Impressionen der Buchmesse 2009

Impressionen der Buchmesse 2009

Am Freitag begebe ich mich gleich zum Forum Literatur und Sachbuch. Auf der Bühne befinden sich der 104 jährige Österreicher Leopold Engleitner und sein Biograf Bernhard Rammerstorfer. Leopold Engleitner RammerstorferEngleitner ist der älteste Überlebende des KZ Buchenwald bei Weimar. Er sieht eher aus wie 80.

Der 104 jährige Leopold Engleitner und sein Biograf Bernhard Rammerstorfer Vor uns sitzt ein gut gekleideter freundlich blickender älterer Herr im Rollstuhl. Nur wenn er auf die Fragen von Bernhard Rammerstorfer antwortet, merkt man, dass er doch schon etwas älter als 80 Jahre sein muss. Viele sind gekommen und hören gebannt zu, wenn er über seine Begegnung mit dem Kaiser Franz Josef und seine Erfahrungen im KZ erzählt. Als der Kurzfilm über ihn gezeigt wird, stehe ich auf und gehe zur Halle 4.2, da ich den Film schon kenne.

Beim Forum Verlagsherstellung werden ausführlich neue Marketingstrategien in der Verlagswelt diskutiert. Ich beschließe zu bleiben und finde einen Platz in der ersten Reihe. In Erinnerung bleiben mir Schlagworte wie: Kulturflatrate, veränderter Auslieferungsrhythmus, Themenportale, Interaktion, Themenchats, und googlefähige Vorschautexte. Die Diskutierenden sind sich einig, dass die Verlage ihre Kunden nicht richtig kennen.

Nun ist es 11 Uhr und der Diplom-Psychologe und Psychotherapeut Dr. Rudolf Stroß hält ein Referat über die „Kunst der Selbstveränderung“. Eine Auszubildende verteilt Fragebogen an die Zuhörer. Rudolf Stroß fordert die Anwesenden auf, sich während des Vortrages Gedanken über ihre eigenen Veränderungswünsche zu machen. Er nennt 5 ausgewählte Schritte zur Selbstveränderung: 1.) Selbstbeobachtung, 2.) der erste aktive Schritt in die neue Richtung, 3.) tägliche kleine Schritte, 4.) Naheliegendes sofort erledigen und 5.) die vorhandenen Ressourcen aktivieren.
Die Fragebogen werden eifrig beschrieben. Rudolf Stroß fragt die Zuhörer, was sie verändern möchten und ob sie Fragen haben. Eine Dame spricht von Ängsten und ein Herr von dem Wunsch abzunehmen. Es folgen noch einige wenige Wortmeldungen. Trotz wiederholter Aufforderungen ist das Publikum sehr zurückhaltend. Ich sehe 3 Augenpaare meiner Kolleginnen auf mich gerichtet. Ich schüttele den Kopf und denke: »Nein Leute, ich will nichts sagen.« Auf meinem Zettel steht natürlich eine Frage. Ich kann verstehen, dass sich kaum einer zu seinen eigenen Problemen äußern möchte, aber ich möchte auch den Referenten unterstützen. Also melde ich mich und frage: »Wenn ich mich verändert habe und andere sehen meine Veränderung, wie schaffe ich es, dass ich ernst genommen werde?« Die Antwort lautet, man müsse mit Widerstand rechnen, aber kämpfen lohne sich. Am Ende der Veranstaltung spreche ich noch kurz mit dem Referenten.

Als ich beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vorbeikomme, wird gerade deren Pressesprecherin Regina Lange interviewt.

Auf meinem Terminplaner steht um 13 Uhr das Interview mit Günther Grass und Michael Naumann. »Die Blechtrommel« ist 50 Jahre alt geworden. Günther Grass ist wie immer ein Publikumsmagnet. Ich höre ein wenig zu. Mir ist es zu voll am Stand und ich besuche Halle 3.0.

Kreischen und Pfiffe kann man vorne hören. Aber rechts von mir ist ebenfalls eine Menschentraube. Der Schauspieler Sebastian Koch spricht über den Seewolf. Ich mache einige Fotos. Ich gehe weiter und erfahre, dass die Pfiffe und das Kreischen Till Schweiger gegolten haben. Er hat sich aber schon zurückgezogen.
Irgendwann werde ich vor der Rolltreppe von einem Herrn angesprochen. »Sind Sie Messegast?« Während ich überlege, was ich sage, fragt er noch: »Sprechen Sie Deutsch?«. Ich antworte: »Ich bin Buchhändlerin und der Verlag, in dem ich arbeite, hat einen Stand, aber ich bin privat hier. Na ja und Presse bin ich auch.« Das war dann wohl die falsche Antwort: »Dann sind Sie nicht die richtige Zielgruppe.«

Mir drängt sich die Frage auf: »Wer bin ich? Und wenn ja wie viele?« Dies ist der Titel eines Buches von Richard David Precht. Dieser ist mir im Gedränge plötzlich dicht auf den Fersen. Gerne hätte ich ihn zu seinem Buch “Lenin kam nur bis Lüdenscheid” befragt, aber das ist in dieser Situation wohl nicht angebracht.

Nun ist es endlich soweit, das Interview mit dem Schriftsteller Frank Schätzing auf der ARD-Bühne hat begonnen. Da man aber wenig von ihm sehen kann, ziehe ich es vor, mich auf die Stufen zu setzen und mir das Gespräch auf dem Bildschirm anzusehen. Ein sehr sympathischer gutaussehender Mann. Ich kann schon verstehen, dass hier Frauenherzen höher schlagen.

Um 15 Uhr gehe ich zum Bahnhof. Ich verlasse die Welt der Großen und Intellektuellen in dem Bewusstsein, dass ich nie zu ihnen gehören werde. Dies will ich auch nicht. Für mich war heute der 104 jährige Leopold Engleitner der Größte von allen.

© Ingeborg Lüdtke

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