Am 19. November 2001 las die Historikerin Dr. Martha Schad in der Deuerlichschen Buchhandlung am Campus aus ihrem Buch “Frauen gegen Hitler“.
Vor der Lesung beantwortete Frau Dr. Schad noch einige Fragen.
Ingeborg Lüdtke:
Frau Dr. Schad, Sie haben das Buch „Frauen gegen Hitler“ geschrieben. Was ist das Besondere an dem Buch?
Das Besondere an dem Buch ist, dass meine Zeitzeuginnen, die ich noch befragen konnte, inzwischen doch ältere oder sogar sehr alte Damen sind und das es ganz wichtig war, diese Frauen, die soviel Schreckliches erlebt haben, noch einmal zu Wort kommen zu lassen.
Ingeborg Lüdtke:
Welche Frau ist Ihnen denn ganz besonders an Herz gewachsen?
Dr. Martha Schad:
Also wenn ich ehrlich bin, ist es beim Schreiben oder auch bei den Forschungen in den Archiven immer die Frau, über die ich forsche oder über die ich schreibe. Und dann kristallisieren sich natürlich einige Sachen heraus. Ich würde mal eine Frau nennen, deren Leben bisher wenig beachtet wurde: Die Elisabeth von Thadden. Eine junge Frau, die aus einem pommerschen Gut stammt und die sich zur Lehrerin ausbilden lässt und in Wieblingen bei Heidelberg ein Mädchenlanderziehungsheim gründet. Eine Frau, die anfänglich dem Nationalsozialismus gar nicht so abgeneigt war. Die durchaus bereit war, sich damit mal auseinander zu setzen. Ihre Gedanken waren sogar mal dahingehend in die Partei einzutreten. Sie lernt aber dann eine der großen Frauen gegen den Nationalsozialismus kennen: Ricarda Huch. Und das Ende ihres Lebens ist für Elisabeth von Thadden die Hinrichtung in Plötzensee.
Ingeborg Lüdtke:
Sie werden heute Abend auch etwas über die Kommunistin Hilde Coppi lesen. Was können Sie uns denn über sie berichten?
Dr. Martha Schad:
Die Hilde Coppi ist auch eine Frau, die mir sehr an Herz gewachsen ist. Sie gehört zur Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen, die von der Gestapo „Die Rote Kapelle“ genannt wurde. Ich habe in meinem Buch ein Kapitel, in dem ich mich [mit den Fragen] auseinandersetze: „Wieweit geht die Mutterverehrung in der NS-Zeit? Was geschieht mit Frauen, die sich nicht regimegetreu verhielten?“ Diese Frauen wurden nämlich nicht mit dem Mutterkreuz ausgezeichnet, sondern die wurden hingerichtet. Das ist ein Schicksal das mich sehr berührt hat: Eine junge Frau hochschwangere Kommunistin wird mit ihrem Mann zusammen verhaftet. Ihr Mann wird hingerichtet und sie wird [zu Tode verurteilt]. Sie hatte im Gefängnis ihr Kind zur Welt gebracht, ihren Hans. Das Todesurteil hatte den Zusatz, dass sie solange leben darf, wie sie ihr Kind stillen kann. Ich denke, es kann nichts Schlimmeres für eine junge Mutter geben, als zu wissen: „Wenn ich mein Kind nicht mehr ernähren kann, wird es mir weggenommen und ich muss sterben.“
Ingeborg Lüdtke:
Wissen Sie auch, was aus dem Jungen geworden ist?
Dr. Martha Schad:
Ja, es war mir ein großes Anliegen herauszufinden, was aus „Hänschen“ geworden ist. So nennt Hilde Coppi ihren Sohn in einem Brief an ihre Mutter. Ich habe dann versucht – es war ein Geistesblitz – in dem Telefonverzeichnis in Deutschland den Namen Hans Coppi zu finden. Und da stand tatsächlich unter Berlin der Namen Dr. Hans Coppi. Eines Tages habe ich ihn dann angerufen und ich habe mich ihm vorgestellt und ihm gesagt, dass ich ein Buch schreibe. Und da hat er mir geantwortet: „Sie haben mich gefunden. Ich bin das Hänschen.“ Er ist ein Historiker geworden und er hat mir dann erzählt, wie sein Leben weiterging, nachdem ihn seine Großmutter aus dem Gefängnis geholt hat. An die Mutter hat er natürlich keinerlei Erinnerung, aber es gibt ein Foto von ihm als 3- oder 4 Jährigen auf dem Arm seiner Großmutter. Das Bild hat er mir für mein Buch zur Verfügung gestellt. Dafür bin ich ihm sehr, sehr dankbar.
Ingeborg Lüdtke:
Sie berichten ihn Ihrem Buch ja über sehr viele Grausamkeiten. Erleben Sie jetzt beim Schreiben diese Schicksale der Frauen mit oder haben Sie auch einen gewissen Abstand?
Dr. Martha Schad:
Also einen Abstand kann ich nie zu den Personen wahren, über die ich schreibe. Auch wenn ich etwas Schönes, etwas Hübsches schreibe, ich lebe immer mit den Frauen mit, über die ich schreibe. Und es gab Zeiten beim Schreiben, da konnte ich nicht mehr weiterschreiben, weil mich das Schicksal dieser Frauen so berührt hat. Und wieder auf Hans Coppi zurückzukommen: Ich war dieses Jahr [2001] im September in Amerika als dieses schreckliche Unglück am Flughafen in Washington war. Ich wusste nicht, ob ich wieder nach Deutschland zurückkomme. Dieses Erlebnis hat mich sehr traumatisiert. Ich hatte dann anschließend eine Lesung und da konnte ich zum Beispiel die Briefe der Hilde Coppi an ihre Eltern und Schwiegereltern nicht lesen, weil mir die Tränen herunter liefen. Also, ich kann nicht auf Abstand gehen. Und ich will das auch nicht. Es ist manchmal dann schon so, das dieses Schreiben natürlich auch mit in den Schlaf beziehungsweise in die Träume geht. Das nächste Buch, ist ein Buch, das nicht so traurig ist und das ist gut so, weil man sonst [die Last] doch mitträgt. Aber bei dem Buch „Frauen gegen Hitler“, bei diesen Schicksalen denke ich, da muss man mitfühlen und mitleiden, wenn man das in Etwa erfassen möchte, was diese Frauen durch ihren Widerstand auf sich genommen haben. Nicht nur die Frauen, die namentlich genannt wurden, sondern auch die vielen unbekannten Frauen haben vieles auf sich genommen. Sie spielen ja in meinem Buch auch eine Rolle. Über die kann nicht geschrieben werden, weil sie selber kein Zeugnis hinterlassen haben. An die Frauen, die im Volk humanitäre Hilfe, nennen wir das einfach mal so, geleistet haben, an die ist ja auch zu denken. Die brachten ja durch ihre Nächstenliebe, sich, ihre Familie und ihre Kinder auch in Gefahr.
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Die Sendung wurde im StadtRadio Göttingen am 7. Dezember 2001 ausgestrahlt
Literaturhinweis:
Frauen gegen Hitler
Vergessene Widerstandskämpferinnen im Nationalsozialismus
Ergänzte und überarbeitete Neuauflage 2010, 272 Seiten mit Abb.
Herbig
Weitere Bücher von Dr. Martha Schad:
– Sie liebten den Führer, München 2009
– Gottes mächtige Dienerin, Schwester Pascalina und Papst Pius XII. , 3-Auflage 2010
– 50 bedeutende Frauen: Von der Antike bis zum 17. Jahrhundert . Wiesbaden 2007
– „Komm und setz dich, lieber Gast“ – Zu Tisch bei Bertolt Brecht und Helene Weigel, München 2005
– Stalins Tochter. Das Leben der Swetlana Allilujewa, Bergisch Gladbach 2005
– Mozarts erste Liebe – Marianne Thekla Mozart. Mozarts Bäsle, Augsburg 2004
Weiterführende Links zum Thema „Widerstand von Frauen“:
http://www.chbeck.de/Geyken-standen-abseits/productview.aspx?product=13040848
http://geschichtsverein-goettingen.de/fileadmin/pdf/neuerscheinungen/2014_Geyken_Buchbesprechung.pdf
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wir-waren-nicht-viele
http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_von_Scheliha
http://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Kapelle
http://de.wikipedia.org/wiki/Cato_Bontjes_van_Beek
http://de.wikipedia.org/wiki/Annedore_Leber