80. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald – Weimar im Wandel –

Einladung

Überraschenderweise erhalte ich vom Thüringer Ministerpräsidenten Mario Voigt und dem Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora Prof. Dr. Jens-Christian Wagner eine Einladung zum Gedenkakt aus Anlass des 80. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora am Sonntag, dem 6. April  2025 um 10:00 Uhr in der Weimarhalle in Weimar.

Nach anfänglichem Zögern beschließe ich an dem Gedenkakt teilzunehmen. Möglicherweise ist es eine der letzten Gedenkveranstaltungen mit Überlebenden.

Reise nach Weimar

Damit ich pünktlich spätestens um 9:50 Uhr in der Weimarhalle ankomme, reise ich schon am Samstag, den 5. April 2025 per Zug an. So habe ich noch die Möglichkeit mir einige Orte in Weimar anzusehen, die ich vor 23 Jahren nur von weitem gesehen habe.

Der Regionalzug fährt pünktlich ab, ist aber durch den Beginn der Ferien in fünf Bundesländern voller als sonst.

Bei meiner Ankunft am Bahnhof Weimar mache ich mich auf die Suche nach einem Schließfach für meinen Koffer, da die Rezeption meines Hotels erst ab 17:00 Uhr besetzt ist. Leider habe ich bei den Schließfächern am Bahnhofsausgang Pech. Der nette Bahnmitarbeiter rät mir, zu den Schließfächern auf Bahnsteig 1/2 zu gehen. Hier kann ich endlich meinen Koffer sicher einschließen. Da ich sehr mit dem Verstauen des Koffers beschäftigt bin, bemerke ich erst spät rechts von mir einen Mann, der mir seinen Rücken zu dreht. Er kommt mir irgendwie bekannt vor: weißes kurzgeschnittenes Haar, breites Kreuz und eine graue Anzugjacke. Es wäre wirklich ein sehr großer Zufall, wenn ausgerechnet einer der beiden Personen, die ich überhaupt in Weimar kenne, neben mir stände. Später sehe ich ihn erneut vor dem Bahnhof bei einem Auto stehen. Es ist tatsächlich Jens-Christian Wagner (Direktor der Stiftung Gedenkstätte Buchenwald/Mittelbau-Dora), der einen Gast abgeholt hat.

Auf dem August-Baudert-Platz vor dem Bahnhof befinden sich Stellwände mit Fotos und kurzen Infos von ehemaligen Inhaftierten des KZ Buchenwald.

Heute möchte ich mich aber mit der früheren Geschichte Weimars und ihren berühmten Persönlichkeiten beschäftigen.

Marstall und Stadtschloss

Über den Herderplatz mit dem Herder-Denkmal gelange ich zum Weimarer Marstall am Kegelplatz. Das Gebäude hat eine wechselhafte Geschichte. Es wurde als Reithalle erbaut und beherbergte später die Gestapo-Leitstelle. Heute ist er der Sitz des Hauptstaatsarchivs Weimar.

Ganz in der Nähe befindet sich das Weimarer Stadtschloss, das jetzt als Schlossmuseum (kunsthistorischen Ausstellung mit Schwerpunkt Malerei) genutzt wird. Es wird gerade renoviert. So werfe ich nur kurz einen Blick in den Hof.

Grünes und Rotes Schloss

Ich gehe den Hügel hoch zum Platz der Demokratie. Links steht das sogenannte „Grüne Schloss“ in dem sich die Herzog Anna-Amalia-Bibliothek befindet. Heute gibt es ohne ein vorbestelltes Zeitfensterticket keinen Einlass mehr.

Geradeaus laufe ich auf das ehemalige Fürstenhaus zu, in dem sich heute der Sitz der Hochschule für Musik Franz-Liszt befindet. Davor steht das Reiterstandbild von Herzog Carl August.

Da ich erst um 15:00 Uhr ein Zeitfensterticket für Goethes Gartenhaus habe, gehe ich Richtung Marktplatz und komme am „Roten Schloss“ vorbei. Es war ursprünglich als Wohnsitz der Witwe von Herzog Johann Wilhelm I. gedacht. Nach dem Stadtschloss-Brand 1616 wohnte hier zeitweise die Fürstenfamilie.

Hotel Elephant

Schräg gegenüber steht heute das legendäre Hotel „Elephant“. Auf dessen Parkplatz stand früher das Haus von Johann Sebastian Bach.

In dem ursprünglichen Gasthof „Elephant“ verkehrten zahlreiche Dichter und Musiker wie Christoph Martin Wieland, Johann Gottfried Herder, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Franz Liszt und Richard Wagner.

In dem 1937 neu errichteten Hotel „Elephant“  wohnte Adolf Hitler während seiner Aufenthalte in Weimar in einer nur von ihm benutzten Suite im 1. Stock. Vom Balkon an der Vorderfront des Hotels hielt Hitler einige Reden.

Marktplatz

Da heute Markt ist, hat man leider keinen guten Blick auf die schönen geschichtsträchtigen Häuser, wie das Rathaus, das Stadthaus und das Cranachhaus. In dem Cranachhaus befand sich die Werkstatt von Lucas Cranach dem Älteren. Heute ist es das „Theater im Gewölbe“ (Privattheater). Lucas Cranach d. Ä. war ein Vorfahr von Goethe – mütterlicherseits.

Wittumspalais, Theaterplatz und Goethewohnhaus

An der ehemaligen Mietwohnung von Friedrich Schiller in der Windischenstraße vorbeikommend und über den Hof des Wittumspalais gelange ich zum Theaterplatz. Das Wittumspalais war viele Jahre der Wohnsitz von Herzogin Anna-Amalia. Hier fanden die berühmten Tafelrunden (literarische Diskussionen, Aufführungen von Theaterstücken, Musik), sowie der erste Thüringer Landtag statt. Heute ist es ein Museum.

Vor dem Deutschen Nationaltheater steht das Goethe-Schiller-Denkmal. Goethe soll angeblich einen halben Kopf kleiner als Schiller gewesen sein. Das Gebäude des Nationaltheaters wurde mehrfach zerstört und wieder aufgebaut. Es diente nicht nur als Mehrspartentheater (Schauspiel, Musik), sondern war auch Schauplatz von politischen Ereignissen. Hier wurde am 11. August 1919 von der Nationalversammlung die Weimarer Reichsverfassung verabschiedet. Später veranstalteten hier die Nationalsozialisten seit 1924 Parteiversammlungen. Im Herbst 1944 wurde das Theater zu einer Rüstungsfabrik der Firma Siemens und Halske umfunktioniert. Anlässlich des 200. Geburtstag Goethes am 28. August 1949 hielt Thomas Mann seine berühmte Ansprache an die Deutschen.

Ich verlasse nun diesen geschichtsträchtigen Ort, um wieder Richtung Park an der Ilm zu gehen. Am Frauenplan werfe ich nur einen kurzen Blick in den Hof des Goethe-Nationalmuseum mit Goethes Wohnhaus. Goethe hat hier 50 Jahre lang gelebt.

Goethes Gartenhaus

Um 15:00 Uhr habe ich ein Zeitfensterticket für Goethes Gartenhaus. Bei meinem letzten Besuch in Weimar haben wir während der Stadtführung das Gartenhaus nur von weitem gesehen. Es erschien mir kleiner zu sein.

Obwohl ich etwas früher dort bin, darf ich schon ins Gartenhaus.

Ich schaue mir recht nüchtern die Möbel und ausgestellten Texte von Johann Wolfgang von Goethe an. Die Ehrfurcht, die ich als junge Buchhändlerin vor seinen Werken empfand, stellt sich nicht mehr ein. Damals dachte ich noch, dass jede/r Autor/in über mir auf einem Treppchen stände. Nach fast 50 Jahren im Verlagswesen und Buchhandel ist schon längst eine Entzauberung eingetreten. Werke von Goethe begeistern mich nicht sehr. Ich stimme mit Heinrich Heine überein, dem die „göthischen Schriften“ nicht gefielen, sie aber in „poetischer Hinsicht verehrte“. Mir gefallen Texte von Friedrich Schiller besser.

Goetheplatz und Weimarhalle

Da ich schon einmal erkunden möchte, wo die Weimarhalle ist, gehe ich Richtung Goetheplatz. Auch hier gibt es wieder historische Gebäude wie den Kasseturm (Teil der ehemaligen Stadtmauer), das Lesemuseum (ehem. Vereinshaus der Weimarer Lesegesellschaft, heute Radio Lotte), das Hauptpostamt Weimar, sowie gleich über die Straße der Zweckverband Musikschule „Johann Nepomuk Hummel“ (ehem. Bürgerschule) zu sehen.

Auf dem heutigen Goetheplatz (vorm. Karlsplatz) fand am 5. Juli 1939 der große Aufmarsch der Standarten zum ersten Reichsparteitag statt. Zu diesem Zweck wurde das Reiterstandbild von Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisennach entfernt.

Unweit vom Goetheplatz liegen die Weimarhalle und das Bauhausmuseum.

Die ursprüngliche Weimarhalle wurde 1931 erbaut. Die Nutzung der Halle konnte unterschiedlicher nicht sein. 1932 fanden dort die Feierlichkeiten anlässlich des 100. Todesjahres von Johann Wolfgang von Goethe statt. In demselben Jahr trat Adolf Hitler noch vor der Machtergreifung zu einer Massenkundgebung der NSDAP Gau Thüringen auf.

Die in Weimar stationierte Sowjetarmee benutzte zeitweise die Weimarhalle als „Haus der sowjetischen Offiziere“. Zu DDR-Zeiten fanden hier regelmäßig die Parteitage der Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) statt.

Die Weimarhalle wurde 1997 wegen Baumängel abgerissen und neu gebaut.

Ich erkunde noch kurz, wo sich der Nordeingang der Weimarhalle befindet, denn nur diesen Eingang sollen wir morgen benutzen.

Schräg gegenüber der Weimarhalle bzw. direkt gegenüber des Bauhausmuseum war früher das ehemalige Gauforum, das nicht mehr komplett errichtet wurde. In einem Teil der dazugehörigen Gebäude ist heute das Museum Zwangsarbeit untergebracht.

Vor dem Museum stehen genau wie auf dem August-Baudert-Platz Stellwände mit Fotos und kurzen Infos von ehemaligen Inhaftierten des KZ Buchenwald.

Hier schließt sich dann der Kreis meiner Weimarer Stadtbesichtigung.

Irgendwie kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass fast alles in der Stadt mit Goethe oder Hitler bzw. NS-Geschichte zu tun hat. Thomas Mann sprach von einer Vermischung „von Hitlerismus und Goethe“.

Check-In Automat

Nun hole ich den Koffer aus dem Schließfach und gehe zum Hotel. Leider bin ich eine halbe Stunde zu früh dort. Angeblich besteht außerhalb der Rezeptions-Öffnungszeiten die Möglichkeit, sich an dem Check-In Automaten am Haupteingang selbständig einzuchecken. Hierzu benötige man die Reservierungsnummer und den Nachnamen.

Leider erhalte ich mehrfach die Meldung, dass es für mich keine Reservierung gäbe. Ein netter junger Mann lässt mich aber schon mal in den Vorraum, so dass ich mich auf das schwarze Ledersofa setzen kann.

Als die Rezeption dann geöffnet wird, kann ich einwandfrei einchecken. Mein Zimmer liegt in der 3. Etage am Ende des Ganges. Es hier sehr ruhig.

Gedenkakt 80. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora

Einlass in die Weimarhalle

Heute am Sonntag, den 6. April 2025 wird der Gedenkakt aus Anlass des 80. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora in der Weimarhalle begangen.

Als erstes bringe ich wieder meinen Koffer zum Bahnhofsschließfach. Den Weg zur Weimarhalle kenne ich ja inzwischen.

Als ich um ca. 9:30 h bei der Weimarhalle ankomme, stelle ich mich ans Ende der Wartenden beim linken Eingang. Vor mir steht eine Gruppe Franzosen/Französinnen. Einer von ihnen trägt ein grünes Sakko aus Breitcord. Durch seinen Hut und seinen Bart erinnert er mich an Horst Lichter.

Beim rechten Eingang fahren gerade Limousinen mit abgedunkelten Fenstern vor. Die Sicherheitsbeamten sorgen dafür, dass die Personen des öffentlichen Lebens schnell und sicher die Halle betreten können.

Unsere Taschen und Rucksäcke werden kontrolliert und ich werde auf gefordert meinen Rucksack gemeinsam mit der Jacke an der Garderobe abzugeben. Nun erfolgt die Kontrolle der Einladungen. Da ich meinen Sitzplatz schon im Voraus gebucht habe, kann ich in der linken Schlange bleiben. Das Ticket ist schnell gescannt. Die beiden Frauen vor mir haben sich noch nicht registriert und werden auf die rechte Seite mit dem V.I.P-Schild geschickt. Beide Frauen amüsieren sich köstlich, dass sie nun als V.I.P. gelten.
Die erste Garderobe ist bereits voll. Um zur anderen Garderobe zu gelangen, muss ich einmal am Saal vorbei und eine Etage nach unten gehen.
Meinen Sitzplatz habe ich schnell gefunden. Ich sitze in der 11. Reihe am Gang und hinter mir ist auch ein Gang. Die Person, die sich neben mir eingebucht hatte, erscheint nicht. Darüber bin ich auch nicht böse.
Während ich darauf warte, dass alle Gäste ihre Plätze einnehmen, kommen nun viele Personen mit ihren Mänteln und dicken Rucksäcken herein. Vermutlich reicht die Kapazität der Garderoben nicht mehr aus.

Musik und Fotos

Der Saal wir nun verdunkelt. Musiker spielen das Werk Żal (Bedauern) von Józef Kropiński, das er im September 1944 im Konzentrationslager Buchenwald komponierte. Gleichzeitig werden Fotos von der Befreiung der KZ Mittelbau-Dora (Nordhausen), KZ Buchenwald und dessen Außenlagern auf eine Leinwand projiziert. Es sind die schrecklichen Bilder, die sich den Befreiern bei ihrer Ankunft boten: Leichenberge, ausgemergelte Menschen, die mehr tot als lebendig zwischen den Toten sitzen oder liegen. Die Fotos der Außenlager Penig und Lippstadt der Frauen sind weniger schockierend. Weitere Fotos zeigen die Totengedenkfeier am 19. April 1945 auf dem Gelände des KZ Buchenwald, sowie französische Buchenwald-Überlebende bei einer Maikundgebung am 1. Mai 1945 in Paris.

Gedicht


Johanna Geißler rezitiert das Gedicht Forderung von Sarah Udi. Es wurde im Februar 1945 im Außenlager Sömmerda des Konzentrationslagers Buchenwald verfasst.

Sarah Udi wurde 1914 in Mukasch (damals Ungarn) geboren. Sie war Lehrerin und mit einem aktiven Zionisten verheiratet. Sie und ihre Eltern wurden als Juden 1944 nach Auschwitz deportiert. Ihre Eltern wurden dort ermordet. Sie musste Zwangsarbeit in Gelsenkirchen und im Buchenwalder Außenlager Sömmerda für die Firma Rheinmetall Borsig leisten. Sie überlebte das Lager und wanderte nach Israel aus. Sie starb 2007.

BEGRÜßUNG

Der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora Prof. Dr. Jens-Christian Wagner begrüßt und bedankt sich besonders bei den neun Überlebenden, die trotz des Leidens, dass sie im KZ Buchenwald erleben mussten, an den Ort ihres Leidens zurückgekehrt sind. Es sei eine große Ehre, dass sie gemeinsam mit uns an die Befreiung des KZ Buchenwalds und Mittelbau-Doras vor 80 Jahren erinnern.

Häftlinge aus allen Teilen Europas seien befreit worden, die zu den unterschiedlichsten Opfergruppen gehörten: politische Gegner der Nationalsozialisten, Widerstandskämpfer, Jüdinnen oder Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, sogenannte „Berufsverbrecher“ oder Sicherungsverwahrte, angeblich „Asoziale“, Zeugen Jehovas, Opfer der Wehrmachtsjustiz, Männer, Frauen und Kinder. Von den 278 000 von den Nazis deportierten Menschen nach Buchenwald hätten 56 000 nicht überlebt.

Foto: (c) Thomas Müller, TSK

20 000 Menschen von den 60 000 Häftlingen in Mittelbau-Dora seien verstorben. Überlebende seien vielfach körperlich und seelisch von der Haft gezeichnet. An sie alle würden wir heute erinnern.

Doch der heutige Gedenktag sei auch ein Tag, des gemeinsamen „Nachdenkens“, über die Bedeutung der Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus. Für die Mütter und Väter des Grundgesetzes sei die Antwort 1949 klar gewesen, deshalb hätten sie in Artikel 1 des Grundgesetzes geschrieben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dies bedeute die Würde aller Menschen, nicht nur des Deutschen.

MUSIKALISCHES ZWISCHENSPIEL

Józef Kropiński: Tak się o ciebie boję (Ich habe solche Angst um Dich) komponiert im August 1944 im Konzentrationslager Buchenwald

GRUßWORT

Der Thüringer Ministerpräsident Mario Voigt (MdL) lässt in seiner Rede die Ereignisse und unmenschliche Lebenssituation der Häftlinge am 11. April 1945 lebendig werden. Er fragt: „Wie konnte das geschehen?“ Über 50 000 Menschen seien ermordet, erschlagen, erschossen, zu Tode geschunden worden oder verhungert. Hinter all den Toten ständen Namen, Leben, Familien, Biografien. Es sei eine Schuld, die keine Verjährung kenne und eine Verantwortung, die bleiben würde.

Das KZ Buchenwald sei weithin sichtbar gewesen. Man habe die Transporte sehen und die Kommandos hören können. Die Stadt der Kultur, des Humanismus, der deutschen Klassik und der Ort der Barbarei, der systematischen Entmenschlichung lagen dicht bei einander. Dies sei eine Warnung, denn Bildung und Kunst oder moralische Selbstvergewisserung würden nicht immun machen gegen das Böse. Zwischen „Goethe und Gewalt“ läge kein schützender Raum. „Die Leserin von Schiller könne zur Schreibtischtäterin werden, der Hörer von Beethoven zum Lagerarzt“.

Foto: (c) Fotos Thomas Müller, TSK

Buchenwald sei ein Ort „systematischer Entmenschlichung“ gewesen. In dem Konzentrationslager habe „Vernichtung durch Arbeit, Hunger und kalkulierte Grausamkeit“ stattgefunden. Alles in diesem Lager sei dazu ausgerichtet gewesen, den menschlichen Geist und seine Würde zu brechen.

Es gelte die Verantwortung, die Menschlichkeit zu verteidigen und aus der Vergangenheit zu lernen, um eine gerechte Zukunft zu gestalten. Wichtig sei es, wachsam gegenüber den ersten Anzeichen von Unrecht zu sein und die Würde jedes Menschen aktiv zu achten. „Erinnerung sei nicht nur rückblickend, sondern solle auch die Gegenwart kritisch betrachten und eine Haltung gegen Gleichgültigkeit und Geschichtsrelativierung fördern“. Es sei ein starkes Signal, den Schwur von Buchenwald ernst zu nehmen: „Nie wieder.“

TEXTAUSZÜGE aus „Das schönste Museum der Welt“

Sebastian Kowski trägt Auszüge aus dem Werk „Das schönste Museum der Welt“ vor, das François Le Lionnais über das Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1946 verfasst hat.

François Le Lionnais war Chemiker und Wissenschaftsjournalist, der vor und nach dem Krieg in Künstlerkreisen verkehrte. Er war Mitglied in zahlreichen Verbänden. Als Resistance-Mitglied wurde er 1942 verhaftet und 1944 in das KZ Mittelbau-Dora verschleppt. Er überlebte.

MUSIKALISCHES ZWISCHENSPIEL

Stanisław Więckowski: Wojna (Krieg) komponiert 1943/44 im Konzentrationslager Buchenwald

GEDENKREDE

Christian Wulff, der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland a. D., bedankt sich bei den anwesenden Überlebenden und deren Angehörigen dafür, dass sie so vieles Wichtiges überliefert hätten. Sie seien große Vorbilder für ihn für Menschlichkeit, Wahrhaftigkeit, Verständigung und Versöhnung.

Er erinnert an die Befreiung von Buchenwald und Mittelbau-Dora und warnt vor dem Wiederaufleben rechtsextremer Ideologien.

In „Weimar-Buchenwald sei zu spüren, wozu „fehlgeleitete, aufgehetzte, hasserfüllte Menschen gegenüber ihren Mitmenschen fähig“ seien. Menschen seien erniedrigt und getötet worden „wegen ihres Glaubens, kultureller Zugehörigkeit, politischer Überzeugungen oder ihrer sexuellen Orientierung“.

Thüringen sei ein „Vorreiter auf den Weg in den NS-Staat“ gewesen. Christian Wulff zeigt kurz auf, wie der NSDAP der Einzug in eine Regierungskoalition mit Bürgerlichen und Deutsch-Nationalen gelang.

Foto: (c) Fotos Thomas Müller, TSK

Die NSDAP und die AfD seien nicht gleichzusetzen, da dies eine „unverantwortliche Verharmlosung des Nationalsozialismus“ wäre. Er sieht aber Parallelen in den Äußerungen einiger AfD-Politiker. 

Es sei wichtig aktiv gegen Extremismus und Diskriminierung einzutreten und die Errungenschaften von Demokratie und Menschenrechten zu verteidigen.

Deutschland habe die Verantwortung aus der Geschichte zu lernen und sich aktiv gegen Feindseligkeit und Entmenschlichung einzusetzen, um den Schwur von Buchenwald „Nie wieder“ einzuhalten.

(Die ganze Rede kann man nachlesen unter https://www.stiftung-gedenkstaetten.de/reflexionen/reflexionen-2025/gedenkakt-weimar-wulff-rede )

MUSIKALISCHER ABSCHLUSS

Edvard Grieg: Peer Gynt, Suite Nr. 1, Op. 46, daraus: Åses Tod, 1875

Edvard Grieg war kein Häftling in Buchenwald, aber sein Stück ist eng mit Buchenwald verbunden. Es wurde vom Lagerorchester am 19. April 1945 anlässlich der ersten Gedenkfeier für die ermordeten Kameraden auf dem Appellplatz gespielt.

Foto: (c) Fotos Thomas Müller, TSK

Ende der Gedenkfeier

Am Ende der Gedenkfeier hole ich meinen Mantel und den Rucksack. Trotz der vielen Menschen kann ich die Weimarhalle schnell verlassen.

Über den Inhalt der Reden muss ich noch einmal nachdenken und plane mir die Veranstaltung in der MDR-Mediathek noch einmal anzusehen.

https://www.ardmediathek.de/video/mdr-plus/gedenkakt-zur-befreiung-der-kz-buchenwald-und-mittelbau-dora/mdr/Y3JpZDovL21kci5kZS9zZW5kdW5nLzI4MjA0MS81MDg3MjQtNDg4Nzc3

Am Fußgängerüberweg in Nähe der Weimarhalle lässt mich der Fahrer einer Limousine mit verdunkelten Scheiben und Hannoveraner Kennzeichen die Straße überqueren. Ich winke als Dank.

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Rokokosaal in der Herzogin Anna-Amalia Bibliothek

Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek ist eine der ältesten öffentlichen Bibliotheken Europas. Sie wurde 1691 gegründet.

Für 12:30 Uhr habe ich ein Zeitfensterticket für den Rokokosaal in der Herzogin Anna-Amalia Bibliothek. Ich kenne den Weg und laufe diesmal auf sehr freien Wegen und Plätzen und kann so u.a. noch einmal schöne Fotos von den Häuser am Marktplatz aufnehmen.

Im September 2004 brannten Teile der Herzogin Anna-Amalia Bibliothek. Trotz großer Hilfsaktionen wurden 50.000 Bände vernichtet, etwa 60.000 – 100.000 beschädigte Bücher konnten gerettet werden. Die Bestände konnten teilweise durch Buchspenden aufgestockt werden. Durch den Bibliotheksbrand entstanden besonders schwere Brandverluste bei der herzoglichen Musikaliensammlung.

Der Rokokosaal ist wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Die Bibliothek wurde 2007 wiedereröffnet.

Der ovale helle Rokokosaal mit den weißen kunstvoll gestalteten Bücherregalen bis unter die Decke auf mehreren Ebenen ist schon beeindruckend. Er erstreckt sich über drei Etagen. Die Brüstungen sind vergoldet und die Decke ist mit Stuck verziert. Das Deckengemälde „Der Genius des Ruhmes“ wurde nach dem ursprünglichen Werk rekonstruiert. Leider kann man die Treppe in dem Bücherturm nur im Rahmen einer Führung besteigen.

Foto: (c) Klassik Stiftung Weimar

Im unteren Bereich und auf der Brüstung befinden sich Büsten von Dichtern, Künstlern und Philosophen. Auch hier begegnet mir Johann Wolfgang von Goethe als Büste oder auf Gemälden. 35 Jahre lang leitete er als Bibliothekar die Herzog Anna-Amalia Bibliothek.

Viele Inhalte der alten Bücher geben uns heute einen Einblick in Ideen, Perspektiven und Wissen zur Zeit der Veröffentlichung. Heute haben sie einen großen Wert für Historiker, Sprachwissenschaftler, Literaturwissenschaftler und andere Forschende.

Per App kann man auch einen Blick in bestimmte Werke werfen. Ich würde die Bücher lieber persönlich in die Hand nehmen und aufschlagen.

Der Brandgeruch wurde durch ein bestimmtes Verfahren von den Büchern entfernt. Der prächtige wohltemperierte Rokokosaal wirkt allerdings sehr steril auf mich. Ich vermisse den Geruch von Staub und altem Papier, der mich jedes Mal auf dem Dachboden in dem alten Verlagsarchiv von Vandenhoeck & Ruprecht umgab. Ehrfurcht beschlich mich auch vor den dort lagernden ungebundenen Buchseiten aus dem 18. Jahrhundert, die man damals noch auf Buchmessen einzeln oder in Bögen verkaufte.

Abreise

Mein Rückweg führt mich nun auf den bereits bekannten Straßen zurück zum Bahnhof. Ich hole meinen Koffer aus dem Schließfach. In der Bahnhofseingangshalle ist die Polizei diesmal sehr präsent.

Mein Regionalzug hat nur 5 Minuten Verspätung. Leider ist der Zug noch voller als auf der Hinfahrt und so kann ich nicht allein in einer Reihe mit dem Koffer sitzen. Ein netter junger Mann legt meinen Koffer in die Ablage über mir und verspricht mir, ihn auch wieder in Göttingen herunter zu holen.

Neben mir quetscht eine junge Frau ihren großen Koffer in die Sitzreihe und setzt sich quer auf den Sitz. Eine korpulente Frau um die 40 Jahre bittet sie aufzustehen und ihr den Platz zu überlassen, da sie nicht zwei Stunden stehen könne. Die junge Frau steht auf. Als sich der Zug etwas leert, bittet die junge Frau sie, sich auf einen anderen freien Platz zu setzen. Auch das Pärchen mit den großen Rucksäcken findet einen Sitzplatz. Die Frau saß zuvor auf dem Boden des Ganges.

Trotz der Enge geht hier alles zivilisiert und friedlich zu. Ich muss kurz mit Schaudern an die unmenschlichen Häftlingstransporte in den überfüllten Zügen zum KZ Buchenwald denken.

Am Göttinger Bahnhof fährt mein Bus erst in einer halben Stunde ab. Ein Bekannter bringt jemanden zum Zug. Als er zurückkommt fragt er mich, ob er mich nachhause fahren kann. Da er noch Zeit bis zu seinem nächsten Termin hat, nehme ich dankbar an.

© Copyright Ingeborg Lüdtke

Anmerkung:

Die feierliche Kranzniederlegung fand um 15 Uhr auf dem ehemaligen Appellplatz des Konzentrationslagers Buchenwald statt. Hierbei kam es zu einem Eklat, als eine junge Teilnehmerin bei der Präsentation eines Jugendprojekts auf Englisch von einem „Genozid“ in Palästina sprach. Der letzte Text war mit der Gedenkstätte nicht abgesprochen.

Im Vorfeld wurde auf Grund eines Konflikts zwischen der Botschaft Israels und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora die geplante Rede des deutsch-israelischen Philosophen Omri Boehm aus dem Programm des Gedenkaktes gestrichen und auf einen anderen Termin verlegt.

Fotos: (c) Ingeborg Lüdtke Fotos //Foto: Anna Amalia Bibliothek (c) Klassik Stiftung Weimar// Fotos in der Weimarhalle (c) Thomas Müller, TSK – Alle Fotos dürfen nicht von Dritten verwendet werden

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„Dass es uns noch einmal so hart trifft, haben wir wohl beide nicht gedacht“.

Am 27. Januar 2025 fand um 19 Uhr in der Lutherkirche Bad Harzburg eine Gedenkfeier an die Opfer des Nationalsozialismus mit 120 Gästen statt. Eingeladen hatte die katholische Friedensbewegung pax Christi Basisgruppe Nordharz.

Wie jedes Jahr wurde wieder eine Opfergruppe in den Mittelpunkt gerückt. Diesmal wurde der Opfer der Bibelforscher, wie die Zeugen Jehovas damals genannt wurden, anhand des Bad Harzburger Bürgers Arno Stoy gedacht. Arno Stoy wurde als Zeuge Jehovas ab 1933 mehrfach verhaftet. Er verstarb 1940 im KZ Sachsenhausen.

Auf der Veranstaltung war Arno Stoys Enkel Winfried Köhler anwesend, der Briefe seines Großvaters zur Verfügung gestellt hatte. Auszüge aus den Briefen, Verhörprotokollen und Gerichtsurteil wurden von verschiedenen Personen vorgetragen und entsprechende Fotos gezeigt. Das Musikalische Begleitprogramm gestalteten Rainer Buhl, Berd Dallmann und Karsten Krüger. Eines der Lieder trug den Titel „Vorwärts Ihr Zeugen“. Es wurde von Erich Frost komponiert, der selbst auch in Sachsenhausen inhaftiert war.

Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Dass es uns noch einmal so hart trifft, haben wir wohl beide nicht gedacht“. (Zitat aus dem Brief vom 25.6.1938 aus dem Gefängnis in Hannover)

Einleitung

Wie Markus Weber (Pax Christi) ausführte, wurde der Fabrikat Arno Stoy „Ziel von Diskriminierung und Verfolgung, weil er einer religiösen Minderheit angehörte“. Jehovas Zeugen hätten neben Kommunisten und Sozialdemokraten zu den ersten Verfolgten gehört, da sie sich aufgrund ihres Glaubens „weigerten, sich der unmenschlichen Ideologie zu unterwerfen.“

Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933, meistens Reichstagsbrandverordnung genannt, habe wesentliche Grundrechte der Verfassung außer Kraft gesetzt. Dies sei zur „Abwehr kommunistischerstaatsgefährdender Gewaltakte“ nötig. Doch schon bald sei diese Verordnung erweitert u.a. auf die SPD und die Zeugen Jehovas angewandt worden. Im Land Braunschweig seien die Zeugen Jehovas am 19.5.1933 verboten worden.

Wahlzwang

Am 12. November 1933 fand die Reichstagswahl und Abstimmung über den Austritt aus dem Völkerbund statt. Arno Stoy wird von der SA in Bad Harzburg gezwungen zur Wahl zu gehen. Da er sich weigert zu wählen, wird er von SA-Männern getreten und geschubst. Außerdem wird bei den im Wahllokal Anwesenden Stimmung gegen ihn gemacht. Jemand ruft: „Haut ihm doch in die Schnauze“. Aber außer der SA wird keiner ihm gegenüber handgreiflich. Anschließend wird er im Amtsgerichtsgefängnis von Bad Harzburg in einer Einzelzelle untergebracht. Seine Entlassung erfolgt am nächsten Tag.

In einem Brief vom 15.11.1933 an den Reichsminister des Innern beschwert sich Arno Stoy über dieses Vorgehen.

Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung von religiösen Schriften

Inzwischen gilt das Versammlungsverbot für Zeugen Jehovas. Arno Stoy wird vorgeworfen dagegen verstoßen zu haben.

In diesem Zusammenhang kommt es zu einer Hausdurchsuchung. Bücher (u.a. 2 Bibeln) von ihm werden beschlagnahmt.

Arno Stoy beschwert sich am 10. März 1934 bei der Oberstaatsanwaltschaft Braunschweig gegen diese Beschlagnahmung und fordert die Herausgabe der Bücher. Er bezieht sich dabei auf Artikel 135 der Verfassung des Dt. Reiches, die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährt. Durch die Wegnahme der Bibeln sei er in der Ausübung der Glaubens- und Gewissensfreiheit behindert.

Seine Beschwerde hat teilweise Erfolg. Er erhält die Bibeln zurück, aber nicht die Literatur der Zeugen Jehovas, da diese als Propagandamaterial einer verbotenen Organisation eingestuft werden.

Verstoß gegen das Verbot der Zusammenkunft von Zeugen Jehovas

Arno Stoy und 22 anderen Personen wird am 02. Juni 1934 eine Anklageschrift wegen Verstoßes gegen „das Verbot jeglicher Zusammenkunft der Gesellschaft“ (gemeint sind die Zeugen Jehovas) zugestellt. Das Hauptverfahren findet vor dem Schöffengericht in Goslar am 13. August 1934 statt. Das Verfahren wird gegen Arno Stoy und die anderen Beteiligten wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Verhaftung und Verurteilung

Am 4. September 1936 wird Arno Stoy aufgrund des Verstoßes gegen das Versammlungsverbots der Zeugen Jehovas verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis nach Braunschweig gebracht.

Aus dem Vernehmungsprotokoll geht hervor, dass er aus Gewissensgründen den Deutschen Gruß „Heil Hitler“ ablehne, weil er nur Gott verehre. Im Falle der Landesverteidigung lehne er den Kriegsdienst ab.

Am 17. September 1936 legt er gegen seine Verhaftung Beschwerde ein. Er begründet dies damit, dass man lediglich ein Liederbuch gefunden hätte, dessen Liederinhalt nur Gott und Jesus Christus verherrlichen. Der Besitz des Liederbuches seit den zwanziger Jahren könne nicht als eine den Staat gefährdeten Tätigkeit gewertet werden.

Außerdem weist er auf seine Saisonhauptabsatzzeit im Herbst für die Herstellung und den Vertrieb von Gewächslüftungsfenstern hin. Durch seine Verhaftung sei die Existenz seiner Familie aufs Spiel gesetzt. Seine Gelübde Gott treu zu bleiben könne doch kein Staatsverbrechen sein, dass seine völlige Vernichtung rechtfertige. Er fragt: „Ist denn nicht ein aufrichtiger Mensch, der sich politisch fernhält, besser als eine Menge von Heuchlern, die aus Menschenfurcht äußerliche Gewohnheiten ausführen?“

Seine Beschwerde blieb erfolglos. Bis zur Verhandlung bleibt er in Haft.

Das Sondergericht Braunschweig verurteilt ihn, Theodor Holland und Albert Wolf am 7. Dezember 1936 zu einer viermonatigen, Auguste Beuse zu einer dreimonatigen Gefängnisstrafe.

In dem Urteil des Sondergerichts Braunschweig werden besonders die gemeinsamen Gespräche über die Bibel, ihren Glauben nach den „Auslegungen und Zielen der Internationalen Bibelforschervereinigung“ (Zeugen Jehovas) gerügt. Durch den Gedankenaustausch habe man „sich gegenseitig in ihrer Glaubensanschauung als Bibelforscher“ gestärkt und „gleichzeitig den Mitgliederzusammenschluss der verbotenen Gesellschaft zu einer organisierten Vereinigung“ gefördert.

Arno Stoy wird am 3. Januar 1937 aus der Haft entlassen. Für das Urteil und die Zeugengebühren werden ihm 296,58 RM in Rechnung gestellt. Da seine Firma zahlungsunfähig ist, bittet er darum in Raten zahlen zu dürfen.

Offener Brief der Zeugen Jehovas vom 20. Juni 1937

Zehntausende Exemplare des sogenannten Offenen Briefes der Zeugen Jehovas vom 20. Juni 1937 werden an einem Tag in ganz Deutschland verbreitet. Der Brief beschreibt die brutalen Verfolgungspraktiken der Nationalsozialisten, sowie die menschenverachtenden Zustände in den Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern.  

Nach der Verteilung des Offenen Briefes kommt es zu einer großen Verhaftungswelle.

Da auch Arno Stoy an der Verteilung des Offenen Briefes teilnimmt, wird er im November 1937 in Magdeburg erneut inhaftiert.

Aus der Haft schreibt er am 9. November 1937 einen Brief an seine Frau und erteilt ihr eine Vollmacht zur Auflösung seines Geschäfts.

Aus dem Protokoll der Beschuldigten-Vernehmung von Arno Stoy vom 23.11.1937 (Magdeburg) geht hervor, dass er 24 Exemplare des Offenes Briefes in Halberstadt verteilt hat und das letzte Exemplar seiner Familie übergab.

Arno Stoy schreibt am 2. Dezember 1937 einen Brief aus dem Gerichtsgefängnis Magdeburg an seine Frau und Kinder,dass er jetzt in Untersuchungshaft des Sondergerichts in Halle sitzt.

Verhaftung von Elfriede und Irene Stoy

Inzwischen ist die restliche Familie ins Visier der SA und Gestapo geraten. Seine Tochter Irene Stoy holt die SA am 4. Dezember ab und bringt sie ins Harzburger Amtsgerichts-Gefängnis. Ihr Sohn Winfried wird von einer Gemeinde-Schwester zu einer Familie in Harlingerode gebracht.

Auch Arno Stoys Frau Elfriede wird verhaftet und in Harzburger Amtsgerichts-Gefängnis gebracht. Dort trifft sie Ihre Tochter.

Da sich die Familie in einer wirtschaftlichen Notlage befindet, muss sie aus der bisherigen Wohnung ausziehen und eine neue Wohnung suchen.

Am 20. Dezember 1937 schreibt Arno Stoy an seinen Sohn Siegfried aus dem Gefängnis in Magdeburg, dass er inzwischen die Anklageschrift erhalten habe. Er schlägt vor, dass sie, wenn nötig, das Sofa und den Tisch vom Werkstattboden und das Rollschränkchen verkaufen sollen.

Er wäre zwar nicht mehr mit Bibelforschern in einer Zelle, aber er und seine zwei Zellengenossen würden sich gut vertragen.

In dem Brief aus Magdeburg am 10. Januar 1938 bedauert er zwar, dass seine Frau und seine Tochter ebenfalls verhaftet wurden, ist aber froh, dass sie in demselben Gefängnis untergebracht sind. Er habe bei seiner Taufe 1923 „nicht geglaubt, dass solch harte Prüfungen über uns kommen würden“. Er schreibt auch von „bitteren Zweifeln in seinem Kopf“, die ihm „viel Schmerzen bereiten“. Er hofft, dass Gott ihm die Kraft geben wird, „in Treue das menschliche Urteil hinzunehmen“.

Gerichtsurteil des Sondergerichts Halle am 14. Januar 1938

Das Sondergericht Halle tagt am 14. Januar 1938 in Magdeburg und verurteilt Arno Stoy zu einem Jahr und neun Monaten.

Einen Tag (15. Januar 1938) später schreibt er, dass er seine Familie sehr vermisst und doch noch auf eine zukünftige Stunde der Freude hofft. Mit Gottes Hilfe würde noch alles gut werden. Allerdings täte es weh, nur als „Gesindel und schwachsinnig angesehen“ zu werden. Auch bedauert er, dass es an der Entwicklung seines Enkelsohns keinen Anteil haben könne.

Am 5. März 1938 berichtet er von seinem Arbeitseinsatz als Bürstenmacher. Er müsse nun 10 Fußabtretermatten in Schachmuster pro Tag anfertigen und erhalte dafür 14 Pfennig. Bei der Vernehmung habe er erfahren, dass ca. 80 Glaubensgeschwister in Haft sind. Er übermittelt seinem Enkel zum ersten Geburtstag herzliche Segenswünsche und hofft ihn einmal zu sehen. Allerdings ahnt er schon, dass er nach Strafverbüßung noch weiter in ein Schulungslager geschickt werden könne. Er hoffe bald von seiner Familie Positives zu hören. Man solle ihm aber wahrheitsgemäß schreiben und nichts schönfärben.

Strafgefängnis Hoheneck

Zwischenzeitlich wurde Arno Stoy ins Strafgefängnis Hoheneck im Erzgebirge verlegt.

In seinem Brief vom 17. April 1938 teilt er mit, dass er sich nun in einem alten Schloss im Erzgebirge befinde und die Möglichkeit besucht zu werden, damit unmöglich sei. Er wiege 126 Pfund. Er sei nun Zuputzer in der Zuputzküche (u.a. Porrée schneiden) und damit das „jüngste Küchenmädchen.“ Seinen Aufenthaltsort könne man das „Schloss des Schweigens“ nennen.

Gefängnis Hannover

Den nächsten Brief schreibt er aus dem Gefängnis in Hannover, Zelle Nr. 259 am 22. Mai 1938:

Da er am 27. Mai 1938 als Zeuge geladen sei, könne er einen Zusatzbrief schreiben. Auf der Zugfahrt sei er über Halberstadt und Werningerode gekommen. Besonders schwer sei es gewesen, dass er in Bad Harzburg eine halbe Stunde Aufenthalt gehabt hätte, aber keine Möglichkeit bestand, seine Frau zu sehen. Dies sei sehr schmerzlich für ihn gewesen. Er deutet an, dass seine Frau krank sei. Er habe unterwegs auch viele andere Schicksale anderer Menschen erlebt.

Weiterhin sich im Gefängnis Hannover befindend schreibt er am 25. Juni 1938, dass seine Bitte in die Nähe seines Heimatortes verlegt zu werden, abgelernt worden sei. In diesem Brief fällt auch der Satz, der als Thema der Gedenkveranstaltung für Arno Stoy gewählt wurde: „Dass es uns einmal so hart trifft, hatten wir seiner Zeit wohl beide nicht gedacht“. Er bedauert, dass sie sich nun nicht mehr einander beistehen können. Er bringt weiterhin die Hoffnung zum Ausdruck, dass für die Familie auch wieder die Sonne scheinen wird.

In Hannover befände er sich allein in einer Zelle. Anfangs habe er keine Arbeit gehabt, aber inzwischen hätte er das Stuhlsitzflechten gelernt.

In Hoheneck seien 58 Personen im Schlafraum und beim Mittagessen 30 Personen, die auf Kommando schweigend Kartoffeln pellen und auch mit dem Essen anfangen. In Hannover könne man die Beamten noch ohne Repressalien mit „Guten Morgen“ begrüßen. In Hoheneck müsse der Gruß schweigend in militärischer Haltung ausgeübt werden.

Krankenhaus Strafgefängnis Hoheneck

Am 7. August 1938 schreibt er seiner Familie aus dem Krankenhaus des Strafgefängnisses Hoheneck. Er sei in den letzten 3 1/2 Wochen sehr krank gewesen, wie noch nie in seinem Leben. Außer schmerzenden Geschwüren am linken Oberschenkel und am linken Handgelenk, habe es sich in Gallenblasenleiden hinzugezogen. Das Fieber und die Schmerzen seien abgeklungen und er fühle sich schon besser. Er werde bald wieder zu den anderen Häftlingen kommen. Er wiege 56 kg.

Bitte um Bild seiner Familie

Am 4. September 1938 (Strafgefängnis Hoheneck, Post Stollberg im Erzgebirge) bittet er um ein Foto von seiner Familie, damit er sie wenigstens per Bild wieder einmal sehen könne. Er sei riesig gespannt, wie sein Enkel Winfried „herausgemacht“ [gewachsen sei] habe.

Entzug zum Führen eines Kraftfahrzeuges

Arno Stoy erhält am 19. September 1938 Post vom Braunschweigischen Finanzminister. Darin wird erklärt, dass seine Beschwerde vom 28. Juli 1938 gegen das Verbot zum Führen eines Kraftfahrzeuges verspätet eingetroffen sei. Die Beschwerde sei auch nicht sachlich begründet. Er sei zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, da er auf Reisen auswärtige Anhänger der Zeugen Jehovas besucht und dadurch den illegalen Aufbau dieser Vereinigung gefördert habe. Die Erlaubnis sei ihm zu Recht entzogen worden.

Aufforderung zur freiwilligen Beantragung der Firmenlöschung

Inzwischen ist das Familienfoto bei ihm eingetroffen und er bedankt sich am 9. Oktober 1938 dafür. Die Übersendung des Bildes habe ihm große Freude bereitet und wirklich gutgetan.

In seinem Brief vom 4. Dezember 1938 berichtet er, man habe ihn aufgefordert, die Löschung der Firma zu beantragen. Falls er dieses nicht täte, drohe ihm eine Geldstrafe. Er habe sich 14 Tage Bedenkzeit ausgebeten. Er verstehe nicht, warum er alle wirtschaftlichen Brücken durch „eigenen Antrag“ abbrechen solle, wenn er sich nach seiner Haft wieder in die Volksgemeinschaft eingliedern solle. Seine Machtlosigkeit sei ihm bewusst, aber durch „‚Selbstantrag‘“ wolle er sich doch nicht selbst vernichten.

Seine kriminellen Mithäftlinge würden von einer Weihnachtsamnestie sprechen. Er glaube nicht daran, weil doch aus Hitler Buch „Mein Kampf“ hervorgehe, dass dieser Amnestie für Schwäche hielte. „In Saarbrücken“ hätte Hitler erklärt, „dass er sich dem Begehren des Auslands um die Gefangenenfreilassung widersetzt, weil sich in seiner eigenen Haftzeit auch niemand um seine Befreiung bemüht“ hätte.

Am 15. Januar 1939 erklärt Arno Stoy, dass er nun die Firmenlöschung beantragen musste. Seine Frau könne aber weiterhin Aufträge ausführen, ohne dabei den Firmenstempel zu benutzen. Sie solle nur mit ihrem Namen unterschreiben.

Er könne mit einer Freilassung nicht hundertprozentig rechnen. Er sehe der „Zukunft aber nicht hoffnungslos entgegen“ und bitte sie, auch nicht den Mut sinken zu lassen.

Brief an seinen Sohn Siegfried

Sein Sohn Siegfried wurde zum Wehrdienst eingezogen. Arne Stoy schreibt am 29. Januar 1939 an ihn, dass er sich über ein Lebenszeichen von ihm freuen würde, auch wenn er selbst aufgrund der Schreibbeschränkung nicht so oft antworten könne.

Anscheinend macht er auf das Ansehen eines Soldaten im Vergleich zu einem Kriegsdienstverweigerer in diesem Satz aufmerksam: „Es liegt darin doch ein gewaltiger Unterschied, denn Du gehörst zu dem Stolz und der Freude der 80 Millionen und ich nur zu dem Auswurf der in einem der Müllkästen ist.“

Er hofft noch immer in sechs Monaten und sechs Tagen freizukommen.

Auflösung des Strafgefängnis Hoheneck

Am 16. Juli 1939 teilt er seiner Frau mit, dass das Strafgefängnis Hoheneck bis zum 1. August 1939 geräumt würde, da nun ein anderer Verwendungszweck vorgesehen sei. Da seine Haft am 6. August 1939 normalerweise ende, wisse er noch nicht, ob er mit den anderen Häftlingen zusammen Hoheneck verlassen werde. Er gäbe ihr Bescheid, falls er dann in ihre Nähe kommen würde, damit sie ihn besuchen könne. Er wisse noch nicht, ob er tatsächlich entlassen würde, da die Beurteilung der Gestapo noch ausstehe. Er habe sich „in der Strafzeit Mühe gegeben, keinen Anstoß durch sein Verhalten zu erregen“.

Polizeigefängnis Chemnitz

Aus dem Polizeigefängnis Chemnitz schreibt er 8. August 1939, dass er seiner Frau nun wieder eine bittere Enttäuschung bereiten musste. Seit Freitagnachmittag befände er sich in vorläufiger Verwahrung. Er sei zwar vernommen worden, habe aber noch keinen Schutzhaftbefehl erhalten.

Konzentrationslager Sachsenhausen, Oranienburg

Die Familie erhielt monatelang kein Lebenszeichen von ihm. Am 1. Oktober 1939 sendet Arno Stoy einen zehnzeiligen Zensur-Brief mit Poststempel vom 10. Oktober 1939.

Er teilt seiner Frau mit, dass er sich seit dem 17. August 1939 im KZ Sachsenhausen, Oranienburg bei Berlin befände. Er sei gesund und habe ihren Brief vom 23. August nachgeschickt bekommen.

Auf der Karte war der folgende Text gestempelt:

„Der Schutzhäftling ist nach wie vor hartnäckiger Bibelforscher und weigert sich, von der Irrlehre der Bibelforscher abzulassen. Aus diesem Grunde ist ihm lediglich die Erleichterung, den sonst zulässigen Briefwechsel zu pflegen, genommen worden.“

[Anmerkung zum KZ Sachsenhausen: Häftlinge wurden in der Regel misshandelt. Sie litten unter Hunger, Krankheiten und Mangelernährung. Es gab dort sich ständig wiederholende und auch unvorhersehbare Mordaktionen.]

Letzter Brief vom 4. Februar 1940 aus dem KZ Sachsenhausen

Arno Stoy schreibt am 4. Februar 1940 einen Brief an seine Frau und seine Kinder, in dem er sich für ihre Briefe vom November und Dezember 1939 bedankt, sowie für die Geldsendung am 13. Januar 1940. Er bittet darum, dass man ihm Briefmarken mitschicken solle, falls dies in „wirtschaftlicher Hinsicht eine Antwort“ erfordern sollte.

Möglicherweise ahnt er schon, dass er nicht mehr lange zu leben hat, denn er schreibt: „Bewahrt mir ein treues Gedenken…“

Sein Sohn Siegfried Stoy vermerkt auf diesen Brief, dass es das letzte Lebenszeichen seines Vaters sei. Der Brief sei am 16. Februar 1940 abgestempelt.

Am 14. Februar 1940 sei seine Mutter persönlich durch einen Gestapomann aus Bad Harzburg über den Tod ihres Mannes informiert worden. Als Todesdatum habe dieser am 13. Februar 1940 um 5 Uhr (lt. Sterbeurkunde 16:30 Uhr) angegeben. Der Gestapomann habe dies seiner Mutter auf ihre Bitte hin, schriftlich gegeben.

Der Text des Stapobeamten Lutze am 14.2.1940 betreffend Arno Stoy lautet:

„Verstorben am 13.2.40 um 5 Uhr an Körperschwäche im [KZ] Sachsenhausen. Die Leiche kann von den Angehörigen bis zum 15.2.40 im [KZ] Sachsenhausen besichtigt werden. Die Einäscherung erfolgt auf Staatskosten. Die Urne kann von den Angehörigen vom Krematorium in Fürstenberg (Mecklenburg) nach dem von den Angehörigen bestimmten Friedhof auf schriftliche Anforderung überführt werden.

In diesem Falle ist die Überführungsgebühr von 3,- RM und eine Bescheinigung der in Frage kommenden Friedhofsverwaltung, dass eine Stelle für die Urnenbeisetzung vorhanden ist, vorzulegen. Sonst wird die Urne von Amtswegen im Urnenhain des Krematoriums kostenlos beigesetzt.“

Bescheid der Entschädigungsstelle in Braunschweig

In einem Bescheid der Entschädigungsstelle in Braunschweig vom 24.3.1955 heißt es:

„Der Fabrikant Arno Stoy …, verstorben am 13.2.1940 im KZ Oranienburg/Sachsenhausen … ist aus Gründen des Glaubens verfolgt worden, hat Schaden an Freiheit erlitten und ist durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen getötet oder in den Tod getrieben worden.“

Gedenktafel Harzburg

Am Eingang des Bad Harzburger Friedhofs wurde am 29. Juni 1999 eine Tafel mit den Namen von 14 Opfern des NS-Regimes angebracht. Auch Arno Stoys Name befindet sich darunter.

(Bild: Karlo Vegelahn)

Beschluss des Bundestages für Errichtung eines Mahnmals für Zeugen Jehovas als NS-Verfolgte

Der Deutsche Bundestag hat die Errichtung eines Mahnmals für die Zeugen Jehova als Opfergruppe des Nationalsozialismus in Berlin beschlossen.

Alle Fraktionen billigten einen gemeinsamen Antrag von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Die Abstimmung beruht auf einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien.

Verabschiedung

Am Ende der Gedenkfeier bedankte sich die pax-Christi-Gruppe für das Kommen, die Hilfe und Gastfreundschaft der Luthergemeinde, die finanzielle Unterstützung der Bad-Harzburg-Stiftung, den Musikern und dem Enkel des verstorbenen Arno Stoy: Winfried Köhler.

Die Veranstaltung endete mit Musik.

(c) Copyright Ingeborg Lüdtke

Mit freundlicher Genehmigung von: Markus Weber (Pax Christi Nordharz) und Winfried Köhler (Enkel von Arno Stoy)

Fotos: Markus Weber, Karlo Vegelahn und Pax Christi Nordharz

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Frauen-KZ Moringen

Radiosendung aus 2002 bearbeitet, nun in einer Sendung. Gesendet am 1.2.2025

(Anfangsgeräusche)

Sprecherin:

Der 27.Januar wurde von Roman Herzog zu einem Gedenktag erklärt. Der 27. Januar ist ein „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“. Ich möchte Sie deshalb einladen, sich gemeinsam mit mir an das Frauen-KZ Moringen zu erinnern. Erinnern möchte ich durch Gespräche mit Zeitzeuginnen, Historikern und Dokumenten.

Drei Konzentrationslager (1933-1945)

Sprecherin:

Moringen ist eine ganz normale Kleinstadt in Süd-Niedersachsen bei Göttingen. In dem Werkhaus Moringen, mitten in der Stadt gab es seit dem 11. April 1933 ein frühes Konzentrationslager. Eigentlich waren es drei aufeinander folgende Konzentrationslager:

Der Historiker Jürgen Harder bemerkt in seiner Magisterarbeit dazu:

„Die Konzentrationslager in Moringen sind nicht alleine zu betrachten. Sie wurden im Provinzialwerkhaus in Moringen gegründet. Dieses war ein Werkhaus welches bereits lange Jahre zuvor bestand, so dass im April 1933 ein sogenanntes frühes KZ eingerichtet werden konnte. Dieses KZ bestand bis November 1933. Bereits im Sommer desselben Jahres wurden die ersten weiblichen sogenannten Schutzhäftlinge in ein eigens für sie eingerichtete Frauenschutzhaftabteilung inhaftiert. Von Ende 1933 bis Anfang 1938 wurden im den Gebäuden des Werkhauses ein Frauen-KZ unterhalten. Es folgte von 1940 bis zum Ende des sogenannten Dritten Reiches ein Jugend-KZ für männliche Jugendliche. Ein Pendant sozusagen für weibliche Jugendliche bestand in Uckermark bei Ravensbrück.“

Noch keine Häftlingskleidung und keine Winkel

Sprecherin:

Der Historiker Hans Hesse erklärte zum Frauen-KZ folgendes:

„Dieses erste Frauen-KZ unterschied sich noch ganz erheblich von späteren wie z.B. Ravensbrück oder auch Auschwitz. So gab es in Moringen beispielsweise noch keine Häftlingskleidung und noch keine Winkel…. Und die SS bewachte dieses KZ auch noch nicht. In dieses erste Frauen-KZ kamen aber bereits Frauen, die wir bereits von den späteren Häftlingskategorien kennen. Insgesamt ca. 1350 Frauen in 5 Jahren von 1933 bis 1938.“

(Musikakzent)

Haftgründe

Sprecherin:

Mit Jürgen Harder sprach ich über Gründe, die zur Verhaftung führten.

Jürgen Harder:

Dafür gab es vielerlei Gründe. Es waren vielfach Übertretungen gegenüber den nationalsozialistischen Gesetzen und Verordnungen. Aber es konnte auch viel subtiler geschehen. Es reichte bereits in Gegenwart von anderen Personen gegen das Herrschaftssystem dem Führer oder Angehörigen ihres Machtapparates sich negativ zu äußern. Weitere Gründe waren die Verweigerung der Kriegsdienstes bzw. die Unterstützung des Mannes in seiner Intension. Weitere für die Inhaftierung in ein Schutzhaftlager war die politische Betätigung als Kommunistin z.B. oder Sozialdemokratin, grundsätzliche Verweigerungshaltung gegenüber den Machtansprüchen des Staates z.B. den Bibelforscherinnen, die Verweigerung des Luftschutzdienstes. Es gab sogenannte Luftschutzbeauftragte, in jedem Block, der zudem noch durch Blockwarte kontrolliert wurde. Wohnblock ist hiermit gemeint. Da sind verschiedene Arbeiten mit verbunden, die sind rein organisatorischer Art. Das z.B. Wassereimer bereitgestellt werden mussten. Es mussten Übungen abgehalten werden. Als Vorbereitung auf den kommenden Krieg und das bereits viele Jahre bevor der Krieg offiziell wurde. Weitere Gründe für eine Inhaftierung waren Weigerungen zu spenden. Offiziell waren das freiwillige Spenden, aber inoffiziell war es eine Zwangsmaßnahme, z.B. für das Winterhilfswerk zu arbeiten und zu spenden, für die verschiedenen Massenorganisationen und der finanziellen Nöte so zu sagen einzutreten. Viele Gründe für die Inhaftierungen leiten sich auch aus den sogenannten Häftlingsgruppen ab.

Häftlingsgruppen

Sprecherin:

Welche Häftlingsgruppen gab es im Frauen-KZ Moringen?

Jürgen Harder:

„Also in Moringen speziell gab es Kommunistinnen, Sozialdemokratinnen, sogenannte Remigrantinnen, das waren Jüdinnen und in männlichen Lagern auch Juden, die erst emigriert waren und nach einer gewissen Zeit dachten, die Verhältnisse in Deutschland hätten sich beruhigt und sie könnten zurück in ihre alte Heimat. Die wurden in Haft genommen und in Schutzhaftlager, sprich KZ eingewiesen bis sie entweder wieder abgeschoben bzw. die Abschiebung erkaufen konnten oder halt später in andere Lager mitunter auch in Vernichtungslager abgeschoben wurden. Weitere sind Rassenschänderinnen.“

Sprecherin:

Rassenschänderinnen waren Frauen, die mit Juden verheiratet waren oder eine außereheliche Beziehung mit ihnen eingingen.

Jürgen Harder:

„Des weiteren kamen Prostituierte dazu, sogenannte Berufsverbrecherinnen, das waren Frauen, die mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, die nationalsozialistische Gesetze waren, sprich mehrfache kleinere Übertretungen konnten zu einer Stigmatisierung und Kriminalisierung als Berufsverbrecherinnen führen. des weiteren eine sehr defuse Gruppe, die sogenannten Staatsfeindlichen, sprich die sich difiltistisch oder staatsfeindlich geäußert hatten, und von Bekannten oder auch persönlichen Feinden denunziert worden waren. Die sogenannten Staatsfeindlichen waren eine erhebliche Gruppe. Dabei muss man auch sagen, dass es oft nicht klar zu trennen ist. Kategorisierungen wurden vielfach von den Nationalsozialisten vorgenommen und somit muss man sie mit äußerster Vorsicht betrachten. Besonders bei den sogenannten Asozialen. In Moringen waren mehrere minderjährige Frauen inhaftiert, die nicht in die Fürsorge sollten, weil sie als sogenannte Asoziale von denen abgelehnt wurden. Einige von ihnen wurden später sterilisiert. Zwangssterilisiert wohl bemerkt. Weiterhin waren in Moringen Lesbierinnen. Wobei sie aber nicht offiziell als Lesbierinnen inhaftiert waren, sondern unter einem anderen Vorwand verhaftet oder inhaftiert wurden. Bei der einen Frau war es so, dass sie kommunistischer Umtriebe sozusagen beschuldigt wurde. Eine andere war zusätzlich noch eine Halbjüdin und damit doppelt und dreifach unter Verfolgungsdruck.“

(Musik)

Sprecherin :

Laut Dr. Hans Hesse gab noch eine weitgrößere Häftlingsgruppe:

Die größte Gruppe stellten die Zeuginnen Jehovas. Die Zahlen schwanken allerdings ganz erheblich, so sind für die Jahre 1933 und 1934 noch keine Einlieferungen bekannt. doch im Dezember 1937 stellten die Zeugen Jehovas plötzlich mit nahezu 90% aller Häftlinge, die weitaus größte Zahl.“

Sprecherin:

Hilde Faul, Anni Pröll, Ännie Dickmann und Erna Ludolph  berichten nun über Ihre persönlichen Haftgründe.

Die Kommunistin Hilde Faul berichtet:

„Verhaftet bin ich worden am 15.8.33. Also ich war noch nicht ganz 18 Jahre. Bin ich verhaftet worden und zwar weil ich im kommunistischen Jugendverband war. Wir haben Plakate … geklebt gegen die Faschisten und alles weitere auch noch. Wir haben eine kleine Demonstration gemacht …Dann war ich bis 1934 in Schutzhaft, dann war ein großer Prozess gegen Jugendliche, alles Mitglieder des kommunistischen Jugendverbands. Der Prozess war 1934 und da bin ich zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt worden, wegen Vorbereitung zum Hochverrat und die 8 Monate hab ich dann in der Strafanstalt Eichach verbüßt und nach der Strafverbüßung bin ich wieder in Schutzhaft gekommen und zwar war ich da im Landgerichtsgefängnis Landshut und von dort aus bin ich dann ins KZ-Moringen gekommen. Also das war Ende 1935/Anfang 1936 so genau weiß ich dass nicht mehr. Bis zu meiner Entlassung am 2. Mai 1937, war ich im KZ Moringen.“

Sprecherin:

Die Kommunistin Anni Pröll war 1936/37 in Moringen inhaftiert:

„Ich hatte schon eine Haftstrafe von 21 Monaten hinter mir, wegen Vorbereitung zum Hochverrat und es war damals schon so üblich, dass die Gestapo die Häftlinge von den Haftanstalten abholten und dann nach Moringen brachten.“

(Musikakzent)

Sprecherin:

Die Zeugin Jehovas Änne Dickmann kam im Herbst 1937 nach Moringen. Hans Hesse hat mit ihr gesprochen:

Hans Hesse:

„Wie ist es denn zu ihrer Verhaftung gekommen?“

Änne Dickmann:

„Ich habe meinen Mann Wäsche gebracht und dabei haben sie mich festgehalten.“

Hans Hesse:

„Warum?“

Änne Dickmann:

„Ja, wir hatten doch vorher 1936 den Offenen Brief verteilt und im Juni 1937 auch einen Brief an die Öffentlichkeit und die wurden bei uns Zuhause zurecht gemacht und aus den verschiedenen Versammlungen wurden sie bei uns abgeholt. Aber wir kannten uns nicht so ganz genau gegenseitig und ich hab wohl ein bisschen Kaffee eingeschenkt und dergleichen und der neben mir gesessen hat, der hat uns nachher verraten. Aber dann wurde er mir gegenübergestellt und da meinte er: ‚Ich weiß nicht, ob sie das ist. Ich meine sie wäre größer und dicker gewesen.’ Und ich habe so getan, ob ich ihn nicht kenne. Ich habe ihn wohl angekuckt und habe mich nicht mehr dran gestört, was er gesagt hat und daraufhin hatten sie keinen Grund mich jetzt vor Gericht zu bringen. Nein, weil sie nicht beweisen konnten, dass ich jetzt wirklich dabei gewesen bin oder dass sie bei uns gewesen waren und da kam ich sofort ins KZ.!

In dem Offenen Brief heißt es auszugsweise:

„Seit vielen Jahren haben wir, Jehovas Zeugen, früher Bibelforscher genannt, in Deutschland unseren Volksgenossen die Bibel und ihre trostreichen Wahrheiten gelehrt und dabei in selbstloser Weise zur Linderung materieller und geistiger Not Millionen verausgabt. Als Dank dafür sind Tausende von Zeugen Jehovas in Deutschland aufs grausamste verfolgt, mißhandelt und in Gefängnisse und Konzentrationslager eingesperrt worden. Trotz größtem seelischen Druck und trotz sadistischer körperlicher Mißhandlung, auch an deutschen Frauen, Müttern und Kindern im zarten Alter, hat man in vier Jahren nicht vermocht, die Zeugen Jehovas auszurotten; denn sie lassen sich nicht einschüchtern, sondern fahren fort, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen, wie es seinerzeit die Apostel Christi auch taten, als man ihnen verbot, das Evangelium zu verkündigen. (…)“

(Musikakzent)

Sprecherin:

In dem Film „Fürchtet Euch nicht“ von Fritz Poppenberg wird über die Verhaftung der Zeugin Jehovas Erna Ludolph berichtet:

‚Und dann sehe ich mit einem Mal auf der Straße zwei Männer stehen. Mit Rädern und da schoss mir durch:´ Die stehen für Dich da. Was machst Du? `Da war ich nicht mehr in der Lage noch ein Haus aufzusuchen und hab erst gedacht: `Fährst Du entgegengesetzt? Nein. Nicht fliehen, dass ist eine unnötige Jagerei. Die sind Dir überlegen. Du fährst geradeaus. Du wirst sehen, entweder stehen sie für Dich da und lässt es an Dich herankommen.’ Entweichen konnte ich nicht und hab den Tatsachen ins Angesicht geschaut. Hieß es von Rad absteigen und hat ich ja noch einige bei mir und jetzt, war ja jetzt in Sichtweite. Und dann wurde ich gefragt, ob ich da oben gewesen wäre. Ja, der Pastor hat Meldung gemacht. Somit wusste ich dann, dass es der Pastor war, der mich da möglicherweise gesehen hat.

Sammeltransport und erster Eindruck in Moringen

Sprecherin:

Die Zeugin Jehovas Änne Dickmann erinnerte sich im Gespräch mit Hans Hesse an den Sammeltransport nach Moringen und an ihren ersten Eindruck vom Frauen-KZ.

Hans Hesse:

„Wann sind Sie denn nach Moringen gekommen?“

Änne Dickmann:

„Im Oktober 1937 über Kassel per Sammeltransport. Zuerst im Gefangenenwagen. Dann habe ich übernachtet in Kassel, wo es sehr sehr schmutzig war. Unglaublich schmutzig.“

Hans Hesse:

„Sie waren nicht alleine?“

Änne Dickmann:

„Nein, es waren mehrere und als wir abends ankamen in Kassel, da waren hohe Betten übereinander. Da lagen welche am Boden im Stroh und da bin ich reingekommen und habe geguckt. … was das hier wohl werden soll. Ich habe mich auch nicht hingelegt und so eine Weile später fragte jemand, wer ich wäre, warum ich da wäre. Da hab ich gesagt: ‚Ich bin ein Zeuge Jehovas.’ ‚Ich auch.’ ‚ Ich auch’. ‚Ich auch.’ Da waren etliche. Und dann kamen wir zusammen nach Moringen.“

Hans Hesse:

„Was war so ganz spontan Ihr erster Eindruck?“

Änne Dickmann:

„Ja, was soll ich da sagen. Man kommt einfach in einen großen Raum, wo schon viele sind, viele Zeugen Jehovas, nich? Alles war eng zusammengepfercht und auf Stühlen oder Kisten lagen Bretter.“

(Musikakzent, länger)

Verpflegung

Sprecherin:

Die Frauen mussten auch verpflegt werden. Jürgen Harder schreibt:

„Das Essen war dürftig. Geprägt von Eintopf und Mangelwirtschaft.“

Sprecherin:

Dies wird auch durch eine Aussage von Anni Pröll bestätigt:

„Ich war dann mit 17 verhaftet, hatte dann wenig zu essen, da braucht man ja auch etwas zum Aufbau und das hatte ich nicht.“

Sprecherin:

Änne Dickmann erzählte, das Essen:

„… schmeckte nach Soda.“

Hans Hesse:

„Konnten Sie sich was zu den Lebensmitteln dazukaufen?

Änne Dickmann:

„Damals ja, wer Geld hatte konnte sich etwas kaufen.“

(Musik-Akzent)

Haftbedingungen

Sprecherin:

Jürgen Harder berichtet weiter über die Haftbedingungen:

„Die Haftbedingungen im KZ Moringen waren noch nicht so schlimm wie in den späteren Vernichtungslagern der späteren Phase. Die Unterbringung der Frauen erfolgte in überfüllten Räumen, die aufgrund der Enge teils klaustrophobische Anfälle bei den Frauen hervorrief. Bedeutete dass die Frauen sehr unter der Enge, unter der steten Präsenz von anderen Menschen litten. Psychisch war es eine sehr schwere Situation für sie. Zu dem kam im Winter erhebliche Kälte. Sie wurden unterm Dach des Gebäudes untergebracht. teilweise konnten sie die Sterne sehen, es schneite herein, die Decken waren nicht ausreichend. In den Zimmern standen Latrinenkübel, die nur einmal ausgeleert wurden am Tag. Im Tagesraum, wo sie den ganzen Tag über sitzen mussten, hatten sie einen festen Platz, den sie nicht verlassen durften. Daraus leitet sich auch der Begriff der sogenannten Lehne ab. Die Stühle der Frauen hatten keine Rückenlehnen, (sondern) sie mussten jeweils Rücken an Rücken sitzen. Die hinter ihr sitzende Frau war die sogenannte Lehne.“

Sprecherin:

Dies erlebte auch Anni Pröll:

„… das war eine sehr starke Beengung. Wir saßen eng nebeneinander, das Lager wurde ja dann zu klein für die vielen Einlieferungen.“

Sprecherin:

Änne Dickmann erinnerte sich gegenüber Hans Hesse::

Hans Hesse:

„Zu wievielt waren Sie da in dem Raum?“

Änne Dickmann:

„70, 80 denke ich.“

Hans Hesse:

„Was waren das für Frauen, mit denen Sie zusammen waren?“

Änne Dickmann:

„Alles, Alte und Junge.“

Hans Hesse:

„Waren das überwiegend ältere Frauen?“

Änne Dickmann:

„Ja, so Mittelalter: 50, 60 waren viele. Es waren auch viele Junge.“

(Musikakzent)


Sprecherin:

Fast alles spielte sich im Tagesraum ab: essen, frisieren, handarbeiten, ausziehen und anziehen.

Die Frauen trugen noch ihre Privatkleidung.

Jürgen Harder:

„In Moringen wurde noch keine Häftlingskleidung getragen. Die Frauen konnten ihre Privatkleidung tragen. Die Häftlingskleidung kam erst in späteren Lagern.“

Täglicher Hofrundgang

Sprecherin:

Wie gesagt: Fast alles spielte sich in den Tagesräumen ab. Doch es gab für die meisten Häftlinge auch einen täglichen Rundgang auf dem Hof.

Jürgen Harder:

„Zweimal am Tag wurden sie für eine halbe Stunde zum Rundgang auf den Hof geführt.“

Sprecherin:

Auch Änne Dickmann nahm an dem täglichen Rundgang teil:

„Ich weiß nur, dass wir immer im Kreis gelaufen sind und ziemlich schnell, damit wir ein bisschen Bewegung hatten.“

Sprecherin:

Nicht jeder durfte an diesem Rundgang teilnehmen:

Jürgen Harder:

„Von Gertrud Keen habe ich hier ein Zitat über ihre Haftzeit in Moringen, worin klar wird, dass ihr selbst der kurze Hofgang verwehrt wird: ‚Und ich bin in der ganzen Zeit, in der ich da war nur einmal rausgekommen. Also ich hab von Moringern gehört, dass sie täglich eine halbe Stunde einen Spaziergang auf dem Hof hatten. Das habe ich nie erlebt. Wir sind nie auf den Hof gekommen. Ich habe diese beiden Räume, nämlich einen Schlafsaal und einen Esssaal -und Aufenthaltssaal habe ich nur gesehen. Ich hab da nichts gesehen, wir haben immer nur zum Fenster rausgekuckt.’“

Sprecherin:

Natürlich gab es auch in Moringen Zwangsarbeit. Allerdings unterschied sie sich in diesem KZ von den späteren Frauen-KZ´s.

Monotonie, Beschäftigung und Arbeitseinsätze

Jürgen Harder:

Der Alltag war besonders geprägt von Monotonie. In der Anfangszeit des KZ Moringen waren kaum Arbeiten vorhanden, da in der Region kaum Betriebe waren, wo größere Mengen von Häftlingen untergebracht werden konnten. Dennoch mussten sie arbeiten und zwar für das Winterhilfswerk Kleidung ausbessern und teilweise Arbeitseinsätze auf den Feldern rundherum in der Landwirtschaft. Diese Arbeiten wurden sogar teilweise als Befreiung empfunden, zumindest 1 oder 2 Std. am Tag aus diesen Räumlichkeiten herauszukommen.“

Sprecherin:

Von dieser Monotonie und Arbeitseinsätzen auf dem Feld berichtet Hilde Faul:

„Für die Bibelforscher (Zeuginnen Jehovas) hat es überhaupt nichts gegeben, überhaupt gar nichts. Sie haben ja noch nicht einmal lesen dürfen. Sie haben ja keine Zeitung gekriegt und nichts. Und für die übrigen Häftlinge nun ja erstens einmal im Sommer waren wir draußen. Wir haben auf dem Feld mitgearbeitet. Ich weiß gar nicht mehr, was da für Schonungen waren. Maulbeerbäume glaube ich waren das. Die mussten gepflegt werden und so weiter. Es gab da Seidenraupenanlagen. So genau weiß ich das auch nicht heute. Es hat viele bei gehabt, die die nicht mehr weiterarbeiten konnten. Und so weiter und unter denen war nämlich auch ich und die halt nicht draußen mitarbeiten konnten, die mussten sich halt drinnen selber beschäftigen. Nein und das haben wir ja auch weidlich gemacht. Wir haben Handarbeiten gemacht und was anders konnten wir ja nicht mehr. Wir haben viel gelesen … die Winterhilfsklamotten, die haben sie dann im Spätherbst gebracht und wir haben schon dran arbeiten müssen.“

Sprecherin:

Später mussten sich die Häftlinge selbst beschäftigen:

Auch Anni Pröll und Änne Dickmann beschäftigten sich selbst:

Anni Pröll:

„Wir konnten noch zusammen sprechen, wir hatten das Leidliche, das wir zu meiner Zeit sehr wenig beschäftigt wurden. Und es waren noch Frauen auf dem Feld draußen zur Feldarbeit eingeteilt, die dann aber auch eingestellt wurde und meine Vorgängerinnen, die hatten noch fürs Winterhilfswerk mit den Kleidern zu tun, aber das wurde dann auch eingestellt. Also für uns Häftlinge gab es dann keine Arbeit. Wir mussten uns oder konnten uns noch mit eigenen Handarbeiten versorgen.“

(Musikakzent)

Änne Dickmann:

„..alles eng zusammengepfercht und auf Stühlen oder Kisten lagen Bretter und saßen wir wie die Hühner auf der Stange den ganzen Tag auf dem Brett und dann wir sind zwischendurch mal in Hof mal um den Baum herum gelaufen. Wir durften Handarbeiten machen. Wir konnten uns Material von zu Hause schicken lassen und durften sie auch wieder zurückschicken.“

Änne Dickmann berichtete aber auch:

„Wir haben auch auswendig dann Bibelsprüche gelernt, ganze Psalmen auswendig gelernt.“

(Musikakzent)

Keine SS-Bewachung

Sprecherin:

Tagsüber wurden die Frauen bewacht.

Anni Pröll bemerkte dazu:

Wir hatten keine SS. Wir hatten nur diese Frauen, die uns bewachten von der NS-Frauenschaft. Wir hatten ziemlich intelligente Frauen auch da und diese Bewachungen, die haben uns eigentlich nichts anhaben können.

Sprecherin:

Abends wurden sich die Frauen selbst überlassen. Dieses nutzten die Frauen auch einmal, um sich zu vergnügen. Hilde Faul erzählte:

Fasching haben wir uns mit die Winterhilfsklamotten einmal alle maskiert, aber erst abends im Schlafsaal, als keine Aufseherin mehr da war, sonst nicht.“

Sprecherin:

Der gemeinsame Schlafsaal befand sich in der oberen Etage. Änne Dickmann und Hilde Faul erzählten:

Änne Dickmann:

„Zum Schlafen waren wir oben.“

Sprecherin:

„Kommunisten, ZJ und SPD waren alle im gleichen Schlafraum?“

Hilde Faul:

„Ja, aber tagsüber die Aufenthaltsräume, die waren getrennt. Da waren die politisch Verfolgten, denn es waren nicht bloß Kommunisten. Wir haben ja auch SPD-Frauen gehabt und später ist ja alles möglich noch dazugekommen: Asoziale und sowas, das hat man ja systematisch dann gemacht, das war später dann. Aber am Anfang waren wir bloß wirklich die SPD-Genossinnen und wir Kommunisten. Das war anfangs und dann später hat sich das irgendwie gemischt und für die Bibelforscher war extra ein Raum da. Und für die jüdischen Häftlinge war auch ein Extra-Raum. Das dürfte es gewesen sein. Und dann war da in Moringen noch ein Raum. Ein Haftraum so als Strafraum.“

Sprecherin:

Über die Zustände in dem Schlafraum schrieb Hanna Elling:

(Zitat Hanna Elling-O-Ton Jürgen Harder): „Die Nächte waren schwer zu ertragen, wir schliefen in je zwei übereinander gestellten Betten unter dem Dach. Der Raum war nicht heizbar und in der Mitte stand ein großer Kübel.“

Gutes Verhältnis untereinander, teilen von Paketinhalten

Sprecherin:

Bei so vielen Menschen auf engsten Raum fragt man sich: Wie war das Verhältnis der Häftlinge untereinander?

Für die Kommunistin Hilde Faul war das kein Problem:

Hilde Faul:

„Sie müssen die Zusammensetzung sehen, damals als ich nach Moringen gekommen bin, da waren wir alles fast nur politische Häftlinge. Und da haben wir drei Genossinnen von der SPD gehabt und die anderen waren alles Kommunisten. Und bei uns war der Kontakt kameradschaftlich. Da hat es überhaupt bei uns keine Diskussion gegeben und wir konnten ja auch von unseren Angehörigen Geld geschickt kriegen nach Moringen und ein Pakete kriegen und das war so selbstverständlich, dass das alles aufgeteilt wurde.

Sprecherin:

Anfangs konnten die Inhaftierten noch Pakete erhalten.

Hilde Faul:

Es waren ja viel Frauen dabei, deren Männer waren in Dachau, die hatten natürlich nie ein Paket oder etwas gekriegt, auch keinen Pfennig Geld, also das ist gut organisiert worden, dass jeder etwas hatte.“

Hilde Faul:

„Ich zum Beispiel alle paar Wochen 3 Mark gekriegt, das war damals ein Haufen Geld für meine Leute. Und habe alle 14 Tage ein Paket gekriegt.“

„Ja, das war erst später nicht mehr drin. In diesem Fall unterscheidet sich ja Moringen grundsätzlich von den nachfolgenden Lagern. Und da hatten wir eine Kameradschaft, wirklich kameradschaftliche Verhältnisse hatten wir da.


Sprecherin:

Auch die Zeugin Jehovas Änne Dickmann bestätigte, dass der Inhalt der Pakete geteilt wurde.

„Ja die nächste Gemeinschaft hat dann immer was abgekriegt“.

(Musik)

Gruppenidentität und Solidarität

Sprecherin:

Unter den Häftlingen gab es eine starke Gruppenidentität und Solidarität.

Jürgen Harder:

„Ja, die Gruppe der Zeugen Jehovas zeichnete sich durch eine starke Gruppenidentität aus, die für das Überleben in den Lagern unabdingbar war. Ähnliche Verhaltensweisen oder eine ähnliche Gruppenidentität lässt sich bei den politischen Häftlingen zum Beispiel finden.

Sprecherin:

Dies bestätigt die Kommunistin Anni Pröll:

„Im Bayernsaal hatten wir ein gutes solidarisches Verhältnis untereinander. Eine hat der anderen geholfen und auch wenn jemand traurig war, dort konnte man sich aussprechen, untereinander, das hat vielen in Moringen geholfen.

Ich saß ja im Bayernsaal, dort waren auch Frauen, die Mündnerinnen, Sie waren wegen ihren Männern drin, die auch sich politisch eingesetzt hatten, die teilweise in Dachau oder anderswo waren. Und es war so bei der Frau Maria Götz von München, deren Mann war in Dachau schon getötet worden. Also es waren für uns Zustände, dass wir uns gegenseitig getröstet haben, das wir einen ganz starken Zusammenhalt hatten. Und ich war damals eine der Jüngsten. Ich glaube als ich eingeliefert wurde, sogar die Jüngste und wurde von den Frauen sehr betreut.“

(Musikakzent)

Selbstmordversuche

Sprecherin:

Einige Frauen kamen mit der gesamten Situation nicht zurecht.

Über sie sagt Jürgen Harder:

„Aber die physische Situation der Frauen war anscheinend sehr bedrückend. So gab es mehrere Selbstmordversuche, wo wir allerdings nicht genau wissen wie viele davon erfolgreich waren.“

(Musik-Akzent)

Sprecherin:

Die inhaftierten Frauen litten unter der Trennung von den Familien.

Wie kamen aber die Familien ohne die Mütter aus?
Wer kümmerte sich zum Beispiel um die Kinder?

Katharina Thoenes und ihre zurückgelassene Famile

Katharina Thoenes war 1936/1937 in Moringen.
Sie war eine Zeugin Jehovas oder Bibelforscherin, wie man die Zeugen Jehovas damals nannte. Katharina Thoenes war Mutter von einem Sohn.

Hans Thoenes antwortete mir auf die Frage, wer sich um ihn gekümmert hat:

Hans Thoenes:

„Ich erinnere mich, dass viele leibliche Schwestern meiner Mutter, sich um uns
kümmerten. Aber da Vater ja auch schon von Krupp entlassen war, weil er ein Zeuge
Jehovas war und keinen Beitrag zur deutschen Arbeitsfront leisten wollte, war es uns ja möglich, unsere eigenen Angelegenheiten, in Ordnung zu bringen. Sooft habe ich wohl kaum Sozialarbeiter des damaligen Systems bei uns gesehen, die nachforschen wollten, ob ich gut behandelt würde, ob ich mein eigenes Zimmer habe und ob ich regelmäßig mein Essen bekäme.“

Sprecherin:

Hat er sich als Kind von seiner Mutter vernachlässigt gefühlt, weil sie nicht bei ihm war?

Hans Thoenes:

„Solange ja mein Vater zu Hause war, haben wir wohl sehr viel darüber gesprochen, was wohl mit Mutter sein würde, aber mein Vater war ebenfalls ein treuer Zeuge Jehovas, der ja auch zuletzt in Buchenwald im KZ war. Er hat schon immer wieder darauf hingewiesen, dass wir mit Aggression zu rechnen haben und das wir einfach versuchen müssen, mit diesen Problemen fertig zu werden. Was die Vernachlässigung betrifft, natürlich als 9 oder 10 Jähriger vermisst man die Mutter. Aber das war ja nicht Schuld der Mutter, sondern der Behörden.“

(Musikakzent)

Sprecherin:

Die Zeuginnen Jehovas verweigerten Arbeiten für das Winterhilfswerk auszuführen. Hugo Krack, der Lagerdirektor verhängte deshalb eine Post- und Paketsperre für die Zeuginnen Jehovas.

Der Historiker Jürgen Harder berichtete über die Strafen im KZ-Moringen:

In Moringen wurden noch keine Körperstrafen im Sinne der späteren Konzentrationslager angewandt, jedoch waren die Strafen sehr wirksam. Es wurde Isolationshaft angewendet sprich einzelne oder auch Gruppen von Frauen wurden von ihren Zusammenhängen getrennt und meist verbunden mit Essensentzug, Post- und Paketsperre, sowie Kontaktsperre und Geldsperre, in Einzelzellen im Keller untergebracht. Die Geldsperre hatte in sofern noch eine Bedeutung, da man im Lager in der Anfangszeit noch etwas dazu kaufen konnte und damit die karge Kost aufbessern konnte. Die Post- und Paketsperre, sowie die Kontaktsperre wurden als eine der härtesten Strafen empfunden. Teils über Monate wurde diese Strafe aufrecht erhalten, d.h. die Angehörigen, als auch die Frauen selbst erfuhren nichts von Schicksal des anderen. So kamen Briefe von Angehörigen ins Lager, in dem sich die Person über den Verbleib Ihrer Mütter und Geschwister erkundigten. Der Lager Direktor Hugo Krack meinte darauf in der Regel nur, den Frauen ginge es gut. Sie hätten sich der Lagerordnung widersetzt und würden deswegen in Isolationshaft gehalten.

Sprecherin:

Die Kommunistin Hilde Faul erinnerte sich an eine Postsperre für die Zeuginnen Jehovas:

„Eines Tags sind sie ja gekommen und haben uns ja Winterhilfsklamotten gebracht. Das heißt, das was gesammelt worden ist von der Bevölkerung , die alten Kleider und Sachen und die mussten umgeändert werden oder mussten ausgebessert werden. … Ob sie gewaschen werden mussten … dass weiß ich nicht mehr, kann mich nicht mehr so erinnern. Aber auf jeden Fall war es dann so, dass die Bibelforscherinnen das abgelehnt haben und zwar, weil das mit eine militärische Handlung sein kann, irgendwie haben sie es damit begründet. … So wie ich es in Erinnerung habe, hätten auch die Bibelforscherinnen Strümpfe bzw. Herrensocken stricken sollen. Und ist dann die Frage kommen: Für wen sind die Herrensocken? Für das Militär. Und das haben sie abgelehnt. Für das Militär machen sie nichts und daraufhin hat man sie dann isoliert. Man hat sie in etwa schon bestraft, sie haben mit uns kein Hofgang mehr gehabt, sondern getrennt von uns und haben, ich glaube sogar, sie haben keine Pakete mehr kriegen dürfen. Mit dem Geld wird es genauso gewesen sein, aber das kann ich nicht genau behaupten. Dadurch war ja auch praktisch der Kontakt zu den Bibelforschern unterbrochen.

Sprecherin:

Auch für Katharina Thoenes galt die Post- und Paketsperre. Hans Thoenes und sein Vater waren über das Schweigen der Mutter beunruhigt und wandten sich an den Lagerdirektor Hugo Krack.

Mit Hans Thoenes sprach ich über die Postsperre:

Hans Thoenes:

„Ja, das stimmt. Denn einige Wochen vorher hatte mein Vater schon versucht über die Lagerleitung zu erfahren, was wohl mit meiner Mutter geschehen sei und aufgrund dessen, dass wir keine Nachricht bekamen, habe ich nochmal in ähnlicher Weise einen Brief an die Lagerleitung geschrieben, der wie Sie ja sagten in dem Buch von Herrn Hesse veröffentlicht worden ist. In etwa antwortete mir der Herr Krack, dass den Zeugen Jehovas  eine Postsperre auferlegt worden sei, sodass sie keinen Kontakt mit ihrem Angehörigen zu Hause pflegen konnten. Denn bis dahin war es ja noch möglich, den Gefangenen Pakete oder Geld zuzuschicken.“

Sprecherin:

Ich habe gelesen, dass er Sie als Kind gesiezt hat. Wie haben denn Sie auf diesem Brief reagiert?

Hans Thoenes:

„Also, wenn ich das heute noch wüsste, also in direkt haben wir uns nur angeschaut, mein Vater und ich, weil wir jetzt erst einmal wussten, dass die Mutter noch lebte. Eine Reaktion? Es war einfach schockierend für uns, dass er nicht persönlich auf diesen Brief eingegangen ist, sondern nur einfach mitteilte, was ich Ihnen eben schon sagte.“

(Musik)

Sprecherin:

Katharina Thoenes hatte rötliches Haar. Es ist daher anzunehmen das Hilde Faul von ihr sprach, als sie berichtete:

“Aber da war eine Frau dabei, die muss aus Nordrheinwestfalen gewesen sein. Eine stattliche Frau. Sie hatte rötliches Haar und die hat uns immer Mordsvorträg gehalten. Na ja gut, dass war ihre Sache. Über ihre Religion usw., aber darum hat es keine Diskussionen gegeben. „

Der Historiker Matthias Kuse berichtet über das Verhältnis des Lagerdirektors Hugo Krack zu Katharina Thoenes:

„Mit Katharina Thoenes hat er einen regelrechten Kampf ausgefochten. Über sie schrieb Krack ausgesprochen negative Führungsberichte, und er hat überdies noch ihren Mann bei der Gestapo angezeigt.

Sprecherin:

Katharina Thoenes kam im Februar 1937 aus dem KZ-Moringen nach Moers zur Gerichtsverhandlung.
Nach der Verhandlung kam sie zurück nach Moringen.
Sie unterschrieb am 19.6.1937 eine der vielen Varianten der Verpflichtungserklärungen.
Nun wurde sie aus dem KZ-Moringen entlassen.
Anschließend musste sie ihre 10-monatige Haftstrafe im Zuchthaus absitzen.

Sie kam erst im Mai 1938 wieder nach Hause.
Ihr Sohn Hans wurde bereits im Februar 1938 aus der Schule verschleppt und in eine Erziehungsanstalt gebracht.
Katharina Thoenes hatte sich von ihrem Glauben nicht abgewandt, trotz Unterschrift einer Verpflichtungserklärung.
Sie wurde noch einige Male verhaftet und kam später in das KZ-Ravensbrück.
Sie überlebte.

Katharina Thoenes und ihr Sohn Hans waren erst im Frühjahr 1945 wieder vereint.

(Musikakzent)

Sprecherin:

Katharina Thoenes hatte eine Verpflichtungserklärung unterschrieben.
Was hatte es mit diesen Verpflichtungserklärungen auf sich?

Jürgen Harder erklärt:

„Bei den besagten Verpflichtungserklärungen handelte es sich in der Anfangszeit der Konzentrationslager zunächst lediglich um ein Formblatt, welches von jedem Schutzhäftling unerheblich welcher Kategorie bei der Entlassung aus dem Lager unterschrieben werden musste. In der Regel unterschrieben auch die Zeugen Jehovas zu dieser Zeit noch die ihnen vorgelegten Erklärungen, da sie im Text des Formblattes keinen Widerspruch zu ihrem Glauben sahen. Der Text der … Verpflichtungserklärung lautete anfangs folgendermaßen:

‚Ich verpflichte mich nach meiner Entlassung aus der Schutzhaft mich jeder umstürzlerischen staatsgefährdenden Tätigkeit zu enthalten. Ich bin darüber belehrt, dass ich keine Ersatzansprüche gegenüber dem Staat aufgrund der erfolgten Inschutzhaftnahme habe.’ In gerade zynischerweise fährt dieses Formular fort: ‚Falls meine Sicherheit bedroht erscheint, kann ich mich freiwillig in politische Haft begeben.’ Hierauf erfolgt die Ortsangabe des jeweiligen KZ sowie Datum und Unterschrift des Häftlings.

Ab Ende 1937 wurde dieser allgemeinen Floskel bei der anstehenden Entlassung von Zeugen und Zeuginnen Jehovas eine weitere Erklärung beigefügt, in welcher eine völlige Abkehrung von ihrer Glaubensgemeinschaft gefordert und auf die zu erwartenden Konsequenzen eingegangen wurde, falls sie weiterhin ihre religiöse Überzeugung leben wollten. Aus einer formalen Erklärung, die bis auf wenige Ausnahmen anfangs viele Häftlinge bei seiner Entlassung aus dem KZ ohne schwerwiegende Bedenken unterschrieben, wurde eine Loyalitätserklärung gegenüber dem Staat und seinen Forderungen. Mit diesen Änderungen von Inhalt und Zweck des Verpflichtungsscheins veränderte sich hierzu auch die Einstellung der Zeugen und Zeuginnen Jehovas, so dass sie künftig in der Regel die Unterschrift verweigerten.“

Sprecherin:

Die Zeugin Jehovas Änne Dickmann sagte im Gespräch mit dem Historiker Hans Hesse:

Hans Hesse:

„Als sie verhaftet wurden, hat man Ihnen da eine Verpflichtungserklärung vorgelegt?“

Änne Dickmann:

„Ja, eben was ich vorher schon sagte. Da habe ich gesagt: „Kommt nicht in Frage.
Wenn man gesagt hat: ‚Ich bin und bleibe ZJ.’ Dann war die Sache erledigt.“

(Musikakzent)

Sprecherin:

Es gab auch Entlassungen aus dem Frauen-KZ Moringen.

Matthias Kuse schrieb seine Magisterarbeit über die Entlassungen in Moringen. Er erklärte:

„So etwas wie einen schriftlich fixierten Katalog von Gründen, wann ein Häftling wieder entlassen werden konnte, gab es für die Konzentrationslager nicht. Die Schutzhaft sollte die Leute ja gerade durch ihre Unbestimmtheit verunsichern und in Schach halten.

Das übliche Procedere der Schutzhaft war, dass nach der Festnahme nur noch eine Bestätigung durch die Gestapo nötig war, um den Festgenommenen erst einmal für drei Monate im Lager verschwinden zu lassen. Diese drei Monate konnten dann jeweils um nochmals drei Monate verlängert werden und immer so weiter. Die Verlängerung oder Aufhebung der Schutzhaft hing von dem Haftprüfungstermin ab, zu dem der Lagerkommandant einen Führungsbericht an die einweisende Gestapostelle und an das Gestapoamt in Berlin anzufertigen hatte. In Berlin wurde dann letztlich entschieden ob und wer entlassen werden sollte. Oder bei wem die KZ-Haft verlängert werden sollte.

Bei den Entlassungen einiger des Gefangenen spielte auch die Unterschrift unter einen Verpflichtungsschein eine Rolle, mit der er versichern sollte, dass er sich nicht mehr staatsfeindlich betätigen würde oder dass er sich von seiner Glaubensgemeinschaft distanziere.“

Entlassungsgründe

Sprecherin:

Es gab zum Beispiel Entlassungen aufgrund eines Himmler-Besuches.
Die Kommunistin Anni Pröll erzählte:

„Ich bin im Juni 1937 entlassen worden. Und zwar war da der Himmler [gemeint ist Heinrich Himmler] da und der hat ein bisschen gefilzt. Der Direktor Krack hat mich (aus)geschimpft, weil ich eine freche Antwort gegeben hab(e) und hat er gemeint, ich sollte Himmler, um meine Entlassung bitten. Aber er ist mit anderen Frauen, die vor mir befragt worden sind, so schrecklich umgegangen. In mir hat sich alles verschlossen und ich war dann natürlich etwas widerspenstig. Aber trotzdem hat meine Entlassung dann draufgestanden.“

Sprecherin:

Einige jüdische Frauen wurden entlassen, wenn sie sich verpflichteten auszuwandern:

Hierzu Matthias Kuse:

„Die jüdischen Frauen, die im Lager waren, waren überwiegend sogenannte Remigrantinnen, die Deutschland schon einmal verlassen hatten. Sie waren meist aus persönlich-familären Gründen oder auch, weil sie auf Dauer kein Exil im Ausland fanden, nach Deutschland zurückgekehrt. Diese Häftlingsgruppe stand gewissermaßen unter dem Generalverdacht sich im Ausland deutschfeindlich zu betätigen. Ab Januar 1935 wurden solche Personen verhaftet und als sogenannte „Schulungshäftlinge“ ins Lager eingewiesen. Die Situation für diese Frauen verschärfte sich noch einmal ab 1937, als die Auswanderung aus Deutschland zur Bedingung für die Entlassung gemacht wurde.“

Sprecherin:

Grundlage für alle Entlassungen waren die Beurteilungsschreiben des Lagerdirektors Hugo Krack.
Über die Beurteilungsschreiben oder Führungsberichte sagte Jürgen Harder:

„Die erwachsenen Frauen wurden in Anlehnung an die Einteilung der Jugendlichenfürsorgezöglinge in den Besserungsanstalten und Heimen vom Direktor in verschiedene Kategorien eingeordnet. Hierbei unterschied er zwischen Bibelforscherinnern von denen er keine Erfolgsaussicht für eine Schulung sah und anderen bei denen durch seine Bemühungen ein Gesinnungswechsel erwartet werden konnte. So plädierte er beispielsweise für die Verlängerung einer Bibelforscherin in seinem Lager, da sie trotz guter Führung noch fanatisch an ihren religiösen Überzeugungen festhielt und sich bisher noch keine Besserung bei der Frau gezeigt hatte. Ich zitiere: „Die hier untergebrachte Schutzhaftgefangene Hermina K. – ich habe hier anonymisiert – hat sich bisher im Lager gut geführt. Sie hängt aber noch fanatisch den Ideen der IBV an. Ich kann daher ihre Entlassung noch nicht befürworten.“ Wie auch den meisten anderen Beamten der verschiedenen Verfolgungsinstanzen blieb dem Leiter des Frauen-KZ in Moringen die religiöse Motivation der Verweigerung der Zeuginnen und Zeugen Jehovas völlig unverständlich, da sie nicht in die Kategorie der politischen Ideologie des Nationalsozialismus einzuordnen waren. So sah der Lagerleiter Hugo Krack in der Beharrlichkeit mit der viele Bibelforscherinnen an ihrem Glauben festhielten Anzeichen einer Geisteskrankheit, die in seiner Institution nicht behandelt werden konnte. Von daher hielt er es in besonders hartnäckigen Fällen, die Unterbringung von Frauen in Nervenheilanstalten für sinnvoller, so auch im Fall von Frau K. Ihre Entlassung aus dem KZ, da er sie, ich zitiere ‚für religiös, geistig verwirrt’ hielt.“

(Musik)

Sprecherin:

Nicht immer waren die Führungsberichte so negativ.
Es gab auch einige Zeuginnen Jehovas, die sich von ihrem Glauben lossagten. Über eine solche Zeugin Jehovas schrieb Hugo Krack (zitiert von Matthias Kuse):

„Sie hat sich von den Ideen der IBV (Bibelforscher, heute Zeugen Jehovas) vollkommen losgesagt, sie verspricht sich in Zukunft völlig auf den Boden des nationalsozialistischen Staates zu stellen. Sie will den deutschen Gruß anwenden und an Luftschutzübungen teilnehmen, sowie ihre sonstigen vaterländischen Pflichten erfüllen.“

(Musikakzent)

Lagerdirektor Hugo Krack

Sprecherin:

Wer war Hugo Krack?

Matthias Kuse berichtete:

Hugo Krack war ursprünglich Lehrer, vor seinem Wechsel nach Moringen bekleidete er in Clausthal-Zellerfeld eine Rektorenstelle und er verfügte über sozialpsychologische Kenntnisse. Das scheint auch einer der Gründe dafür gewesen zu sein, dass er im Jahr 1930 zum Direktor des Provinzial-Werkhauses Moringen ernannt wurde, das man landläufig als „Arbeitshaus“ bezeichnet.

Seit 1919 gehörte er der Deutschen Demokratischen Partei an, für die er sich auch als Wahlkämpfer engagiert hat.
Dann wurde 1933 auf Veranlassung der hannoverschen und Hildesheimer Innenbehörden in einem Teil des Arbeitshauses ein Konzentrationslager eingerichtet. Zunächst nur für männliche Gefangene, und hier stand Krack zwar das Hausrecht zu, er hatte jedoch keinerlei „Befehlsgewalt“ über die Gefangenen. Das änderte sich erst, nachdem das Männer-KZ wieder aufgelöst worden war und zum Ende des Jahres 1933 – ebenfalls in einem separaten Teil des Arbeitshauses – ein ‚Frauenkonzentrationslager’ eingerichtet wurde, dessen Leitung ausschließlich ihm unterstand.“

Sprecherin:

Jürgen Harder bemerkt:

Hugo Krack war ein aus der wilhelminischen Tradition stammender Beamter, der die rigiden Erziehungsmaßnahmen der Nationalsozialisten durchaus befürwortete … Er sah sein Lager als eine Art Erziehungslager. Mit den Strafen sollte ein Erziehungserfolg erzielt werden, d.h. die Frauen sollten sich von ihrer jeweiligen Ideologie sprich politisch oder auch religiös lösen, um sie dann in die sogenannte Volksgemeinschaft wieder eingliedern zu können. Ob und in wie weit diese Erfolge haltbar oder nachweisbar waren, steht auf einem ganz anderen Blatt. Viele der Frauen, die entlassen worden sind, beteiligten sich später wieder an Widerstandaktionen unter den Bedingungen der Illegalität und kamen mit unter auch wieder in Haft. Nicht wenige von ihnen kamen in dieser Zeit ums Leben.“

Sprecherin:

Matthias Kuse bemerkt auch:

„Hugo Krack hat sich eigentlich immer als Zivilist verstanden, und unterschied sich damit deutlich von dem einschlägigen Bild eines „typischen“ KZ-Kommandanten. „Zivil“ ist er auch im KZ-Lager Moringen aufgetreten. Krack war kein Nationalsozialist. Er ist „erst“ im Mai 1933 der NSDAP beigetreten, das war verhältnismäßig spät. Darüber hinaus war er Mitglied in der eher unbedeutenden Reiter-SA. Salopp formuliert: Er hat sich nicht „überschlagen“, was sein Engagement in der NS-Bewegung betraf.

(Bild: Grab von Hugo Krack auf dem Moringer Friedhof)

Es wäre falsch, wollte man aus ihm einen Mann des Widerstands machen. Das war er ganz sicher nicht. Allerdings hat er sich für eine Reihe von Gefangenen, vor allem des Frauen-KZ, eingesetzt, indem er versucht hat, ihnen bei der Entlassung aus dem Lager behilflich zu sein.

Er war sehr sozial beeinflusst von den Ideen Friedrich Naumanns.“

(Musikakzent)

Grab Hugo Krack

Sprecherin:

Die Kommunistin Hilde Faul sagte über Hugo Krack:

„Er hat sich uns gegenüber jedenfalls tolerant verhalten, wenigstens soweit wie ich das einschätze. Es gibt natürlich andere, die sagen: „Uns gegenüber war er nicht so tolerant.“ Das glaube ich ohne weiteres. Aber ich kann da nichts dagegen … nichts darüber sagen. Und die Bibelforscher, die werden nicht so begeistert gewesen sein, dass sie dann abgeschirmt worden sind von den anderen und nicht mehr einkaufen konnten und halt so eine Behinderung gehabt haben. Sie haben keine Post mehr kriegen dürfen und haben eine Zeit lang keine Post mehr rausgeben dürfen. … Für uns war auch mal eine Postsperre. Ich glaube, dass war sogar in dem Zusammenhang, dass weiß ich aber nicht.“

Sprecherin:

Hilde Faul sagte auch:

„Er war ja Direktor. Er ist zu uns gekommen und hat uns seine Befehle erteilt, … Er hat mit uns gesprochen, was grade im Moment angefallen ist. Und ich kann mich noch erinnern, dass er mal gekommen ist und hat gesagt: „ Wie ist dies? Ich hab einen Anschnauzer von der Gestapo Berlin bekommen und ein Häftling hat gesagt: `Was wollen Sie denn mit Moringen, der Direktor, der macht doch sowieso alles, was die Gefangenen wollen´.“ So ähnlich sinngemäß. Und da er sich dann bei uns beschwert, ob er da schon irgendwie uns schon zunahe getreten ist. Aber das war ja nicht der Fall. Sie müssen das anders sehen, der Krack, der war ein alter Beamter und die alten Beamten, die waren nicht so, wie die Faschisten. Der Krack, der war mehr so deutsch-national, so etwas war der mehr, ich weiß es nicht, aber ich nehme es an, so aus seinem ganzen Ding und so hat er auch gehandelt, also wenig willkürliche Akte. So wie in den übrigen KZ das war das nicht der Fall. Nein, sondern er hat wirklich seine Vorschriften (gehabt ? undeutlich).“

Sprecherin:

Matthias Kuse bemerkt auch:

„Für das Frauen-KZ sind mindestens zwei Fälle belegt, in denen er die Sterilisierung von Frauen vorgeschlagen hat. Auch in seiner Eigenschaft als Direktor des Arbeitshauses hat er mehrere Anträge auf die Sterilisation von Anstaltsinsassen gestellt, was offenbar zur Praxis solcher Einrichtungen gehört hat. Auch Krack scheint dieser Praxis nicht grundsätzlich abgeneigt gewesen zu sein.“

Sprecherin:

Der Historiker Dr. Hans Hesse schreibt in seinen Forschungsergebnissen über das KZ-Moringen über Hugo Krack:

„Bei allem darf jedoch nicht vergessen werden, dass Hugo Krack, der zwar nicht als überzeugter Nazi gelten kann und sicherlich nicht in einer Reihe mit den KZ-Kommandanten gesehen werden darf, sich mit dem NS-System zu arrangieren versuchte, wie viele seiner Zeitgenossen damals. Er tat dies an verantwortlicher Stelle. Darin besteht seine Mitschuld.“


Sprecherin:


Es bleiben noch einige Fragen offen.
Doch die Antworten hat Hugo Krack mit ins Grab genommen.

(Musikakzent)

Nach Auflösung des Frauen-KZ Überstellung in andere KZ´s

Hans Hesse:
Im Dezember 1937 begann dann die Lagerleitung das Frauen-KZ Moringen aufzulösen.
Die Frauen kamen in ein größeres KZ: die Lichtenburg in Thüringen.

(Musikakzent)

Sprecherin:

Das Leiden hatte für die Frauen dadurch kein Ende. Im Gegenteil.

Hierzu Matthias Kuse:

„1938 wurde das Frauenkonzentrationslager Moringen geschlossen und die gefangenen Frauen kamen in das KZ Lichtenburg, das für etwa ein Jahr bis zur Inbetriebnahme des KZ Ravensbrück das zentrale Frauen-KZ war. Unter den Frauen, die dorthin verlegt wurden, befand sich auch eine Reihe von Zeuginnen Jehovas. Die Lebensbedingungen im KZ Lichtenburg waren sehr viel schlechter als in Moringen – nicht zuletzt, weil die Bewachung dort von der SS übernommen wurde. Verschiedene Zeuginnen Jehovas sind noch vor der Verlegung entlassen worden, viele befanden sich aber noch im Moringer Lager und wurden dann mit den übrigen Frauen ins KZ Lichtenburg geschickt. Ein Grund dafür, dass relativ viele Zeuginnen Jehovas in das KZ Lichtenburg überstellt wurden war, dass sich die Verfolgungspolitik während dieser Zeit explizit gegen die Zeugen Jehovas richtete.“

Sprecherin:

Hilde Faul erinnerte sich an eine Zeugin Jehovas:

„Die Esther ist mir bis heute ein Begriff, weil die von Fürtau (?) war. Die Esther war bis so an die Dreißig damals und wie man mir dann später erzählte, haben sie die umgebracht, aber ich weiß nicht genau, ob das in Ravensbrück war. … Ich weiß bloß, dass die Gestapo sie richtig als Beispiel gebraucht hat.“

KZ Moringen als Grundlage für spätere KZ´s

Sprecherin:

Moringen kann als Grundlage für spätere KZ´s betrachtet werden.
Jürgen Harder bemerkt dazu:

„Moringen wird vielfach in der historischen Forschung nicht weiter betrachtet, aber es wird dabei vergessen, dass für sehr viele Frauen besonders in früheren Lagern, den Anfangspunkt einer langjährigen Verfolgung darstellt. In Moringen wurden Grundlagen gelegt, die später in anderen Lagern wie Lichtenburg und Ravensbrück weiter verschärft und weiter differenziert wurden. So etwa das Spitzelsystem, das Haftsystem und das Beurteilungssystem.“

(Stimmen und Verkehr)

Sprecherin:

Moringen. Auf den ersten Blick eine ganz normale Kleinstadt.
Bei näherem Hinsehen stellt man fest:
Moringen hat eine ungewöhnliche Geschichte. Mitten in der Stadt befanden sich zwischen 1933 und 1945 nacheinander drei Konzentrationslager.

Leider gibt es nur noch wenige lebende ehemalige KZ-Inhaftierte. Die KZ-Gedenkstätte Moringen erarbeitet deshalb ständig andere Formen der Geschichtsvermittlung zur Erinnerung an die drei Konzentrationslager.

Das Leiden dieser Männer, Frauen und Jugendlichen darf nie vergessen werden.

(Musik)

© Ingeborg Lüdtke

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Hilde Faul-Gerber gestorben 2013

https://www.zwischenfaelle.radio-z.net/feature/hilde-faul-gerber

Anni Pröll gestorben 28.05. 2006

https://www.frauen-im-widerstand-33-45.de/biografien/biografie/proell-anna

Katharina Thoenes verstorben

https://www.archiv-vegelahn.de/index.php/jehovas-zeugen/geschichte/17306-thoenes-katharina

Erna Ludolph verstorben 26.09.2004

https://www.gedenkstaette-moringen.de/ort-geschichte/frauen-kz

https://www.gedenkstaette-moringen.de/ort-geschichte/allgemein

Hesse, Hans, Das Frauen-KZ Moringen 1933-1938, hg. von der Lagergemeinschaft und KZ-Gedenkstätte Moringen, Göttingen 2000, 2. Aufl. Hürth 2002. S.127-133.

https://www.bpb.de/themen/holocaust/erinnerungsorte/503014/kz-gedenkstaette-moringen

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Heinrich Mühlhausen: Biografie

Der Stolperstein wurde am 3. Februar 2025 in Benterode, Gemeinde Staufenberg, Am Ring 8 verlegt.

Heinrich Mühlhausen wurde am 13. Mai 1905 in Benterode als jüngstes von vier Kindern geboren. Seine Eltern, der Fabrikarbeiter Johann Heinrich Justus Mühlhausen und Sophie Löwermann, hatten am 20. April 1890 geheiratet und sich in Benterode niedergelassen. Heinrich und seine älteren Geschwister Eduard (1894), Karl (1896) und Minna (1899) wurden im evangelisch-lutherischen Glauben erzogen.

Ab 1911 besuchte Heinrich die Schule in Benterode, die er 1919 im Alter von 14 Jahren erfolgreich abschloss. Zu dieser Zeit tobte der Erste Weltkrieg und sein Bruder Karl fiel am 15. November 1917 als Soldat in Flandern. So lernte Heinrich schon mit 12 Jahren ganz persönlich die hässliche Seite des Krieges kennen.

Bild: Heinrich Mühlhausen (Privatbesitz Koch)

Was er in den Jahren 1919 bis Anfang 1927 beruflich machte, ist nicht bekannt. Heinrich wollte gerne Lehrer werden, aber da ein Studium für ihn nicht möglich war, entschied er sich für eine Laufbahn bei der Polizei. Am 11. Mai 1927 begann er seine Ausbildung als Polizeianwärter an der Polizeischule in Hann. Münden.

Nach bestandener Abschlussprüfung am 30. März 1928 trat er am 1. April 1928 in den Polizeidienst bei der Preußischen Polizei in Kassel ein. Dort war er die nächsten sechs Jahre als Polizeiwachtmeister tätig.

Bild: Heinrich Mühlhausen als Schutzpolizist (Privatbesitz Koch)

Ende der zwanziger Jahre kam Heinrich durch die Tante seiner späteren Frau Minna Kraft mit den Lehren der Bibelforscher – wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden – in Berührung. Was er in den intensiven Bibelgesprächen mit Tante Elli Gobrecht aus Speele lernte, gefiel ihm sehr. So entschloss er sich 1931 im Alter von 26 Jahren, selbst Zeuge Jehovas zu werden. Auch Minna Kraft war vom Glauben ihrer Tante angetan. Dieses gemeinsame Interesse brachte die beiden einander näher.

Schließlich heirateten Heinrich und Minna am 13. Mai 1933, und das junge Ehepaar bezog eine Wohnung in der Tannenstraße 15 in Kassel.

Bild: Heinrich und Minna Mühlhausen bei einem Betriebsausflug der Polizei Anfang der 1930er Jahre (Privatbesitz Koch)

Im gleichen Haus wohnte Julius Hochgräfe, der damalige Gemeinde-leiter der Zeugen Jehovas in Kassel. Die beiden verband bald eine tiefe Freundschaft. Durch diese enge Verbindung zu Julius Hochgräfe, der schon früh ins Visier der Gestapo geriet, zog Heinrich ebenfalls die Aufmerksamkeit auf sich. In einer Liste des Sicherheitsdienstes des SS Oberabschnitts Fulda-Werra vom Juli 1937 finden sich neben vielen anderen aus der Kasseler Gemeinde auch die Namen von Heinrich und Minna Mühlhausen.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Tätigkeit von Jehovas Zeugen in Deutschland ab April 1933 schrittweise eingeschränkt. Unter den damit verbundenen Schikanen und Repressalien hatten auch Heinrich und Minna Mühlhausen zu leiden. Vor allem für Heinrich wurde es immer schwieriger, politisch neutral zu bleiben. Aus Gewissensgründen verweigerte er den Hitlergruß, den Eid auf den Führer und den Dienst mit der Waffe. Schließlich wurde er am 1. April 1934 wegen seiner religiösen Einstellung als Zeuge Jehovas aus dem Polizeidienst entlassen.

Nach seiner Entlassung mussten Heinrich und seine Frau ihre Wohnung in Kassel aufgeben. Sie zogen zurück nach Benterode und wohnten bei Minnas Eltern August und Luise Kraft – damals in der Dorfstraße 51 (heute: Am Ring 8). Heinrich und Minna setzten sich weiterhin für ihre Überzeugung ein. Auch das reichsweite Verbot der Tätigkeit der Zeugen Jehovas am 1. April 1935 änderte nichts an ihrer Haltung. Für Heinrich war es deshalb schwierig, eine feste Anstellung zu finden, und er hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. So arbeitete er beim Autobahnbau in der Nähe von Kassel und half zeitweise in der Landwirtschaft auf Gut Ellenbach.

Im November 1936 kam dann das einzige Kind – die Tochter Christa – auf die Welt.

Am Abend des 14. Mai 1938 fand eine Hausdurchsuchung statt und Heinrich wurde festgenommen. Gleichzeitig wurde auch sein Freund Karl Meyer (*25. Mai 1877 in Bevern) aus Speele verhaftet. Nach zwei Tagen Haft im Landgerichtsgefängnis Göttingen wurden sie am 17. Mai 1938 der Gestapo Hildesheim überstellt.

Am 19. Mai 1938 erfolgte die Überführung in das Konzentrationslager Buchenwald. Wenige Tage später, am 31. Mai 1938, wurden Heinrich und Karl gemeinsam zur Vernehmung in das Polizeipräsidium Hannover gebracht. Die Rücküberstellung in das KZ Buchenwald erfolgte am 25. Juni 1938. Beide wurden nun der Häftlingskategorie „Bibelforscher“ zugeordnet, weshalb sie den lila Winkel tragen mussten.

Seine Familie in Benterode wusste fast ein Jahr lang nicht, wo er war und ob er überhaupt noch am Leben war. Heinrich verbrachte zwei Monate in der Strafkompanie. Das bedeutete schwerste körperliche Arbeit in den Steinbrüchen, sieben Tage die Woche. Dieser Arbeitseinsatz war so hart, dass viele Häftlinge das nicht überlebten. Immer wieder musste Heinrich mit ansehen, wie Menschen um ihn herum durch die grausame Behandlung der SS starben. Später berichtete er über diese Zeit, dass er durch die schwere Arbeit und die mangelhafte Ernährung völlig entkräftet zusammenbrach.

Moritz Zahnwetzer, ein politischer Häftling aus Sandershausen, war ebenfalls einige Jahre im KZ Buchenwald inhaftiert. In seinem Buch über diese Zeit schildert er den brutalen Lageralltag. So berichtet er, dass sein Überleben oft davon abhing, dass seine Kameraden ein gutes Wort für ihn einlegten. Mehr als einmal sorgten sie dafür, dass er eine andere Arbeit bekam. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass auch Heinrich nur durch die Fürsprache seiner Freunde überlebt hat. Denn nach seinem Zusammenbruch erhielt er eine neue Arbeit im Häftlingsmagazin. So konnte er sich ein wenig erholen. Dort blieb er bis Ende 1943.

Danach war er im Arbeitskommando „25a“ eingesetzt. Es wird vermutet, dass es sich um eine Tätigkeit in der „Lager-Apotheke“ handelte. Vermutlich versorgten die dort eingesetzten Häftlinge das Lazarett mit Medikamenten, sofern welche vorhanden waren.

Postkarte mit Christa Koch auf dem Schlitten (Privatbesitz Koch)

Als Karl Meyer am 24. April 1939 entlassen wurde und nach Speele zurückkehrte, konnte er Minna endlich berichten, was mit Heinrich geschehen war. Ein Mitglied der Familie Zahnwetzer machte daraufhin Fotos von der Familie und druckte sie als Postkarten. So konnte man Heinrich Bilder seiner Tochter zukommen lassen. Diese Postkarten brachte er bei seiner Befreiung mit nach Hause. Einige davon befinden sich noch im Besitz der Familie.

Sieben Jahre in dieser menschenverachtenden Umgebung und unter der brutalen Behandlung konnten Heinrich nicht von seiner Überzeugung abbringen. In einem Vermerk der Kommandantur des KZ Buchenwald heißt es über ihn: „Der Schutzhäftling ist nach wie vor hartnäckiger Bibelforscher und weigert sich, von der Irrlehre der Bibelforscher abzulassen.“

Aus dem Zeitzeugenbericht seines Mithäftlings Johannes Rauthe geht zudem hervor, dass er im Lager die heimliche Vervielfältigung von biblischen Schriften für die Mitgefangenen unterstützte.

Sein starker Glaube und seine feste Überzeugung halfen ihm durch diese schweren Jahre.

Nach der Befreiung des Lagers durch die US-Armee im April 1945 wurde Heinrich am 6. Mai 1945 entlassen und konnte nach Benterode zurückkehren. Die Amerikaner, die damals in Benterode stationiert waren, spendierten einen Eimer Pancake-Teig und Vanilleeis, damit Heinrich seine Heimkehr mit Familie und Freunden feiern konnte.

Nachdem er sich von den Strapazen einigermaßen erholt hatte, übernahm er bald die Leitung regel-mäßiger Bibelgespräche im Wohnzimmer seiner Schwiegereltern. Und am 25. November 1945 konnte er sich endlich als ein Zeuge Jehovas taufen lassen – 14 Jahre, nachdem er sich für diesen Lebensweg entschieden hatte.

Frei über seinen Glauben sprechen zu können und sich mit anderen zu versammeln, war ihm für den Rest seines Lebens sehr wichtig.

Vom 25. September 1946 bis zu seiner Pensionierung arbeitete er als Postfacharbeiter bei der Deutschen Bundespost in Kassel.

Viel zu früh verlor er seine geliebte Frau durch den Tod. Am 25. Februar 1956 starb Minna nach einer Operation an einer Embolie. Im Alter von nur 50 Jahren war er Witwer geworden. Zwei Jahre später fand er sein spätes Glück mit der Witwe Emilie Elfriede Littmann. Am 14. Juni 1958 heirateten sie in Escherode.

Anfang der 1970er Jahre erkrankte Heinrich schließlich an Darmkrebs, an dessen Folgen er am 27. Oktober 1974 verstarb. Bis zuletzt galt er als positiver Mensch, der trotz seiner traumatischen Erlebnisse nie verbittert war.

(c) Copyright Katja Seitz, Marcus Herrberger

Quellen:

  • Individuelle Häftlingsunterlagen, KL Buchenwald, Akte Heinrich Mühlhausen, geb. am 13.05.1905/ 01010503 001.350.354/ ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
  • Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, HHStAW, 342, Nr. 1181, Wiedergutmachungsakte.
  • Niedersächsisches Landesarchiv, Abteilung Wolfenbüttel.
  • Kammler, Jörg: „Ich habe die Metzelei satt und laufe über…“, Kasseler Soldaten zwischen Verweigerung und Widerstand (1939-1945), Fuldabrück 1985, S. 144-146.
  • Rauthe, Johannes, Geschichtsbericht, Calw 1973, Jehovas Zeugen Archiv Zentraleuropa, Selters/Ts.
  • Zahnwetzer, Moritz: „KZ Buchenwald: Erlebnisbericht“, Kassel 1946.
  • Mündener Allgemeine Nr. 22/2023, Artikel vom 26.01.2023: „Er überlebte die Hölle“.
  • Kassel-West e.V., Verfolgte Zeugen Jehovas, in: vorderer-westen.net, https://www.vorderer-westen.net/geschichte/stadtteilgeschichte/verfolgte-zeugen-jehovas, letzter Zugriff: 12.01.2025.

Besonderer Dank für die Unterstützung bei den Recherchen geht an:

René Emmendörffer (Archiv – Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora)

Stefan Lochner (Bibliothek – Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora)

Brigitte Junghardt (Niedersächsisches Landesarchiv, Wolfenbüttel)

Vanessa Kühne (Landkreis Göttingen, Kreisarchiv Osterode)

Frank Hartmann (Standesamt Staufenberg)

Marcel Spohr (Ortsheimatpfleger Benterode)

Marc Brunning (Gemeideheimatpfleger Staufenberg)

Die Verlegung des Stolpersteins am 3. Februar 2025 erfolgte mit der freundlichen Unterstützung von „Stolpersteine in Kassel e.V.“.

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Stolpersteinverlegung für Heinrich Mühlhausen

Am 3. Februar 2025 wurde für den in der NS-Zeit als Zeuge Jehovas (Bibelforscher) verfolgten Heinrich Mühlhausen in Staufenberg-Benterode, Am Ring 8 ein Stolperstein verlegt.

Dies ist die in der Gemeinde Staufenberg (Krs. Göttingen) erstmalige Verlegung eines Stolpersteines durch den Künstler Gunter Demnig.

Unter den ca. 114 Anwesenden befanden sich neben der Tochter Christa Koch, Enkelinnen, Ur-Enkel*innen, Ur-Ur-Enkel*innen u.a. auch die Ortsbürgermeisterin von Benterode Kerstin Schönebach-Wagner, der stellvertretende Landrat Sebastian Bornmann, Klaus Brocke, der Vorstand des Vereins Stolpersteine in Kassel, lokale Historiker und Nachbarn.

Die einleitenden und abschließenden Worte sprach Marcel Seitz, der sich mit seiner Frau Katja mit Unterstützung von „Stolpersteine in Kassel e.V.“ für die Stolpersteinverlegung maßgeblich eingesetzte.

Jared Zeuch, der Ur-Enkel von Heinrich Mühlhausen, hat seinen Ur-Großvater nicht mehr kennen gelernt, da dieser kurz vor seiner Geburt verstarb. Jared Zeuch berichtete aufgrund der von Katja Seitz und Marcus Herrberger zusammengestellten Biografie (Text nachlesbar unter https://www.radio-uebrigens.de/?p=3607 über die Lebensgeschichte seines Ur-Großvaters.

Anschließend erfolgte durch den Künstler Gunter Demnig die eigentliche Stolpersteinverlegung.

Klaus Brocke, der Vorstand des Vereins „Stolpersteine in Kassel“ las den auf dem Stolperstein stehenden Text vor: „Hier wohnte Heinrich Mühlhausen, Jahrgang 1905, Zeuge Jehovas, verhaftet 14.5.1938, KZ Buchenwald, befreit“.

Zum Abschluss spielte die Ur-Ur-Enkelin Natalie Bores das Lied „Als Volk vereint“.

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80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

Meinen Reisebericht über die Studienfahrt nach Auschwitz kann man nachlesen unter https://www.radio-uebrigens.de/?p=2783

Einen weiteren Beitrag zu medizinischen Versuchen an Augen aus dem KZ Auschwitz findet man unter https://www.radio-uebrigens.de/?p=126

KZ Auschwitz
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85. Jahrestag der Ermordung August Dickmanns

August Dickmann wurde am 15.9.1939 als erster Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Gründen von den Nationalsozialisten im KZ Sachsenhausen hingerichtet.

August Dickmann (29 J) wurde am 15.10.1936 aufgrund einer Anzeige wegen Verbreitung illegaler Schriften in Dinslaken verhaftet. Das Landgericht Duisburg verurteilte ihn am 13.01.1937 zu einem Jahr Gefängnis wegen illegaler Betätigung für die Internationale Bibelforscher Vereinigung (Zeugen Jehovas). Nach Verbüßung der Haftstrafe wurde er in „Schutzhaft“ genommen und in das KZ Sachsenhausen überstellt. Nach Kriegsbeginn übersandte ihm seine Frau den Wehrpass zur Unterschrift. Er weigerte sich diesen zu unterschreiben. Als Grund gab er an, dass er niemals als Soldat im Krieg Menschen töten werde.

Gedenkveranstaltung: Sachsenhausen

Anlässlich des 85. Jahrestages der Ermordung von August Dickmann wurde am 15.9.2024 die Ausstellung „Standhaft trotz VerfolgungJehovas Zeugen unter dem NS-Regime“ in der Gedenkstätte Sachsenhausen eröffnet. Auf 33 Text- und Bildtafeln wird die Verfolgungsgeschichte der seit 1933 verbotenen Religionsgemeinschaft in der Zeit des Nationalsozialismus berichtet.

Zwischen 1936 und 1945 waren über 890 Zeugen Jehovas im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Sie bildeten eine eigene Häftlingsgruppe und wurden durch einen lilafarbenen Winkel auf der Häftlingskleidung gekennzeichnet.

Die Gedenkfeier begann durch einleitende Worte von Enrico Heitzer (Gedenkstätte Sachsenhausen) und Carsten Loth (Zeugen Jehovas).

Einleitung von Enrico Heitzer

Enrico Heitzer machte darauf aufmerksam, dass die Erschießung von August Dickmann von Heinrich Himmler angeordnet wurde. Eine Gerichtsverhandlung habe nicht stattgefunden. In einigen deutschen Zeitungen und im Rundfunk sei die Erschießung bekannt gegeben worden. Als Grund der Hinrichtung wurde zum einen seine „Weigerung seine Pflicht als Soldat zu erfüllen“ genannt, sowie seine Zugehörigkeit zur Religionsgemeinde der Zeugen Jehovas (damals auch Bibelforscher genannt).

Auch im Ausland habe man von der Ermordung Notiz genommen. Die New York Times habe am 17.9.1939 darüber unter der Überschrift „Germans execute objector to war“ berichtet.

Die Ermordung von August Dickmann habe nicht nur eine Bedeutung in der Geschichte der Zeugen Jehovas, sondern auch darüber hinaus für den Werdegang des nationalistischen Terrorregimes. Sie stände damit am Anfang der Radikalisierung der Verfolgungspraxis des sogenannten „Dritten Reiches“.

In der Gedenkstätte Sachsenhausen sei Ende September 1999 anlässlich des 60. Todestages von August Dickmann ein Gedenkstein eingeweiht worden.

Einleitende Worte von Carsten Loth

Carsten Loth (Sprecher, Zeugen Jehovas) wies daraufhin, dass die Ausstellung „Standhaft trotz VerfolgungJehovas Zeugen unter dem NS-Regime“ ein Zeugnis eines beeindruckenden gesellschaftlichen Engagements sei. Es hätte sogar Einfluss auf die Gestaltung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gehabt. Die Erfahrungen der Vergangenheit würden die Gefahren der Gegenwart verstehen helfen.

Musikalisches Rahmenprogramm

Als musikalischer Rahmen der Veranstaltung wurden zwei Lieder gespielt. Eines der Lieder trug den Titel „Vorwärts Ihr Zeugen“. Es wurde von Erich Frost

im KZ komponiert. Nach Kriegsausbruch befand auch er sich im KZ Sachsenhausen. Das Interview mit Erich Frost (verstorben) über Entstehungsgeschichte des Liedes wurde eingespielt. [Anm.: anhörbar unter: https://collections.ushmm.org/search/catalog/irn719265 ]

Referat Dr. Hans Hesse

Der Historiker Dr. Hans Hesse begann sein Referat mit einer Passage aus dem Roman „bis auf weiteres…“ von Valentin Schwan (Pseudonym für Hans-Otto Körbs, Kommunist). Hans-Otto Körbs war eine Zeit lang im KZ Esterwegen und danach ebenfalls im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Er wurde bereits im Dezember 1938 entlassen.

Interessant ist die im Buch enthaltene Unterhaltung zwischen dem Kommandanten in Esterwegen und einem Bibelforscher (Zeuge Jehovas) noch vor Kriegsausbruch. Der Bibelforscher erklärte mutig, dass er auch im Falle eines Krieges das Gebot „Du sollst nicht töten“ beachten werde. Der Kommandant drohte ihm, dass er mit dem Tod rechnen müsse, sollte er sich im Kriegsfall, weiterhin weigern.

Hans Hesse wies auf die Parallele zwischen der Romanpassage und der tatsächlichen Erschießung von August Dickmann wegen Kriegsdienstverweigerung im KZ Sachsenhausen hin.

Insgesamt seien mindesten 282 Zeugen Jehovas als Kriegsdienstverweigerer ermordet worden.

Einer von denen, die das Todesurteil erhielten, sei Horst Schmidt. Er habe im Zuchthaus Brandenburg-Görden auf seine Hinrichtung gewartet. Am 20.4.1945 seien 28 Männer hingerichtet worden, auch die Mithäftlinge in seiner Zelle. Er habe überlebt [Anm.: er wurde wenige Tage später von der Roten Armee befreit].

Auch Emmy Zehden, die Adoptivmutter von Horst Schmidt, sei wegen Wehrkraftzersetzung in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden. Sie habe zwei Kriegsdienstverweigerern geholfen, sich zu verstecken. Die Straße, die zur Hinrichtungsstätte in Berlin Plötzensee führt, sei in „Emmy-Zehden-Weg“ benannt worden. Außerdem gäbe es in Berlin-Spandau für Horst Schmidt und seine Adoptiveltern Stolpersteine.

Ein weiterer Zeuge Jehovas, der den Kriegsdienst verweigert habe, sei Gustav Stange. Dieser habe nicht überlebt. Vor seinem Tod sei er mehrfach vom Stuttgarter Stadtpfarrer Rudolf Daur in der Haft besucht worden. Nach der Hinrichtung habe sich dieser veranlasst gefühlt der Witwe einen Brief zu schreiben. Er habe erklärt, dass er die Ansicht ihres Mannes zwar nicht ganz teilen würde, aber sich mit ihm „im tiefsten Innern verbunden“ fühle. Er habe der Witwe auch von der Kriegsgerichtsverhandlung berichtet. In der Verhandlung sei ihr Mann gefragt worden, was denn wäre, wenn alle Menschen den Kriegsdienst verweigern würden. Er habe geantwortet, dass dann der Krieg gleich zu Ende wäre.

Hans Hesse erinnerte daran, dass in der Nachkriegszeit die Erinnerung an die Kriegsdienstverweigerer und deren Schicksal in der NS-Zeit noch sehr präsent war. Dies sei in die Diskussionen um das Grundgesetz eingeflossen.

Der spätere Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes sei von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) am 30.11.1948 in der Sitzung des Grundsatzausschusses eingebracht worden. Der Artikel lautet: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden, das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“

Das Thema Kriegsdienstverweigerung sei aber schon viel früher in dem Ausschuss behandelt worden. Der SPD-Abgeordnete Hans Wunderlich habe sich für eine individuelle Kriegsdienstverweigerung ausgesprochen. Er führte an, dass er miterlebt habe, wie man mit den Ernsten Bibelforschern (Zeugen Jehovas) im Dritten Reich umgegangen sei. Sie seien „reihenweise“ erschossen worden; sie seien aber mit großer Tapferkeit für ihre Glaubensüberzeugung gestorben.

Hans Hesse sieht hier die Verknüpfung der Idee eines im Grundgesetz zu verankerndem Recht auf Kriegsdienstverweigerung mit der NS-Verfolgung der Zeugen Jehovas.

Kriegsdienstverweigerer hätten eine herausragende Rolle in der Gedenklandschaft zur NS-Verfolgung der Zeugen Jehovas gespielt. Von den aktuell ca. 390 verlegten Stolpersteinen für Zeugen Jehovas sind ca. 15% den kriegsdienstverweigernden Zeugen Jehovas gewidmet. Die ersten legal verlegten Stolpersteine seien in Österreich für die beiden Kriegsdienstverweigerer Johann und Matthias Nobis verlegt worden.

In Österreich sind von den Stolpersteinen für Zeugen Jehovas 70% für kriegsdienstverweigernde Zeugen Jehovas verlegt worden.

Durch diese Erinnerungsform an Kriegsdienstverweigerer sei längst nicht alles gut, denn Kriegsdienstverweigerung sei kein historisches Problem.

In der DDR habe es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gegeben. Auch heute sei es für Kriegsdienstverweigerer nicht einfach. Kriegsdienstverweigerer aus der Ukraine und Russland bekämen in Deutschland nicht automatisch einen Asylstatus.

In Ländern wie z.B. Russland, Eritrea oder Aserbaidschan wäre eine Kriegsdienstverweigerung nahezu unmöglich.

Für die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl wäre es ein bedeutsames friedenspolitisches Signal, wenn alle, die sich dem Einsatz im Krieg verweigern, auch Schutz und Asyl erhalten würden.

Für Hans Hesse habe das Deutschland nach 1945 die richtigen Schlussfolgerungen aus den grausamen Verfolgungen der Kriegsdienstverweigerer, zu denen die Zeugen Jehovas gehören, gezogen. Das heutige Deutschland hingegen täte sich schwer damit, diese Schlussfolgerungen den aktuellen Entwicklungen anzupassen und umzusetzen.

Hans-Joachim Rehwald

Im weiteren Verlauf der Veranstaltung berichtete Hans-Joachim Rehwald, der Sohn von Josef Rehwald, dass zwei seiner Onkel durch die Nazis hingerichtet worden seien. Eine Tante, sei an den Folgen der Haft gestorben und ein Onkel habe den Todesmarsch überlebt. Sein Vater sei im April 1939 in das Konzentrationslagern Sachsenhausen überstellt worden. Er habe bei der Hinrichtung August Dickmanns zusehen müssen.

In einem Video-Interview [Anm.: Transkript eines ähnlichen Interviews, Auszug, Genehmigung Fritz Poppenberg] kam der Augenzeuge Josef Rehwald (verstorben) selbst zu Wort. Er berichtete eindrücklich von der Erschießung August Dickmanns.

Hans-Joachim Rehwald bedauert zu wenig bei seinem Vater nachgefragt zu haben. Aus der Verfolgungsgeschichte seines Vaters habe er die Lehre gezogen, dass es möglich sei, für seine religiös motivierte Haltung mit allen Konsequenzen einzustehen. Dies setze eine persönliche Verantwortung vor Gott voraus.

Am Ende der Veranstaltung wurde die Ausstellung „Standhaft trotz Verfolgung“ eröffnet.

© Ingeborg Lüdtke

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Weiterführende Links:

https://alst.org/aktuelles/gedenken-zum-85-jahrestag-der-erschiessung-august-dickmanns/ https://www.youtube.com/watch?v=nS9kIly1B0c

Christoph Wilker
judenhelfer.dex

Kommentar: Radio Übrigens ist eine prägnante und aussagekräftige Zusammenfassung der bedeutenden Veranstaltung zum 85. Jahrestag der Ermordung des Zeugen Jehovas August Dickmanns vom 10.10.2024 in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen gelungen. Der Leser kann sich in relativ kurzer Zeit einen guten Überblick über Ablauf und Inhalt der Gedenkveranstaltung und den dieser zugrundeliegenden historisch bedeutenden Ereignisse machen. Aus seiner christlichen Überzeugung als Zeuge Jehovas widerstand August Dickmann mutig den Forderungen des NS-Terror-Regimes. Dr. Hans Hesse erweiterte in seiner Ansprache den Kreis der mutigen Zeugen Jehovas der NS-Zeit um Namen wie Gustav Stange und Horst Schmidt.
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Gedenkstätte „Roter Ochse“ in Halle/Saale

Reisebericht vom 29. April 2024

Der Zug soll um 7.06 h abfahren. Als ich auf den Bahnsteig komme, steht der Zug schon 10 Minuten früher zum Einsteigen bereit. Ich deute dies als gutes Zeichen dafür, dass ich meinen Anschlusszug mit ca. 11 Minuten Zeit zum Umsteigen erreichen werde. Die Abfahrt verzögert sich durch einen vorausfahrenden Zug um 5 Minuten.

Während der Fahrt geht eine weibliche Servicekraft durch die Abteile und fragt, ob jemand Kaffee wünscht. Sie schenkt heute zur Bestellung ein Croissant dazu.

Wir erhalten beim Hauptbahn Braunschweig keine Einfahrtserlaubnis. Als wir endlich weiterfahren, ist mein Anschlusszug bereits abgefahren. Der Bahnmitarbeiter an der Info erklärt mir, dass der nächste durchgehende Zug um 9.10 h fährt. Dadurch habe ich eine Stunde Aufenthalt.

In der Bahnhofshalle sehe ich einen Mann und zwei Frauen mit zwei JW.org-Trolley´s stehen. Ich spreche sie an. Es stellt sich heraus, dass das Ehepaar und die junge Frau sich auch erst heute kennengelernt haben. Der Mann erzählt mir, dass er in Namibia geboren wurde und als Weißer zum Schluss wegen der Rassenunruhen gefährlich gelebt hat. Er sei deshalb nach Deutschland gekommen, wo seine Tochter lebt. Hier sei es sicherer als in Namibia. Seine Frau erzählt mir, dass es gefährlich war, die Kinder als Weiße allein in die Schule zu schicken. Sie hätten ihre vier Töchter immer zur Schule gefahren und auch abgeholt.

Bis kurz vor der Abfahrt des nächsten Zuges setze ich mich noch in den abgetrennten Wartebereich und lese. Dieser Zug hat nur 5 Minuten Verspätung. Das macht nichts, da ich ja keinen Anschlusszug erreichen muss.

Ankunft und Fußmarsch zur Gedenkstätte „Roter Ochse“

Gegen 10:50 h bin ich in Halle am Hauptbahnhof. Die benötigte Linie 7 der S-Bahn fährt nicht direkt am dem Hauptbahnhof Halle ab. Das Tagesticket ist nur über eine mir unbekannte Bezahl-App zu erhalten. Ich entschließe mich deshalb zu Fuß zur Gedenkstätte zu gehen. Laut dem Google-Routenplaner werden 38 Minuten veranschlagt.

An einer Häuserwand lese ich deutsche Sprichwörter wie: „Schönheit liegt im Auge des Betrachters.“ „Man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben.“ Wie wahr.

Mein Weg führt mich am Landesgericht vorbei. Es ist ein riesiges sehr edel verziertes Gebäude mit Türmen. Rechts sehe ich auch das Fahnenmonument (Flamme der Revolution)

Eigentlich hätte ich weiter Richtung Theater gehen müssen, biege aber in die Große Steinbreite ab. Ein Schild zeigt nach rechts in Richtung Jugendherberge. Gleich auf der Straßenecke steht das schöne historische Stadtbad. Mir fällt schnell die Widersprüchlichkeit in Halle auf: Schöne alte Gebäude reihen sich an Neubauten oder Gassen führen zu alten renovierungsbedürftigen Häusern.

Mehrmals frage ich nach dem Weg und zeige meinen Stadtplanauszug. Ich bezweifle, dass man mich immer richtig führt. Bei der S-Bahnstation „Am Steintor“ sagt mir eine Dame, dass ich zu weit weg wäre und wieder per S-Bahn zurückfahren solle. Ich laufe dann bis zum Park vor dem Theater zurück. Irgendwann sehe ich dann auch Hinweisschilder zur Gedenkstätte.

Bei der Moritzburg (schöne trutzig wirkende Burg) sind die vielen Hinweisschilder verwirrend. Zur Gedenkstätte geht es angeblich auf der rechten Seite über ein eingezäuntes Grundstück weiter. Irgendein Witzbold hat das Schild etwas verdreht. Ich entschließe mich erstmal den Berg hinunterzugehen und wechsle die Straßenseite. Ich frage einen Mann nach dem Weg. Er sagt, dass ich hier zwar weitergehen könne, aber ich könne auch wieder nach oben gehen und dann in die erste Straße links einbiegen. Diese Variante scheint mir die sicherste zu sein. Leider zieht sich der Weg noch hin. Eine Dame versichert, dass es nicht mehr weit sei, wenn ich links in die Straße „Am Kirchtor“ einbiegen würde.

Aus dem Gebäude, das zur JVA gehört, kommen eine ältere Frau und eine Jugendliche heraus. Die ältere Frau spricht mich und fragt, ob ich aus Halle wäre und wüsste, wo es einen Bankautomaten gäbe. Da kann ich leider nicht weiterhelfen. Stattdessen frage ich, ob sie auch zur Ausstellung wollen. Sie antwortet: „Wir warten noch auf (einen) Besuch um 13 h.“ Da ich vermute, dass der Eingang dort ist, wo die beiden herauskamen, klingele ich. Die Dame an der Sprechanlage schickt mich noch ca. 25 m weiter bis zur Glastür, dem korrekten Eingang.

Es ist inzwischen sehr warm geworden, wärmer als vorausgesagt.

Statt 38 Minuten habe ich eine ganze Stunde für den Fußweg benötigt. Auf diese Weise habe ich aber auch Teile der Stadt gesehen, die man sonst nicht sieht.

Da die Gedenkstätte bis 14 h geöffnet ist, habe ich noch zwei Stunden Zeit.

Dauerausstellung in der Gedenkstätte „Roter Ochse“

Zunächst interessiert es mich, was es mit es mit dem Namen „Roter Ochse“ auf sich hat und wozu die Haftanstalt im Laufe der Jahre benutzt wurde.

Auf der Webseite der Gedenkstätte „Roter Ochse“ liest man:

„Die Haftanstalt »Roter Ochse« in Halle diente ab 1933 der Internierung politischer Gegner des nationalsozialistischen Regimes. Von 1942 bis 1945 vollstreckte die nationalsozialistische Justiz hier auch Todesurteile. Nachdem von 1945 bis 1950 Sowjetische Militärtribunale abgehalten wurden, nutzte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR Teile des Gebäudekomplexes. Die Gedenkstätte »Roter Ochse« wurde im Februar 1996 eröffnet.“ (Quelle: Landesportal Sachsen-Anhalt)

Die Herkunft des Namens „Roter Ochse“ ist unklar. Es wird vermutet, dass es sich auf die Farbe des Mauerwerkes des Gebäudes bezieht.

Ich beginne den Rundgang im Erdgeschoss.

In einigen Ausstellungsräumen hängen links und rechts große Informationstafeln, die zusammengeschoben sind. Man kann die Tafeln einzeln herausziehen.

Die Ausstellung berichtet vom Beginn des Machtwechsels im Jahre 1933 bis zur Zeit des zweiten Weltkrieges. Anfangs wurden Personen, die dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstanden in sogenannte „wilde“ Schutzhaftlager eingewiesen. Besonders gefährdet waren Funktionäre der KPD, SPD, Gewerkschafter und Demokraten. Auf der Tafel erwähnt werden Fritz Drescher (SPD) und Adolf Herbst (SPD).

Ab Juni 1933 wurden die Inhaftierten der „wilden“ Schutzhaftlager in das KZ Lichtenburg/Torgau inhaftiert. „Wilde“ Schutzhaftlager gab es in Halle nicht mehr.

Schon im Frühjahr 1933 verbüßten zahlreiche politische Gegner und aus rassischen oder religiösen Gründen Verfolgte im „roten Ochsen“ eine mehrjährige Gefängnis- und Zuchthausstrafe. Zu diesen Verfolgten gehörten Kurt Just (Jude), Otto Gomann (Sinti/Roma) und Rudolf Auschner (Zeuge Jehovas damals Bibelforscher genannt).

Ab Herbst 1935 wurden zu Zuchthausstrafen verurteilte Männer in den „Roten Ochsen“ eingeliefert. Es gab auch eine Untersuchungshaftabteilung. 1938 befanden sich 790 Gefangene in der Haftanstalt: Politische, Kriminelle und Kriminalisierte. Durch neue Gesetze konnte man schon wegen kleineren Delikten oder Gesetzesübertretungen zu unverhältnismäßigen hohen Strafen verurteilt werden. Wer zum Beispiel während der Verdunkelungsmaßnahmen gegen Bombenangriffe Diebstähle beging, konnte zum Tode verurteilt werden. Auch das Abhören eines ausländischen Feindsenders und das Verbreiten der gehörten Nachrichten konnte zum Tode führen.

Seit Kriegsbeginn wurden Ausländer eingeliefert. Ab Herbst 1942 wurden zum Tode Verurteilte eingeliefert und hingerichtet. Ende März 1945 gab es auch Frauen im Zuchthaus.

Ein Teil der Gefangenen arbeitete gegen einen sehr geringen Lohn in den Werkstätten der Anstalt: Schlosserei, Tischlerei, Schneiderei, Schuhmacherei, Sattlerei, Schriftsetzerei, Druckerei, Buchbinderei, Briefumschlagfertigung und Stempelbetrieb. [Im unterem Bereich der Ausstellung kann man noch einige der Werkstätten ansehen.]

In Außenkommandos arbeiteten einige Gefangene beim Bau von Schleusen im Steinbruch oder bei Bombenräumungsarbeiten.

Entlassungen aus dem Zuchthaus

Es gab auch Entlassungen, allerdings mussten sich die Gefangenen noch überlängere Zeit bei der Polizei melden. Andere Häftlinge wie KPD- und SPD-Funktionäre und Zeugen Jehovas wurden nach ihrer Entlassung wieder in „Schutzhaft“ genommen und später in ein Konzentrationslager gebracht.

Häftlinge im Krieg eingesetzt

Die neugegründete Bewährungstruppe 999 der Wehrmacht sollte es den Gefangenen ermöglichen ihre Wehrwürdigkeit zurück zu erhalten. Am 29.2.1944 wurden 50 Häftlinge des „Roten Ochsen“ dorthin eingezogen.

Sondergericht Halle

In jedem Oberlandesgerichtsbezirk gab es ein Sondergericht. Am dem 13. April 1933 fanden die ersten Verhandlungen in Halle statt.

Die Sondergerichte unterschieden sich erheblich von den „ordentlichen Gerichten“. Sie konnten ihre Urteile schneller vollstrecken, auch war eine Berufung unmöglich. Es gab keine gerichtliche Voruntersuchung, das Verfahren konnte sehr kurzfristig angesetzt werden, die Zulassung von Verteidigern und Entlastungszeugen konnte abgelehnt werden.

Während des zweiten Weltkrieges verhängte das Sondergericht Halle fast 100 Todesurteile.

Todeszellen

Einige ehemalige Todeszellen sind begehbar. Sie sehen alle gleich aus. Geradeaus befindet sich ein Fenster mit Sprossen. Bei einer Zelle kann man an der Wand noch an zwei Stellen, die Originalwand sehen. In einer der Todeszellen hängt ein Bild mit zwei alten Frauen, die wegen Diebstahls hingerichtet werden sollten. Glücklicherweise wurden die beiden noch rechtzeitig von den Amerikanern befreit.

Eine der Hinrichtungsstellen weist von außen darauf hin, dass hier Audiodateien eingesetzt werden. Der Raum ist etwas abgedunkelt. Ich kann die ersten Geräusche nicht einschätzen und höre dann immer wieder eine männliche Stimme sagen: „Es sind Menschen, es sind Menschen.“

Ich frage mich: „Wie abgestumpft mussten die Scharfrichter (Henker) sein, um sehr viele Menschen hinzurichten zu können? Wussten sie, welche Straftaten die Verurteilten begangen hatten? Hatten sie keine Gewissensbisse jemanden zu töten, der lediglich etwas gestohlen hatte?“

Die erklärende Tafel zu dem „Klangraum“ lese ich erst später. Es soll den Herzschlag der Todeskandidaten anzeigen, so wie einen Dialog des Gewissens. Viele Fragen werden aufgeworfen, wie zum Beispiel: „Was unterscheidet einen Henker von einem Mörder? Wofür würde man selbst töten? Darf der Staat im Namen der Gerechtigkeit selbst töten?“

Hinrichtungsstätte

In einem riesigen Raum mit zwei zugestellten Türen an der linken Seite ist am Ende des Raumes noch ein Teilstück des Original-Fußboden der Hinrichtungsstätte zu sehen. Ein Gully und eine Abflussrinne für das Blut sind auf den historischen Pflastersteinen vorhanden.

Ich bin dankbar, dass hier keine Guillotine aufgestellt ist. Die einfache Andeutung für den Todesort und die Todesart reichen völlig aus.

Scharfrichter

In einem anderen Raum behandeln die Infotafeln die Hinrichtungsstätte und die Scharfrichter.

In einer Glasvitrine steht ein Stuhl (von insgesamt vier Stühlen), den die Gefangenen für den Scharfrichter Alfred Roselieb angefertigt haben.

Der erste Gefangene wurde am 23. November 1942 hingerichtet. Bis April 1945 töteten drei Scharfrichter und ihre Gehilfen über 500 Verurteilte.

Oft wurde der Beruf des Scharfrichters über Generation von derselben Familie ausgeführt. Nur von Ernst Reindel ist bekannt, dass er seinen Beruf aufgab.

Dies war aber keine Reaktion aufgrund von Gewissensbissen, sondern aus steuerlichen Gründen und auch weil er sich mehr um seine Abdeckerei (Tierkörperbeseitigungsanstalt) kümmern wollte.

Nachkriegszeit: Verurteilung und Hinrichtung

Mehrere Scharfrichter und ihre Gehilfen des Zuchthauses Halle wurden von der sowjetischen Besatzungsmacht interniert oder von der deutschen Justiz in der Nachkriegszeit angeklagt.

Ernst Reindel und weitere Scharfrichter oder Scharfrichtergehilfen wurden durch ein sowjetisches Militärtribunal am 17. Juni 1945 zum Tode verurteilt.

Bestattungen

Gerichte bestimmten, was mit den Leichen der Hingerichteten passieren sollte. Zum Teil wurden sie eingeäschert und in Grabstellen des Gertraudenfriedhofes in Halle beigesetzt.

Einige Leichen wurden den Anatomischen Instituten der Universitäten Halle und Jena zu Lehr- und Forschungseinrichtungen übergeben.

Sonderausstellung „Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas 1933-1945“.

Im 1. Stock befindet sich noch bis zum 17.Mai 2024 die Sonderausstellung „Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas 1933-1945“.

Im Treppenhaus (Treppenpodest) steht ein Gedenkstättenmitarbeiter mit einem jungen Pärchen.

Ich biege in den linken Zellengang ab und gehe in die erste linke Zelle. Die Zellentür ist royalblau. Da ich doch relativ kaputt bin und die Texte auf Tafeln unter der Decke hängen, setze ich mich auf den Hocker und lese. Ich höre Stimmen im Gang. Plötzlich fällt die Zellentür laut ins Schloss. Da die Zelle aber durch die Ausstellungsräume noch einen anderen Ausgang hat, mache ich mir keine Sorgen.

Wie mag wohl den damaligen Gefangenen zu Mute gewesen sein, wenn die Tür in laut ins Schloss krachte und es keinen anderen Ausgang gab? Sicher fragten sie sich: „Wie wird es nun weitergehen? Werde ich jemals wieder freikommen?“–

Kurze Zeit später wird die Tür wieder geöffnet und der Gedenkstättenmitarbeiter und das Pärchen kommen herein. Ich sage zu ihm: „Ich dachte schon, Sie wollen mich einsperren.“ Er sieht mich sichtlich irritiert und sprachlos an. Der Mitarbeiter setzt kurze Zeit danach seine Erklärungen fort und verlässt mit dem Pärchen die Zelle.

Offener Protest gegen die Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes

Die ersten Info-Tafeln informieren über Protest-Aktionen der Bibelforscher (wie die Zeugen Jehovas damals genannt wurden) gegen die Verfolgungsmaßnahmen der NS-Regimes. Einzelne Protestaktionen und die durchführenden Personen werden genannt.

Am 9. Februar 1934 sandte der Leiter der Weltzentrale der Zeugen Jehovas in New York, Joseph F. Rutherford, einen Protestbrief an Adolf Hitler. Er forderte ihn auf die Verfolgung einzustellen und falls bis zum 24. März 1934 von Seiten der Regierung nichts getan würde, würden Zeugen Jehovas in anderen Ländern über die ungerechte Behandlung berichten.

Da die Zeugen Jehovas weiterverfolgt wurden, wurde im September 1934 auf einem Kongress in Basel aufgefordert, eine große Protestkampagne durchzuführen. Alle deutschen Ortsgruppen sandten am 7. Oktober 1934 Protestbriefe an die Reichsregierung. Aus Europa und aus den USA wurden 20.000 Protesttelegramme aufgegeben.

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. In ganz Deutschland wurden Zeugen Jehovas verhaftet.

Durch Denunziation von Seiten der Bevölkerung wurden einige Zeugen Jehovas verhaftet und einige davon wurden in ein Konzentrationslager überstellt. Einige Info-Tafel zeigen diesbezüglich die Berichte der Polizei.

Dokumentiert sind auch Postüberwachungen einzelner Zeugen Jehovas.

„Offener Brief“

Am 20. Juni 1937 wurden Zehntausende Exemplare des „Offenen Briefes“ in ganz Deutschland verteilt. Der Brief beschrieb die brutalen Verfolgungspraktiken der Nationalsozialisten, sowie die menschenverachtenden Zustände in den Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern.

Auf Grund dessen gab es eine weitere Verhaftungswelle.

Auf einer Info-Tafeln ist die erste Seite des offenen Briefes abgebildet und darunter eine mehrseitige Anklageschrift gegen Gertrud Pötzinger. Einer der vielen Haftgründe war die Verteilung des „Offenen Briefes“.

Diese Anklageschrift gegen Gertrud Pötzinger ist für mich sehr interessant, da ich mit ihr 2001 ein telefonisches Interview für meine Radiosendung und mein späteres Hörbuch „Übrigens…wir sind die Letzten“ geführt habe. Das Hörbuch behandelte das Frauen-KZ Ravensbrück und verschiedene Opfergruppen.

»Luzerner Resolution«

Auch Martin Pötzinger, der Mann von Gertrud Pötzinger, war sehr engagiert tätig und organisierte die Verbreitung der »Luzerner Resolution« am 12. Dezember 1936 in München. Er wurde verhaftet und nach Verbüßung der Gefängnisstrafe in das KZ-Dachau überstellt.

Die erste Seite der Resolution ist auf einer der Info-Tafel abgebildet. Die »Luzerner Resolution« wurde auf dem Kongress in Luzern verabschiedet und verurteilte scharf die Unterdrückung der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Ein zweites Mal wurde die »Luzerner Resolution« im Februar 1937 in einigen Teilen Deutschlands verteilt.

Auch die Info-Tafel über Martina Parsch ist für mich interessant, da sie nach ihrer Gefängnisstrafe in das frühe Frauen-KZ Moringen bei Göttingen eingeliefert wurde. Der Historiker Hans Hesse stellte bei seinen Recherchen fest, dass im Dezember 1937 in Moringen nahezu 90% aller Häftlinge Zeuginnen Jehovas waren.

Broschüren und Zeitschriftenartikel

Die Zeugen Jehovas verbreiteten nicht nur Flugblätter und Briefe. In ihren Zeitschriften und Broschüren wurde über die Verhältnisse in den deutschen Gefängnissen und Konzentrationslagern berichtet. Sie wurden auch international verbreitet. Auf die Leiden anderer Opfergruppen wurde ebenfalls aufmerksam gemacht.

Die Broschüre „Faschismus oder Freiheit“ wurde in millionenfacher Auflage in Bern gedruckt. Sie wurde in vierzehn Ländern verbreitet. Da die Schweiz sich politisch neutral verhalten wollte, verbot sie die Broschüre.

In der Zeitschrift „Trost“ (später „Erwachet“) wurde ein Augenzeugenbericht (Exponat) von Robert Arthur Winkler abgedruckt. Er berichtete über die Misshandlungen von Zeugen Jehovas und anderer Häftlinge im Konzentrationslager Esterwegen in der Zeit 1934/35.

Buch „Kreuzzug gegen das Christentum“

Ein Originalexemplar des Buches von Franz Zürcher „Kreuzzug gegen das Christentum“ hängt in einer kleinen Glasbox. Es erschien 1938 im Europa Verlag in Zürich. Es werden im zweiten Teil des Buches sehr viele Beispiele der grausamen Verfolgung und Behandlung in Gefängnissen und Konzentrationslager aufgezeigt. Thomas Mann, der damals in der Schweiz lebte, bekam ein Exemplar geschenkt. Seine Reaktion auf die Verbrechen kann man in seinem Brief vom 2. August 1938 lesen.

Im Deutschen Reich gab es ca. 25.000 Zeugen Jehovas, von denen ca. 10.700 Zeugen Jehovas verfolgt wurden. Ungefähr 8.800 Gläubige wurden inhaftiert, davon wurden ca. 2.800 in Konzentrationslager eingeliefert.

Einer der Gründe ihrer Verhaftung war ihre Weigerung Kriegsdienst zu leisten oder auf unterschiedlichstem Weg die Kriegsdienstverweigerung zu unterstützen. Auf Kriegsdienstverweigerung stand ab 1939 die Todesstrafe.

Über 50 von ihnen wurden im Zuchthaus „Roter Ochse“ in Halle hingerichtet.

Insgesamt verloren über 1000 Zeugen Jehovas aus unterschiedlichen Gründen zwischen 1933-1945 ihr Leben.

„Sowjetische Militärtribunal und MfS-Untersuchungshaftanstalt“

Ich laufe nun in die 2. Etage. Hier befindet sich die Dauerausstellung „Sowjetische Militärtribunal und MfS-Untersuchungshaftanstalt“.

Viele Exponate erinnern mich an das Stasi-Museum „Runde Ecke“ in Leipzig.

Zu sehen ist zum Beispiel ein Vernehmungsraum der ehemaligen MfS-Untersuchungshaftanstalt oder eine Nachbildung einer Zelle mit Möbeln und Toilettenkübel. Eine Tafel berichtet von den Vernehmungen mit den Methoden ein Geständnis zu erhalten.

In einem Raum wird in einem Glaskasten die fotografische Erfassung der Häftlinge nachgestellt. In einem anderen Raum ist ein Fotolabor zu sehen.

Ein Teil der Ausstellung zeigt auf Tafeln Einzelschicksale und deren Verhaftungsgründe. Verhaftungsgründe waren beispielsweise ein Antrag zur Ausreise, soziales Engagement für Jugendliche, Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, antisowjetische Propaganda oder Fluchtversuche.

Widerstand im Haftalltag gegen die Isolation gab es in verschiedenen Formen: verbotene Kontaktaufnahme zu anderen Häftlingen, Nahrungsverweigerung oder sogar Freitod.

Bespitzelung und Spionageanwerbung

Mitgefangene bespitzelten ihre Zellengenossen und dienten als Informanten.

Es fanden auch Versuche zur Anwerbung für die Spionagetätigkeit im „Roten Ochsen“ statt. Ein Beispiel ist der Fall des SPD-Mitgliedes Willi Brundert.

Manche Häftlinge durften in der Küche, der Wäscherei oder Werkstätten arbeiten, anderen wurde das Arbeiten untersagt.

Freikauf von politischen Häftlingen durch die BRD

Bekannt ist das seit 1963 jährlich 1000-1500 politische Häftlinge von der Bundesrepublik Deutschland (BRD) aus der DDR freigekauft wurden. Pro Häftlinge bezahlte die BRD anfangs 40.000 DM und später sogar 96.000 DM als „Ausbildungsentschädigung“.

Eine Info-Tafel zeigt ein Organigramm des Aufbaus der MfS-Bezirksverwaltung Halle.

Verfolgung der Zeugen Jehovas und „Jungen Gemeinde“ (evang.)

Zu den ersten Häftlingen der DDR im „Roten Ochsen“ gehörten die Zeugen Jehova, obwohl die DDR den Kirchen und Religionsgemeinschaften die freie Ausübung ihres Glaubens garantierte. Am 31. August 1950 wurden die Zeugen Jehovas verboten. Mehr als 100 Zeugen Jehovas wurden in den „Roten Ochsen“ eingeliefert. Einige davon waren bereits von den Nationalsozialisten verfolgt worden. Einer von ihnen war Konrad Drebinger.

Die SED verfolgte auch misstrauisch die Jugendarbeit der evangelischen Kirche. Die Jugendgruppe einer Kirchengemeinde wurde auch Junge Gemeinde genannt. In der Jugendgruppe konnte jeder seine Meinung frei äußern, auch wenn sie systemkritisch war. Besonders gegen den Studentenpfarrer Johannes Hamel wurde 1950 ermittelt. Am 12. Februar 1953 wurde Hamel wegen Boykotthetze festgenommen und in die Untersuchungshaftanstalt Roter Ochse überstellt. Aufgrund heftiger Proteste gegen die Inhaftierung ordnete Erich Mielke am 9. Juli 1953 die Freilassung an.

Weitere Themen der Ausstellung sind:

Weitere Themen der Ausstellung

Weitere Themen der Ausstellung sind: Die Entnazifizierung des Personals des „Roten Ochsen“ und deren Todesurteil durch das Militärtribunal; die Verfolgung von Jugendlichen; Zwangsarbeit in der Sowjetunion und Speziallager in der sowjetischen Besatzungszone.

So vollgestopft mit Wissen begebe mich wieder nach unten und spreche noch mit der Mitarbeiterin der Gedenkstätte am Empfang. Ich erwähne, dass ich für das Stadtradio Göttingen auch schon Gertrud Pötzinger interviewt hätte. Sie ist auf mehreren Tafeln zu sehen. Wir sprechen auch über die Anwendung von KI für zukünftige Zeitzeugenprojekte.

Pause und weiteres Erkunden der Stadt

Nun habe ich Hunger und setze mich in der Nähe der JVA auf eine Bank und mache Pause. Ein kleines blondes und aufgewecktes Mädchen läuft vorbei, sagt „Hallo“ und setzt sich auf die zweite Bank neben mir. Ihre telefonierende Mutter folgt ihr und fordert sie auf weiter zu gehen. Sie setzen sich dann ca. 10 Meter weiter auf eine Bank.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite laufen die die ältere Frau und die Jugendliche. Sie waren nicht in der Gedenkstätte. Vermutlich haben sie eine/n Inhaftierte/n besucht.

Nach meiner Pause komme ich wieder an dem Botanischen Garten vorbei. Da ich noch viel Zeit habe, will ich hineingehen. Da ich dafür € 2,- zahlen soll, verzichte ich darauf. In Göttingen haben wir in beiden Botanische Gärten freien Eintritt.

Auf dem Rückweg gehe ich bei der Moritzburg Richtung Domplatz und biege vorher ab. Ich gelange zur Rückseite des Domes und der Neuen Residenz. Der Mühlgraben trennt mich von ihnen. Auf der rechten Seite ist eine große Baustelle.

Auf dem Marktplatz setze ich mich auf eine Bank. Der Platz ist riesig und gefällt mir nicht besonders. Außer der Kirche und dem Roten Turm sieht alles so grau und betonmäßig aus. Er hat wenig Flair. Ein Hinweisschild verweist auf den Hauptbahnhof. Der Weg führt zum alten Markplatz. Es wäre es schön, wenn hier die alten Gebäude etwas mehr Farbe hätten.

Ein Mann erklärt mir den Weg zum Bahnhof und ich komme am Leipziger Turm vorbei. Auf einem großen freien Platz mit Bänken neben den S-Bahnabfahrtstellen setze ich mich und genieße lesend die Sonne, bewacht von einem Polizeieinsatzwagen. Zum Hauptbahnhof muss ich noch die Unterführung und den Platz davor passieren. Die ehemaligen Geschäfte scheinen leer zustehen.

Nun habe ich noch genug Zeit bis zur Abfahrt des Zuges. Er soll um 17:09 h abfahren. Er hat 5 Minuten Verspätung. Das macht nichts, denn der Anschlusszug hat ebenfalls 5 Minuten Verspätung.  Auch sonst gibt es keine Verzögerung bei der Fahrt.

Als ich dann mein Auto aus dem Parkhaus auslösen will, akzeptiert der Automat zwar die Bahncard, aber er reduziert den Preis nicht. Er hat aber 15,- € geschluckt. Da ich wohl eine falsche Taste drücke, rufe ich die Info an. Die Dame storniert den Beleg, aber das Geld bekomme ich nicht zurück. Wir einigen uns darauf, dass ich auf die 1,50 € verzichte und ich dann bei der Schranke noch einmal die Infos anrufe, damit ich rausfahren kann. Als ich dann an der Schranke stehe und den Infoknopf drücke, öffnet sich die Schranke sofort. Gegen 20:00 h bin ich zuhause.

Was stand da so schön auf der Hauswand in Halle? „Man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben.“

© Ingeborg Lüdtke

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Hermine Schmidt – Überlebende des KZ-Stutthoff verstorben

Die KZ-Überlebende Hermine Schmidt verstarb am 31.3.24 im Alter von 98 Jahren in Lübeck.

Hermine Schmidt war im KZ Stutthof bei Danzig als Bibelforscherin (Zeugin Jehovas) inhaftiert. Die Gestapo versuchte viele Male ihre Standhaftigkeit zu brechen. Eine brenzliche Situation erlebte sie, als eine gutaussehender SS-Mann sie zu küssen versuchte. Sie ohrfeigte ihn im Affekt. Daraufhin prophezeite er ihr, dass sie bald sterben werde. Dazu kam es nicht, da der SS-Mann sich etwas zu Schulden kommen ließ und das KZ verlassen musste.

Sie wurde mit vielen anderen Häftlingen zwangsevakuiert und sollte auf das Schiff „Wilhelm Gustloff“ gebracht werden. Da sie aber das Schiff nicht mehr rechtzeitig erreichten, entgingen sie dem Tod. Am 30. Januar 1945 wurde das mit Flüchtlingen und Wehrmachtsangehörigen überfüllte Schiff von einem sowjetischen U-Boot versenkt.

Mit 370 anderen Häftlingen wurde Hermine Schmidt auf einen Kahn verladen. Viele Häftlinge starben dabei. Hermine wurde sehr krank, überlebte aber die Fahrt. Am 5.Mai 1945 wurde sie auf der dänischen Insel Mön befreit.

Ihre bewegende Leidensgeschichte beschreibt sie in ihrem Buch „Gerettete Freude“. Aus ihm las sie am 27. Januar 2004 in der Geschwister-Scholl-Gesamtschule.

Hermine und ihr Mann Horst Schmidt waren zum ersten Mal am 21.10.1998 in der Uni Göttingen zu Gast. Wilfried Voigtländer hat das Interview mit ihnen geführt.

Der Text des Interviews mit Hermine und Horst Schmidt kann man nachlesen unter:

(c) Ingeborg Lüdtke

Siehe auch: https://alst.org/aktuelles/letzte-deutsche-kz-ueberlebende-der-ns-opfergruppe-jehovas-zeugen-gestorben/

Oral History Interview mit Hermine Schmidt: https://collections.ushmm.org/search/catalog/irn508827

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Feier zum Gedenken an Jesu Christi Tod

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist Abendmahl.jpgViele Menschen denken am Karfreitag oder um Ostern herum an den Tod Jesu Christi.

Einige feiern an dem Todestag Jesu Christi auch das Abendmahl.

Warum feiert man das Abendmahl?

Jesus feierte mit seinen Jüngern das Passah und setzte anschließend die Feier des Abendmahls ein. Er sagte nach dem er das ungesäuerte Brot gebrochen und gebetet hatte:

„Dies bedeutet meinen Leib, der für euch ist. Tut dies immer wieder zur Erinnerung an mich“ (1. Kor. 11:24)

Wer ist Jesus?

Im Islam ist Jesus „ein größerer Prophet als Abraham, Noah und Moses“.

Für Christen ist Jesus aber mehr als ein Prophet. Jesus fragte einmal seine Jünger, was sie glauben, wer er sei. Petrus beantwortete:

„Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Matthäus 16:16)

Warum starb Jesus?

Jesus Christus starb für unsere Sünden. 1. Petrus 3:18 formuliert dies so: „Denn Christus ist ein für alle Mal für Sünden gestorben“.

Durch Jesu Tod können wir ewiges Leben bekommen.

Was dies voraussetzt, erfahren wir aus Johannes 17:3: „Das bedeutet ewiges Leben: dich, den allein wahren Gott, kennenzulernen und auch den, den du gesandt hast, Jesus Christus.“

Wenn man jemanden „kennenlernen“ möchte, versucht man  herausfinden, was ihm /ihr gefällt und was nicht und welche Werte und Maßstäbe er/sie vertritt (1 Jo 2:3; 4:8). Man bemüht sich ständig, diese Person noch besser kennenzulernen.

Sollte man sich nicht erst recht die Mühe machen, seine persönliche Beziehung zu Gott zu vertiefen?

(c) Copyright Ingeborg Lüdtke

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