Die Tagung „Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945 – Geschichte und Vermittlung“ fand am 19.-21. Juni 2014 in Göttingen statt.
Programm:
9:00 h: Dr. Dietmar Seladczek „Das Thema Widerstand in der Bildungsarbeit der KZ- Gedenkstätte Moringen“
10:00 h: Arnulf Heinemann „Anpassung und Widerstand in der Bildungsarbeit am Beispiel Jehovas Zeugen“
Samstag, den 21. Juni 2014
Das Thema Widerstand in der Bildungsarbeit der KZ- Gedenkstätte Moringen
(Zusammenfassung des Referats von Dr. Dietmar Seladczek)
Bei den Schülern hat das Thema Widerstand keine Priorität. Das Thema Widerstand wird deshalb in verschiedene Projekte verpackt. Verschiedene Formen sind die Vorstellung von Biografien, Comic-Werkstätten, Ausstellungen, Theaterstücke und ein Jugendaustauschprogramm.
Biografie und Ausstellung
Die Widerstandskämpferin und Friedensaktivistin Hedwig Regnart (1908-2002) stellte ihre Zeichnungen in der Stadthalle Moringen aus. Die Bilder waren ursprünglich nicht für eine Ausstellung gedacht. Sie wollte damit ihre Erfahrungen im Gefängnis und im Konzentrationslager verarbeiten. Mit 15 begann sie, Esperanto zu lernen. Sie hoffte, diese internationale Sprache könne helfen, Kriege zu vermeiden. 1930 trat sie der KPD bei. Bei einer Untersuchung wurde bei ihr faschistisches Liedgut gefunden. Daraufhin wurde sie für 10 Tage in das Fürther Gefängnis eingeliefert. Sie wurde noch weitere Male verhaftet und wieder freigelassen. Sie besuchte mehrfach Kurse der KPD, die sie auf politische Arbeit in der Illegalität vorbereiteten. So lernte sie auch das Klopfalphabet.
1933 kommt sie in „Schutzhaft“. Vom Fürther Gefängnis wurde sie einige Wochen später in das Frauengefängnis Aichach überstellt. Da sie die Aussage verweigerte, drohte ihr die SA mit Peitsche und Auslieferung. Tatsächlich kam sie von Juni bis Dezember in Isolierhaft. 1935 erhält sie erneut Isolierhaft im Landshuter Gefängnis. Als Haftfolge erkrankte sie an Tuberkulose. Sie gelangte nach wechselhafter Unterbringung in Gefängnissen im Frauen-KZ Moringen. Sie wurde im „Bayernsaal“ untergebracht. Im Januar 1937 wurde sie unter strengen Meldeauflagen entlassen. Anfangs bekam sie keine Arbeit. Freunde vermittelten ihr eine Stelle im Kleinwalsertal in Österreich.
Am 19.10.1939 heiratete sie Karl Regnart. Bis zum Verbot der KPD 1956 blieb Hedwig Regnart Parteimitglied. Später trat sie dem VVN und der DKP bei. Sie engagierte sich aktiv gegen Krieg. In Schulen berichtete sie über ihre Erfahrungen unter dem Nationalsozialismus. Sie arbeitete mit der Frauengruppe ‚Courage’ zusammen. Am 17. Januar 2001 verstarb sie im Alter von 92 Jahren.
http://www.gedenkstaette-moringen.de/thema/Hedwig_Regnart/hedwig_regnart.html
Theaterstück
In Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Moringen wurde ein Theaterprojekt von „teatro regio e.V.“ unter Leitung von Sylvia Hathazy entwickelt. Das Theaterstück „Swing Heil“ (Uraufführung 2006) beschäftigt sich mit der Swing-Musik im Nationalsozialismus .13 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren beteiligten sich an diesem Projekt. Im Vordergrund steht die Frage, was die Geschichte des NS und das Beispiel der Swings in der Gegenwart für sie bedeutet. Das Stück soll zeigen, was es bedeutete im nationalsozialistischen Deutschland jung gewesen zu sein.
Da Swing eine Stilrichtung des Jazz ist, wurde er als „artfremde“ Musik verboten. Einer der Gründe für das Verbot war das Argument, Swing wäre ein „Kampfmittel der anglo-jüdischen Weltverschwörung“ und solle die deutsche „Volksgemeinschaft“ zersetzen.
In Hamburg 1940 kam es zu einer Verhaftungswelle, dabei wurden 63 Swings inhaftiert und brutal verhört. Trotz aller Strafen und Einschränkungen wuchs die Swing-Bewegung weiter an. Ein Hamburger Psychologe bezeichnete diese Jugendlichen als „haltlose willensschwache Psychopaten mit erheblichen Defekten auf ethisch-moralischen Gebiet.“ Heinrich Himmler veranlasste am 26. Januar 1942, dass „mit den schärfsten Mitteln“ gegen die als Rädelsführer bekannten Swings vorgegangen werden solle. Diese sollten mit einer KZ-Strafe von 2 bis 3 Jahren bestraft werden.
Günther Discher wurde aufgrund seiner Liebe zum Swing im Jugend-KZ Moringen inhaftiert. Er leistete dort von 1943 bis 1945 in der Heeresmunitionsfabrik Vollpriehausen Zwangsarbeit. Nach seiner Befreiung litt er lange Zeit unter der Folgeerscheinung zahlloser Schikanen und Entbehrungen, die er im Jugend-KZ Moringen ertragen musste. Seiner Liebe zum Swing tat dies keinen Abbruch. Noch im hohen Alter von 87 Jahren legte er Swing-Platten auf. Er wurde als der „älteste DJ Deutschlands“ bezeichnet. Am 9. September 2012 verstarb Günther Discher.
http://www.gedenkstaette-moringen.de/thema/Swing/swing.html
Jugendaustauschprogramm
Die KZ-Gedenkstätte Moringen veranstaltete 2007 einen Jugendaustausch. Das Projekt stand steht unter der Schirmherrschaft des damaligen Niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Das Projekt wurde von der Jugendstiftung des Landkreises Northeim und aus Mitteln des Fonds „Jugend in Aktion“ der Europäischen Union gefördert. Kooperationspartner auf der österreichischen Seite war die Gedenkstätte Peršmanhof.
Jeweils 17 Jugendliche aus Moringen und der slowenischen Minderheit in Kärnten trafen sich. Beteiligt waren ebenfalls zwei Schulen: Die KGS-Moringen und die zweisprachige Handelsakademie in Klagenfurt.
Der historische Hintergrund dieser Begegnung war die Inhaftierung zahlreicher Jugendlicher aus dem slowenisch-österreichischen Grenzgebiet im Jugend-KZ Moringen. Ihnen wurde vorgeworfen, dass sie oder Angehörige ihrer Familien die Partisanen unterstützten, um gegen die deutsche Wehrmacht zu kämpfen.
Zahlreiche Häftlinge aus Kärtnen kamen in das Jugend-KZ Moringen. Untern den vier Häftlingen aus der Gegend um Bad Eisenkappel im südlichen Kärnten befand sich auch der bereits verstorbene Johann Kogoj.
Johann Kogoj erfuhr bei seiner Rückkehr in die Heimat, dass zwei seiner jüngeren Geschwister noch am Ende des Krieges von Angehörigen eines SS- und Polizeiregimentes auf dem Nachbarhof, dem Persmanhof, ermordet wurden. Heute gibt es auf dem Peršmanhof eine Gedenkstätte.
Geplant war, dass die Jugendlichen bei gemeinsamen Aktivitäten den Alltag der jeweils anderen Gruppe kennenlernen sollten. Auf diese Weise sollten sie viel über die eigene und fremde Kultur und Geschichte erfahren. Bevor es dazu kommen konnte, gab es an dem Ort, wo die Jugendlichen in der Jugendherberge untergebracht wurden einen Eklat. Der Bürgermeister von St. Kanzian am Klopeiner See, Thomas Krainz (SPÖ), lehnte es zunächst ab, die Gruppe offiziell zu begrüßen. Später lenkte er ein und erschien unangemeldet zu einem Besuch. SPÖ-Klubobmann Dr. Peter Kaiser versuchte die Wogen zu glätten und fand in seiner Begrüßung in der Jugendherberge lobende Worte für das Projekt. Die Landeshauptmannstellvertreterin, Frau Dr. Gabriele Schaunig-Kandut (SPÖ) versuchte ebenfalls den Schaden zu begrenzen und lud die Jugendbegegnung zu einem Mittagessen ein. Nach der Rückkehr nach Deutschland sorgte der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider (BZÖ) für einen weiteren Eklat. Er bezeichnete den Jugendaustausch als „Partisanenseminar“.
Trotz der negativen Begleitumstände war es eine lehrreiche Zeit für die Jugendlichen. Die Kärntner Jugendlichen hatten Referate und zahlreiche historische Erkundungen sowie viele Gespräche mit Zeitzeugen vorbereitet. Der Schwerpunkt lag auf Themen wie die Geschichte der slowenischen Minderheit Kärntens in der Zeit des Nationalsozialismus. Außerdem beschäftigten sie sich mit Zwangsaussiedlung und KZ-Haft. Besonders berührt waren die Jugendlichen von den Begegnungen mit den Zeitzeugen.
Zum Abschluss der Reise nahmen die Jugendlichen an der Gedenkfeier auf dem Peršmanhof teil. Sie findet alljährlich am letzten Wochenende im Juni statt. Ungefähr dreihundert Menschen aus Österreich und Slowenien trafen sich, um der Opfer des Faschismus zu gedenken und um einzutreten für eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Zeit.
http://www.gedenkstaette-moringen.de/thema/Jugendaustausch/jugendaustausch.html
Weiterführende Literatur:
Peršman
Herausgegeben von Lisa Rettl, Gudrun Blohberger, mit dem Verband der Kärntner Partisanen und dem Verein Peršman
Wallstein Verlag, 2014
http://www.wallstein-verlag.de/9783835315884-perman.html
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Anpassung und Widerstand in der Bildungsarbeit am Beispiel Jehovas Zeugen
(Zusammenfassung Referat Arnulf Heinemann – JVA Wolfenbüttel)
Geschichte der Hinrichtungsstätte Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel
Die Schlosserei des Strafgefängnisses Wolfenbüttel wurde 1937 zur Hinrichtungsstätte umgebaut.
Von November 1937 bis Ende 1947 wurden dort Hinrichtungen durchgeführt. Ungefähr 550 Menschen wurden bis 1945 durch die NS-Justiz durch die Guillotine, Erhängen oder Erschießungen hingerichtet. Nach 1945 gab es noch 67 Hinrichtungen. Sie wurden durch die britische Militärverwaltung gegen Deutsche und Ausländer wegen Kriegsverbrechen oder Verstößen gegen die Anordnungen der alliierten Militärregierung vollstreckt.
In den Räumen der ehemaligen Hinrichtungsstätte wurde 1990 eine Dauerausstellung „NS-Justiz und Todesstrafe“ eingerichtet. Die Dauerausstellung „Justiz und Strafvollzug im Nationalsozialismus“ wurde 1999 in ehemaligen Hafträumen der JVA eröffnet. Schwerpunkt dieser Ausstellungen sind das Verschwinden der Freiheitsrechte, rassisches Denken und die Ungleichheit der Menschen vor Gericht, die Sondergerichte und die die Nürnberger Prozesse nach 1945.
Im Frühjahr 2013 kam die Wanderausstellung „1933 und das Recht: Der Beitrag der Justiz zur „Machtergreifung'“ hinzu.
Die Ausstellung dokumentiert anhand zahlreicher Beispiele, welche Rolle die Justiz in dieser Phase spielte. Thematisiert wird die Ausschaltung der politischen Gegner, die Ausschließung republikanischer und jüdischer Juristen sowie der Ausgrenzung durch das Erbgesundheitsgesetz.
Bildungsarbeit
Das Niedersächsische Kultusministerium sieht für das Kerncurriculum für das Gymnasium vor, dass verschiedene Formen des Widerstandes verglichen werden. Ziele, Lebenswirklichkeiten und Handlungsspielräume in der NS-Zeit zwischen Unterstützung und Anpassung, sowie Verfolgung und Widerstand sollen beleuchtet werden.
Ein Beispiel des Widerstandes ist der Katholik und Schweizer Maurice Bavaud. Er wollte Hitler beim Gedenkmarsch am 9. November 1938 zur Münchner Feldherrnhalle erschießen. Es gelang ihm nicht dicht genug an Hitler herangekommen und er fuhr ohne Geld und Fahrkarte nach Paris. Er wurde bei einer Kontrolle gefasst und im Amtsgericht in Augsburg am 6. Dezember 1938 wegen Fahrkartenbetrugs und unbefugten Waffentragens zu zwei Monaten und einer Woche Gefängnis verurteilt. Da er eine Pistole und auffällige Dokumente bei sich trug, wurde er der Gestapo übergeben. Unter Folter gab er zu, dass er Hitler habe töten wollen. Während des Prozesses sagte er, Hitler wäre „eine Gefahr für die Menschheit, für die Unabhängigkeit der Schweiz und für den Katholizismus in Deutschland“. Maurice Bavaud wurde zum Tode verurteilt und am 14. Mai 1941 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee enthauptet. Sein Vater strengte seine Rehabilitation an. In den Fünfziger Jahren wurde das Urteil postum reduziert.
Die Verurteilung wegen versuchten Mordes zu fünf Jahren Zuchthaus und zu fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Ehre blieb bestehen. In der Urteilsbegründung hieß es: „Das Leben Hitlers ist […] in gleicher Weise als geschütztes Rechtsgut anzuerkennen, wie das Leben eines jeden anderen Menschen. Ein Rechtfertigungsgrund im Sinne einer etwa erlaubten Diktatorentötung ist dem Strafrecht fremd.“
Eine weniger bekannte Opfergruppe sind die Bibelforscher, die heute als Zeugen Jehovas bekannt sind. In der Bildungsarbeit wird eine Unterrichtseinheit zum Thema Berthold Mehm (ein Hildesheimer Baumeister) beleuchtet. Die Unterrichtseinheit wurde von Wilfried Knauer und Arnulf Heinemann verfasst.
Das Urteil zu Berthold Mehm wird ebenfalls mit Schülergruppen behandelt.
Biografie Berthold Mehm: Er wurde am 17.3.1874 in Langenbach, Kreis Schleusingen in Thüringen als Sohn eines Böttchermeisters geboren. Ungefähr 1895 zog er nach Hildesheim und absolvierte dort die Baugewerbeschule. Die Meisterprüfung legte er in Holzminden ab. Er machte sich als Baumeister selbstständig. Er engagierte sich im „Evangelisch-Lutherischen-Kirchenbauverein“. 1914 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Nach dem 1. Weltkrieg verkleinerte er sein Unternehmen und spezialisierte sich auf Anbauten, Umbauten und Reparaturen. Er engagierte sich nun bei den Bibelforschern. Ende 1931 trat er aus der evangelischen Kirche aus. Sein Baugeschäft wurde ab 1934 boykottiert.Im Dezember 1936 organisierte Berthold Mehm die Verteilung einer Resolution der Bibelforscher, die auf die Verfolgung der Zeugen Jehovas in Deutschland aufmerksam machte. Berthold Mehm wurde am 17. Dezember inhaftiert. Zuerst kam er ins Gerichtsgefängnis nach Hannover. Er wurde im Februar 1937 von einem Sondergericht zu einen Jahr Haft verurteilt. Am 5. Februar wurde er ins Strafgefängnis Wolfenbüttel überstellt. Am 22. Oktober 1937 lieferte man ihn ins Konzentrationslager Sachsenhausen ein. Dort starb Berthold Mehm am 28. März 1939. Offiziell wurde als Todesursache Magenkrebs bescheinigt. Augenzeugen berichteten jedoch, dass er erschossen wurde, weil er den „Deutschen Gruß“ verweigert habe.
Arbeit vor Ort in der JVA Wolfenbüttel
Da es weder lebende Zeitzeugen noch Bilder der Hinrichtungen gibt, können sich die Schüler nur mit den Urteilen und anderen Quellen, z.B. Abschiedsbriefe der Todeskandidaten beschäftigen. Sie erhalten Einsicht in das Hinrichtungsbuch, das sich als eine Großkopie an einer Wand in der ehemaligen Hinrichtungsstätte befindet.
Die Arbeit mit den Schülern findet in einer Großzelle in der JVA Wolfenbüttel statt. Die Schüler erleben hautnah wie es ist, weggesperrt zu werden. Hinter ihnen wir die Tür abgeschlossen. Zuvor müssen sie ihre Handys abgeben. Ein Besuch der Hinrichtungsstätte ist ebenfalls vorgesehen. Die Schüler erhalten Notfallgeräte für den Fall, dass es ihnen nicht gut geht.
http://wolfenbuettel.stiftung-ng.de/
http://www.forumjustizgeschichte.de/Gedenkstaette-W.156.0.html
http://vernetztes-erinnern-hildesheim.de/pages/home/hildesheim/personen/opfer/berthold-mehm.php
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