ und ihnen gesagt wird, daß die Bevölkerung am Ende ist und nicht mehr hungern wolle.

Aus dieser Notlage erwächst nach zwei vorhergegangenen großen Streiks der Generalstreik 1916, der aber schon ausgeprägt politische Züge trägt. Immer häufiger wird die Forderung erhoben, den Krieg sofort zu beenden. Die Losung war Friede!   Freiheit!   Brot!

5.000 Arbeiter aus Braunschweiger Großbetrieben wählen eine Verhandlungskommission und beauftragen sie, dem Ministerium  ihre Forderungen vorzutragen. Eins der fünf Kommissionsmitglieder ist Minna Faßhauer.

Die Forderungen sind u.a.: Einsetzung eines Ernährungsausschusses, gerechte Verteilung der Lebensmittel, gleiches Wahlrecht und die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages. Die Forderungen wurden nicht erfüllt.

Im Bericht der Polizeidirektion an das Herzogliche Staatsministerium heißt es, zu der geplanten Versammlung sei unter anderem „die als Hetzerin bekannte Fasshauer erschienen.“

Nach diesen und den Erfahrungen mit der Hungersnot  im  „Kohlrübenwinter“ 1916/1917

organisiert sich im Frühjahr 1917 die Mehrheit der Braunschweiger Arbeiterschaft mit Minna Faßhauer  in der USPD.  Nicht mehr bereit, für den Krieg Opfer zu bringen und den nächsten Hungerwinter vor Augen sehen sie nur den Ausweg, mit den Verhältnissen zu brechen. Am 8. November 1918 zwingt der Arbeiter- und Soldatenrat den Herzog zum Rücktritt und übernimmt die Regierung.

Durch die Novemberrevolution 1918 wird  der Erste Weltkrieg beendet. Minna Faßhauer wird vom Arbeiter- und Soldatenrat zur Volkskommissarin für  Volksbildung gewählt. Damit ist sie in Deutschland die erste Frau in einem Ministeramt.

Minna Faßhauer hatte sich im „Bildungsverein jugendlicher Arbeiterinnen und Arbeiter“ schon vor 1908 Verdienste um die Frauen und Jugendlichen erworben. Ihr wird das Amt anvertraut.

Als die Wolfenbütteler Arbeiterschaft einen Redner vom Arbeiter- und Soldatenrat anfordert, wird Minna Faßhauer delegiert. Auf ihren Vorschlag wählt dort am 9. November 1918  eine Volksversammlung von 10.000 Menschen einen Arbeiter- und Soldatenrat.

Die Ziele, für die Minna Faßhauer mit Partei und Gewerkschaft Jahrzehnte gestritten hat, wurden durch die Novemberrevolution erreicht: u.a. die Beseitigung der Gesindeordnung, Wahlrecht auch für Frauen, der Acht-Stunden-Arbeitstag, alle Schutzgesetze die heute noch gelten, das Tarifvertragsrecht, die Koalitions- und Versammlungsfreiheit und die Abschaffung der Zensur.

In der ersten Sitzung des A- und Soldatenrates sagt sie laut Braunschweigische Landeszeitung am 9. November 1918: „dass, wenn die Unabhängigen nicht das Szepter in die Hand genommen hätten, noch viele Menschenleben an der Front und auf der See dem alten Regime zum Opfer gefallen wären.“

Mitte Januar 1919 wird sie von der USPD in den Landtag delegiert.

Der Krieg wurde zwar beendet, aber das alte System nicht überwunden. Kaisertreue Offiziere sowie andere Gegner der November-Revolution formieren sich.

Maercker marschiert auf Befehl Eberts und Noskes in Braunschweig ein, zerschlägt die Novemberrevolution und verfolgt die Arbeiter- und Soldatenräte. Die  politischen Auseinandersetzungen über den weiteren Weg der Revolution verschärfen sich.

Die Arbeiterschaft war keineswegs homogen in ihren politischen Ansichten, auch in Braunschweig wird über die zukünftige Verfassung des deutschen Reiches gestritten.

Der linke Flügel des Arbeiter- und Soldatenrates, wie Minna Faßhauer in der USPD, sieht mehr und direkte Demokratie durch die Räterepublik gewährleistet. Die Mehrheitssozialdemokratie will die parlamentarische Verfassung.  Als klar wird, daß diese sich durchsetzen wird, zieht sie die Konsequenzen und legt ihr Landtagsmandat nieder.

Von den Auseinandersetzungen profitierten jene Kräfte, die 1920 mit dem Kapp- Lüttwitz-Ludendorff-Putsch versuchten, die junge Republik zu stürzen mit dem Ziel, die Monarchie wieder herzustellen. Gewerkschaften  und Arbeiterparteien gelingt es, mit einem bis heute einmaligen Generalstreik den Putsch niederzuschlagen. Mehr als 10.000 Menschen versammelten sich auf dem Leonhardplatz. Die Losung ist „Gegen die Militärdiktatur! Gegen den weißen Schrecken! Gegen die Wiederherstellung der Monarchie!“

Laut „Braunschweiger Allgemeine Anzeiger“ im Juni 1921 hatten sich bereits jetzt militärisch eingerichtete Verbände mit Namen wie „Selbstschutz“, „Stahlhelm“ und „Braver Heyderich“ etabliert, die aber trotz ihres kriminellen Treibens nicht juristisch belangt werden. Das reicht von verbalen Ausfällen bis hin zu Morddrohungen und offenem Terror gegen die Arbeiterschaft, die sich immer öfter gegen Übergriffe und konstruierte Anklagen wehren muß.

Auch Minna Faßhauer bleibt nicht verschont. Die Niedersächsische Arbeiter-Zeitung berichtet, „…dass die Wohnung der Genossin Faßhauer stark bespitzelt wird.“ Sie selbst erklärt, man habe bei ihr gehaussucht. Für Minna Faßhauer war der Kampf um die Erfolge der November-Revolution noch lange nicht beendet! Es folgen Verhaftung und Anklage wegen „Vergehens gegen das Entwaffnungsgesetz“. Ihre Strafe von vier Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 300 Mark wird durch Amnestie erlassen.

1921 werden in Braunschweig Sprengstoffanschläge verübt, die der Arbeiterschaft zur Last gelegt werden. Faßhauer wird wegen „kommunistischer Terrorakte“ gegen Kirchen und bürgerliche Institutionen und „Dynamitvergehen“ ohne Beweise zu neun Monaten Haft verurteilt.

Diese Verurteilungen wegen angeblichem Dynamitvergehen waren in der Weimarer Republik das übliche Mittel, um gegen missliebige Personen vorzugehen, in der Regel Teilnehmer an der Novemberrevolution, die dann mit der Niederschlagung des Kapp-Putsches geholfen haben, die Republik zu retten.

Wann genau die nächste Verhaftung erfolgt, konnte ich bisher nicht herausfinden, aber am 5. Dezember 1922 veröffentlicht die Niedersächsische Arbeiterzeitung einen Brief an Bauleute und Spinnereiarbeiter „sowie die der andern Betriebe, welche an uns denken!“ Darin heißt es u.a.:

„Liebe Arbeitsbrüder und –schwestern! Liebe Genossen!

Mit unendlicher Freude haben wir gehört, dass Ihr uns als Klassengenossen mit Eurer Solidarität zur Seite steht, dass Ihr damit unser Schicksal zu dem Eurigen macht, und dass Ihr mit uns zu fühlen wißt. (…)“

Sie schreiben, daß eine blutige Lüge durchs Land ziehe, um die Vergangenheit mit all den vielen Arbeitermorden vergessen zu machen. Wo Mörder und Kappisten immer noch frei herumlaufen, da müsse das Proletariat Mut und Kraft für die kommenden Kämpfe sammeln.

Unterschrieben u.a. von Minna Faßhauer und Rudolf Claus, von dem wir noch berichten werden.

Im März 1922 wird sie angeklagt wegen angeblicher Sprengstoff-Attentate.  Trotzdem ist Minna Faßhauer den Zeitungen zufolge aber „vor einigen Monaten aus der Untersuchungshaft auf ihre Bemühungen entlassen“ worden. Die Mitverhafteten sagen Widersprüchliches zu ihren Lasten aus. Das wird benutzt und behauptet, dass Minna Faßhauer aktiv an der Beschaffung von Sprengstoff beteiligt gewesen sei. Der Beweis steht bis heute aus.

Schwere Beschuldigungen werden von der „Freiheit“, der Zeitung der USPD, gegen den Untersuchungsrichter erhoben.

Sie zitiert den Verteidiger Justizrat Fränkel aus Berlin der empört feststellt, daß er seit 20 Jahren die Anwaltspraxis ausübe, aber noch niemals ähnliches erfahren habe wie in Braunschweig. Den Untersuchungsgefangenen sei das Gespräch mit der Verteidigung untersagt worden, der Untersuchungsrichter habe Spitzel in die Zellen der Angeklagten geschickt, die sich das Vertrauen der Inhaftierten erschleichen und diese unter emotionalem Druck zu Aussagen veranlassen sollten.

Die Staatsanwaltschaft konstruiert eine Anklage in der die Beweise fehlen, und wo es heißen müsste „Im Zweifel für die Angeklagte“ wird sie aufgrund von Vermutungen verurteilt.

Den „Neuesten Nachrichten“ vom 26. März 1922 zufolge werden die Haftbefehle gegen Minna aufgehoben, das Urteil: Frau Faßhauer 9 Monate Gefängnis. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden den Angeklagten nicht aberkannt. Die Untersuchungshaft ist allen Angeklagten in vollem Umfang angerechnet worden. Nach 1933 war diese U-Haft  Anlass für die Faschisten, sie als vorbestraft einzustufen.

Willkürliche Verhaftungen sind auch in den Folgejahren an der Tagesordnung. Die des Ingenieurs Kurt Seyferth von 1925 ist überliefert und in den „Blättern zur Geschichte“ der DKP 1980 festgehalten worden. Ihm  schreibt seine Frau ins Gefängnis u.a.:

„Hast meinen Brief gefunden, wo ich‘s Dir mitteilte, dass Noske während meiner

Abwesenheit Hausdurchsuchung gemacht haben, (…), die schriftlichen Sachen haben sie auch durchgesehen, da sind doch keine Handgranaten drinn. (…)“ In einer Versammlung habe auch die Genossin Fassauer gesprochen. Man müsse Stimmung gegen sie gemacht haben, aber sie habe sich fein durchgesetzt, man könne fast sagen eine zweite Rosa Luxemburg was Energie und Tatkraft anbelangt.

Nach der Machtübertragung an die Faschisten wird gegen Minna Faßhauer 1935 erneut  Anklage erhoben. Sie wird angeklagt

„… des hochverräterischen Unternehmens, mit Gewalt die Verfassung des Reiches zu ändern, insbesondere dadurch (…), dass sie zur Vorbereitung des Hochverrats einen organisatorischen Zusammenhalt herstellte (…) und dass sie zur Beeinflussung der Massen seit 1934 die Schriften  „Kampfsignal“, „Der rote Rebell“, „Deutscher Mann was nun?“ herstellte oder verbreitete.“

Der Chef der Braunschweiger Landespolizei und SS-Führer Jeckeln verfolgte vor allem die Angehörigen der Räterepublik. Er holt den Prozess gegen Minna Faßhauer nach Braunschweig, was unüblich war, um mit einem Tribunal gegen führende Köpfe der Arbeiterbewegung ein deutliches Signal zu setzen: Indem er sie als bekannte Persönlichkeit der Arbeiterschaft kriminalisierte, sollte die ganze Bewegung in Misskredit gebracht und der Widerstand gebrochen werden.

Nicht unerwähnt soll bleiben, daß Jeckeln vor 1932 für Sprengstoffanschläge in Braunschweig verantwortlich war, z. B. auf das Haus des damaligen Oberbürgermeisters der Stadt, Ernst Böhme. Das ist erwiesen. Er wurde nie zur Rechenschaft gezogen.

In einem Schreiben an den Leiter der politischen Polizei wehrt sich Minna gegen die Anklagen und bekommt dafür eine „Hausstrafe“, weil sie die Gründe für ihre Schutzhaft „in unerhörter Weise bemängelt“ habe.

Minna Faßhauer wird ins Frauen-KZ Moringen überführt, aus dem sie 1936 im Alter von 60 Jahren mit einem schweren Magenleiden entlassen wird. Artur Krull sagte später bei ihrer Beerdigung, im KZ habe sie über 50 Pfund Körpergewicht verloren.

Nach der Befreiung vom Faschismus tritt Minna Faßhauer 1946 der KPD bei. Sie kandidiert auch zu den Kommunalwahlen, erringt aber keinen Sitz im Stadtparlament. Über ihre Arbeit in der KPD-Landesleitung und ihre politische Frauenarbeit gibt es leider keine schriftlichen Dokumente, aber Genossinnen aus Braunschweig und Hannover, z. B. Hertha Dürrbeck, haben dies in persönlichen Gesprächen weitergegeben.

Minna Faßhauer brachte 1918 als Volkskommissarin für Volksbildung Gesetze auf den Weg, die bis heute Wirkung entfalten: Befreiung der Schulen von der Oberhoheit und Weisungsbefugnis der Kirche, sie schaffte die gesetzliche Grundlage für weltliche Einheitsschulen, an denen die Geschlechtertrennung aufgehoben wurde; aus den Schulbibliotheken und dem Unterricht wurden Kriegs- und Fürstenverherrlichung verbannt.

Am 28. Juli 1949 erleidet sie im Alter von 74 Jahren während einer Frauenversammlung der KPD einen Gehirnschlag. Sie hatte die Frauen und Mütter aufgefordert, mitzuhelfen, dass zukünftige Kriege verhindert würden. Internationale Verständigung unter den Völkern zur Erhaltung eines dauerhaften Friedens für die Menschheit waren ihre letzten Worte.

Sie ist gestorben wie sie gelebt hat – mitten in der politischen Arbeit für die Menschen ihrer Klasse.

(C) mit freundlicher Genehmigung von Heidi Janicki

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Martha Emilie Henriette Grimm verw. Claus, geb. Deneke

Geb. am 26.Februar 1893 in Braunschweig

Die Volksschule besuchte sie von 1899 – 1907, danach erlernte sie das Putzmacher Handwerk.

Rudolf  und Martha heirateten am 19.Juli 1930.

Ab 1931 war sie Mitglied in der KPD Braunschweig.

Nach dem Besuch von Rudolf im Gefängnis wurde sie bei der Familie Fluck in Berlin in Schutzhaft genommen.

Ihre Überführung durch Beamte der Gestapo Berlin nach Braunschweig war am 10.10.35

Danach wurde sie am 24.10.35 ins KZ Moringen gebracht.

Im KZ übermittelte sie an eine andere Gefangene in einem Kassiber die Gründe ihrer Inhaftierung, dies  wurde bemerkt und sie bekam eine Woche Haftverschärfung, danach  musste sie schwere körperliche Arbeit leisten trotz ihrer Magen OP.

Aus dem KZ Moringen wurde sie am 08.10.36 entlassen und stand bis 1940 unter Polizeiaufsicht.

Die zweite Ehe schloss Martha mit Werner Grimm am 26.Juni 1940

1949 erwirkte sie die Aufhebung des Urteils und der Kampf um die materielle Entschädigung für die Ermordung von Rudolf begann.

Ab August 1953 bekam sie eine Berufsunfähigkeitsrente von 140.-DM

Nach einer Krebserkrankung starb Martha am 02.Januar 1962 in Braunschweig

 

Rudolf Franz Paul Claus

Geb. am 29.September 1893 in Gliesmarode, hingerichtet am 17.Dezember 1935 in Plötzensee

Nach der Volksschule erlernte er den Beruf des Drehers.

Mit 17 Jahre trat er in den“ Braunschweiger Bildungsverein Jugendlicher Arbeiter“ bei.

1912 organisierte er sich in der SPD.

1915 wurde er trotz seiner internationalen Erziehung von der nationalen Kriegsbegeisterung erfasst und meldete sich freiwillig zur Front. Wo er nach einer Verwundung  1917 „als nicht mehr verwendungsfähig entlassen wurde“, dafür bekam er das Eiserne Kreuz zweiter Klasse und das Braunschweiger Verdienstkreuz.

Die Ereignisse und die eigenen Erlebnisse des Krieges machten ihn zum Kriegsgegner.

1918 trat er der USPD bei und war mit August Merges und Minna Faßhauer und anderen im Braunschweiger Arbeiter und Soldatenrat .

Nach Gründung der KPD in Braunschweig trat er in die Partei ein, die er nach dem Heidelberger Parteitag  1919 verließ, und zur KAPD  wechselte (eine linke Abspaltung der KPD).

Während des Mitteldeutschen Aufstandes im März 1921 gehörte er zum engen Kreis um Max Hölz.

Ende März wurde er festgenommen und vom außerordentlichen Gericht in Naumburg am 08. April 1921 zu lebenslangen Zuchthaus, unter Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit verurteilt.

Nach dem Straffreiheitsgesetz vom 21. Juli 1922 wurde Rudolf entlassen und der Strafvermerk aus dem Strafregister getilgt.

Vom Schwurgericht Braunschweig wurde er wegen Raub und Totschlagversuch auf das Lohnbüro der Grube “Treue“ am 03.November 1924 zu 17 Monate Zuchthaus verurteilt.

Nach Aussage des Oberstaatsanwalts „wurde das Geld für den Rechtsbeistand der Kommunisten  beschafft“.

Durch die Amnestie vom 14.Juli 1928 umgewandelt in Gefängnis gleicher Dauer.

Nach der Haft trat er wieder in die KPD ein.

Martha Deneke heiratete er am 19.Juli 1930

Die letzte legale Arbeit war in der Stadtgärtnerei Braunschweig, seine Entlassung vermutlich auf Anordnung vom Ministerpräsidenten des Landes Braunschweig Klagges, der in staatlichen Stellen nur Regimetreue zuließ.

Bei einem Treffen am 05. April 1933 in Holzminden (Rudolf Claus war Instrukteur der Roten Hilfe Hannover, Braunschweig , Halle) wurden er mit anderen verhaftet. Das Amtsgericht Holzminden verurteilte ihn am 18. September 1933 zu über 2 Monate Haft, die er bis zum 05.Oktober 1933 verbüßte.

Nach seiner Entlassung lebte er bei seiner Frau in Braunschweig, dort nahm er Kontakt mit der Roten Hilfe in Hannover und Berlin auf, und lebte illegal bis zu seiner Verhaftung am 14.Juli 1934 in Berlin.

Um an Informationen zu kommen wurde er während seiner Haft in Berlin bei den Verhören misshandelt und gefoltert.

Der Prozess begann am 25 Juli 1935 im Volksgerichtshof Berlin 2. Senat:  Vorsitzender Landgerichtsdirektor Dr. Schaad, Landgerichtsdirektor  Dr. Zieger, Major Stutzer, SS-Gruppenleiter Freiher von Eberstein, Korvettenkapitän Rollmann und der Beamte der Reichsanwaltschaft Staatsanwalt Dr. Kaven.

Mitangeklagt waren Eva Lippold, Ferdinand Steffens, Hans Lippert, Arthur Weißbrot sie bekamen Zuchthausstrafen.

„ Für einen derartigen Verbrecher wie Claus  ist nach der Überzeugung des Senats innerhalb der Volksgemeinschaft des nationalen Staats kein Platz mehr. Gegen ihn ist die Todesstrafe verhängt worden“.

Im Prozess wird das“ Tribunal“ erwähnt, die Zeitung der Roten Hilfe. Für die Gegner des Faschismus war es eine Möglichkeit über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse im Reich zu berichten und sie zu kommentieren.

Die Richter beim Volksgerichtshof interpretierten den Inhalt so:  „Die Zeitungen und Schriften enthalten fast  ausführlich Hetz-Gräuel und Lügengeschichten der übelsten Art.Dabei wird zu den aktuellen Tagesfragen in gemeinster und hämischen Ausführungen Stellung genommen. Vor keiner Beleidigung des Führers, des Staates und seiner Einrichtungen wird zurückgeschreckt. Die S.A. wird systematisch aufgehetzt , die Wehrkraft verhöhnt.“

Rudolf Claus lehnte es ab, auf anraten seines Verteidigers einen Gnadengesuch, auf Grund seiner Verletzung und Auszeichnungen im 1. Weltkrieg beim „Führer“ zu stellen.

Die Überführung nach Plötzensee erfolgte am 26. Juli 1935.

Es wurde vollstreckt am morgen des 17. Dezember 1935 durch den Scharfrichter, der ihn mit dem Handbeil köpfte.

Proteste und Telegramme gegen das Urteil gab es vom französischen Ministerpräsidenten, vom Bürgermeister von Stockholm, der britischen Indepent Labour Party,Zeitungen „LE Peuple“ „Temps“. Der Gegenangriff, Radio Moskau, Verbandstag der Textilarbeiter Norwegens, Der Lutetia – Kreis ein Komitee von Sozialdemoraten, Kommunisten und bürgerliche Hitlergegner im Pariser Exil verfassten eine gemeinsame Resolution,  Heinrich Mann schrieb ein Essay “Es kommt der Tag“

In seinen letzten Brief vor der Hinrichtung schreibt Rudolf:

„Liebe Eltern, Geschwister und Bekannte!

Mariechen, Deinen letzten Brief habe ich mit großer Freude erhalten, auch Hildes Bildchen.

Es ist gerade, als hätte ich sie erst gesehen. Nun steht die gnadenbringende  Weihachszeit bevor. Aber für euch alle, meine Lieben, ist es keine freudige.

Mariechen, ich richte diesen Brief an Dich, denn Du wirst am stärksten sein, diese schreckliche Botschaft empfangen zu können und sie allen, vor allen Dingen meinen lieben Eltern in ihrem betagten Alter, und auch Mutter Deneke schonend mitzuteilen.

Noch einige Stunden, dann ist mein Leidensweg beendet.

Liebe Eltern und Geschwister ! In Gedanken bin ich bei Euch, um Euch alle zu trösten über das brutale Scheiden von Euch. Meine Lieben, die Vollstreckung des Urteils ist beispiellos in der Weltgeschichte. Aber es kommt weniger die Straftat in Betracht, als meine kommunistische Gesinnung und darum sehe ich tapfer und ruhig der Entscheidung entgegen.

Auch bitte ich Euch nochmals, in Ruhe den Schicksalsschlag zu überwinden“.

(Zusammenfassung mit freundlicher Genehmigung von Paul Pockrandt)

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Das Forschungsprojekt „Widerstand in Göttingen“

(Zusammenfassung  des Referates von Dr. Rainer Driever – zum Teil Direktzitate)

 

Idee zum Projekt „Widerstand in Göttingen“

Das Projekt „Widerstand in Göttingen“ sieht „eine biografisch zentrierte Erfassung und Darstellung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in Göttingen“ vor. Parallel sollen die  Organisationen betrachtet werden, „in die der Widerstand eingebettet“ war“ bzw. durch die er unterstützt wurde.“

Anlass für das Projekt war der Antrag zur „Anbringung einer Gedenktafel am Wohnhaus des Kommunisten Gustav Kuhn in der Petrosilienstraße 8“

Der Antrag wurde im Mai 2012 von der Ratsfraktion „Der Linken“ in Kooperation mit dem Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur e.V. im Kulturausschuss gestellt.

Gustav Kuhn war in der Zeit von 1933 bis 1945 mit wenigen Unterbrechungen in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert. 1933 war er auch kurzzeitig im Männerlager des KZ Moringen untergebracht.

Im September 2012 beantragte die SPD-Ratsfraktion in der „Sitzung des Kulturausschusses die Erarbeitung einer zeitgenössischen Erinnerungskultur in Göttingen“.  Die Kulturdezernentin der Stadt Göttingen, Frau Dr. Schlapeit-Beck schlug Thomas Bürgenthal Hausvor, eine Gedenktafel an der Stadtbibliothek (dem Thomas-Buergenthal-Haus ) anzubringen. Diese Gedenktafel soll stellvertretend für alle Widerständler gegen den Nationalsozialismus gewidmet sein. Das Thomas-Burgenthal-Haus wurde deshalb ausgewählt, weil  hier die ehemalige Polizeiwache stationiert war. Die Schutzhäftlinge saßen ab dem Frühjahr 1933 dort ein.

2013 wurde eine  Arbeitsgruppe von Fachwissenschaftler/innen einberufen. Vertreten in ihr sind die Universität, die Stadt, das Stadtarchiv, die Geschichtswerkstätten Duderstadt und Göttingen sowie der Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur.

 

Formen des Widerstandes

Den Fachwissenschaftler/innen  wurde schnell klar, dass der Kreis von Widerständlern in der NS-Zeit breitgefächert ist. Für das Projekt „Widerstand in Göttingen“ wird die Arbeitsgruppe den Begriff „Widerstand“ benutzen für:

a) „… Verhaltensformen …, die eine grundsätzliche Ablehnung des Nationalsozialismus annehmen lassen. So bedeutet dann (Zitat Klaus Schönhoven 1994, 3) ‚Widerstand [gegen die NS-Diktatur] eine Provokation, welche die Toleranzschwelle des nationalsozialistischen Regimes unter den jeweils gegebenen Umständen bewusst überschreitet mit einer Handlungsperspektive, die auf eine Schädigung oder Liquidation des Herrschaftssystems abzielt.‘

b) Widerstand soll zudem als eine aktive, nicht notwendigerweise organisierte, Bekämpfung des Systems und seines Führers Adolf Hitler verstanden werden, wie Herrmann Graml es 1997 (309) formulierte. Nach Ian Kershaw 1994 soll er erklärtermaßen auf die Unterminierung des Systems oder auf Vorkehrungen für den Zeitpunkt seines Zusammenbruches zielen.“

Auch die Sichtweise von Friedrich Zipfel findet Berücksichtigung,  der „mit dem Begriff ‚Widerstand‘ im ‚totalitären Staat‘ die Vorstellung, dass diese Handlungen unter bewußter Inkaufnahme der Gefahr von persönlichen Nachteilen, von Maßregeln Inhaftierungen oder gar der Todesstrafe begangen wurden“, verbindet (Zipfel 1965, 3).

Um Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu würdigen, wird auch der Begriff „Opposition“ definiert und unterschieden. Auch Einzelpersonen und Gruppen werden berücksichtigt, die anfangs eine andere Haltung einnahmen. „Ausgeschlossen werden sollen allerdings Aktionen von Nationalsozialisten gegen einzelne Maßnahmen des Regimes.“

„Weltanschauliche Dissens (Meinungsverschiedenheit)“, „die nicht unbedingt in eine Aktion mündet“, sich aber in unterschiedlicher Art „spontan“, kritisch und empört gegen Einzelaspekte des Regimes  äußerte und „gesellschaftliche Verweigerung“ (nach Richard Löwenthal 1984, 14) soll berücksichtigt werden.

Thematisiert soll auch der Widerstand der Göttinger Arbeiterbewegung werden, „von dem auch Impulse für den Widerstand im Reichsgebiet und im Exil ausgingen: von den Göttinger Eisenbahnern im Zusammenspiel mit der Internationalen Transportarbeiter-Föderation, der KPD sowie dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund.“ Die Verbindungen nach Northeim, Hann. Münden und den inzwischen eingemeindeten Dörfern wird untersucht werden.

 

Göttingen und der Nationalsozialismus

Bei der Reichstagswahl 1920 gewannen die rechten Parteien DVP und DNVP  viele Stimmen dazu. Im „Dezember 1924 trat die NSDAP erstmals selbständig an und gewann über sechs Prozent“. 1929 war sie „mit zweiundzwanzig Prozent bereits zweitstärksten Partei nach der SPD.“ 1930 (Kommunalwahl)  war sie schon mit über 37 Prozent die stärkste Partei und 1932 hatte sie mit 51 Prozent die absolute Mehrheit inne.

„Das Klima war für die Nationalsozialisten in Göttingen günstig.“ Im „Wahlkampf für die Nationalversammlung kam es zu antisemitischen Angriffen“, die sich meist gegen Professoren und Dozenten der Universität richteten.

Im Februar 1922 fand die Gründung der Göttinger Ortsgruppe der NSDAP statt. Ende Dezember 1922 gab es bereits eine Sturmabteilung (SA).  Acht Jahre später hatte sie ca. 300 Mitglieder. „Im Juli 1929 wurde ein erster Trupp der Schutzstaffel (SS) eingerichtet.“ Der Parteigau Südhannover-Braunschweig wurde 1924 gegründet und Göttingen wurde die erste Gauhauptstadt. Am 21. Juli 1932 hielt Adolf Hitler eine Rede im Göttinger Kaiser-Wilhelm-Park.  Angeblich gab es 30 000 Zuhörer.

Der Machtantritt Adolf Hitlers wurde  am 30. Januar 1933 in Göttingen mit Begeisterung begrüßt. Am Fackelzug nahmen mehrere tausend Menschen teil.

 

Ausschreitungen und Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung

Die jüdische Gemeinde Göttingens bestand aus vier- bis fünfhundert Mitgliedern.

Gewalttätige Ausschreitungen gegen jüdische Einwohner und ihre Geschäfte in der Innenstadt gab es am Abend und in der Nacht des 28. März 1933. „Horden von nationalsozialistischen Schlägern“ zogen  „durch die Straßen, zertrümmerten Schaufenster, plünderten Geschäfte und misshandelten Menschen.Niemand protestierte dagegen: Weder die Kirchen, noch die Universität, die Lehrerschaft oder die liberale „Göttinger Zeitung“.

Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums am 7. April 1933  und das Vertretungsverbot für jüdische Rechtsanwälte  hatten weitere Auswirkungen auf die Stadt.

Obwohl der Physiker und Nobelpreisträger James Franck als Kriegsfreiwilliger von einer Ausnahmeregel betroffen war, legte er sein Professorenamt öffentlich nieder. Eine Solidaritätsbekundung gab es nicht, stattdessen betrachteten 42 NSDAP-nahe Professoren die Amtsniederlegung als Sabotageakt und wünschten von der Regierung eine Beschleunigung der „notwendigen Reinigungsmaßnahmen“. Die Universität reagierte umgehend und stieß am 25. April die jüdischen Wissenschaftler aus. Unter ihnen befanden sich der Physiker und Mathematiker Max Born und die Mathematiker Richard Courant und Emmy Noether.

 

SPD

Am 28.02.1933 wurde das sozialdemokratische Volksblatt verboten. Am 7. April wurden fünf von sieben Göttinger SPD-Bürgervorstehern in Haft genommen. SPD-Bürgervorsteher nahmen das letzte Mal am 26. April an einer Ratssitzung teil. An diesem Tag wurde das Volksheim von der SA besetzt und die Einrichtung demoliert. Tags darauf  untersuchte die Kripo unterstützt von der  SA-Hilfspolizei die Räume des Volksblatts. „Am 1. Mai wehte das Hakenkreuz auf dem Mast des Volksheims. Ab dem Juni 1933 war die SPD keine Organisation ernstzunehmender Gegner für die Nationalsozialisten mehr.“

Bisher konnte nur verifiziert werden, dass die KPD und der Internationale Sozialistische Kampfbund systematischen Widerstand leistete.

KPD

„Die Kommunisten hatten in der Stadt einen schweren Stand.“ Die damalige Kommunistin und spätere SPD-Ratsherrin Hannah Vogt erinnerte sich: „In Göttingen war die KP eine Randerscheinung.“  Sie selbst kam aus der Haft heraus im Juni 1933 in das Frauen-KZ Moringen.

Obwohl die KPD-Mitglieder verfolgt wurden, blieben sie nicht untätig. Sie versuchten „mit inzwischen illegaler Propaganda, Klebe- und Flugzetteln den neuen Herren etwas entgegen zu setzen. Zusammen hörten sie Radio Moskau und versuchten, den organisatorischen Zusammenhang zu bewahren.“ 1933 erfolgten dann Verhaftungen, die am Ende der Strafeoft durch andere Strafen verlängert wurden.

 

Der Internationale Sozialistische Kampfbund

Der Göttinger Philosoph Leonard Nelson gegründete 1917 den Internationalen Jugend-Bund (IJB), aus dem der der SDP-nahe  Internationale Sozialistische Kampfbund hervorging. Leonard Nelson betrieb ab 1922 in der Walkemühle bei Melsungen in Nordhessen ein Landerziehungsheim. Nach dem Tod von Leonard Nelsons im Jahr 1927 übernahm Willi Eichler in Göttingen die Führung. „Der ISK verstand Demokratie eher als Schutz des Menschen im Sinne der Einhaltung und Garantie persönlicher Freiheit und Rechte und vertrat einen ethisch begründeter Sozialismus (z.B. strikte Gleichberechtigung).“ Der ISK umfasste nur ca. 300 Mitglieder. „Ab 1926 wurde die Monatsschrift ‚isk‘  herausgegeben.“ Die Parteizentrale wurde von Göttingen nach Berlin verlegt und ab Angang 1932 brachte der ISK die eigene Tageszeitung „Funken“ heraus.

Die SS übernahm im März 1933 das Landerziehungsheim Walkemühle. Willi Eichler emigrierte über Frankreich nach England. Der ISK wurde schon vor 1933 durch den Leiter der Göttinger SS, August Heißmeyer, beobachtet. Die Ortgruppe der Göttinger ISK bereitete sich bereits im Herbst 1932 auf die Illegalität vor: Sie „verbrannten ihre Mitgliedsbücher und lagerten die ISK-Schriften teilweise aus.“

In der Nacht zum 15. März wurden die ISK-Geschäftsräume im Nikolausberger Weg 67 durchsucht. Das Vermögen des ISK und des ISK-eigenen Kindergartens (Verein Kinderheim) wurde im Juli 1933 beschlagnahmt.

Ab August bestand eine enge Zusammenarbeit mit der „Internationalen Transportarbeiter Föderation“ (Gewerkschaftsdachverband). „Gemeinsam wurde die Tarnschrift ‚Willst du gesund bleiben?‘ mit zehn allgemeinen Regeln für die illegale Arbeit verbreitet.“ Im  Oktober 1933 erschien die erste Nummer der „Neuen politischen Briefe“, ab März 1934 erschien dieser Brief monatlich auf Dünndruckpapier und wurde illegal in Deutschland verteilt. Die Briefe wurden bekannt als „Reinhart-Briefe“.

Vierzehn Mitglieder der ISK-Gruppe wurden Mitte Januar 1936 von Göttinger Polizei verhaftet. In der der Verhandlung am Gericht Kassel wurden „drei Angeklagte freigesprochen, vier erhielten 10 Monate Gefängnis, die anderen 2-4 jährige Zuchthaus- und Gefängnisstrafen.“ Bekannt ist, dass Fritz Körber wurde nach Verbüßung der Haft ins KZ Börgermoor überstellt wurde und  Heinrich Oberdieck als Soldat in ein Strafbataillon kam. Er gilt als vermisst.

(c) Ingeborg Lüdtke

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