Frauen-KZ Moringen, Teil 2

Die Sendung wurde am 2. Februar 2001 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt.

Moringen. Dieses kleine Städtchen liegt einige Kilometer nördlich von der Universitätsstadt Göttingen in Norddeutschland entfernt.“ (Hans Hesse)
(Stimmen und Verkehr)

Sprecherin:

Ich möchte Sie auch heute wieder einladen sich mit mir an die Opfer des Nationalsozialismus in dem Frauen-KZ Moringen zu erinnern.
Auch für die Frauen im KZ-Moringen wurde der 27.Januar zu einem „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ erklärt.

Heute nun wie angekündigt der zweite Teil der Sendung.
Der erste Teil der Sendung ließ noch viele Fragen offen, z. B.:

Wie war die Situation der Familien zu Hause?
Welche Entlassungsgründe gab es?
Werkhaus MoringenWelche Strafen gab es im Frauen-KZ Moringen?
Gab es unterschiedliche Strafen für die einzelnen Häftlingsgruppen?
Wer verhängte die Strafen?
Und wer war der Lagerdirektor?

(Musikakzent: Comedian-Harmonists aus „Am Brunnen vor dem Tore“: „ … mein Liebchen ist verschwunden, das dort gewohnet hat…“ )

Sprecherin:

Die inhaftierten Frauen litten unter der Trennung von den Familien.

Wie kamen aber die Familien ohne die Mütter aus?
Wer kümmerte sich zum Beispiel um die Kinder?

Katharina Thoenes war 1936/1937 in Moringen.
Sie war eine Zeugin Jehovas oder Bibelforscherin, wie man die Zeugen Jehovas damals nannte. Katharina Thoenes war Mutter von einem Sohn.

Hans Thoenes antwortete mir auf die Frage, wer sich um ihn gekümmert hat:

Hans Thoenes:

„Ich erinnere mich, dass viele leibliche Schwestern meiner Mutter, sich um uns
kümmerten. Aber da Vater ja auch schon von Krupp entlassen war, weil er ein Zeuge
Jehovas war und keinen Beitrag zur deutschen Arbeitsfront leisten wollte, war es uns ja möglich, unsere eigenen Angelegenheiten, in Ordnung zu bringen. Sooft habe ich wohl kaum Sozialarbeiter des damaligen Systems bei uns gesehen, die nachforschen wollten, ob ich gut behandelt würde, ob ich mein eigenes Zimmer habe und ob ich regelmäßig mein Essen bekäme.“

Sprecherin:

Hat er sich als Kind von seiner Mutter vernachlässigt gefühlt, weil sie nicht bei ihm war?

Hans Thoenes:

„Solange ja mein Vater zu Hause war, haben wir wohl sehr viel darüber gesprochen, was wohl mit Mutter sein würde, aber mein Vater war ebenfalls ein treuer Zeuge Jehovas, der ja auch zuletzt in Buchenwald im KZ war. Er hat schon immer wieder darauf hingewiesen, dass wir mit Aggression zu rechnen haben und das wir einfach versuchen müssen, mit diesen Problemen fertig zu werden. Was die Vernachlässigung betrifft, natürlich als 9 oder 10 Jähriger vermisst man die Mutter. Aber das war ja nicht Schuld der Mutter, sondern der Behörden.“

(Musikakzent)

Sprecherin:

Die Zeuginnen Jehovas verweigerten Arbeiten für das Winterhilfswerk auszuführen. Hugo Krack, der Lagerdirektor verhängte deshalb eine Post- und Paketsperre für die Zeuginnen Jehovas.

Der Historiker Jürgen Harder berichtete über die Strafen im KZ-Moringen:

In Moringen wurden noch keine Körperstrafen im Sinne der späteren Konzentrationslager angewandt, jedoch waren die Strafen sehr wirksam. Es wurde Isolationshaft angewendet sprich einzelne oder auch Gruppen von Frauen wurden von ihren Zusammenhängen getrennt und meist verbunden mit Essensentzug, Post- und Paketsperre, sowie Kontaktsperre und Geldsperre, in Einzelzellen im Keller untergebracht. Die Geldsperre hatte in sofern noch eine Bedeutung, da man im Lager in der Anfangszeit noch etwas dazu kaufen konnte und damit die karge Kost aufbessern konnte. Die Post- und Paketsperre, sowie die Kontaktsperre wurden als eine der härtesten Strafen empfunden. Teils über Monate wurde diese Strafe aufrecht erhalten, d.h. die Angehörigen, als auch die Frauen selbst erfuhren nichts von Schicksal des anderen. So kamen Briefe von Angehörigen ins Lager, in dem sich die Person über den Verbleib Ihrer Mütter und Geschwister erkundigten. Der Lager Direktor Hugo Krack meinte darauf in der Regel nur, den Frauen ginge es gut. Sie hätten sich der Lagerordnung widersetzt und würden deswegen in Isolationshaft gehalten.

(Musik-Akzent:Ingeborg Hallstein:“Ich bin die Christl von der Post“:“…..Nur nicht gleich und auf der Stelle, denn bei der Post gehts nicht so schnell…“)

Sprecherin:

Die Kommunistin Hilde Faul erinnerte sich an eine Postsperre für die Zeuginnen Jehovas.

„Eines Tags sind sie ja gekommen und haben uns ja Winterhilfsklamotten gebracht. Das heißt, das was gesammelt worden ist von der Bevölkerung , die alten Kleider und Sachen und die mussten umgeändert werden oder mussten ausgebessert werden. … Ob sie gewaschen werden mussten … dass weiß ich nicht mehr, kann mich nicht mehr so erinnern. Aber auf jeden Fall war es dann so, dass die Bibelforscherinnen das abgelehnt haben und zwar, weil das mit eine militärische Handlung sein kann, irgendwie haben sie es damit begründet. … So wie ich es in Erinnerung habe, hätten auch die Bibelforscherinnen Strümpfe bzw. Herrensocken stricken sollen. Und ist dann die Frage kommen: Für wen sind die Herrensocken? Für das Militär. Und das haben sie abgelehnt. Für das Militär machen sie nichts und daraufhin hat man sie dann isoliert. Man hat sie in etwa schon bestraft, sie haben mit uns kein Hofgang mehr gehabt, sondern getrennt von uns und haben, ich glaube sogar, sie haben keine Pakete mehr kriegen dürfen. Mit dem Geld wird es genauso gewesen sein, aber das kann ich nicht genau behaupten. Dadurch war ja auch praktisch der Kontakt zu den Bibelforschern unterbrochen.

(Musik: Eleni Karaindrou „Eternity and a Day“)

Sprecherin:

Auch für Katharina Thoenes galt die Post- und Paketsperre. Hans Thoenes und sein Vater waren über das Schweigen der Mutter beunruhigt und wandten sich an den Lagerdirektor Hugo Krack.

Mit Hans Thoenes sprach ich über die Postsperre:

Sprecherin:

Ich habe (aber) in dem Buch von Hans Hesse „Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas …“ gelesen, dass Sie versucht haben mit Ihrer Mutter in Kontakt zu kommen und Sie auch einen Brief an den Lagerleiter Herrn Krack in Moringen geschrieben haben. Was können Sie uns darüber berichten?

Hans Thoenes:

„Ja, das stimmt. Denn einige Wochen vorher hatte mein Vater schon versucht über die Lagerleitung zu erfahren, was wohl mit meiner Mutter geschehen sei und aufgrund dessen, dass wir keine Nachricht bekamen, habe ich nochmal in ähnlicher Weise einen Brief an die Lagerleitung geschrieben, der wie Sie ja sagten in dem Buch von Herrn Hesse veröffentlicht worden ist. In etwa antwortete mir der Herr Krack, dass den Zeugen Jehovas  eine Postsperre auferlegt worden sei, sodass sie keinen Kontakt mit ihrem Angehörigen zu Hause pflegen konnten. Denn bis dahin war es ja noch möglich, den Gefangenen Pakete oder Geld zuzuschicken.“

Sprecherin:

Ich habe jetzt auch in dem Buch von Hans Hesse gelesen, dass er Sie als Kind gesiezt hat. Wie haben denn Sie auf diesem Brief reagiert?

Hans Thoenes:

„Also, wenn ich das heute noch wüsste, also in direkt haben wir uns nur an geschaut, mein Vater und ich, weil wir jetzt erst einmal wussten, dass die Mutter noch lebte. Eine Reaktion? Es war einfach schockierend für uns, dass er nicht persönlich auf diesen Brief eingegangen ist, sondern nur einfach mitteilte, was ich Ihnen eben schon sagte.“

(Musik: Eleni Karaindrou „Eternity and a Day“)

Sprecherin:

Katharina Thoenes hatte rötliches Haar. Es ist daher anzunehmen das Hilde Faul von ihr sprach, als sie berichtete:

“Aber da war eine Frau dabei, die muss aus Nordrheinwestfalen gewesen sein. Eine stattliche Frau. Sie hatte rötliches Haar und die hat uns immer Mordsvorträg gehalten. Na ja gut, dass war ihre Sache.. Über ihre Religion usw., aber darum hat es keine Diskussionen gegeben. „

Der Historiker Matthias Kuse berichtet über das Verhältnis des Lagerdirektors Hugo Krack zu Katharina Thoenes:

„Mit Katharina Thoenes hat er einen regelrechten Kampf ausgefochten. Über sie schrieb Krack ausgesprochen negative Führungsberichte, und er hat überdies noch ihren Mann bei der Gestapo angezeigt.

Sprecherin:

Katharina Thoenes kam im Februar 1937 aus dem KZ-Moringen nach Moers zur Gerichtsverhandlung.
Nach der Verhandlung kam sie zurück nach Moringen.
Sie unterschrieb am 19.6.1937 eine der vielen Varianten der Verpflichtungserklärungen.
Nun wurde sie aus dem KZ-Moringen entlassen.
Anschließend musste sie ihre 10-monatige Haftstrafe im Zuchthaus absitzen.

Sie kam erst im Mai 1938 wieder nach Hause.
Ihr Sohn Hans wurde bereits im Februar 1938 aus der Schule verschleppt und in eine Erziehungsanstalt gebracht.
Katharina Thoenes hatte sich von ihrem Glauben nicht abgewandt, trotz Unterschrift einer Verpflichtungserklärung.
SiemenslagerSie wurde noch einige Male verhaftet und kam später in das KZ-Ravensbrück.
Sie überlebte.

Katharina Thoenes und ihr Sohn Hans waren erst im Frühjahr 1945 wieder vereint.

(Musik:Nabucco-Chor der Gefangenen „Flieg Gedanke“ in ital. Sprache)

Sprecherin:

Katharina Thoenes hatte eine Verpflichtungserklärung unterschrieben.
Was hatte es mit diesen Verpflichtungserklärungen auf sich?

Jürgen Harder erklärt:

„Bei den besagten Verpflichtungserklärungen handelte es sich in der Anfangszeit der Konzentrationslager zunächst lediglich um ein Formblatt, welches von jedem Schutzhäftling unerheblich welcher Kategorie bei der Entlassung aus dem Lager unterschrieben werden musste. In der Regel unterschrieben auch die Zeugen Jehovas zu dieser Zeit noch die ihnen vorgelegten Erklärungen, da sie im Text des Formblattes keinen Widerspruch zu ihrem Glauben sahen. Der Text der … Verpflichtungserklärung lautete anfangs folgendermaßen:

‚Ich verpflichte mich nach meiner Entlassung aus der Schutzhaft mich jeder umstürzlerischen staatsgefährdenden Tätigkeit zu enthalten. Ich bin darüber belehrt, dass ich keine Ersatzansprüche gegenüber dem Staat aufgrund der erfolgten Inschutzhaftnahme habe.’ In gerade zynischerweise fährt dieses Formular fort: ‚Falls meine Sicherheit bedroht erscheint, kann kann ich mich freiwillig in politische Haft begeben.’ Hierauf erfolgt die Ortsangabe des jeweiligen KZ sowie Datum und Unterschrift des Häftlings. Ab Ende 1937 wurde diese allgemeine Floskel bei der anstehenden Entlassung von Zeugen und Zeuginnen Jehovas eine weitere Erklärung beigefügt, in welcher eine völlige Abkehrung von ihrer Glaubensgemeinschaft gefordert und auf die zu erwartenden Konsequenzen eingegangen wurde, falls sie weiterhin ihre religiöse Überzeugung leben wollten. Aus einer formalen Erklärung, die bis auf wenige Ausnahmen anfangs viele Häftlinge bei seiner Entlassung aus dem KZ ohne schwerwiegende Bedenken unterschrieben, wurde eine Loyalitätserklärung gegenüber dem Staat und seinen Forderungen. Mit diesen Änderungen von Inhalt und Zweck des Verpflichtungsscheins veränderte sich hierzu auch die Einstellung der Zeugen und Zeuginnen Jehovas, so dass sie künftig in der Regel die Unterschrift verweigerten.“

Sprecherin:

Die Zeugin Jehovas Änne Dickmann sagte im Gespräch mit dem Historiker Hans Hesse:

Hans Hesse:

„Als sie verhaftet wurden, hat man Ihnen da eine Verpflichtungserklärung vorgelegt?“

Änne Dickmann:

„Ja, eben was ich vorher schon sagte. Da habe ich gesagt: „Kommt nicht in Frage.
Wenn man gesagt hat: ‚Ich bin und bleibe ZJ.’ Dann war die Sache erledigt.“

(Musik: Sergio Avila „Frozen“ – instrumental)

Sprecherin:

Welche Entlassungsgründe gab es?

Matthias Kuse schrieb seine Magisterarbeit über die Entlassungen in Moringen. Er erklärte:

„So etwas wie einen schriftlich fixierten Katalog von Gründen, wann ein Häftling wieder entlassen werden konnte, gab es für die Konzentrationslager nicht. Die Schutzhaft sollte die Leute ja gerade durch ihre Unbestimmtheit verunsichern und in Schach halten.

Das übliche Procedere der Schutzhaft war, dass nach der Festnahme nur noch eine Bestätigung durch die Gestapo nötig war, um den Festgenommenen erst einmal für drei Monate im Lager verschwinden zu lassen. Diese drei Monate konnten dann jeweils um nochmals drei Monate verlängert werden und immer so weiter. Die Verlängerung oder Aufhebung der Schutzhaft hing von dem Haftprüfungstermin ab, zu dem der Lagerkommandant einen Führungsbericht an die einweisende Gestapostelle und an das Gestapoamt in Berlin anzufertigen hatte. In Berlin wurde dann letztlich entschieden ob und wer entlassen werden sollte. Oder bei wem die KZ-Haft verlängert werden sollte.

Bei den Entlassungen einiger des Gefangenen spielte auch die Unterschrift unter einen Verpflichtungsschein eine Rolle, mit der er versichern sollte, dass er sich nicht mehr staatsfeindlich betätigen würde oder dass er sich von seiner Glaubengemeinschaft distanziere.“

Sprecherin:

Es gab zum Beispiel Entlassungen aufgrund eines Himmler-Besuches.
Die Kommunistin Anni Pröll erzählte:

„Ich bin im Juni 1937 entlassen worden. Und zwar war da der Himmler da und der hat ein bisschen gefilzt. Der Direktor Krack hat mich (aus)geschimpft, weil ich eine freche Antwort gegeben hab(e) und hat er gemeint, ich sollte Himmler, um meine Entlassung bitten. Aber er ist mit anderen Frauen, die vor mir befragt worden sind, so schrecklich umgegangen. In mir hat sich alles verschlossen und ich war dann natürlich etwas widerspenstig. Aber trotzdem hat meine Entlassung dann draufgestanden.“

Sprecherin:

Einige jüdische Frauen wurden entlassen, wenn sie sich verpflichteten auszuwandern:

Hierzu Matthias Kuse:

„Die jüdischen Frauen, die im Lager waren, waren überwiegend sogenannte Remigrantinnen, die Deutschland schon einmal verlassen hatten. Sie waren meist aus persönlich-familären Gründen oder auch, weil sie auf Dauer kein Exil im Ausland fanden, nach Deutschland zurückgekehrt. Diese Häftlingsgruppe stand gewissermaßen unter dem Generalverdacht sich im Ausland deutschfeindlich zu betätigen. Ab Januar 1935 wurden solche Personen verhaftet und als sogenannte „Schulungshäftlinge“ ins Lager eingewiesen. Die Situation für diese Frauen verschärfte sich noch einmal ab 1937, als die Auswanderung aus Deutschland zur Bedingung für die Entlassung gemacht wurde.“
(Musik: Daniel Kempin/Dimitry Reznik)

Sprecherin:

Grundlage für alle Entlassungen waren die Beurteilungsschreiben des Lagerdirektors Hugo Krack.
Über die Beurteilungsschreiben oder Führungsberichte sagte Jürgen Harder:

„Die erwachsenen Frauen wurden in Anlehnung an die Einteilung der Jugendlichenfürsorgezöglinge in den Besserungsanstalten und Heimen vom Direktor in verschiedene Kategorien eingeordnet. Hierbei unterschied er zwischen Bibelforscherinnern von denen er keine Erfolgsaussicht für eine Schulung sah und anderen bei denen durch seine Bemühungen ein Gesinnungswechsel erwartet werden konnte. So plädierte er beispielsweise für die Verlängerung einer Bibelforscherin in seinem Lager, da sie trotz guter Führung noch fanatisch an ihren religiösen Überzeugungen festhielt und sich bisher noch keine Besserung bei der Frau gezeigt hatte. Ich zitiere: „Die hier untergebrachte Schutzhaftgefangene Hermina K. – ich habe hier anonymisiert – hat sich bisher im Lager gut geführt. Sie hängt aber noch fanatisch den Ideen der IBV an. Ich kann daher ihre Entlassung noch nicht befürworten.“ Wie auch den meisten anderen Beamten der verschiedenen Verfolgungsinstanzen blieb dem Leiter des Frauen-KZ in Moringen die religiöse Motivation der Verweigerung der Zeuginnen und Zeugen Jehovas völlig unverständlich, da sie nicht in die Kategorie der politischen Ideologie des Nationalsozialismus einzuordnen waren. So sah der Lagerleiter Hugo Krack in der Beharrlichkeit mit der viele Bibelforscherinnen an ihrem Glauben festhielten Anzeichen einer Geisteskrankheit, die in seiner Institution nicht behandelt werden konnte. Von daher hielt er es in besonders hartnäckigen Fällen, die Unterbringung von Frauen in Nervenheilanstalten für sinnvoller.
So auch im Fall von Frau K. Ihre Entlassung aus dem KZ, da er sie, ich zitiere ‚für religiös, geistig verwirrt’ hielt.“

Sprecherin:

Nicht immer waren die Führungsberichte so negativ.
Es gab auch einige Zeuginnen Jehovas, die sich von ihrem Glauben lossagten. Über eine solche Zeugin Jehovas schrieb Hugo Krack (zitiert von Matthias Kuse):

„Sie hat sich von den Ideen der IBV (Bibelforscher, heute Zeugen Jehovas) vollkommen losgesagt, sie verspricht sich in Zukunft völlig auf den Boden des nationalsozialistischen Staates zu stellen. Sie will den deutschen Gruß anwenden und an Luftschutzübungen teilnehmen, sowie ihre sonstigen vaterländischen Pflichten erfüllen.“

(Musik: Lied 29 Willy Frost „Vorwärts Ihr Zeugen“)

Sprecherin:

Wer war Hugo Krack?

Matthias Kuse berichtete:

Hugo Krack war ursprünglich Lehrer, vor seinem Wechsel nach Moringen bekleidete er in Clausthal-Zellerfeld eine Rektorenstelle und er verfügte über sozialpsychologische Kenntnisse. Das scheint auch einer der Gründe dafür gewesen zu sein, dass er im Jahr 1930 zum Direktor des Provinzial-Werkhauses Moringen ernannt wurde, das man landläufig als „Arbeitshaus“ bezeichnet.

Seit 1919 gehörte er der Deutschen Demokratischen Partei an, für die er sich auch als Wahlkämpfer engagiert hat.
Dann wurde 1933 auf Veranlassung der hannoverschen und Hildesheimer Innenbehörden in einem Teil des Arbeitshauses ein Konzentrationslager eingerichtet. Zunächst nur für männliche Gefangene, und hier stand Krack zwar das Hausrecht zu, er hatte jedoch keinerlei „Befehlsgewalt“ über die Gefangenen. Das änderte sich erst, nachdem das ‚Männer-KZ’ wieder aufgelöst worden war und zum Ende des Jahres 1933 – ebenfalls in einem separaten Teil des Arbeitshauses – ein ‚Frauenkonzentrationslager’ eingerichtet wurde, dessen Leitung ausschließlich ihm unterstand.“

Sprecherin:

Jürgen Harder bemerkt:

Hugo Krack war ein aus der wilhelminischen Tradition stammender Beamter, der die rigiden Erziehungsmaßnahmen der Nationalsozialisten durchaus befürwortete … Er sah sein Lager als eine Art Erziehungslager. Mit den Strafen sollte ein Erziehungserfolg erzielt werden, d.h. die Frauen sollten sich von ihrer jeweiligen Ideologie sprich politisch oder auch religiös lösen, um sie dann in die sogenannte Volksgemeinschaft wieder eingliedern zu können. Ob und in wie weit diese Erfolge haltbar oder nachweisbar waren, steht auf einem ganz andern Blatt. Viele der Frauen, die entlassen worden sind, beteiligten sich später wieder an Widerstandaktionen unter den Bedingungen der Idealität und kamen mit unter auch wieder in Haft. Nicht wenige von ihnen kamen in dieser Zeit ums Leben.“

Sprecherin:

Matthias Kuse bemerkt auch:

„Hugo Krack hat sich eigentlich immer als Zivilist verstanden, und unterschied sich damit deutlich von dem einschlägigen Bild eines „typischen“ KZ-Kommandanten. „Zivil“ ist er auch im KZ-Lager Moringen aufgetreten. Krack war kein Nationalsozialist. Er ist „erst“ im Mai 1933 der NSDAP beigetreten, das war verhältnismäßig spät. Darüber hinaus war er Mitglied in der eher unbedeutenden Reiter-SA. Salopp formuliert: Er hat sich nicht „überschlagen“, was sein Engagement in der NS-Bewegung betraf.

Es wäre falsch, wollte man aus ihm einen Mann des Widerstands machen. Das war er ganz sicher nicht. Allerdings hat er sich für eine Reihe von Gefangenen, vor allem des Frauen-KZ, eingesetzt, indem er versucht hat, ihnen bei der Entlassung aus dem Lager behilflich zu sein.

Er war sehr sozial beeinflusst von den Ideen Friedrich Naumanns.“

(Musik: Eternity and a Day)

Sprecherin:

Die Kommunistin Hilde Faul sagte über Hugo Krack:

„Er hat sich uns gegenüber jedenfalls tolerant verhalten, wenigstens soweit wie ich das einschätze. Es gibt natürlich andere, die sagen: „Uns gegenüber war er nicht so tolerant.“ Das glaube ich ohne weiteres. Aber ich kann da nichts dagegen … nichts darüber sagen. Und die Bibelforscher, die werden nicht so begeistert gewesen sein, dass sie dann abgeschirmt worden sind von den anderen und nicht mehr einkaufen konnten und halt so eine Behinderung gehabt haben. Sie haben keine Post mehr kriegen dürfen und haben eine Zeit lang keine Post mehr rausgeben dürfen. … Für uns war auch mal eine Postsperre. Ich glaube, dass war sogar in dem Zusammenhang, dass weiß ich aber nicht.“

Sprecherin:

Hilde Faul sagte auch:

„Er war ja Direktor. Er ist zu uns gekommen und hat uns seine Befehle erteilt, … Er hat mit uns gesprochen, was grade im Moment angefallen ist. Und ich kann mich noch erinnern, dass er mal gekommen ist und hat gesagt: „ Wie ist dies? Ich hab einen Anschnauzer von der Gestapo Berlin bekommen und ein Häftling hat gesagt: Was wollen Sie denn mit Moringen, der Direktor, der macht doch sowieso alles, was die Gefangenen wollen.“ So ähnlich sinngemäß. Und da er sich dann bei uns beschwert, ob er da schon irgendwie uns schon zunahe getreten ist. Aber das war ja nicht der Fall. Sie müssen das anders sehen, der Krack, der war ein alter Beamter und die alten Beamten, die waren nicht so, wie die Faschisten. Der Krack, der war mehr so deutsch-national, so etwas war der mehr, ich weiss es nicht, aber ich nehme es an, so aus seinem ganzen Ding und so hat er auch gehandelt, also wenig willkürliche Akte. So wie in den übrigen KZ das war das nicht der Fall. Nein, sondern er hat wirklich seine Vorschriften (gehabt ? undeutlich).“

Sprecherin:

Matthias Kuse bemerkt auch:

„Für das Frauen-KZ sind mindestens zwei Fälle belegt, in denen er die Sterilisierung von Frauen vorgeschlagen hat. Auch in seiner Eigenschaft als Direktor des Arbeitshauses hat er mehrere Anträge auf die Sterilisation von Anstaltsinsassen gestellt, was offenbar zur Praxis solcher Einrichtungen gehört hat. Auch Krack scheint dieser Praxis nicht grundsätzlich abgeneigt gewesen zu sein.“

Sprecherin:

Der Historiker Dr. Hans Hesse schreibt in seinen Forschungsergebnissen über das KZ-Moringen über Hugo Krack:

„Bei allem darf jedoch nicht vergessen werden, dass Hugo Krack, der zwar nicht als überzeugter Nazi gelten kann und sicherlich nicht in einer Reihe mit den KZ-Kommandanten gesehen werden darf, sich mit dem NS-System zu arrangieren versuchte, wie viele seiner Zeitgenossen damals. Er tat dies an verantwortlicher Stelle. Darin besteht seine Mitschuld.“
Sprecherin:
Es bleiben noch einige Fragen offen.
Doch die Antworten hat Hugo Krack mit ins Grab genommen.

(Musik: Lied 102 Lazaruslied – instrumental)

Hans Hesse:
Im Dezember 1937 begann dann die Lagerleitung das Frauen-KZ Moringen aufzulösen.Werkhaus Moringen
Die Frauen kamen in ein größeres KZ: die Lichtenburg in Thüringen.

Sprecherin:

Das Leiden hatte für die Frauen dadurch kein Ende. Im Gegenteil.

Hierzu Matthias Kuse:

„1938 wurde das Frauenkonzentrationslager Moringen geschlossen und die gefangenen Frauen kamen in das KZ Lichtenburg, das für etwa ein Jahr bis zur Inbetriebnahme des KZ Ravensbrück das zentrale Frauen-KZ war. Unter den Frauen, die dorthin verlegt wurden, befand sich auch eine Reihe von Zeuginnen Jehovas. Die Lebensbedingungen im KZ Lichtenburg waren sehr viel schlechter als in Moringen – nicht zuletzt, weil die Bewachung dort von der SS übernommen wurde. Verschiedene Zeuginnen Jehovas sind noch vor der Verlegung entlassen worden, viele befanden sich aber noch im Moringer Lager und wurden dann mit den übrigen Frauen ins KZ Lichtenburg geschickt. Ein Grund dafür, dass relativ viele Zeuginnen Jehovas in das KZ Lichtenburg überstellt wurden war, dass sich die Verfolgungspolitik während dieser Zeit explizit gegen die Zeugen Jehovas richtete.“

Sprecherin:

Hilde Faul erinnerte sich an eine Zeugin Jehovas:

„Die Esther ist mir bis heute ein Begriff, weil die von Fürtau (?) war. Die Esther war bis so an die Dreißig damals und wie man mir dann später erzählte, haben sie die umgebracht, aber ich weiß nicht genau, ob das in Ravensbrück war. … Ich weiß bloß, dass die Gestapo sie richtig als Beispiel gebraucht hat.“

Sprecherin:

Moringen kann als Grundlage für spätere KZ´s betrachtet werden.
Jürgen Harder bemerkt dazu:

„Moringen wird vielfach in der historischen Forschung nicht weiter betrachtet, aber es wird dabei vergessen, dass für sehr viele Frauen besonders in früheren Lagern, den Anfangspunkt einer langjährigen Verfolgung darstellt. In Moringen wurden Grundlagen gelegt, die später in anderen Lagern wie Lichtenburg und Ravensbrück weiter verschärft und weiter differenziert wurden. So etwa das Spitzelsystem, das Haftsystem und das Beurteilungssystem.“

(Stimmen und Verkehr)

Sprecherin:

Moringen. Auf den ersten Blick eine ganz normale Kleinstadt.
Bei näherem Hinsehen stellt man fest:
Moringen hat eine ungewöhnliche Geschichte.
Diese Geschichte wird von vielen Bürgern immer noch verdrängt.
Nur wenige mögen sich daran erinnern, dass es in Moringen ein KZ gegeben hat.

Es würde mich freuen, wenn sich nach diesen beiden Sendungen mehr Menschen an das Leid der Frauen im KZ-Moringen erinnern würden.

(Musik: Endless Journey-James Last -Instrumental)

© Ingeborg Lüdtke

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