Tagung: Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945: Donnerstag, den 19.6.2014

Die Tagung “Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945 – Geschichte und Vermittlung” fand am 19.- 21. Juni 2014 in Göttingen statt.

Programm:

15:30 h: Dr. Claudia Fröhlich „Widerstand und Verweigerung 1933-1945 – Überlegungen zur Geschichte und Nachgeschichte“

16:45 h: Dr. Hans-Dieter Schmid „Sozialdemokraten im Widerstand: Die Sozialistische Front (SF)“

17:45 h:Dr. Peter Schyga, „Wider die Vergottung des Volkstums und der Rasse“ – Pastor Holtermanns (Goslar) öffentliche Einwürfe gegen das NS-Regime

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Donnerstag, den 21. Juni 2014

Widerstand und Verweigerung 1933-1945 – Überlegungen zur Geschichte und Nachgeschichte

(Zusammenfassung des Referates von Dr. Claudia Fröhlich)

 

Widerstand als Hochverrat?

Haben die militärischen Attentäter des 20. Juli 1944 Landes- und Hochverrat begangen?

Dies behauptete Generalmajor Otto Ernst Remer im Mai 1951 auf einer Parteiversammlung der von ihm mitgegründeten Sozialistischen Reichspartei (SRP) . Daraufhin stellte im Juni 1951 der Bundesinnenminister Robert Lehr gegen Remer wegen Verleumdung. 1952 kam es zu dem sogenannten Remer Prozess vor der Dritten Großen Strafkammer des Braunschweiger Landgerichts

 

Otto Remer und Robert Lehr

Major Otto Ernst Remer war am 20. Juli 1944 Kommandeur des Berliner Wachbataillons. Er hatte vom Berliner Stadtkommandanten General Paul von Hase , einem Mitverschwörer, den Befehl erhalten das Regierungsviertel zu besetzen und Wolfsschanze später den Auftrag Joseph Goebbels festzunehmen. Remer hatte die Besetzung des Regierungsviertels ausführt und bekam Zweifel. Als er Goebbels verhaften wollte, vermittelte ihn dieser eine Telefonverbindung mit Adolf Hitler im Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen. Per Telefon bekam er von Hitler die Anweisung, den Putsch niederzuschlagen. Diese Anweisung hat er auch als gehorsamer Nationalsozialist ausgeführt.

Robert Lehr hingegen hatte Verbindungen zum Kreisauer Kreis.

 

Klage sollte erst nicht angenommen werden

Oberstaatsanwalt Erich Günther Topf  (ehem. Mitglied der NSDAP und SA-Rottenführer), der bei der Braunschweiger Staatsanwaltschaft zuständig war, wollte die Klage zunächst nicht annehmen. Der leitende Staatsanwalt Fritz Bauer (Sohn jüdischer Eltern) konnte ihn nicht umstimmen und erteilte ihm Weisung. Fritz Bauer übernahm die  Anklage gegen Remer wegen übler Nachrede.

 

Rehabilitation des Widerstandes

Fritz Bauers Ziel war die Abwehr des Verratsvorwurfes. Er wollte eine Befreiung vom Stigma des Verrats, eine Rehabilitation des Widerstandes und das Widerstandsrecht sanktionieren.

Als Nebenklägerin stellte Anna von Harnack ebenfalls einen Strafantrag gegen Remer. Ihr Name wurde mit dem Widerstand der Roten Kapelle in Verbindung gebracht. Aufgrund der Bitte von Fritz Bauer zog sie ihren Antrag zurück. Fritz Bauer wollte nur den Widerstand des 20. Juli als Gegenstand des Prozesses  machen.

Gutachter (Theologen u. ein ehemaliger General) unterstützten die Anklage. Ihr einstimmiges Ergebnis lautete:  Die Widerstandskämpfer des 20. Juli seien keine Verräter gewesen, sondern  hätten zum Wohle Deutschlands gehandelt.

Major Otto Ernst Remer wurde zu einer Haftstrafe von drei Monaten verurteilt, allerdings trat er diese nicht an. Er flüchtete ins Ausland.

Mit dem Urteil erkannte die Strafkammer an, dass der nationalsozialistische Staat kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat war. Er diente  nicht dem Wohle des deutschen Volkes.

Durch das Urteil wurde der Widerstand des 20. Juli vom Stigma des Landesverrats befreit.

Aufgrund des  Ausgangs des Prozesses änderte sich die Sichtweise in Bezug auf den Widerstand des 20. Juli sehr positiv.

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Sozialdemokraten im Widerstand: Die Sozialistische Front (SF)

Zusammenfassung des Referates von Dr. Hans-Dieter Schmid

 

Die Sozialistische Front (SF)

Hannover SchlossEine der vermutlich größten und bedeutendsten Widerstandsgruppen der Vorkriegszeit war die Sozialistische Front. Diese sozialdemokratische Widerstandsorganisation war zwischen 1933 und 1936 im Raum Hannover gegen den Nationalsozialismus aktiv.

Diese Gruppe wollte vor allem mit illegalen Flugschriften eine Gegenöffentlichkeit zur nationalsozialistischen Propaganda  schaffen.

Initiator der Sozialistischen Front war Werner Blumenberg, der als Redakteur bei  sozialdemokratischen Tageszeitung „Volkswille“ tätig war.

Der Organisation gehörten in den hannoverschen Arbeiterwohngebieten einige  hundert Menschen an. Sie verzichtete auf spektakuläre öffentliche Aktionen. Verteilt wurden die  Sozialistischen Blätter auch in Cuxhaven, Nienburg an der Weser, Bad Oeynhausen und Rehme. Es gab auch Kontakte nach Magdeburg und Hamburg. Die ersten Flugblätter Blumbergs erschienen bereits 1933. Zwischen April 1934 und August 1936 erhielten mehrere hundert Personen regelmäßig Flugblätter.

 

Rahmenbedingungen

Vor 1933 setzte der Antifaschistische Kampf der Arbeiterparteien ein. Nicht nur die KPD sondern auch linkssozialistische Gruppen und die SPD waren publizistisch und auf der Straße tätig.

Bereits 1924 betätigten sich hauptsächlich Sozialdemokraten im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, dessen Hauptaufgabe die Verteidigung der Weimarer Republik gegen Feinde aus nationalsozialistischen, monarchistischen und kommunistischen Reihen bestand.

Adolf Hitler kam durch die Ernennung von Paul von Hindenburg an die Macht, nicht durch einen Wahlsieg.  Die NSDAP hatte bereits  wieder Stimmen verloren. Die Weltwirtschaftskrise begann wieder abzuflauen. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen linderten die größte Not.

Der Vizekanzler Franz von Papen hoffte durch das Konzept der Einrahmung („Zähmumgskonzept“) Hitlers Macht in der Regierung zu begrenzen. Der Regierung gehörten acht Vertreter aus dem deutschnationalen und konservativen Lager an, sowie Wilhelm Frick und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich. Franz von Papen „Zähmungskonzept“ erwies sich leider als illusorisch, da Hitler am 1. Februar 1933 die Auflösung des Reichstages forderte. Dadurch wurde die Neuwahl des Reichstages notwendig.

Der Wahlkampf der Arbeiterparteien wurde bei den Märzwahlen 1933 massiv behindert. Ein Großteil der Kommunisten war bereits  in den neuen Konzentrationslagern inhaftiert.

Der SPD-Vorstand war sich uneins darüber, wie man sich nun verhalten sollte:

Der Parteivorstand war mehrheitlich  im für eine  Emigration und das Agieren durch einen Exil-Vorstand. Der größte Teil des Parteivermögens wurde nach Prag geschafft. „Eine Minderheit unter Führung Paul Löbes wollte so lange wie möglich im Reich weiterarbeiten“.

Bevor es zu einer Spaltung der SPD kommen konnte, wurde die Partei  im Juni 1933 verboten.

 

These I:

Unterhalb und gegen den Legalitätskurs der Parteiführungen gab es auch in der SPD schon vor 1933 Vorbereitungen auf die Illegalität, einschließlich des bewaffneten Widerstands.

Werner Blumenberg, Albin Karl und Georg Geiger beschlossen bereits im Herbst 1932 die Mitglieder der Pionierketten mit Pistolen auszurüsten.

Im März 1933 gab es z. B. in Leipzig Kampf-Staffeln, die insgesamt aus ca. 2000 bewaffneten Männern bestanden.

Es gab viele Aussagen zur bewaffneten Kampfbereitschaft der Sozialdemokraten, „aber man rief sie nicht.“

 

These II:

„Entgegen mancher Selbstdarstellung und späteren Interpretation waren die Mitglieder der Sozialistischen Front  ausschließlich Sozialdemokraten. Sie war eine reine SPD-Organisation“.

Die Sozialistische Front agierte typisch sozialdemokratisch in Bezug auf ihre illegalen Arbeit. Es gab keine spektakulären Aktionen wie bei der KPD oder auch der ISK. Ihr Ziel war es den Zusammenhalt zu wahren, die Genossen bei der Stange halten und  Organisationsstrukturen für die Zeit „danach“ zu erhalten.

Ihr wichtigstes Mittel waren die Sozialistischen Blätter (April 1934 bis August 1936). Sie dienten innerhalb eines „Lesezirkels“ „als Kommunikationsmedium zur Mobilisierung, Solidarisierung und Organisierung der zur antifaschistischen Arbeit bereiten Teile der Arbeiterschaft“. Unter dem Nazi-Regime wurde diese Tätigkeit schon als Vorbereitung zum Hochverrat gewertet.

 

 These III:

„Die Sozialistische Front war keine linkssozialistische Organisation“.

Linskorientierte Mitglieder hatten die Partei bereits verlassen. Inzwischen distanzierte man sich vom Exilvorstand in Prag, der Sopade.

In den Schriften der Sozialistischen Front mit dem Prager Manifest der Sopade von 1934 zeigt sich der gleiche Radikalismus.

 

These IV:

„Die Sozialistische Front war nicht nur eine der zahlenmäßig größten, sondern auch eine der am längsten illegal arbeitenden Widerstandsorganisationen im Reich“.

Die Sozialistische Front hatte Mitte 1935 etwa 700 Mitglieder, die in die Organisation zumindest als Leser eingebunden waren.

Bis zum Sommer 1936 konnten einzelne Einbrüche der Gestapo in die Organisation abgewehrt werden. Trotzdem kam es zur Verhaftung von Egon Franke im April 1935 und von Fritz Lohmeyer im Februar 1936.

Ihre lange Lebensdauer verdankte die Sozialistische Front den guten Beziehungen Blumenbergs zu einem Gestapobeamten, der ihn vor Aktionen der Gestapo jeweils warnte. Durch ihn erfuhr er auch von seiner geplanten Verhaftung, und konnte noch in der Nacht nach Amsterdam flüchten.

Dem Gestapo Amt Berlin gelang es einen Spitzel einzuschleusen. Dies war ausschlaggebend dafür, dass die Sozialistische Front im Sommer 1936 zerschlagen werden konnte. Unabhängig davon gelang es  Bruno Cickron (Leiter Abt. 6 am 27. Juni 1936) und danach Franz Nause (am 29.6.) durch die Gestapo in Hildesheim zu verhaften. Letzterer war als eigentlicher Organisator der Sozialistischen Front über die ganze Organisation informiert.

 

These V:

Dass für die „Aufrollung“ der Sozialistischen Front nur ein einziger „Verräter“, nämlich „Walter Spengemann“, verantwortlich gewesen sei, ist eine „Legende“.

Vor allem von dem damaligen kommunistischen Funktionär Kurt Müller wurde in der Nachkriegszeit die Legende gegen  Walter Spengemann verbreitet. Sie wurde aber auch von vielen Sozialdemokraten geteilt, besonders von Mitgefangenen, die ihn im Polizeigefängnis auf der Schreibmaschine tippen hörten.

Nachweislich hat Walter Spengemann in der Haft mit der Gestapo zusammengearbeitet. Er wurde wegen seiner ebenfalls verhafteten Mutter erpresst. Sein im Gefängnis geschriebener Bericht ist eher ein allgemeiner Bericht über die Entstehung und Entwicklung der Sozialistischen Front  als eine Aufdeckung der Organisation und der beteiligten Personen.

Präzisere Aussagen kamen von Franz Nause, der als Organisationsleiter genauere Kenntnisse hatte. Dass Nause kein Wort verraten habe, ist ebenfalls eine lang gehegte Legende. Trotz Folter hat Franz Nause 2 1/2 Monate nichts ausgesagt.

Die sechs Hauptbeschuldigten wurden im September 1937 vom Volksgerichtshof verurteilt; Franz Nause und Walter Spengemann erhielten je 10 Jahren Zuchthaus.

 

Schlussüberlegung:

Ist die Sozialistische Front mit ihrem Widerstand gescheitert?

Gemessen an  ihren eigenen Zielen sich zu  bemühen, „ein Vorbild der Überzeugungstreue und Kampfbereitschaft zu geben“, wie Blumenberg dies in dem 1. Flugblatt formulierte ist die Sozialistische Front nicht gescheitert.

Gescheitert ist sie an dem Ziel, Hitler zu stürzen oder auch nur die NS-Herrschaft im Geringsten zu erschüttern.

Nicht gescheitert ist sie darin, dass sie gezeigt hat, dass nicht alle Deutsche Hitler zugejubelt haben, sondern dass es auch ein „anderes Deutschland“ gab.

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„Wider die Vergottung des Volkstums und der Rasse“ – Pastor Holtermanns (Goslar) öffentliche Einwürfe gegen das NS-Regime

(Zusammenfassung des Referates von Dr. Peter Schyga)

GoslarJuli08 002Das vorweggenommene Ergebnis des Referates von Dr. Peter Schyga lautet (Zitat):

a) wir haben es bei den Flugblattaktionen Pastor Adolf Holtermanns mit Akten von widerspenstiger Auflehnung gegen das NS-System zu tun und

b) das Beispiel zeigt, was für eine relativ intakte Organisation wie die Kirche möglich gewesen wäre, wenn die auf christlichem Glauben basierende Haltung dieses Goslarer Pfarrers Allgemeingut dieser Institution gewesen wäre.

Bisher galt eine christliche Weltanschauung,  die „für ein friedlich auskömmliches menschliches Zusammenleben“ eintrat, die auf den 10 Geboten beruhte. Hier galt: „Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch Zeugnis reden“. Die NS-Ideologie verkehrte die Wort in: „Du sollst töten, du sollst stehlen, du sollst falsch Zeugnis reden.“

Es entstand die Frage: „Wie gehen die Kirchenglieder auf allen Ebenen mit diesem eklatanten Widerspruch um?“ „Eine pauschale und prinzipielle Antwort“ müsste lauten: „Widerstand ist Christenpflicht.“

„Die Kirche war die einzige gesellschaftliche Massenorganisation“, die von den Nazis nicht verboten wurde. Eine wichtige gesellschaftspolitische  Frage lautet daher: Wie nutzte diese bürgernahe Großorganisation  ihren „ungewöhnlichen Handlungsspielraum aus, wie ging sie mit dieser potenziellen Gegenmachtposition um?“

„Hinter der Vision vieler Junger Pastoren in Weimar eine „Volkskirche“ anzustreben, stand ihre Kritik an den eingefahrenen, abgehobenen, volksfernen Praktiken der kirchlichen Institutionen. Sie wollten eine religiös motivierte Bewegung in Gang setzen, Engagement der Gläubigen entwickeln und fördern. Ev.-luth. Jugendarbeit war wesentlicher Bestandteil dieses Bestrebens.“ Die Volkskirchen boten den Jugendlichen viele Freizeitaktionen an. Auch Pastor Adolf Holtermann von der Frankenberger Gemeinde in Goslar betreute Jugendliche. „Seine Aktivitäten mit kirchlichen Jugendgruppen gingen weit über das von Pastoren Erwartete und allgemein Geleistete hinaus.“

Pastor Adolf Holtermann war anfangs „ein glühender Verehrer Adolf Hitlers“, auch wenn er nicht der NSDAP angehörte. Wenige Tage vor dem Treffen der Harzburger Front trat er im September 1931 in SA-Uniform bei einem Feldgottesdienst des HJ-Gautreffens im Kalten Tal in Bad Harzburg auf. Auch bei der Leo-Schlageter-Gedächtnisfeier der HJ in der Ratsschiefergrube Goslar im Sommer 1933 trat er als uniformierter Pastor auf.

Anfangs sah Adolf Holtermann in Hitler noch das „Heil“ Wirklichkeit werden würde. Diese Meinung änderte sich später, so dass er sogar von der Kanzel und per Flugschriften die NS-Ideologie massiv mit klaren Worten angriff.

Er stand bis zu seinem Tod der Frankenberger Gemeinde in Goslar vor. Zu seiner Gemeinde gehörten viele Bergleute. Unter Bergleuten findet man eine besondere Volksfrömmigkeit gepaart mit einem ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Der zum Teil lebensbedrohende Arbeitsalltag setzt ein „kollektives verlässliches Handeln aller voraussetzt“.

Die Gemeinde von Pastor Holtermann war etwas Besonderes in der Stadt. „Diese Besonderheit äußerte sich etwa in einer von Holtermann organisierten gemeindlichen Nachbarschaftshilfe“, eine „Selbstorganisation von gegenseitiger Hilfe und Solidarität“ Diese „soziale Lage muss man im Hinterkopf haben, um den Handlungsrahmen, in dem Holtermann agierte, in etwa einschätzen zu können.“

Die Gemeinde wählte war sozialdemokratisch geprägt.“ In der sozialdemokratischen lokalen Parteizeitung schrieb er gelegentlich nachdenkliche Artikel zu Sozialpolitik und Diakonie.

Möglicherweise kam die Gesinnungsänderung von Adolf Holtermann  im November 1933, als die evangelische Jugend in die HJ (Hitler Jugend) eingegliedert wurde. Dies geschah auf Weisung von Reichsbischof. „Holtermann hatte für seinen lokalen Bereich ein andere Vorstellung von Jugendbewegung; er warb um die HJ’ler, um sie in die kirchlichen Jugendverbände zu integrieren“.  Ein weiterer „Grund für seine Entfernung von den Praktiken des NS-Regimes“ mag der „Angriff auf sein soziales Netzwerk, die Nachbarschaftshilfe, im Zuge der NS-Winterhilfswerksaktionen und des damit einhergehenden Aufbaus der NSV (nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ gewesen sein.

Seine  Distanz vertiefte sich im Laufe des Jahres 1934 durch „die Auseinandersetzungen innerhalb der DEK (Deutschen Evangelischen Kirche) mit den Deutschen Christen (DC) um das Bekenntnis. „In der Barmener Synode vom Mai 1934 wandte sich eine kleine Minderheit in der DEK gegen die massiven Eingriffe des Regimes in die Glaubensfreiheit einerseits und gegen eine Verfälschung des christlichen Glaubens durch häretische oder quasihäretische Eiferer innerhalb der DEK“. Die Umgebung zeigte sich immer mehr christenfeindlich.

Das kirchliche Handeln wurde behindert durch propagandistische Angriffe auf den Glauben. Nicht wenige Kirchenvertreter nahmen in ihre Predigten neuheidnisches Gedankengut des Aberglaubens auf.

Pastor Holtermann näherte ich der „Bekennenden Kirche“ an und abonnierte für seine Gemeinde deren Mitteilungsblatt „Grüne Blätter“ (260 Expl.) Er trat aus der SA aus und verteilte regelmäßig Flugschriften an seine Gemeinde.

„So entstanden im Jahr 1935 insgesamt 27 Briefe  (=54 eng beschriebene hektographierte Blätter), bis die Staatsmacht einschritt, ihm seine Hektografiemaschine wegnahm und ihn vor Gericht stellte.“ In seinem ersten Brief berichtet er „unter der Rubrik ‚Kleine Nachrichten‘ über Verhaftungen u. Drangsalierung von Pastoren.“ Am Ende schreibt er: „Vielmehr wollen wir unbeirrt das hohe Ziel vor Augen behalten, das der Führer uns gezeigt hat: ein neues Deutschland auf christlicher Grundlage. Darum ‚haltet nur den Herrn Christus in Euren Herzen heilig und sei allezeit bereit, Euch gegen jedermann zu verantworten der von Euch Rechenschaft über die Hoffnung fordert, die in Euch lebt.“

In einem anderen Brief erklärt er deutlich: „Völkischer Geist wird mit Heiligem Geist verwechselt, und hier liegt die Quelle für alle Irrtümer und Irrlehren, die heute unser Volk verwirren und von der Wahrheit weg führen. Von hier aus erklärt sich z.B. die Gleichsetzung von Christentum und Nationalsozialismus oder die Behauptung, dass die Lebensgesetze des Staates auch die Lebensgesetze der Kirche seien.“

Er schreibt auch davon, dass es „echtes Heidentum sei, wenn Heidentum eben darin besteht, dass das Menschliche vergottet und Gott vermenschlicht wird.“ Des Weiteren spricht er sich gegen eine Nationalreligion aus, die das Wesen des Volkes wiederspiegelt. In dieser Religion würde “das Volk selbst gegenständlich“.

Christen dagegen wüssten, dass es sich „bei jeder echten Religion um das Verhältnis des Menschen zu Gott“ handele.

Der letzte dieser Briefe erschien am 28. Dezember 1935. „Druck und Vertrieb wurden verboten, der Greif-Vervielfältigungsapparat beschlagnahmt und ein Strafverfahren eingeleitet.“ Er wurde angeklagt, weil er verbotenerweise Flugblätter konfessionellen Inhaltes verteilt und Zeitschriften außerhalb der üblichen Zustellungsarten an die Bezieher verbreitet habe. Das Verfahren wurde letztlich eingestellt. „Vertreten vom Goslarer Rechtsanwalt Tappen und gestützt vom Landeskirchenamt wurde geltend gemacht, dass er keine Flugblätter veröffentlicht hätte, sondern an einen ausgewählten festen Stamm von Beziehern gemeindliche Mittelungen verfasst hätte, was nicht strafbar wäre.“ Der Reichskirchenausschuss wandte sich  im Januar und März 1936 an Minister Kerrl und bat darum die Versendung von religiösen Wochenbriefen generell zuzulassen. „Kerrl betonte in seiner Antwort, dass auch solche Schriften der Genehmigung durch die Reichspressekammer bedürften. Gleichzeitig soll er dafür gesorgt haben, dass die anhängigen Verfahren niedergeschlagen wurden.“ Das Verfahren wurde mit der Begründung eingestellt, dass die Schuld des Angeklagten gering sei und „die Folgen der Tat unbedeutend“ seien. Auch ein weiteres Verfahren aufgrund der Auslegung von Flugblättern in Bibelstunden wurde eingestellt.

Holtermann selbst litt wohl sehr unter seiner Verfolgungs- und zunehmenden Ohnmachtsituation.“ Mehrmals ließ er im Laufe der Jahre 1936/37 in die Göttinger Psychiatrie einweisen. Es nicht bekannt, ob dies freiwillig geschah.

Anscheinend blieb die Tätigkeit von Pastor Holtermann nicht ganz ohne Wirkung.  Nach seinem Tod machte die Stadtverwaltung bei der Suche nach einem Nachfolger deutlich, „so einen wie Holtermann würde man in der Stadt nicht noch einmal dulden.“ Auch sein Tod ist rätselhaft. Offiziell verunglückte er „beim Skilaufen im Januar 1938, blieb verletzt fast drei Tage verschollen, bis er aufgefunden wurde. Er war dann aber so sehr geschwächt war, dass er am 7. Februar 1938 im Krankenhaus verstarb.“

Pastor Adolf Holtermann hat weder eine „antifaschistische Zelle geleitet, noch einen Regimewiderstand angeführt“, aber er hat „erheblich dazu beigetragen, dass sich in Teilen des städtischen Gemeinwesen eine Art Gegenöffentlichkeit bilden konnte“, sodass es eine zeitlang in der Stadt einen Raum gab, in dem ein Klima der partiellen Widersprüchlichkeit zum Regime herrschte, in dem Widerworte möglich waren.“

 

(c) Ingeborg Lüdtke

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