Betreuung einer Krebskranken aus der Sicht der Tochter

… Bericht aus der Sicht der der Tochter

(Lazaruslied angespielt-Klaviermusik)

15. Februar:

FriedhofKristiane Allert-Wybranietz schreibt in einem Gedicht, dass es hart sei einen geliebten Menschen plötzlich zu verlieren, aber das schwerste sei, ihn über Jahre Tag für Tag ein wenig mehr verlorengehen zu sehen.

Als ich dieses Gedicht das erste Mal las, wusste ich noch nicht, welche Bedeutung es einmal für mich haben würde.

Seit meinem letzten Brief an meine Freundin Dina und ihrem Besuch hat sich schon wieder so viel ereignet.

Eigentlich sollte ich sie jetzt besuchen, aber meine Mutter ist zwischenzeitlich erkrankt. Sie liegt im Krankenhaus. Ich muss Dina leider absagen:

„Liebe Dina,

es war richtig schön, als Du hier warst. Ich wäre gerne das nächste Wochenende zu Dir gekommen, aber ich muss Dir leider absagen.

Meine Mutter ist inzwischen an Eierstockkrebs erkrankt. Sie liegt seit dem 26.Januar im Krankenhaus.

Die Ärzte wollten sie eigentlich operieren, konnten es aber nicht. Der gesamte Bauchbereich ist voller Krebswucherungen.

Die erste Chemotherapie hat sie schon bekommen. Die Ärzte erhoffen davon in einem halben Jahr eine Verkleinerung der Wucherungen. Sie wollen dann operieren.

Meine Mutter soll dieses Wochenende entlassen werden. Sie kommt dann erstmal einige Wochen zu mir.

Ich muss gestehen, ich war ganz schön geschockt, als ich das Untersuchungsergebnis

hörte.

Eigentlich wollte ich es nicht glauben, zumal ich weiß, wie diese Krankheit ausgehen kann. Mein Vater ist ja bereits vor 11 Jahren an Krebs gestorben.

Irgendwie habe ich nicht geglaubt, dass es ich wiederholen würde. Meine Mutter war immer so stark und so gut wie nie krank.

Ich habe mich auch gefragt. Warum trifft dies ausgerechnet meine Eltern? Warum meine Familie?

Nein, an Vorherbestimmung glaube ich nicht.

Prediger 9:11 spricht davon, dass Zeit und Unvorhergesehenes sie alle trifft.

Am meisten Angst macht es mir jetzt erstmal, wie ich die nächsten Wochen überstehen soll.

Hoffentlich fallen meine Mutter und ich uns nicht auf die Nerven in meiner 2- Zimmerwohnung. Die Küche ist ja nicht richtig abgetrennt.

Na ja, ich werde Dir dann berichten, wie es war.

Für heute sei lieb gegrüßt.

Tschüß Ines

(Lazaruslied anspielen)

27.Februar:

Liebe Ines,

danke für Deinen Brief. Da bist Du ja voll im Stress. Wie klappt das Zusammenleben mit Deiner Mutter?

Es ist bestimmt nicht so einfach, zumal Du ja 15 Jahre allein lebst und Deine Mutter ein ziemlich bestimmender Mensch ist.

Ich finde es aber gut, dass Du Deine Mutter für einige Wochen aufgenommen hast.

Anbei zwei Artikel über die Pflege von betagten Eltern, auch wenn Deine Mutter noch nicht betagt ist.

Ich rufe Dich die nächsten Tage an.

Tschüß Dina

(Telefonklingeln)

7. März:

(am Telefon)

Dina:

Hallo Ines! Hier ist Dina:

Wie geht es Dir? Kannst Du ein bisschen reden?

Ines:

Ja, meine Mutter ist gerade im Badezimmer. Na ja, weißt Du, ich bin etwas genervt … Ich bin es gewohnt mein eigenes Leben zu führen und nun muss ich alles auf meine Mutter abstimmen.

Gar nicht so einfach, das kann ich Dir sagen. Sie konzentriert sich einfach nur auf mich. Sie erwartet doch glatt, dass ich ihr sage, wann ich nach Hause komme. Einmal kam ich eine Stunde später als geplant. Man hat sie mir eine Szene gemacht und geheult.

Wir haben uns nun geeinigt, dass sie schon ohne mich zu Essen anfängt. Und ehrlich gesagt, ich sage ihr nun einen späteren Termin und sie freut sich, wenn ich früher komme.

Am meisten stört mich aber, dass ich mich nicht zurückziehen kann. Meine Mutter ist praktisch allgegenwärtig.

Ich fühle mich einfach heimatlos in meiner Wohnung. Ich habe mich auch schon gefragt, ob ich alles nicht überspitze sehe?

Aber in zugesandten Artikeln stand etwas über eine Frau, die sagte, daß sie sich regelmäßig ausklinken musste. Sie hat dann eine Zeitlang die Pflege jemand anderes überlassen. Das hat mich doch sehr getröstet.

Dina:

Ich kann mir gut vorstellen, dass dies nervig ist. Ja die beiden Artikel sind wirklich gut..

Hast Du Dir schon mal Gedanken gemacht, wie andere Dir helfen können? Wenn ich in Göttingen wohnen würde, könnte ich Dir auch mal etwas einkaufen oder ihr Gesellschaft leisten, damit Du auch mal etwas anderes machen könntest.

So kann ich sie nur mal anrufen.

Ines:

Anrufen, ist keine schlechte Idee. Ich habe auch schon Bekannte gefragt, ob sie sie mal anrufen können.

Das haben sie auch getan. Einige sind sogar vorbeigekommen. Andere haben mir auch schon etwas für meine Mutter gekocht.

Einige wollen sie auch für sie einkaufen oder sie mal in die Stadt fahren, wenn sie in ihrem Haus ist. Mein Bruder muss ja auch lange arbeiten und außerdem muss er sich ja um Haus und Garten kümmern.

Es ist richtig schön, wenn man so nette Freunde hat und auch Bekannte innerhalb der Religionsgemeinschaft.

Nun kommt meine Mutter gerade, willst Du sie mal sprechen?

Dina:

Ja, gibt sie mir mal.

Hallo hier ist die Dina … (Das Gespräch wird fortgeführt)

(Freizeichen)

15. April:

Liebe Dina,

meine Mutter hatte sich ganz gut erholt. Vor 10 Tagen habe ich meine Mutter wieder in ihr Haus gebracht. Meine Tante war da.

Leider musste meine Mutter nach einigen Tagen wieder ins Krankenhaus. Sie hatte einen Darmverschluss.

Während der Operation habe ich einige Ängste ausgestanden und die meiste Zeit gebetet.

Am schlimmsten war das Gespräch mit dem Arzt nach der Operation. Er sagte sie hätten nur einige Darmschlingen gelöst. Sie sei voller Metastasen. Sie hätte nur noch 8-10 Tage zu leben.

Mein Bruder und ich waren total geschockt.

Wir waren seither täglich im Krankenhaus. Aber meiner Mutter geht es zusehenst besser.

Irgendwie kann ich es nicht begreifen. Der Arzt sagte doch am Telefon. dass sie bald sterben wird und nun sitzt sie im Bett und kommandiert mich herum. Ich komme mir vor, wie im falschen Film.

Heute Abend soll ein Gespräch mit dem Stationsarzt stattfinden. Mein Bruder kommt mit.

Ich schreibe nachher weiter.

(Lazaruslied anspielen)

Der Arzt sagte, wir sollten uns überlegen, wie wir meine Mutter pflegen sollen. Nun kommt sie morgen erstmal wieder zu mir.

Die Ärzte haben Ihr allerdings nichts über den genauen Zustand gesagt. Ich weiß gar nicht, wie ich mich verhalten soll.

Morgen werde ich Frau Schulz ansprechen. Sie hat einige Erfahrung mit der Pflege zu Hause.

(Lazaruslied anspielen)

28. Juni:

Liebe Dina,

Meine Mutter hatte sich innerhalb kurzer Zeit erholt. Sie ist auch wieder in ihrem Haus.

Die Ärzte staunen immer bei der Chemo, dass der Krebs zurzeit nicht wächst und sie keine Schmerzen hat.

Die Ärzte meinen, das Lösen der verwachsen Darmschlingen hätte wohl Erleichterung gebracht.

Ich schätze mal, dass es auch mit der Ernährungsumstellung zutun hat. Bei mir bekam sie nur Vollwertkost. Gesüßt habe ich mit Fruchtzucker.

3.September:

Liebe Dina,

vielen Dank für das schöne Wochenende bei Dir.

Zwischenzeitlich war ich auch ein paar Tage in Wien,img065

Es war richtig schön: Jede Menge Kultur.

Nun fährt mein Bruder in den Urlaub. Meine Mutter kommt 3 Wochen zu mir.

Diesmal wird es bestimmt nicht so schlimm.

Meine Einstellung habe ich etwas geändert, wir werden uns ein paar schöne Tage machen, denn wer weiß wie lange wir es noch können..

Wir planen zwei Tagestouren zu Freunden und Verwandten. Außerdem haben Bekannte sich hier schon zu Besuch angemeldet.

Meine Mutter liest glücklicherweise viel und sie strickt mir gerade Socken.

Bis bald.

AUS MEINEM TAGEBUCH:

31. Oktober:

Meine Mutter hat eine Entzündung und Wasser im rechten Bein. Sie musste wieder ins Krankenhaus.

Die Tumormarker sind auch wieder angestiegen.

Der Stationsarzt sagte, die Chemo hätte nichts gebracht. Sie überlegen, ob sie meiner Mutter überhaupt noch eine Chemo geben.

Die Ärzte möchten ihr aber die Hoffnung nicht nehmen.

6. November:

Meine Mutter hat nun Wasser im Bauch und soll punktiert werden. Sie hat sehr viel abgenommen. Am Wochenende kommt sie nach Hause. Meine Tante kommt.

17. November:

Meine Mutter ist seit heute wieder bei mir. Ihr geht es nicht so gut. Sie bleibt erstmal bis zur nächsten Chemo. Die Chemo soll diesmal stärker sein. Die Haare werden dann ausfallen.

27. November:

Gestern bekam meine Mutter ihre Perücke.

Sie hat nun eine Kur beantragt. Meine Tante meint, meine Mutter sei doch nicht kurfähig.

15.Dezember:

Heute habe ich meine Mutter in die Kurklinik bei Bad Oeynhausen gefahren. Sie bekommt nur Lymphdränage und Massagen. Mehr kann man wohl nicht für sie tun.

Ich habe Bekannte angerufen, die in der Nähe der Kurklinik wohnen. Sie wollen meine Mutter besuchen. Das ist bestimmt gut für sie.

21. Januar:

Die Kur hat meiner Mutter seelisch gut getan.

Eigentlich kam sie nur zur Chemo in die Klinik, aber sie konnte die Chemo nicht bekommen.

Sie hat sich übergeben.

Obwohl sie viel trinkt, scheidet sie nichts aus.

27.Januar:

Der Arzt hat meiner Mutter heute gesagt, wie es um sie steht. Sie solle ihr Testament machen.

Meine Mutter hat mit mir über ihre Beerdigung geredet. Sie hat sich den Redner ausgesucht. Sie möchte dass der Redner über ihre Auferstehungshoffnung gemäß Johannes 5:28,29 spricht. Auch darüber, dass gemäß 1 Mose 2:7 der Mensch eine Seele ist und keine hat. Das Lied, das gesungen werden soll, hat sie auch bestimmt.

Freitag wird meine Mutter erstmal wieder nach Hause kommen. Meine Tante wird kommen.

Wir müssen uns nun Gedanken über die Pflege machen.

Es wird nicht einfach sein, da sie Essen auf Rädern und die Gemeindeschwester nicht wünscht.

31.Januar:

Meine Mutter kam mit einem Darmverschluss in das Krankenhaus.

5.Februar:

Meine Mutter hat Fieber und redet manchmal wirres Zeug.

Einige Bekannte und Freunde kamen oder riefen an, um sich von ihr zu verabschieden.

Ein sehr guter Freund betete gemeinsam mit ihr.

9. Februar:

Gegen 15.30 war ich im Krankenhaus. Kurz bevor ich das Zimmer betrat, ist meine Mutter verstorben. Ich war die erste, die sie fand.

Mein Bruder war der Letzte aus der Familie, der sie heute um 14.00 Uhr noch lebend sah.

(Larzaruslied anspielen)

Ja, Kristiane Allert-Wybranietz hat es in ihrem Gedicht sehr gut ausgedrückt: Es ist wirklich hart, einen geliebten Menschen plötzlich zu verlieren, aber noch schwerer ist es, ihn Tag für Tag ein wenig mehr verlorengehen zu sehen.

(c) Ingeborg Lüdtke

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“Marktplatz“ im “StadtRadio Göttingen” ausgestrahlt am 30. April 1999

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