Ellrich: KZ und Zwangsarbeit in einer deutschen Kleinstadt

Interview am 8.4.2009 mit Dr. Jens-Christian Wagner, dem Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora Jens Christian Wagner Ellrichund dem ehemaligen belgischen Häftling Josef Huybregts über das KZ Ellrich-Juliushütte

Am 8. April 2009 stellte der KZ-Gedenkstättenleiter [Anm.: bis Herbst 2014] Dr. Jens-Christian Wagner sein neues Buch in der St. Johannis Kirche in Ellrich vor.


Ingeborg Lüdtke:

Herr Dr. Wagner, Ihr Buch Ellrich 1944/45 – Konzentrationslager und Zwangsarbeit in einer deutschen Kleinstadt ist nun erschienen.

Was ist das besondere an diesem Buch?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Zum einen ist Ellrich-Juliushütte auch heute noch ein weitgehend vergessenes KZ, das es aber allein schon wegen seiner quantitativen Dimension verdient, in die Erinnerung zurückgerufen zu werden; und allein schon wegen der über 4000 Häftlinge, die das Lager nicht überlebt haben, die dort innerhalb von nur einem Jahr gestorben sind. Und sicherlich ist eine Besonderheit geradezu singulär in der Geschichte des Lagers Ellrich-Juliushütte die Zeit nach 1945. Da das Lager durch die deutsch-deutsche Grenze durchschnitten wurde und hier kann wie an keinen anderen Ort wirklich geradezu räumlich auf engsten Raum verdichtet ansehen, was NS-Verbrechen nach 1945 für Folgen gehabt haben. Es wird hier an diesem Ort deutlich, dass die deutsche Teilung eine Folge der NS-Verbrechen gewesen ist und das darf nicht vergessen werden. Wir erleben ja in den letzten Jahren, dass immer mal historisch Sinn entleert über die Verbrechen im 20. Jahrhundert lamentiert wird, ohne das Ursache und Folgen säuberlich auseinander gehalten werden. Das muss man meines Erachtens machen. Man darf die Opfer der DDR nicht mit den Opfern des Nationalsozialismus in einen Topf werfen. Diese beiden politischen Systeme sind nicht miteinander vergleichbar.


Ingeborg Lüdtke:

Welche Bedeutung hatte der Nationalsozialismus in Ellrich?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Im Grunde war Ellrich bis im Jahre 1944 eine Stadt im Nationalsozialismus wie jede deutsche Kleinstadt auch. Das heißt, es hatte 1933 bereits die Verfolgung politischer Gegner gegeben. Diejenigen, die außerhalb der Volksgemeinschaft zu stehen schienen, sind im Laufe der 1930er Jahren an die Seite geschoben, verfolgt und zum Teil auch bereits vernichtet worden. Dies betraf insbesondere die jüdische Bevölkerung Ellrichs. In Ellrich gab es eine recht große jüdische Gemeinde. Seit 1939 nahm die Zahl der Zwangsarbeiter in der Stadt kontinuierlich zu. Bis zum Mai 1944 war es aber im Grunde nicht wesentlich anders, als in allen anderen deutschen Städten zu jener Zeit. Im Mai 1944 wurden in der Stadt zwei Konzentrationslager eingerichtet. Ein KZ befand sich in einer Gaststätte, die einen angeschlossenen Tanzsaal hatte. Hier wurden etwa 1000 Häftlinge untergebracht. Ein anderes wesentlich größeres Lager mit durchschnittlich 8000 Insassen wurde in den leerstehenden Gipsfabriken am Bahnhof eingerichtet. Das heißt, in eine Stadt, die durchschnittlich etwa 4000-5000 Einwohner hatte, kamen im letzten Kriegsjahr über 9000 KZ-Häftlinge hinzu. Dies veränderte den Alltag in der Stadt komplett.


Ingeborg Lüdtke:

Wie waren die hygienischen Zustände in den Lagern?


Dr. Jens-Christian Wagner:

In dem Lager, das in der Gaststätte eingerichtet war, waren die hygienischen Verhältnisse zwar schlecht, aber im Gegensatz zu dem, was sich im Lager Juliushütte am Bahnhof abgespielt hat, war dies noch relativ günstig. In Juliushütte herrschten katastrophale hygienische Bedingungen. Dieses Lager wurde völlig improvisiert in leerstehenden Gipsfabriken eingerichtet. Die Gebäude waren zum Teil baufällig und verfügten über keine sanitären Einrichtungen. Es gab keine Toiletten und dort wurden innerhalb kürzester Zeit 8000 Häftlinge untergebracht, die keine Möglichkeit hatten sich zu waschen. Es gab ein paar Klosetts, die notdürftig eingerichtet wurden. Diese reichten aber für achttausend Menschen überhaupt nicht aus. Schon nach kurzer Zeit war das gesamte Lagergelände innerhalb des elektrisch geladenen Zauns von Exkrementen übersät. Es breiteten sich Seuchen in dem Lager aus. Es herrschte ein gnadenloser Hunger, insbesondere ab Januar 1945. Zwei Monate lang wurde kein Brot ausgegeben. Es gab eine dünne Wassersuppe zu essen, sonst nichts. Die Häftlinge starben buchstäblich wie die Fliegen.


Ingeborg Lüdtke:

Ich habe gelesen, dass die Häftlinge zum Teil keine Kleidung hatten.


Dr. Jens-Christian Wagner:

Genau, das ist auch noch mal ein Spezifikum der Geschichte des KZ Außenlagers Ellrich-Juliushütte. Es gab dort eine eigene Häftlingskategorie namens „Ohne Kleider“, die die SS in den täglichen Veränderungsmeldungen explizit als eigene Kategorie aufgeführt hat. Dies waren Häftlinge, deren völlig zerschlissene blauweißen Anzüge von Ungeziefer verseucht waren. Die SS hat sich im Oktober 1944 bemüht, die Kleidung zu desinfizieren, dass heißt, es ist ein mobiler Entlausungszug aus dem Hauptlager Dora gekommen. Die Kleidungsstücke wurden eingesammelt und in siedend heißen Dampf gehalten, was zur Folge hatte, dass die Kleidung sich im wahrsten Sinne des Wortes aufgelöst hat. Und am Ende der Entlausung im Lager Ellrich-Juliushütte hatten etwa 2000 Häftlinge keine Kleider. Diese Häftlinge wurden dann auch gar nicht mehr bzw. nur teilweise zur Arbeit eingesetzt. Sie mussten ihre Kleidung jeweils mit der Schicht tauschen, die gearbeitet hatte. Die Hälfte der Häftlinge blieb ohne Kleider im Lager und die andere Hälfe wurde mit den Kleidern zur Arbeit geschickt. Das hatte natürlich zu Folge, dass sich Infektionen ausbreiteten, die in den Kleidern saßen und das führte noch einmal verschärfend dazu, dass die Todesrate in Ellrich- Juliushütte extrem im Herbst 1944 anstieg. Dieses Außenlager des KZ Mittelbaus hatte die höchste Todesrate mit Ausnahme der Boelckekaserne, das ein reines Sterbelager gewesen ist.


Ingeborg Lüdtke:

Welche Tätigkeiten mussten die Häftlinge ausführen?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Die meisten Häftlinge aus den beiden Lagern in Ellrich (Gaststätte Bürgergarten + Juliushütte) wurden in den Baukommandos eingesetzt; davon arbeiteten wiederum ein sehr großer Teil in unterirdischen Kommandos, das heißt beim Ausschachten, beim Vorantreiben von Stollen, die der Aufnahme von Junckers Flugzeugwerken dienen sollten. Diese Stollenanlagen sind nie fertig geworden. Man kann resümierend festhalten: Hier in Ellrich als auch auf vielen anderen Baustellen des KZ Mittelbau war das einzige tatsächliche Produkt des Rüstungszentrums im Südharz der massenhafte Tod der auf den Baustellen eingesetzten Zwangsarbeiter und nicht eine wie auch immer geartete Wunderwaffe.


Ingeborg Lüdtke:

Gibt es Berichte darüber, dass die Bevölkerung den Inhaftierten geholfen hat und wie die Bevölkerung auf die Inhaftierten reagiert hat?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Ja, die Frage der Wechselwirkungen zwischen den Lagern und ihrem gesellschaftlichen Umfeld, also den Beziehungsstrukturen zwischen den Häftlingen und der Lokalbevölkerung, ist quellenkritisch sehr, sehr schwierig zu beantworten, weil es sehr wenig zeitgenössische Quellen darüber gibt. Es gibt sehr viele Berichte von überlebenden Häftlingen, aber auch von Zeitzeugen aus der Bevölkerung, die natürlich mit Vorsicht zu bewerten sind. Insbesondere sind Berichte der Zeitzeugen aus der Bevölkerung mit Vorsicht zu betrachten, da diese unisono immer von Hilfeleistungen in Form von dem berühmten Brotzustecken sprechen, während überlebende Häftlinge so etwas sehr selten berichten. Es gibt Einzelfälle, die tatsächlich belegt sind, die besagen dass Ellricher Bürger Häftlingen geholfen haben. Zum Beispiel hat der katholische Pfarrer von Ellrich in den letzten Tagen zwei entflohene, ukrainische, katholische Pfarrer versteckt. Das ist sogar fotodokumentarisch festgehalten worden. Das sind belegte Fälle, aber das sind Einzelfälle. Der weitaus größte Teil der Bevölkerung hat versucht wegzuschauen. Dies war allerdings bei der Präsenz der Lager kaum möglich, immerhin waren doppelt so viele Häftlinge in der Stadt, wie es Einwohner gab. Und ein nicht unbeträchtlich kleiner Teil der Bevölkerung ist auch aktiv zu Mittätern geworden. Handwerker oder Gewerbetreibende in der Stadt haben KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter in ihren Betrieben beschäftigt. Auch das fällt in den Bereich der Täterschaft. Viele Menschen, insbesondere junge Menschen, wurden in sogenannte „Häscherkommandos“ eingespannt, um geflohene Häftlinge wieder einzufangen. Dies waren die berüchtigten „Hasenjagden“, die auch aus anderen KZ-Komplexen überliefert wurden. So etwas hat es hier im Südharz seit dem März 1944 fast täglich gegeben. Und auch da hat sich die Ellricher Bevölkerung dran beteiligt, natürlich nicht alle. Das war eine Minderheit, aber eine doch recht große Minderheit, die aktiv zu Mittätern geworden ist. Dann gab es noch eine große schweigende Mehrheit, die dem Massensterben weitgehend teilnahmslos gegenüber gestanden hat und eine ganz, ganz, ganz kleine Minderheit, die versucht hat den Häftlingen zu helfen.


Ingeborg Lüdtke:

Sind diejenigen, die sich schuldig gemacht haben zur Rechenschaft gezogen worden?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Ich denke, man muss generell bei dieser Frage nach der Schuld und der Verantwortung differenzieren zwischen juristisch messbar, also justiziabler Schuld im juristischen Sinne und zwischen so etwas wie historischer Verantwortung. Und ich als Historiker arbeite natürlich in historischen Kategorien und ich bin kein Staatsanwalt. Es geht hier überhaupt nicht darum auf irgend jemand mit dem Zeigefinger zu zeigen und zu sagen: „Der ist schuldig“, sondern es geht darum zu fragen, welche ideologischen, welche strukturellen, welche habituellen Gründe dazu beigetragen haben, dass ein großer Teil der Bevölkerung den Häftlingen feindselig gegenüber gestanden hat; und warum sich eine nicht kleine Minderheit auch aktiv an den Verbrechen beteiligt hat. Das kann man durchdeklinieren. Es gibt eine Menge Gründe von denen erschreckender Weise manche Strukturen auch heute noch Wirkung entfalten.

Was die justizielle Ahndung nach dem Krieg anbelangt, so ist aus der Bevölkerung niemand zur Rechenschaft gezogen worden, auch nicht der Ellricher Bürgermeister. Er ist als Exponent des NS-Regimes vor Ort ein langjähriger sogenannter „Kämpfer der NSDAP“ oder salopp gesagt, ein „scharfer Hund“ gewesen. Gegen Kriegsende hat er von der SS verlangt, dass sie die Häftlinge doch einfach in den Stollen jagen und vernichten sollten. Er hat danach verlangt, dass die Häftlinge auf den Todesmarsch geschickt wurden. Er war aktiv an der Einrichtung dieser beiden Lager beteiligt. Gegen ihn hat es nach dem Krieg ein Verfahren gegeben. Er war Insasse eines britischen Internierungslagers in Westfalen und er ist de facto freigesprochen worden, also zu einer geringen Geldstrafe verurteilt worden. Er wurde aber nicht wegen der KZ-Verbrechen verurteilt. Diese haben dabei gar keine Rolle gespielt, sondern er wurde wegen seiner Beteiligung an der Niederbrennung der jüdischen Synagoge 1938 verurteilt.


Ingeborg Lüdtke:

Kommen heute auch noch Personen aus Ellrich hierher und arbeiten ihre Geschichte auch gemeinsam mit der nachfolgenden Generation auf?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Die Stadt Ellrich hat sich meines Erachtens lange Zeit mit diesem Erbe schwergetan.

Es hat in den 1980er Jahren einen sehr rührigen Lehrer an der einzigen Schule gegeben, der mit seinen Schülern Zeitzeugen befragt hat, also damals die Eltern und Großeltern. Da ist eine beträchtliche Sammlung von Zeitzeugenberichten zustande gekommen. Dies ist dann alles wieder eingeschlafen, zumal ja erschwerend hinzukam, dass das Lagergelände in Ellrich-Juliushütte bis 1989/90 direkt im Bereich der deutsch-deutschen Grenze lag und ja nicht zugänglich war. Der westliche Teil des Geländes des ehemaligen Lagers gehörte zu Niedersachsen, der östliche Teil gehörte zur DDR. Auf der östlichen Seite kam man gar nicht zum ehemaligen Lager hin. Seit 1990 ist das Gelände wieder zugänglich und wird schrittweise auch wieder begehbar gemacht. Es gibt einen sehr aktiven Jugendverein im Südharz, den Verein „Jugend für Dora“, der sich da sehr eingebracht hat. Auch die Stadt Ellrich ist mittlerweise mit ihrem seit 3 Jahren neuamtierenden Bürgermeister vorne dabei, wenn es darum geht sich kritisch mit der Lagergeschichte, die ja ein Teil der Stadtgeschichte ist, auseinanderzusetzen. Anders sieht es zurzeit auf der westdeutschen Seite aus. Der westliche Teil des Lagergeländes gehört zur Gemeinde Walkenried, aber wie es aussieht, wird heute Nachmittag kein offizieller Vertreter der Gesamtgemeinde Walkenried daran teilnehmen.


Ingeborg Lüdtke:

Was ist denn mit den Gebäuden des KZ-Lagers geschehen?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Also ich habe am Ende des Buches einen längeren Abschnitt zur Nachgeschichte geschrieben, weil sich an diesem Ort Ellrich-Juliushütte sehr, sehr deutlich zeigen lässt, wie an der Nahtstelle zwischen Ost und West, die wechselseitigen Schuldprojektionen zwischen Ost und West dazu beigetragen haben, sich auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze mit der eigenen Verantwortung für NS-Verbrechen nicht zu befassen. Auf westlicher Seite war es das antikommunistische Narrativ. Der Verweis auf das verbrecherische DDR-Grenzregime stand dort vor Ort im Mittelpunkt. Die Schulklassen wurden zu einem Übersichtspunkt hingeführt, den der Bundesgrenzschutz angelegt hat. Er lag nur 50 m vom ehemaligen Krematorium entfernt. Von hieraus wurde auf den Bahnhof von Ellrich Bahnhof Ellrichherunter geschaut und zugesehen, wie die Züge da immer so hinein- und hinausfuhren. Und es wurde berechtigterweise natürlich darüber lamentiert, was die deutsche Teilung für die Menschen vor Ort bedeutet. Dass dies aber ein ehemaliges KZ-Gelände war, darüber wurde kein Wort verloren. Man darf dem deutschen Grenzschutz noch nicht mal einen Vorwurf machen. Die Beamten, die dort die Führungen gemacht haben und auch die Zollbeamten wussten das gar nicht. Sie hätten allerdings mal nachfragen können. Es gab ja noch bauliche Relikte. 1964 hat der Bundesgrenzschutz die vorhandenen Unterkunftsgebäude des ehemaligen KZ´s auf der westlichen Seite gesprengt. Diesem Abriss fiel auch das Krematorium zum Opfer. Damals wusste man das noch ganz genau und hat auch explizit mit dem Wissen der KZ-Vergangenheit diesen Ort in Anführungsstrichen „gesäubert“, um diesen „Schandfleck verschwinden zu lassen“, wie es damals in den Zeitungen stand. Das war ganz explizit und so verlegt sich sozusagen das kommunistische Narrativ völlig auf die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und auf östlicher Seite ist es im Prinzip sehr ähnlich. Da machte man Ausstellungen wie hier in Dora „Die Blutspur führt nach Bonn“. Das heißt die Schuldigen sitzen alle in Westdeutschland und man selbst gehört dem Volk an, das aus dem antifaschistischen Widerstandskampf hervorgegangen ist.

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Nach der Buchpräsentation „Ellrich 1944/45 – Konzentrationslager und Zwangsarbeit in einer deutschen Kleinstadt“ hatte ich noch Gelegenheit mit dem ehemaligen Inhaftierten Josef Huybreght aus Belgien zu sprechen.

Josef Huybreght sieht man seine 86 Jahre nicht an. Er trägt einen blauen Anzug mit passender Krawatte. Die wenigen Haare sind korrekt zurückgekämmt. Er wirkt sehr ruhig und zurückhalten. Er gehört zu denjenigen Zeitzeugen, die nicht so sehr viel über ihre Erlebnisse reden. Reden überlässt er lieber anderen.

Seine Augen blicken mich durch die Brille freundlich an, während ich ihn befrage. Manchmal habe ich ein Sprachproblem, wenn er plötzlich Flämisch mit mir spricht. Wir lachen. Doch ich erfahre eine Menge von ihm.

Er war im Widerstand tätig:

Ich war im Widerstand. Jemand hat mich verraten.

Er kam ins Kriegsgefängnis nach Antwerpen. Nach 26 Tagen am 19. Juni 1944 wird er in das KZ Buchenwald gebracht. Auch hier bleibt er 26 Tage. Er erhält die Häftlingsnummer 60069. Danach kommt er ins KZ Mittelbau-Dora und später dann nach Ellrich-Juliushütte. Als Beruf gibt er Sanitäter an. Er wird als Häftlingspfleger eingeteilt:

Dann bin ich Häftlingspfleger geworden. In unserer Ambulanz. Und dann [bin] ich in Himmelberg Pfleger gewesen bis 25.Dezember 1944. Und … in unsere neue Ambulanz … bin ich [am] 1. Januar 1945 [gekommen].

Die medizinische Versorgung war unzureichend, deshalb ist er einmal Fuß mit einem Soldaten in zum KZ-Mittelbau Dora gegangen.


Ich [bin] mit einem Soldat[en] zu Fuß nach Dora ge[gangen], um Medikamente und Material zu holen. Das war schrecklich.

Vermutlich ist er auf dem Weg zum Dora-Lager durch die Tunnel von Dora gegangen:


Und dann bin ich mit der Wache durch[den] Stollen gegangen [und] auf [dem] Revier gewesen
.

Die hygienischen Zustände waren schrecklich. Er erzählt, dass er seine gestreifte Häftlingskleidung in Buchwald bekam und fast ein Jahr später in Schwerin wieder ausziehen konnte. Die Kleidung wurde nie gereinigt:

Das habe ich in Buchenwald empfangen und [habe] das abgegeben in Schwerin [am] 5. April 1945. Niemals [sind die] Sache[n im] Wasser gewesen.

Auch die Strohsäcke waren schmutzig. Sie schliefen in Etagenbetten. 3 Personen mussten sich ein Bett teilen.

Josef Huybreght war nicht immer in demselben Block untergebracht. Freundschaften gab es nicht:

Nein, ich war auch … im Block 1, 2 ,3, 4, 7 . Morgens Schicht, abends Schicht, nirgends [waren wir] zusammen.

Nach der Befreiung wurde er von dem Roten Kreuz nach Brüssel in ein Krankenhaus gebracht. Er blieb nicht lange im Krankenhaus.

1958 war er das erste Mal wieder in Ellrich. Er fotografierte die Baracke. Er wurde von der Ellricher Bevölkerung gut aufgenommen.

Sehr gut, wir waren ein ganzer Bus, 36 Personen. Witwe[n] und Häftlinge. Na ja, da hab ich noch Erinnerungen dran.

Und heute am 8. April 2009 ist Joseph Huybreght wieder in Ellrich. Sicherlich hat er viele Erinnerungen an das schreckliche Leid im Lager. Aber ich respektiere, dass er nicht alle Erinnerungen mit mir teilen möchte.

(c) Copyright Ingeborg Lüdtke

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Bilder: aufgenommen anlässlich der Gedenkfeier des KZ Ellrich bei Nordhausen am 8.4.2009 und der Buchpräsentation in der St. Johannis Kirche Ellrich.

Die Radiosendung wurde am 5. Mai 2009 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt.

Literaturhinweis:

http://www.wallstein-verlag.de/9783835304383-jens-christian-wagner-ellrich-1944-45.html

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