KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora – neue Ausstellung wird eröffnet (2006)

Die Sendung wurde am 9. September 2006 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt

Interview anlässlich der Eröffnung der ständigen Ausstellung „Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1943 am 10. September 2006 mit dem KZ-Gedenkstättenleiter [Anm.: bis Herbst 2014] Dr. Jens-Christian Wagner

Ingeborg Lüdtke:

Warum heißt die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora?

Dr. Jens-Christian Wagner:

Mittelbau-Dora in dieser zusammengesetzten Form ist eigentlich kein Quellenbegriff. Dora war zunächst ein Außenlager von Buchenwald, das im Herbst 1943 Mittelbau-Doragegründet wurde. Im Jahr darauf, im Herbst 1944 wurde das Lager Dora mit anderen Buchenwalder Außenlagern im Südharz zum selbstständigen KZ Mittelbau, das heißt es wurde aus der Verwaltung Buchenwalds herausgenommen. Es wurde das letzte eigenständige Konzentrationslager der Nationalsozialisten.

Ingeborg Lüdtke:

Wodurch unterscheidet sich das KZ-Mittelbau-Dora von anderen KZ´s ?

Dr. Jens-Christian Wagner:

Es unterscheidet sich zum einen erstmal dadurch, das es erst sehr spät gegründet wurde. Es hat ja nur 1 ½ Jahre existiert. Es wurde mit dem Ziel gegründet, die Arbeitskraft seiner Insassen in der Rüstungsindustrie auszubeuten. Das heißt wir verstehen Mittelbau-Dora als Modellfall der KZ-Zwangsarbeit. Diese KZ-Zwangsarbeit hatte diverse Folgen: unter anderem dass überall im Reich Außenlager in der Nähe von Rüstungsbetrieben gegründet wurden, in denen KZ-Häftlinge Zwangsarbeit verrichten mussten. Durch diese vielen Außenlager drang das KZ-System immer stärker in die Gesellschaft ein, das heißt die deutsche Kriegsgesellschaft war in den letzten 1-2 Kriegsjahren durchdrungen vom KZ-System.

Ingeborg Lüdtke:

Warum wurde eine neue Dauerausstellung notwendig?

Dr. Jens-Christian Wagner:

Eine umfassende Gesamtschau zur Geschichte des KZ Mittelbau-Doras hat es bis lang noch nicht gegeben. Es gab eine alte DDR-Ausstellung, die natürlich in dem Geschichtsbild der SED verhaftet war. Sie wurde 1993 geschlossen. 1995 wurde sie durch eine immer nur als MittelbauDora 054provisorisch verstandene Ausstellung in einer Baracke zum 50. Jahrestag ersetzt.
Die Ausstellung beruhte weder auf neuen Forschungen noch auf Recherchen für neue Exponate. In den folgenden 10 Jahren haben wir erhebliche Forschungen in internationalen Archiven angestellt und viele neue Exponate auf der Welt recherchiert. Auf Grundlage dieser völlig neuen Quellenlage haben wir diese Ausstellung völlig neu bearbeitet. Im Grunde ist es jetzt so, dass wir das erste Mal eine ständige Ausstellung eröffnen, die einen gesamten Überblick auf die Geschichte Mittelbau-Doras vermittelt.

Ingeborg Lüdtke:

Was wird in der Ausstellung gezeigt?

Dr. Jens-Christian Wagner:

Wir versuchen auch die KZ-Zwangsarbeit übergreifend zu zeigen. Es ist keine Regionalausstellung im engeren Sinne, sondern eine Ausstellung, die das Spezifikum Mittelbau-Doras – nämlich das Modell KZ-Zwangsarbeit – exemplarisch ausbreitet und damit auch für Besucher aus Süddeutschland, Norddeutschland oder aus den Vereinigten Staaten interessant ist. Insgesamt haben wir eine narrative Struktur über Biografien und zwar nicht nur in Bezug auf ehemalige Häftlinge, sondern auch gerade in Bezug auf die Täterschaft. Es ist ohne hin einer unserer zwei Schwerpunkte, dass wir versuchen die Menschen zu zeigen, die mit dem Konzentrationslager zutun hatten, die einen freiwillig und die anderen gezwungenermaßen. Die Biografien der Häftlinge geben einen mehr oder weniger repräsentativen Querschnitt durch die Bandbreite der Verfolgung. Es werden politische Häftlinge vorgestellt: deutsche, französische Häftlinge, polnische, russische, jüdische Häftlinge. Es werden aber auch Häftlinge vorgestellt, die aus anderen Gründen verfolgt wurden, zum Beispiel weil sie vermeintlich kriminell waren. Der dritte Punkt ist, dass wir uns ganz stark thematisch der Täter- und Mittäterschaft widmen. Das ist ein Novum in Ausstellungen in deutschen KZ-Gedenkstätten, die bislang immer sehr stark, berechtigter Weise natürlich, opferzentriert gewesen sind. Die Häftlinge wurden in den Mittelpunkt gestellt, was aus moralisch ethischer Sicht gerechtfertigt ist. Das bringt aber aus historiografischer Sicht eine Schieflage. Meines Erachtens muss sich die Post-Tätergesellschaft, denn das ist die deutsche Gesellschaft, mit den Tätern auseinandersetzen. Das versuchen wir ganz stark in der neuen Ausstellung zu machen.

Ingeborg Lüdtke:

Die Dauerausstellung beschäftigt sich aber auch mit den Deutschen, die in der Umgebung der Lager gewohnt haben und den Häftlingen nicht halfen. Welche Fragen werden in der Ausstellung gestellt?

Dr. Jens-Christian Wagner:

Was war die Motivationsstruktur erstens Häftlingen feindselig gegenüber zu treten, zweitens das NS-System tatsächlich bis zum letzten Tag weitgehend zu stützen? Das sind Fragen, die meines Erachtens einen starken Aktualitätsbezug haben, denn es geht ja zum Teil um mentale und auch politische gesellschaftliche Strukturen von heute. Diese können zwar nicht direkt mit dem Nationalsozialismus verglichen werden, aber es gibt gewisse Ähnlichkeiten. Nehmen wir nur den Rassismus, der natürlich ein wesentlicher Beweggrund gewesen ist Häftlingen gegenüber feindselig aufzutreten. Einen latenten, häufig auch einen aggressiven Rassismus erleben wir auch heute noch. Das sind meines Erachtens Fragen, die sehr viel stärker geeignet sind einen Aktualitätsbezug zu heute herzustellen, als sich in KZ-Gedenkstätten mit dem Völkermord in Ruanda auseinander zu setzten. Wir geraten da sehr schnell in die Gefahr ein singuläres Verbrechen zu relativieren.

© Copyright Ingeborg Lüdtke

Literaturhinweis:

Jens-Christian Wagner, Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora. Hrsg. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Wallstein Verlag 2001

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