Elena Ahlborn ist das neue Gänseliesel
Neugierig gereckte Hälse, hochgehaltene Handy´s zum Schnappschuss bereit, so stehen Tausende dichtgedrängt vor der Bühne am Alten Rathaus. Jung und Alt möchte Maite Itoiz und John Kelly von der Kelly-Family sehen und hören. Ihre Life-Musik kommt an. Maite singt und tanzt beschwingt und feenhaft, während John voll Hingabe singt. Zuletzt singen sie das Volkslied „Sah ein Knab´ ein Röslein stehn.“ Aber die Rose von Göttingen – das Gänseliesel – muss noch gewählt werden.
Die Göttinger Innenstadtorganisation “Pro City” und das Magazin “Blick” veranstalten zum 12. Mal das “Gänselieselfest“. Die Jury hat die schwierige Aufgabe unter acht Kandidatinnen das Gänseliesel aus zu wählen. Die Gewinnerin wird 2008 die Stadt Göttingen bei Veranstaltungen repräsentieren. 3000 „Blick“-Leser trafen aus den 49 Bewerbungen eine Vorentscheidung. Nun ist es endlich soweit. Paarweise betreten die jungen Frauen den Laufsteg. Durch die lockere Moderation von Christoph Dannowski („Neue Presse“) verlieren die Bewerberinnen schnell ihr Lampenfieber. Sie werden gefragt, warum sie Gänseliesel werden möchten oder wofür sie alles stehen und liegen lassen würden. Die Antworten lassen die Zuschauer schmunzeln. Eine der jungen Damen findet es schön, dass das Gänseliesel so „oft geküsst“ wird, eine andere lässt für „Haxe mit Sauerkraut“ alles liegen. Die Entscheidung ist gefallen. Die angehende Sozialassistentin Elena Ahlborn (19) hat sich gegenüber ihren sieben Mitbewerberinnen durchgesetzt. Constanze Kolb und Laura Weiß belegen die Plätze zwei und drei. Nun darf auch endlich geküsst werden. Oberbürgermeister Wolfgang Meyer küsst als Erster.
Das neue Gänseliesel erhält den traditionellen Korb mit der Gans. Als Hauptgewinn wird ihr der Schlüssel eines BMW Z4 überreicht. Ein Vierteljahr lang darf sie damit kostenfrei fahren.
Als Mini-Gänseliesel wurde die blonde Sophia Siel im Dirndl gewählt. Ihre kleinen Stellvertreterinnen sind Kira Häcker und Klara Louise Giro.
Obwohl mitten im Gewühl stehend, wird das Mädchen sehr wenig beachtet. Es steht bescheiden mit gesengtem Kopf unter dem gusseisernen Baldachin. Still lächelt es vor sich hin. In dem linken Arm hält es liebevoll eine Gans, während es mit der rechten Hand die Gans fest an den Flügeln packt. Eine dritte Gans lugt neugierig aus dem Korb. Aus den Schnäbeln der Gänse sprudelt Wasser hervor. Auf ihrem Brunnenrand sitzen Zuschauer, die vom langen Stehen müde sind. Sie haben nur Blicke für das lebende Gänseliesel auf der Bühne. Das Gänseliesel war zu Lebzeiten gewohnt, nicht beachtet zu werden. So sagt es die Legende. Die uneheliche Tochter einer berühmten Göttinger Persönlichkeit soll dem Bildhauer Paul Nisse für das Gänseliesel Modell gestanden haben. Verachtet und verarmt habe sie als Gänsehüterin leben müssen. Ihr politisch einflussreicher Vater habe angeblich versucht, das Aufstellen des Gänseliesels zu verhindern.
Besucher lieben das Mädchen. Kopien der Figur stehen sogar in Japan und in Wien. Das heutige Gänseliesel auf dem Brunnen ist auch nur eine Kopie. Trotz Kussverbot von 1926 wurde die Originalfigur immer wieder geküsst und erklettert. Das ging nicht spurlos an ihr vorüber. Ihren wohlverdienten Ruhestand verbringt sie nun im Städtischen Museum. Da sich sowieso niemand an das Kussverbot gehalten hat, darf die Kopie des Gänseliesel nun wieder offiziell geküsst werden. Am kusswütigsten sind die Göttinger Doktoranten. Nach bestandenem Examen muss das Gänseliesel geküsst werden , ob man will oder nicht.
So will es der Brauch. Es ist deshalb nichts Ungewöhnliches, dass eine lärmende Menge mit einem bunt geschmückten Handwagen vor dem Gänselieselbrunnen steht, während ein Mann oder eine Frau im Talar kletternd versucht, dem Gänseliesel einen Kuss geben.
Nur das Gänseliesel weiß, wie oft es geküsst wurde. Es genießt und lächelt bescheiden vor sich hin. Ganz anders reagiert das neugewählte Gänseliesel. Elena Ahlborn ruft laut vor Freude: „Jetzt bin ich´s“.
(c) Ingeborg Lüdtke
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