Urheber-Wissenschaftsgesellschafts-Gesetz: Interview mit Prof. Dr. jur. Eric W. Steinhauer (Bibliothek)

Interview mit Prof. Dr. jur. Eric W. Steinhauer, stellvertretender Direktor der Universitätsbibliothek Hagen am 12.10.2018

IL: Das neue „Urheber-Wissenschaftsgesellschafts-Gesetz“ trat am 1.März 2018 in Kraft. Warum war aus Sicht der Bibliotheken eine Änderung des Urhebergesetzes nötig?

S: Seit dem Aufkommen der digitalen Nutzungen und der digitalen Dienstleistungen sind Bibliotheken immer wieder mit urheberrechtlichen und technischen Fragen konfrontiert. Es geht z. B. darum Kopien aus Büchern per Mail zu verschicken oder etwas zu digitalisieren und in elektronischen Semesterapparaten bereitzustellen.

Es gab verschiedene Gesetzgebungen in dem Bereich, auch Musterprozesse, die bestimmte Sachen dann noch geklärt haben. Für den juristischen Laien war dies nicht mehr durchschaubar. Bei unseren Nutzern und Nutzerinnen in der Wissenschaft und bei den Studierenden  war es ein wichtiges Anliegen, dass wir ein Urheberrechtgesetz oder eine Rechtsgrundlage erhalten, deren Text verständlich ist. Dieses Gesetzes hat dies ist auch weitgehend gut umgesetzt.

IL: Ja, das wäre auch meine nächste Frage gewesen, weil ja auch der Zweck der  Änderung des Gesetzestextes die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit sein sollte. 

 

S: Also ich habe gesagt weitgehend gut umgesetzt. Das muss man immer vielleicht ein bisschen differenzieren. Die größte Diskussion hatten wir bei dem alten §52  a UrhG. Da ging es um die elektronischen Semesterapparate. Das Gesetz sollte auch, von Lehrbeauftragten und, Professoren angewendet werden. Die Auslegung der vielen unbestimmten Rechtebegriffe, kleinen Teile und Gebotenheit, die enthalten waren, war schwierig. Die Anwendbarkeit ist einfach sehr kompliziert gewesen. Das hat sich eindeutig verbessert, weil jetzt ganz klar Prozentsätze im Gesetz drinstehen,  ist das  sehr hilfreich geworden. Bei den Dienstleistungen der Bibliotheken war das nicht so problematisch, weil das Fachpersonal mit diesen Dingen befasst ist  und mit solchen Regeln auch relativ gut umgehen kann. Der § 60 e fasst im Prinzip den alten Rechtstand mit einigen Veränderungen zusammen, ist aber wenn man genau hinguckt nicht völlig vollständig. Es gibt noch einige Nutzungsvorgänge, die in Bibliotheken vorkommen, die nach wie vor außerhalb der neuen Vorschriften zu finden sind. Will eine Bibliothek ein seit mehreren Jahren vergriffenes Werk in den Bestand übernehmen, aber das Werk ist weder beim Verlag noch im Antiquariat erhältlich, dann darf die Bibliothek das Werk reproduzieren oder reproduzieren lassen, und dann als Kopie in Ihren Bestand einstellen. Das ist nach wie vor im § 53 geregelt. Eine Sache, die eigentlich nur die Bibliotheken betrifft, die ist in § 60 e nicht enthalten. Also da ist noch eine kleine Unschärfe.

IL: Wie wird das neue „Urheber-Wissenschaftsgesellschafts-Gesetz“ in den Bibliotheken umgesetzt?

 

S: Das beschränkt sich im Wesentlichen eigentlich auf eine Information. Die Regelungen als solche sind ja, was jetzt die Bibliotheken anbelangt, nicht so schrecklich viel geändert worden. Die Hausnummern haben sich oft geändert.

Was hinzugekommen oder neu ist, dass wir leichter Vervielfältigungen machen zur Langzeitsicherung digitaler Ressourcen können. Das ist jetzt klargestellt.

Ein Problem war immer die Frage bei der Dokumentlieferung oder Kopienlieferung, Lieferung im Rahmen der Fernleihe, ob man das per E-Mail ausliefern darf oder nicht. Das ist jedenfalls für die nichtkommerzielle Nutzung weitgehend freigestellt im § 60 e Absatz 5.

IL: Jetzt haben wir ja über die positiven Seiten gesprochen, aber es gibt bestimmt auch Nachteile, die das neue „Urheber-Wissenschaftsgesellschafts-Gesetz“ für die Bibliotheken mit sich bringt.

S: Der Hauptnachteil dieses Gesetzes liegt eigentlich in einem versteckten Paragrafen, nämlich in der Regelung, dass die neuen Bestimmungen  nur für fünf Jahre befristet sind. Wir haben ja im Grunde genommen das alte Recht, in das neue Recht überführt. Das ist klarer geworden.

Wenn sich jetzt in fünf Jahren der Bundestag aus irgendwelchen Gründen nicht bereitfindet, die Bestimmungen zu verlängern, dann laufen sie sämtlich aus. Wir wären dann in der Situation, dass wir überhaupt keine Regelungen mehr haben, die Bildung und Wissenschaft betreffen, die auf digitale Besonderheiten eingehen.        Mit einem Schlag wären wir quasi in die 1980er Jahre zurück katapultiert. Das natürlich eine dramatische Aussicht. Da bin einmal gespannt, wie sich die Diskussion entwickelt, wenn es zum Auslaufen dieser Regelung kommt. Zurzeit ist also keine Befriedigung dieser Diskussion endgültig erfolgt. Im Vorfeld dieser Verlängerung werden natürlich sämtliche Streitigkeiten, die wir jetzt in diesem Gesetzgebungsverfahren hatten, wieder aufgerufen werden. Es werden dann wieder Änderungen erfolgen usw. Es ist also eine gewisse Pause in die Debatte eingetreten, (ich) finde auch auf einem guten Stand für die Bibliotheken. Aber die Debatte ist nicht durch und nicht entschieden und wird in den nächsten Jahren auch unvermindert weitergehen.

IL: Die VG Wort hatte ja eine werkbezogene Abrechnung für die Nutzung eines  Titels durch die Bibliothek angestrebt. Daraufhin gab es Proteste von Seiten der Bibliotheken. Der Gesetzgeber sieht in der Änderung des Urheberrechtes nun eine Pauschalabrechnung vor. 

Glauben Sie persönlich, dass die Urheber durch die neue gesetzliche Regelung gerecht entlohnt werden?

S: Da spielen jetzt eine Menge Fragen rein. Nehmen wir jetzt mal generell die Frage der Entlohnung von Urhebern: Sobald ich eigenschöpferisch kreativ irgendetwas mache, auch wenn es nur ein Blogeintrag ist oder ein sehr intelligent gemachter Tweet, habe ich ja schon ein urheberrechtlich geschütztes Werk geschaffen. Kein Mensch käme auf d ie Idee das zu vergüten. Also die Frage, ob man sobald man ein urheberrechtlich geschütztes Werk schafft, sofort einen Anspruch auf eine Vergütung hat, finde ich ein bisschen schwierig gestellt. Eigentlich ist  jeder Mensch kreativ und im heutigen Online-Kontext auch als Urheber unterwegs. Das nur so vorausgeschickt. Wenn wir jetzt über die angemessene Verfügung von Urhebern und Urheberinnen im Kontext von Bibliotheken reden,   möchte ich das auch noch ein bisschen auf den Bereich der wissenschaftlichen Publikationen und der Fachpublikationen engführen.  Was jetzt Literatur, künstlerisches Schaffen anbelangt, das ist noch etwas ganz anderes. Um diese Werke ging es ja auch in den Diskussionen gar nicht. Es ging vor allem um wissenschaftliche Literatur. Da sagen Sie, es gab einen Streit mit den Bibliotheken. Auch das ist eigentlich ungenau. Den Streit gab es in den elektronischen Semestern. Da sind die Bibliotheken eigentlich gar nicht beteiligt, weil das ja die Lehrenden selbst befüllen. Bibliotheken geben vielleicht gewisse Dienstleistungen und Hilfestellungen dabei, indem sie z.B. einen Scanservice anbieten. Aber die Schrankennutzung findet bei den Lehrenden selber statt. Die wären auch diejenigen gewesen, die Abrechnungen am Ende hätten machen müssen, ggf. hätten die Bibliotheken dies für sie übernehmen können. Aber eigentlich ist es eine Frage der Lehrenden gewesen. Da die Bibliotheken sich am längsten mit dem Urheberrecht beschäftigen und in den Hochschulen eine der wichtigen Stellen sind, haben sie sich dieses Anliegens angenommen. Sie warnten vor einem sehr großen bürokratischen Aufwand.  Im Ergebnis würde es dazu führen, dass Nutzungen in den elektronischen Semesterapparaten zurückgingen. Die  Konsequenz wäre, dass im Vergleich zur Pauschaleinnahmesituation, die Einnahmen für die Urheber und Urheberinnen unterm Strich sogar sinken würden. Also man kann nicht einfach meinen, die Einzelabrechnung bringe mehr Einnahmen. Man unterstellt dabei, dass die gleiche Nutzungsintensität bei Einzelabrechnung vorhanden ist. Dass dies nicht so ist, haben Untersuchungen gezeigt. Die Untersuchung an der  Universität Osnabrück ergab, dass  die Nutzung signifikant sinkt. Die finanzielle Situation für die Urheberinnen und Urheber verbessert sich in keiner Weise.

IL: Welche Geschäftsmodelle könnten Sie sich vorstellen?

S: Neue Geschäftsmodelle diskutiert man vor allen Dingen im Bereich der wissenschaftlichen Zeitschriftenveröffentlichungen: Man möchte dazu kommen, dass die Veröffentlichungen für jeder Mann im Internet freizugänglich sind. Die Bibliotheken würden dann im Wesentlichen nur Nachweisdienstleistungen an der Stelle erbringen, dass die Dinge gut auffindbar sind. Aber das muss natürlich irgendwie bezahlt werden, denn auch wenn Dinge freizugänglich sind, entsteht ein Aufwand im Redaktionsprozess, im Publikationsprozess. Irgendwer muss die Kosten tragen. Traditionell werden die Kosten ja im Zeitschriftenbereich durch die ABO-Gebühren abgedeckt. Diese würden ja dann wegfallen, wenn nichts abonniert wird. Wäre alles freizugänglich, gäbe es keine Gebühren. Also müsste man dann offenbar das Publizieren selber bezahlen. Das sind jetzt Überlegungen, wie man dort vernünftige Geschäftsmodelle hinbekommt, wobei die Breite der Meinungen, die es dazu gibt, ziemlich groß ist. Überwiegend möchte man mit den traditionellen Verlagen, die auch eingeführte Titel haben, diesen Weg beschreiten. Es gibt auch radikalere Ansätze, die sagen, dass das ganze System mit dazwischen geschalteten Verlagen, so wie es jetzt existiert, nicht mehr zeitgemäß ist. Man müsse dies völlig umbauen. Da sind die Dinge noch vollkommen offen. Was am Ende, nach meiner Einschätzung aber in jedem Fall sein wird: Es wird spezielle Dienstleister geben, die diese Publikationsprozesse, auch Begutachtungsprozesse und dergleichen organisieren müssen. Sie müssen natürlich auch ein faires Auskommen haben. Es  muss sich wirtschaftlich lohnen, sonst gibt es hier keine Dienstleister. Die Herausforderung besteht  darin ein gutes Geschäftsmodel zu entwickeln. Es muss wirtschaftlich sinnvoll erscheinen, solche Dienstleistungen anzubieten. Die Nachteile des jetzigen Systems durch die  sehr überzogenen Preisvorstellungen einiger Verlage dürfen sich  in dem neuen System dann auch nicht wiederfinden. Sonst haben wir nichts gewonnen, sondern nur die Geldströme umgeleitet, aber eigentlich strukturell nichts verbessert.

© Ingeborg Lüdtke

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