„Der Schmerz“ – Hintergründe zum Theaterstück

Bad Gandersheimer Domfestspiele 2003: Hintergründe zum Theaterstück „Der Schmerz“

Das Theaterstück „Der Schmerz“ wird auch in diesem Jahr (2003) wieder während der Bad Gandersheimer Domfestspiele aufgeführt. Es ist eine Collage aus dem Tagebuch „Der Schmerz“ von Marguerite Duras und dem Buch „Das Menschengeschlecht“, das ihr damaliger Mann Robert Antelme geschrieben hat. Der französische Widerstandskämpfer Robert Antelme gelangte über das KZ Buchenwald in das Außenlager Brunshausen bei Bad Gandersheim. Die spätere berühmte Schriftstellerin Marguerite Duras wartete verzweifelt in Paris auf ein Lebenszeichen oder die Todesnachricht ihres deportierten Mannes.

Klosterkirche Brunshausen

Klosterkirche Brunshausen

Aus den Aufzeichnungen von Robert Antelme geht hervor, dass sich das KZ Brunshausen in der Klosterkirche Brunshausen befand, eben jenen Ort, an dem das Theaterstück aufgeführt wird. Der Historiker Dr. Joachim Neander erklärte: „Gandersheim war ein kleines KZ. Es hatte im Schnitt etwa 500 Häftlinge. Es war also ein reines Arbeits-KZ. Die Häftlinge hatten nichts weiter zu tun, als dort unter ziemlich schrecklichen Bedingungen Sklavenarbeit für einen Rüstungsbetrieb (einem Zweigwerk der Heinkel-Flugwerke) zu leisten.“

Das KZ Brunshausen wurde am 4. April1945 vor den US-Truppen evakuiert. Am Morgen des Abmarsches wurden 40 kranke und schwache Häftlinge in ein Wäldchen bei Clus getrieben, erschossen und in einem Massengrab verscharrt. In dem Theaterstück zeigt der Schauspieler Daniel Fries recht eindrucksvoll den imaginären Abmarsch der kranken Häftlinge Richtung Wald, wenn er sagt: „Jetzt würden sie nach links einbiegen, um auf die Straße zu kommen … man musste nach links einbiegen, nach links (schreit), nach links. Die Gruppe ist nach rechts abgebogen.“

Am 4. April 2002 wurde dieser Weg von der Klosterkirche bis zum Massengrab

Massengrab

Massengrab

als Robert-

Robert-Antelme-Weg

Robert-Antelme-Weg

Antelm-Weg eingeweiht. Zur Einweihung kam auch der ehemalige politische Häftling Willy Semon. Er war sowohl selbst Häftling als auch einer der Bewacher, die die Kranken zum Wäldchen treiben mussten. Sichtlich bewegt, berichtete er wie er der Erschießung zusehen musste und später aufgefordert wurde, die halbtoten Kameraden ganz zu töten. Er hat dies abgelehnt.

An diesem Ort des Grauens berichtete er auch von seinem guten Freund Bernhard Döllinger, ein Zeuge Jehovas. Bernhard Döllinger war

Gedenkstein Bernhard Döllinger

Gedenkstein Bernhard Döllinger

bei der anderen Gruppe, die evakuiert wurde. Er war der zweite Häftling, der auf der ersten Etappe von Bad Gandersheim nach Bad Grund erschossen wurde. Der Historiker Dr. Joachim Neander konnte anhand der Aufzeichnungen genau nachweisen, an welcher Stelle Bernhard Döllinger ermordet wurde. Am 5.April 2000 wurde dort der Gedenkstein bei Bad Grund unterhalb des Parkplatzes „Iberger Tropfsteinhöhle“ im Teufelstal eingeweiht. Die Ermordung Bernhard Döllingers hatte noch ein gerichtliches Nachspiel in Göttingen. Der SS-Mann Albert Jokkussies und der Kapo Fritz Sohl wurden angeklagt, an der Ermordung beteiligt gewesen zu sein. Beide wurden zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Sie haben aber nur circa zwei Jahre davon abgesessen. Joachim Neander berichtete über weitere Ermordungen auf dem sogenannten „Todesmarsch vom KZ Bad Gandersheim“ bzw. Brunshausen: „Die nächsten zwei waren Franzosen, die etwa 500 m weg von der Stelle, wo Bernhard Döllinger ermordet wurde, ermordet wurden.“ Bei Clausthal Zellerfeld wurden 21 Häftlinge ermordet. Zu Fuß mussten die Häftlinge auf dem Marsch bis nach Maisdorf in der Nähe von Thale im Ostharz weitergehen. Der Transport teilte sich danach auf. Einige Russen und Polen konnten fliehen. Auch Willy Semon floh. Der Rest des Transportes zog anfangs auf Treckern und später zu Fuß bis Bitterfeld weiter, per Bahn kam er über Dresden und Prag am 27. April 1945 nach Dachau. Zwei Tage später wurde das Lager von den US-Truppen befreit. Den Todesmarsch überlebten ca. 150 Häftlinge. Auch der französische Widerstandskämpfer Robert Antelme überlebte. Er wurde von Francois Mitterand in einem Leichenhaufen todkrank entdeckt und nach Paris transportiert. Seine Frau Marguerite Duras pflegte ihn aufopferungsvoll gesund und ließ sich danach wegen einem anderen Mann scheiden.

© Ingeborg Lüdtke

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Fotos: Karlo Vegelahn und Ingeborg Lüdtke

Literaturhinweis:

Robert Antelme, Das Menschengeschlecht, dtv 11279

Paul Le Goupil, Gigi Texier, Pierre Texier, Bad Gandersheim -Autopsie eines Außenkommandos von Buchenwald, Stadt Bad Gandersheim

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