KZ-Lichtenburg Teil 2

In der Lichtenburg ist das Singen verboten,

da sollen die Frauen in sich gehen,

die finsteren Mächte wüten und toben,

und möchten uns sterbend am Boden sehen.

Man nennt die Frauen Verbrecher und dumm

und dreht die Wahrheit zur Lüge um.

In der Lichtenburg gibt es wenig Brot

und selten ein freundliches Wort.

Dieses Gedicht stammt von Klara Schwedler. Sie war im KZ Lichtenburg inhaftiert.

SDC12562Das KZ Lichtenburg befand sich Schloss Lichtenburg in Prettin bei Torgau.

Im 16. Jahrhundert ließ Kurfürst August von Sachsen das Schloss Lichtenburg für seine Frau Anna als Nebenresidenz und Witwensitz erbauen.

Über 200 Jahre später wurde das Schloss in ein Zuchthaus umgewandelt und ab 1933 bestand hier eines der ersten größeren Konzentrationslager in Deutschland.

In den dunklen Kellerverließen wurden Häftlinge brutal geprügelt. Einige der Geprügelten

überlebten die Prügelstrafe nicht.

In dem ersten Teil der Sendung ging es um die Opfergruppen und ihre Bewacher, die Unterbringung der Häftlinge, die Arbeiten und Strafen.

Die heutige Sendung befasst sich u. a mit Möglichkeiten sich der SS zu widersetzen, der medizinischen Versorgung, mit Kraftquelle zum Durchhalten und der Ausgrabung eines Häftlings-Tagesbuches in der Lichtenburg.

Der Historiker Sven Langhammer, der über das KZ Lichtenburg geforscht hat und Zeitzeugen kommen ausführlich zu Wort.

(Musikakzent)

Welche Möglichkeiten es gab nun für die Häftlinge, um der Brutalität der SS zu entfliehen?

Wäre Flucht oder aktiver Widerstand eine Möglichkeit gewesen?

Ein Häftling, der flüchtete, konnte nicht mit der Hilfe der Zivilbewohner rechnen.

Die Wahrscheinlichkeit wieder gefasst zu werden, war sehr hoch.

Die SS bestrafte entflohene und wieder gefasste Häftlinge brutal.

SDC12540Der Historiker Sven Langhammer berichtet, dass im Februar 1935 drei sogenannte Berufsverbrecher aus dem KZ Lichtenburg flohen. Er weist auf den Bericht von Irmgard Litten in ihrem „Eine Mutter kämpft gegen Hitler“ hin. Sie berichtet, wie es den drei Männern nach der Ergreifung erging. Alle Häftlinge mussten auf dem Appellplatz bei der Bestrafung zusehen. Die drei Flüchtlinge mussten einen Tisch auf den Hof tragen, der als Prügelbock benutzt wurde. Die Prügelstrafe umfasste üblicherweise 25 Schläge, aber jeder dieser drei Häftlinge erhielt ca. 150-180 Schläge. Laut Berichten, soll ein Häftling verstorben sein, ein weiterer habe sich das Leben genommen, und was mit dem Dritten geschehen wäre, ist unbekannt.

(Musikakzent)

Im Männer-KZ Lichtenburg in Prettin gab es keinen nennenswerten Widerstand, aber es gab einen Hungerstreik der Häftlinge:

Laut Sven Langhammer gab es im August 1933 einen Hungerstreik. Die Rädelsführer sind in den Bunker gebracht und dort misshandelt worden. Der Hungerstreik wurde ausgelöst durch die Misshandlung eines Häftlings, und die Häftlinge haben versucht ihre Solidarität mit dem Häftling zum Ausdruck zu bringen.

Andere Widerstandsformen waren nicht so offensichtlich:

Sven Langhammer berichtet von kritischen Bemerkungen einiger Häftlinge zu ihr Haftsituation während der Weihnachtsfeiern. Die Kritik zwischen den Zeilen der Aussagen wurde i. d. R. von den SS-Angehörigen nicht erkannt. Als Widerstand würde Sven Langhammer dies nicht bezeichnen. Der passive Widerstand der Häftlinge zeigte sich dadurch, dass Aufgaben nur widerwillig ausgeführt wurden und man sie nicht mit vollem Eifer umgesetzt hat. Man hat versucht hat einen entsprechenden Schaden anzurichten, ohne sich selbst oder Mithäftlinge in Gefahr zu bringen. Man musste natürlich sehr aufpassen, dass man nicht ins Visier der Wachmannschaften geraten ist. Hätte man gegen die Lagerordnung verstoßen, wären sie mit Strafen wie z. B. Bunker oder Prügelstrafe bestraft worden.

 

Im Frauen-KZ Lichtenburg gab es eine größere Aktion des Widerstandes:

Sven Langhammer führt als Beispiel für den Widerstand im Frauen-KZ Lichtenburg die Weigerung der Zeuginnen Jehovas im Herbst/Winter 1938 an, sich sich eine Rede von Adolf Hitler anzuhören. Die Zeuginnen Jehovas sind dann gewaltsam mit Feuerwehrschläuchen aus ihrer Unterkunft vertrieben und die Wendelstände nach unten gespült worden.

Erna Ludolph war eine der Frauen, die sich weigerten. Sie berichtet in dem Film „Fürchtet Euch nicht“ [3] von Fritz Poppenberg:

Ludolph Hesse„Wir weigerten uns die nationalistische Rede anzuhören und haben uns verschanzt. Dann haben sie versucht uns mit Gewalt rauszuholen, haben Hydrantenschläuche geholt und uns damit beschossen, so dass der Saal unter Wasser stand Diejenigen, die von der ganzen Wucht getroffen wurden, hatten später blutunterlaufende Stellen. In diesem Zustand hat man uns mit Gewalt die Treppe heruntergestoßen, so dass wir nachher nass auf dem Hof standen.“ (Bild Erna Ludolph mit Dr. Hans Hesse)

Änne Dickmann kann sich noch an die Reaktion der SS erinnern:

„Mit den dicken Hydranten Wasser wurde man bespritzt. Und die haben dann getobt.

(Musikakzent)

Die österreichische Widerstandskämpferin Hanna Sturm berichtet in dem Buch „Die Lebensgeschichte einer Arbeiterin“ über eine Solidaritätsbekundung mit den Zeuginnen Jehovas.

Während die SS die Wasserschläuche auf die Zeuginnen Jehovas richtet, hört man im ganzen Lager den Ruf „Mörder, Mörder!“ Die SS beendet daraufhin diese Aktion.

Die Häftlinge werden nie wieder gezwungen eine Hitler-Rede anzuhören. Allerdings bekommen die Zeuginnen Jehovas eine Woche lang kein Mittagessen. Die politischen Häftlinge teilen das Essen mit ihnen.

(Musikakzent)

Der Historiker Sven Langhammer erwähnt, dass aufgrund des stundenlangen Draußenstehens in nasser Kleidung, Erkältungskrankheiten nicht ausblieben.

Erkältungskrankheiten waren im KZ Lichtenburg sicherlich nur die harmlosesten Krankheiten.

Im Männer-KZ traten Blasen- und Nierenleiden durch die katastrophalen Hygienezustände häufig auf.

Auf eine lindernde ärztliche Behandlung hofften die die meisten Kranken vergeblich.

Zum einen gab es zu wenige Ärzte und zum anderen wurden die Kranken so behandelt, dass sie freiwillig auf eine weitere Behandlung verzichteten. Kranke wurden auch als Simulanten bezeichnet.

Über die geringe medizinische Versorgung im Männerlager konnte laut Sven Langhammer bisher (Forschungsstand 2013) folgendes ermittelt werden:

Es gab eine Eingangsuntersuchung, einen Zahnarzt, einen Allgemeinmediziner. Beide Ärzte kamen in der Anfangszeit des KZ Lichtenburgs aus dem Ort in das Lager. Die kranken Häftlinge konnten an den Sprechtagen bei ihnen vorsprechen. Die medizinische Ausrüstung des Krankenreviers in dem Männer-Konzentrationslager ließ nur eine Betreuung von leichten Krankheitsfällen zu. Häftlinge, die schwerer erkrankten, wurden in das Stadtkrankenhaus nach Torgau überführt. Todkranke Häftlinge wurden zum Sterben nach Hause entlassen.

Im Frauen-Konzentrationslager Lichtenburg gab es einen SS-Arzt. Anders als im Männer-Konzentrationslager kam kein Arzt mehr aus den umliegenden Orten in das Lager, um die Untersuchungen vorzunehmen. Bei den Frauen war es ähnlich, wie bei den Männern: schwerere Krankheitsfälle kamen nach Torgau ins Krankenhaus und Frauen, die kurz vor dem Tod standen, wie Paula Billstein aus Krefeld, sind nach Hause entlassen worden.

Medizinische Versorgung erhielten einige Häftlinge aber von Mithäftlingen, die im Krankenrevier arbeiteten. Wenn möglich schmuggelten sie Medikamente und andere Dinge heraus, um zu helfen.

(Musikakzent)

In späteren Konzentrationslagern gab es auch Kinder. Auch in dem KZ Lichtenburg hat es Kinder gegeben.

Laut Sven Langhammer gibt es nur einen bekannten Bericht von der politischen Gefangenen Erna Raum. Sie berichtet, dass schwangere Frauen in das KZ Lichtenburg eingeliefert wurden und dort ihre Kinder bekommen haben. Sie sei dabei beigewesen, als diese Kinder vom Arzt getötet worden sind. … Der Arzt … habe den Schädel eines Kindes am Türpfosten zerschmettert. Sven Langhammer sieht keinen Grund, den Bericht von Erna Raum anzuzweifeln.

Medizinische Versuche an den Häftlingen im KZ Lichtenburg sind wissenschaftlich nicht belegt.

(Musik)

Täglich Misshandlungen ansehen zu müssen, ging nicht spurlos an den Häftlingen im KZ Lichtenburg vorüber.

Der Schauspieler Wolfgang Langhoff schreibt bereits 1935 in seinem Buch „Die Moorsoldaten“ [1]:

„Man könnte also sagen, dass ich ein glänzendes Leben hatte, und dass mir, abgesehen von der Freiheit, nichts fehlte! Aber das war nicht so… . Dort bin ich erst richtig ‚fertig‘ gemacht worden. Täglich mit ansehen zu müssen, wie die Kameraden geschlagen, getriezt werden, wie dieselben SS-Männer, denen man abends humoristische Einakter und Gedichte einstudierte und sogar die Hand drückte, sich tagsüber gegen die Mitgefangenen in der brutalsten Weise benahmen … .“ (gesprochen von Peter Bieringer)

Der Tod habe sie kaum berührt, sagt Lina Haag in ihrem Buch „Eine Hand voll Staub“ [2]. Diese Erkenntnis habe sie erschüttert. Sie sei traurig, weil in den Herzen der Mithäftlinge kein Platz für die Empfindungen für das Unglück der Anderen gewesen sei.

Auch war die Angst ein ständiger Begleiter. Der ehemalige Häftling Ernesto Kroch beschreibt es so:

Es war ein ständig schwelendes Angstgefühl. Natürlich nicht so, dass man jeden Moment fürchten musste. Aber man fühlte sich immer unsicher. Dieses Wissen darum, dass man in jeden Moment unerwartet rausgerufen werden konnte, nich. Schon wenn Namen aufgerufen wurden, manchmal wurden Namen aufgerufen, weil Leute irgendwo, gar nicht aus Deiner Zelle, zu einem Verhör gerufen wurden. Denn es gab ja auch Verhöre da, nich. Ich wurde niemals verhört, aber man war immer mit dem Ohr, wird nicht etwas mein Name gerufen.“

(Musikakzent)

 

Für die Häftlinge gab es auch Möglichkeiten sich auszutauschen:

Laut Sven Langhammer konnte man im KZ Freundschaften schließen. Man hatte die Möglichkeit zum Austausch während des Freigangs auf dem Appellplatz, wenn man neben einem anderen Häftling gegangen ist. Miteinander sprechen war zwar nicht erlaubt, aber man hat Möglichkeiten gefunden, um miteinander sprechen zu können.

 

Laut Änne Dickmann waren die Aufseherinnen nicht den ganzen Tag im Raum. Für sie gab es eine Möglichkeit: „das wir uns gegenseitig stärkten durch biblische Besprechungen und der Gleichen.“

 

Sven Langhammer weist darauf hin, dass man immer aufpassen musste, dass man nicht bespitzelt wurde. Häftlinge wurden aus unterschiedlichen Gründen schwach und haben um ihres eigenen Vorteils willen auch Mithäftlinge denunziert. Diese wurden daraufhin bestraft. Die Häftlinge waren in verschiedenen Häftlingskompanien untergebracht. Die Häftlingskompanien hatten untereinander keinen Kontakt. Kontaktaufnahmen waren aber bei den zahlreichen Appellen möglich gewesen. Wurden aus unterschiedlichen Häftlingskompanien einzelne Arbeitskommandos zusammengestellt, gab es auch einen Austausch zwischen den Häftlingen.

Die Häftlinge benötigten Kraftquellen zum Durchhalten. Kraftquellen z. B. geistige und kulturelle Aktivitäten.

Der Rechtsanwalt Hans Litten arbeitete in der Häftlings-Bibliothek. Hans Litten war bekannt durch den Edenpalast-Prozess von 1931. Er hatte Hitler bei einer Zeugenaussage in die Enge getrieben.

Hans Litten übersetzte frühhochdeutsche Werke. Auch arbeitete er an einem Lehrbuch für Schüler mit Beispielen der bildenden Kunst und Literatur. (Quelle: Werner Dietrich)

Hans Litten vermittelte sein Wissen auch an Mithäftlinge.

Es gab weitere Kraftquellen für die Häftlinge:

Sven Langhammer bemerkt, dass Intellektuelle versuchten nicht abzustumpfen, indem sie Gedichte geschrieben, Lieder komponierten und Zeichnungen angefertigt haben.

Einer dieser Häftlinge war der Schriftsteller Hans Lorbeer.

Sven Langhammer verweist eine Zeichnung von September 1933 über die Schlafsituation unter dem Dach und die viele Gedichten und Aphorismen, die Hans Lorbeer geschrieben hat.

Einige Häftlinge fertigten als Überlebensstrategie Gegenstände aus Holz an.

Sven Langhammer spricht davon, dass es in der Lagertischlerei Möglichkeiten gab, sich Holz zu besorgen. Gustav Hammermann … hat viele Intarsien-Arbeiten angefertigt, die er später seiner Tochter Hildegard geschenkt hat. Es gibt aus dieser noch ein Schachspiel und mehrere Holzschatullen.

 

Änne Dickmann nennt eine andere Kraftquelle:

„Nur im Gottvertrauen, anders geht das nicht. Wie haben eben wie gesagt unser Leben Gott anvertraut und ihm überlassen, was er jetzt macht. Und dass er uns auch die Kraft geben möchte, dass wir standhaft bleiben. Zu seiner Ehre natürlich.“

 

(Musik)

Den Häftlingen des KZ Lichtenburg in Prettin war es möglich Briefe und Pakete zu empfangen. Die Häftlinge selbst durften Briefe oder Postkarten an die Verwandten schreiben. Der Historiker Sven Langhammer beschreibt, was dabei zu beachten war:

Sie konnten in regelmäßigen Abständen Postkarten und Briefe schreiben. Sie mussten Deutsch und deutlich schreiben. Die Postkarten und Briefe wurden zensiert und sind dann erst freigegeben worden. In den erhaltenen Briefen findet man keine Interna aus dem Lageralltag. Die Häftlinge beschönigten ihre Situation. Von Heinrich Adam ist allerdings überliefert, dass er im Vorfeld Codes abgesprochen hat. Er konnte so geheime Nachrichten nach draußen vermitteln.

 

Die SS benutzte allerdings gerne die Postsperre als Strafe für kleinere Vergehen gegen die Lagerordnung. Die Postsperre wurde besonders bei den Zeugen Jehovas eingesetzt. Die Häftlinge durften wochen- oder monatelang weder Briefe schreiben, noch erhalten.

Änne Dickmann beschreibt dies so:

„Wie gesagt ein ganzes Jahr überhaupt nicht schreiben. Keine Post empfangen, galt man wie abgestorben.

„… als dann das Schreibverbot aufgehoben wurde, dann durften wir jeden Monat 4-5 Zeilen schreiben: ‚Mir geht es gut. Wie geht es Euch? ‘ Da war der Brief voll.

Der eigentliche Briefwechsel war auch nur auf wenige Zeilen beschränkt.“

(Musikakzent)

Die Häftlinge durften auch Besuch empfangen:

 

Sven Langhammer bemerkt, dass vor einem Besuch zuerst eine Besuchserlaubnis erteilt werden musste. Ein Besuch war immer mit einem entsprechenden Aufwand verbunden. Oft kamen die Angehörigen der Häftlinge aus dem Arbeitermilieu und konnten sich eine Fahrt nach Prettin zum Konzentrationslager nicht leisten. Aufgrund dieser Tatsache waren Besuche nicht so häufig.

 

Über die Besuche gibt es unterschiedliche Aussagen:

Sven Langhammer berichtet von unterschiedlichen Aussagen ehemaliger Häftlinge. Einige wurden mit ihrem Besuch kurzzeitig allein gelassen. Andere Häftlinge berichten, dass die Häftlinge auf der einen Seite standen und die Frauen einen Meter von ihnen entfernt auf der anderen Seite. Dazwischen patrouillierten SS-Angehörige. I. d. R. war immer ein SS-Mann bei den Gesprächen anwesend.

 

Kinder durften bei den Besuchen nicht mitgebracht werden.

(Musikakzent)

Die Zustände im KZ Lichtenburg blieben der Außenwelt nicht verborgen.

Entlassene Häftlinge oder Anwohner gaben ihr Wissen an die Öffentlichkeit weiter.

Auch im Ausland wusste man von den Konzentrationslagern. Die SS erlaubte deshalb bestimmten Personenkreisen das KZ Lichtenburg zu besuchen. Unter ihnen befanden sich Journalisten aus Schweden, England, den USA und Japan.

Die realen Verhältnisse sahen die Besucher allerdings nicht. Das KZ wurde auf Hochglanz gebracht. SS-Leute in Zivil wurden als Häftlinge ausgegeben. Es wurden nur ausgewählte Räume und Bereiche gezeigt.

Die Besucher erhielten ein ausgezeichnetes Essen. Kein Wunder, dass bei diesem Täuschungsmanöver die Berichte sehr gut ausfielen.

(Musik)

Es kam durchaus vor, dass Häftlinge aus dem KZ Lichtenburg entlassen wurden.

Der Historiker Sven Langhammer bestätigt, dass die einfachen politischen Häftlinge im Schnitt ca. ein halbes Jahr im Männer-Konzentrationslager waren und einige von ihnen nach einem halben Jahr entlassen wurden. Bei den kriminellen Häftlingen war dies anders. Bei den politischen Häftlingen wurde der Haftgrund alle drei Monate überprüft. Bei kriminellen Häftlingen war dies alle 12 Monate der Fall und konnten deshalb nicht innerhalb eines halben Jahres entlassen werden. Für Funktionäre der KPD oder SPD, deren Rückkehr nicht erwünscht war, sah man vor, dass sie den Rest ihres Lebens im Konzentrationslager inhaftiert bleiben sollten.

Viele Häftlinge des Männer-Konzentrationslagers Lichtenburg sind in andere Konzentrationslager überführt worden. Es gab größere Häftlingstransporte im Februar 1934 und 1935. Diese Häftlingstransporte gingen in das KZ Esterwegen im Regierungsbezirk Osnabrück. Im Oktober 1936 gab es einen größeren Häftlingstransport von 300 Häftlingen, die in das neuerrichtete KZ Sachsenhausen überstellt wurden. Die über 1200 verbliebenen Häftlinge sind im Juli/August 1937 bei der Auflösung des Konzentrationslagers Lichtenburg nach Buchenwald überführt worden.

Ernesto Kroch kam1937 frei.

„Wir waren gerade beim Kohlenabladen, als die Namen aufgerufen wurden: Isack, Müller, Kroch. Da bekamen wir einen furchtbaren Schreck …`Im Laufschritt zur Kommandantur. Marsch. Marsch.´ Es blieb uns nichts anderes übrig als begleitet von einem Posten da zu der Kommandantur zu laufen. Also wir dachten: ‚Was erwartet jetzt uns? … irgendeine Strafe?‘

Man war ja immer gewärtig 25 Schläge, 100 oder vielleicht auch Versetzung in ein anderes Lager. Man wusste ja, was alles passieren konnte. Man wusste ja nicht wann und weshalb. Natürlich war enorm die Überraschung als er sagte: ‚ … wenn ihr das und das unterschreibt, dann könnt Ihr heute noch raus.‘“ (verstorben am 11.3.2012)

Sven Langhammer ergänzt, dass Ernesto Kroch als jüdischer Häftling in der Lichtenburg inhaftiert wurde und seine Eltern während seiner Haftzeit seine Ausreise vorangetrieben haben. Mit den Ausreisepapieren hatte er die Möglichkeit innerhalb von zehn Tagen das Deutsche Reich zu verlassen. Diese Möglichkeit hatten einige jüdische Häftlinge. Sie mussten binnen zehn Tagen das Reichsgebiet verlassen. Diese Möglichkeit gab es nur bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges.

 

Auch im Frauen-KZ gab es Entlassungen.

Laut Sven Langhammer waren im Frauen-KZ 1414 Frauen in den 18 Monaten inhaftiert. Davon wurden 974 nach Ravensbrück überführt. Alle anderen sind in der Zwischenzeit entlassen worden. Man kann von ca. 1000 Frauen ausgehen, die von der Lichtenburg nach Ravensbrück überführt wurden und ca. 400-450 Frauen sind entlassen worden.

 

(Musikakzent)

Im Schloss Lichtenburg in Prettin bei Torgau gab es mehrere Konzentrationslager.

Der Historiker Sven Langhammer stellt fest, dass das Schloss Lichtenburg zwischen 1933 und 1945 als Konzentrationslager genutzt wurde. Es bestanden mehrere Lagerformen. Das KZ Lichtenburg für männliche Häftlinge existierte von Juni 1933 bis August 1937. Anschließend waren ab dem Dezember 1937 bis Mai 1939 Frauen in der Lichtenburg inhaftiert. Da war es dann ein Frauen-Konzentrationslager. Dann wurde die Lichtenburg kurze Zeit als Kaserne für ein SS-Ersatzbataillon genutzt und ab Herbst 1941 war in der Lichtenburg das Außenkommando Prettin untergebracht. Das war ein Außenkommando des KZ Sachsenhausen. Es hat im Schloss bis zum April 1945 existiert.

 

Stanislaw Nikitowitsch Grizenko kam im Oktober 1943 in das Außenlager Prettin:

„In Sachsenhausen fing ich am 3. Mai 1943 an zu schreiben, nach dem ich mich dort umgesehen hatte. Ich glaube ab dem 3. Mai 1943. Ich musste ja als erstes, einen Bleistift besorgen. Ich arbeitete schon in der Küche als Kartoffelschäler. Ich schmuggelte die Kartoffeln in meinen Schuhen. Die Kartoffeln tauschte ich bei einem Polen gegen einen Bleistift. Dann brauchte ich das Papier. Schreibpapier gab es nicht. Die Polen bekamen Pakete von zu Hause. Die waren in Packpapier eingewickelt. Das Papier schnitt ich mir zurecht, faltete es und schrieb. Als ich nach Prettin kam, legte ich in eine Tasche eine Portion Brot und versteckte dahinter das Papier. Es lag in einem Stück Stoff eingewickelt, wo noch Knöpfe, Garn und Nadel darin waren. Wir waren damals zu fünft. Ich aus der Häftlingsküche, einer aus der Soldatenküche, ein Pole, der andere Pole war aus der Offiziersküche, einer kam, um Zähne zu ziehen und der Fünfte war der Älteste von uns. Er wurde Präsident genannt, war auch ein Häftling und transportierte Kleidung in das Lager. Der Soldat am Tor fragte mich, was ich da hätte. Ich sagte: „Brot.“ Er fragte, was dahinter läge. Ich gab es ihm. Er schaute und sagte leise zu mir: „Du hast Glück, dass ich aus Jugoslawien komme! Sonst…“ er zeigte auf den Galgen. Er wickelte das wieder ein und sagte zu dem Ältesten: „ Hinter dem Tor schmeißt du das weg!“ Er wusste ja, dass er mir das zurückgeben wird. Die anderen schimpften mit mir. Ich hätte das hinten, in der Hose verstecken sollen. In der Hose gab es keine Taschen, nur in der Jacke. Aber ich kam durch. Hier in Prettin arbeitete ich am Aufbau der Wasserpumpstation mit. Wir hatten einen Vorarbeiter, der immer freitags kam. Die Maurer waren Zivilarbeiter. Das waren drei ältere Männer, Hans, Ernst und den Dritten habe ich vergessen. Ein paar Häuser weiter von der Lichtenburg war ein Gebäude, ich glaube das war früher eine Bar. Dort war eine Bühne. Der Raum war ungefähr so groß wie diese hier. Dort waren Regale mit Papier. Din A4, Schulhefte und dicke Hefte. Ich organisierte mir zwei Dicke und ein oder zwei Schulhefte. Wir hatten nicht mehr viel zu bauen. Die Montage war fertig, es blieb nur die Elektrizität. Es ging schon dem Ende zu und die SS- Männer sahen, dass das nicht mehr gebraucht wird. Also wurde ich verlegt und sollte Papier packen. Ich erkannte dass alles bald zu Ende geht. Mit mir arbeitete noch ein Weißrusse. Er sollte sich an die Tür stellen. Da waren Dinge, ich nenne sie Essensbehälter für Soldaten. Ein Monat zuvor kamen Autos und brachten diese Essensbehälter. Ich fragte den Fahrer, was das ist. Er sagte italienische Essensbehälter für Soldaten. Das war so ein Aluminiumbehältnis wo man die Suppe reintat, dann konnte man das zumachen. Dann der Kasten, der später ausgegraben wurde, hatte eine Abteilung für etwas trockenes, zum Beispiel Brot oder so was und oben noch Holz. Das Holz ist ja vergammelt. Ich legte meine Tagebücher rein und buddelte sie in der Erde ein. Der Weißrusse hielt Wache, damit es keiner sah. Ich dachte, ich hole ihn später ab. Dazu kam es nicht.“ (Übersetzung gelesen von Peter Bieringer)

Erst 2008 war es ihm möglich zur Lichtenburg zurückzukehren und nach den Aufzeichnungen zu graben.

Der Historiker Sven Langhammer war dabei:

Es war ein sonniger Tag und es waren viele Leute dort vor Ort, die … zusehen wollten, ob wir das Objekt tatsächlich finden. Stanislaw Grezenko hat im Vorfeld eine Skizze geschickt, wo er die Aufzeichnungen vergraben hat. Wir haben vor Ort die Stelle, die er gekennzeichnet hat, woher von dem Brombeerstrauch befreit, so dass man dort überhaupt etwas finden konnte. Und dann haben wir mit (ei)nem Metalldetektor versucht, den Metallkasten zu finden. Diese Stelle war mit Müll aufgefüllt war und es waren dort viele Metallgegenstände, wie z.B. Kronkorken von Bierflaschen. Bei jedem Piepen dachte man, man hätte etwas gefunden, aber letztlich war es nur wertloser Schrott gewesen. Die Suche ging, nachdem wir die Grasnarbe abgestochen haben, um etwas tiefer zu gelangen, bis Mittag und wir hatten das Objekt nicht gefunden gehabt. Stanislaw Grezenko war schon sehr unglücklich, dass wir noch nichts gefunden haben.

 

Die Suche wurde an einer anderen Stelle fortgesetzt.

… wir haben dann an einer Stelle, an der wir noch nicht gesucht haben, das Objekt gefunden. Und Sie können sich vorstellen, dass dann helle Aufregung gewesen ist und dass Stanislaw Grezenko ein ganz, ganz breites Lächeln im Gesicht hatte.

Man ging in der allgemeinen Aufregung davon aus, dass wir den Metallkasten aus dem Erdreich rausnehmen und dass man ihn öffnet und die Aufzeichnungen lesen kann. Dem war nicht so gewesen. 2002 gab es in Prettin eine große Flut. Die Elbe ist über die Deiche getreten bzw. es sind Deiche gebrochen. Es lag 63 Jahre lang im Erdreich und entsprechend groß war der Schaden. Der Metallbehälter war komplett korrodiert und das Papier, dass sich in dem Behälter befand, war stark mineralisiert. Alles war miteinander verbacken und es war nicht möglich es herauszuziehen und lesen. Die Aufzeichnungen sind dann zunächst in das Landesamt für Archäologie und Denkmalpflege nach Halle gebracht worden. Dort ist der Metallbehälter aufgetrennt worden, um an diesen eigentlichen Papierblock ranzukommen.

Das Problem bei den Aufzeichnungen von Stanislaw Grezenko ist, dass er in einem schmalen Heft seine Erlebnisse codiert, vermutlich mit einem Kopierstift reingeschrieben hat. Und aufgrund dieses feuchten Milieus ist diese Schrift, sind diese Aufzeichnungen verlorengegangen. Hätte er mit einem Bleistift geschrieben, dann wären die Aufzeichnungen lesbar geblieben, aber durch das Schreiben mit dem Kopierstift ist nichts mehr vorhanden.

 

Konnte man wirklich gar nichts mehr machen?

Sagen wir es mal so. Es sind einige Seiten von dem Papierblock abgelöst worden. In dem Behälter befanden sich neben den Erinnerungen von Stanislaw Grezenko auch ein Buch auf Tschechisch über Motorenbau, da waren auch Bleistifte und ein Paar Socken mit drin. Er ging davon aus, dass er das nur für eine kurze Zeit versteckt und bald wieder aus dem Erdreich herausholt. Da er auch andere Papiere mit reingesteckt hat, ist unklar an welcher Stelle sich eigentlich das Heft befindet und man müsste eine größere Geldsumme aufwenden, um alles frei zu präparieren. Man spricht davon, dass es ungefähr 10.000 € kosten würde. Dieses Geld ist momentan nicht vorhanden. Die Tatsache, dass er mit einem Kopierstift geschrieben hat und nicht klar ist, ob die Aufzeichnungen tatsächlich erhalten sind, hindert momentan … die Restauratoren daran, weiter vorzugehen.

(Musikakzent)

Leider leben nur noch wenige ehemalige Häftlinge des KZ Lichtenburg. (Auch Ernesto Kroch ist am 11.3.2012 verstorben.)

Die Erinnerung an das erlittene Leid der Häftlinge muss bewahrt werden.

Deshalb ist es gut, dass die Gedenkstätte des KZ Lichtenburg neu konzipiert wurde und immer wieder neue Zeitzeugenberichte Forschungsergebnisse an die Öffentlichkeit kommen.

(Sprecher: Ingeborg Lüdtke, Gudrun Stockmann und Peter Bieringer)

© Ingeborg Lüdtke

Text- und Data-Mining: Ich behalte mir eine Nutzung aller Inhalte dieser Webseite für kommerzielles Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Gesendet am 10.11.2014 im StadtRadio Göttingen

Die gesprochenen Texte von dem Historiker Sven Langhammer wurden leicht redigiert und beruhen auf dem Forschungsstand aus dem Jahr 2013.

O-Töne von Ernesto Kroch und Stanialaw Grizenko wurden von Alternatives Jugendzentrum e.V. in Dessau zur Verfügung gestellt.

Quellenangaben:

[1] Wolfgang, Langhoff, Die Moorsoldaten, 1975 m Aufbau Verlag erscheinen, Rechte jetzt bei: Verlag Neuer Weg in der Mediengruppe Neuer Weg GmbH, Essen, die die freundliche Genehmigungam 10.4.12 erteilte.

[2]  Lina Haag,  „Eine Hand voll Staub“ 

http://www.silberburg.de/index.php?581-Eine-Hand-voll-Staub

Silberburg-Verlag GmbH, Tübingen mit freundlicher Genehmigung vom 25.5.12

[3] Film „Fürchtet Euch nicht“ von Fritz Poppenberg, Dreilindenfilm

http://www.dreilindenfilm.de/shop/fuerchtet-euch-nicht-p-133.html

mit freundlicher Genehmigung vom 30.5.12

Bild: Erna Ludolph im Gespräch mit dem Histotiker Dr. Hans Hesse

(c) Ingeborg Lüdtke)

 Weiterführende Links:

 http://www.stgs.sachsen-anhalt.de/gedenkstaette-kz-lichtenburg-prettin/

http://www.gedenkstaettenforum.de/nc/gedenkstaetten-rundbrief/rundbrief/news/lichtenburg_vergangenheit_und_zukunft/

http://www.foerderverein-lichtenburg.com/?navitem=13

 

 

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