„O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen“

Die Sendung wurde am 12. Juni 2002 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt

Besuch der KZ-Gedenkstätte Buchenwald

Wir verlassen Weimar und fahren Richtung Ettersberg nach Buchenwald. Es ist der 9. Mai 2002. Die Sonne scheint. Wir biegen links in die Zufahrtsstraße zur KZ-Gedenkstätte Buchenwald ab. Rechts an der Straße steht ein Schild mit der Aufschrift „Blutstraße“. Die lange Straße durch den schönen Wald wurde 1939 von den Häftlingen gebaut. Teilweise ist die Straße noch original erhalten. Im Geist hören wir das Hämmern der Häftlinge beim Straßenbau. Uns fällt der Liedtext von Gunter Gabriel ein: „Getränkt mit unserm Schweiß ist jeder Meter Gleis…“ [Anm.aus: Intercity Linie Nr. 4] Nur Schweiß? Wie viele der Häftlinge haben wohl bei dem Bau der Straße und 1943 bei dem Bau der Bahnstrecke ihr Leben verloren? Uns beschleicht ein sehr beklemmendes Gefühl.

Wir lassen den Wald hinter uns und befinden uns auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers, das 1951 größtenteils abgerissen wurde. Der Weg gabelt sich. Rechts geht es zum ehemaligen Bahnhof Buchenwald. Wir stellen uns vor, wie Züge ins Vernichtungslager Auschwitz abfahren, neue Häftlinge eintreffen und Material der Rüstungsindustrie angeliefert wird. Wir fahren an der ehemaligen Kommandantur vorbei, von der noch Gebäudereste stehen. Wir parken auf dem ehemaligen SS-Exerzierplatz vor den wenigen erhaltenen SS-Kasernengebäuden. Sie werden von der KZ-Gedenkstätte benutzt. Der Kinosaal ist in einem der Gebäude.

Dort berichtet der 87 jährige Max Liebster mit heiserer Stimme und Odenwalder Dialekt über die wenigen Monate, die er als Jude hier zugebracht hat. Halb tot kam er am 26. Januar 1945 in Buchenwald Max und Simone Liebsteran und wurde wie alle Juden in dem Kleinen Lager untergebracht. Typhus, mangelnde Hygiene und Überbelegung führte zum großen Sterben. Ein Bibelforschern (Zeuge Jehovas) stellte den Kontakt zu einem kommunistischen Kapo aus seiner Heimatstadt her. Er kam in das große Lager und erhielt nun mehr Essen. Plötzlich sollten alle Juden vernichtet werden. Zuerst wurden die Juden zusammengetrieben, auf die Eisenbahnwaggons geladen und sollten dann im Wald erschossen werden. Max Liebster und sein Freund versteckten sich hinter einem Holzstapel mit Schwellen. Im Chaos wurden sie vergessen und überlebten. Der Holzstapel existiert noch.

250 000 Menschen waren in Buchenwald inhaftiert und mehr als 50 000 Menschen starben.

Wir gehen nun zum Häftlingslager und treten durch ein eisernes Tor im Torgebäude mit der Aufschrift
Jedem das Seine„Jedem das BuchenwaldSeine”. Welch eine Ironie! Wir sind überrascht, aber auch betäubt von dem Anblick, der sich uns bietet: Vor uns liegt eine große graue öde Fläche mit nur wenigen noch erhaltenen Gebäuden. Lagerbaracken gibt es nicht mehr. Ihre Standorte sind wie Gräber eingefasst und mit Schotter aufgeschüttet. Wir werfen kurz einen Blick in das Desinfektionsgebäude, im dem die Kleider abgegeben werden mussten und gehen anschließend in das gut erhaltene Krematorium mit der pathologischen Abteilung. Im weiß gekachelten Sezierraum sehen wir mitKrematorium Buchenwald geistigem Auge die Toten vor uns liegen. Bei den Verbrennungsöfen ist es wieder da das beklemmende Gefühl! Wie viele Menschen wurden hier wohl verbrannt? Wer hat wohl die Verbrennungsanlage bedient? Warum dieser Wahnsinn?

Nun ist es Zeit sich wieder auf den Weg zu machen. Wir fahren zurück über die „Blutstraße“ und hören im Geist wieder die arbeitenden Häftlinge. Wo mag wohl der Holzstapel mit den Schwellen sein, hinter denen sich Max Liebster versteckte? Wir halten noch kurz bei dem riesigen Mahnmal an und werfen einen letzten Blick auf die Stadt Weimar. Weimar, Goethe Schiller Weimarhier wo Johann Wolfgang von Goethe 1832 gestorben ist. Wie hätte Goethe auf den Bau des KZ Buchenwald reagiert? Gab es Widerstand der Weimarer Bürger? Was hätten wir getan?

Auf Befehl texteten die Häftlinge die Liedzeilen: „O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist. Wer dich verließ, der kann erst ermessen, wie wundervoll die Freiheit ist.“ (Text: Fritz Löhner-Beda, Melodie: Hermann Leopoldi) Auch wir werden so schnell nicht vergessen.

© Ingeborg Lüdtke

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Anmerkung:

Über 1.000 Weimarer Bürger mussten am 16. April laut Befehl von General Patton (hauptsächlich Mitglieder der NSDAP) das befreite Lager mit den Leichenbergen besichtigen.

Links zum Buchenwaldlied:

http://rudolf-homann.blog.de/2010/12/21/fast-vergessene-lieder-heute-buchenwaldlied-10229108/

Link über die Befreiung des KZ Buchenwalds:
http://www.buchenwald.de/index.php?p=138

Literaturhinweis:

Max Liebster, Hoffnungsstrahl im Nazisturm. Geschichte eines Holocaustüberlebenden

Editions Schortgen, Esch-sur-Alzette, 2003

Heyne-TBb 19/9, Kindler Verlag, München 2001

Eugen Kogon, Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager

Gedenkstein für Max Liebster in Bad Reichenbach
http://www.morgenweb.de/region/bergstrasser-anzeiger/lautertal/denkmal-fur-max-liebster-eingeweiht-1.1088744

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