Rückblick auf ein Jahr mit Corona

Als 60+  und somit einer Risikogruppe anzugehörend, habe ich den Vorteil ein Einzelbüro in Anspruch nehmen zu können oder in Homeoffice zu arbeiten. Letzteres scheiterte an den Zugangsdaten. Eigentlich wollte ich auch lieber arbeiten, um etwas Struktur im Leben zu erhalten.

Anfangs (März 20) waren wir nur drei Mitarbeiterinnen im gesamten Gebäude. Täglich schaute ich bei den Kolleginnen kurz zur Begrüßung oder zum Abschied vorbei. Manchmal auch nur auf einen kurzen Plausch vorbeischauend. Unser Leben war sehr entspannt, weil man niemandem ausweichen musste. Später kehrten immer mehr KollegenInnen zurück und wir mussten Masken tragen.

Da mein Büro groß war, wurde ich gefragt, ob ich am anderen Ende der Etage in ein kleineres Büro für mich alleine ziehen würde. So könnten zwei Kolleginnen dort auf Abstand sitzen. Mir leuchtete dies auch ein, aber ich stimmte nur mit der Option zu, dass ich nach Corona dort auch bleiben könne. Diese Bitte wurde mir gewährt. Inzwischen habe ich mir das Büro sehr gemütlich eingerichtet. Als ich neulich in mein altes Büro sah, erkannte ich es nicht mehr. Alles ziemlich zugestellt und „rammelig“. Und die beiden Kolleginnen sind fast nur im Homeoffice.

Das „Schwert“ der Kurzarbeit für die ganze Firma schwebte eine Zeit lang über uns. Letztendlich gab es Entlassungen und andere KollegenInnen suchten freiwillig das Weite und fanden auch schnell eine andere Anstellung. Am 1.März 2021 wurde unsere Firma verkauft.

Das Einzige was beständig ist, ist die ständige Veränderung.

Es ist auch eine Zeit sich per ZOOM oder TEAMS fortzubilden. Diese Möglichkeit habe ich schon mehrfach ergriffen und freue mich darüber Neues zu lernen.

Auch ich selbst musste eine Kurz-Einführung zum Urheberrecht für neue Mitarbeiterinnen per TEAMS abhalten. Das war dann eher „Old-School“.

Ich bin noch nie so viel in Göttingen, auf dem Stadtfriedhof und im Umland gelaufen. Ich habe nicht gewusst, dass es so viele interessante geschichtsträchtige Orte gibt.

Meine Kenntnisse über Burgen und Schlösser haben sich sehr erweitert.

Einige Ruinen haben wir zu zweit besucht. Da wir aber aus verschiedenen Haushalten kommen, sind wir auch mit zwei Autos gefahren. So ganz umweltfreundlich mag dies nicht sein, aber wir haben jeder auch sehr wenig Sprit auf den Bundesstraßen verbraucht. Nur mein Auto verweigerte bei zwei längeren Fahrten bei Kreuzungen, einen Gang einzulegen. Das war zum einem peinlich, weil sich hinter mir eine Schlange bildete. Es hupte keiner, es half mir auch keiner. Wahrscheinlich dachten die Männer: „Typisch Frau am Steuer. Sie hat wohl den Motor abgewürgt.“ Bei dem anderen Mal hatte ich an der Kreuzung das Glück, dass von links niemand kam und ich war mit Schwung rechts abbiegen und rechts heran rollen konnte. Die jungen Frauen, die mir so dicht an der Stoßstange klebten, kümmerte dies gar nicht. Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man plötzlich nicht mehr Schalten kann. Durch mehrfaches Aus- und Einschalten des Autos konnte ich anfangs noch etwas ruckelig und später „butterweich“ die Gänge wundersamerweise wieder einlegen.

Einen Werkstatttermin vor und nach Weihnachten in einem Fachbetrieb zu bekommen, war auch nicht so einfach während Corona zu bekommen.

Und wie kann es auch sein: Bei der Probefahrt ließen sich die Gänge butterweich schalten und ich wurde mit dem Spruch vertröstet: „Melden Sie sich, wenn es wieder auftritt.“ Nun es trat gleich am nächsten Tag wieder auf. Inzwischen habe ich eine neue Kupplung.

Wir sind zu zweit auf Abstand auch viel durch Wälder zu den Ruinen gelaufen. Das war sehr schön. Nicht so schön war es, dass es entweder keine Toiletten gab oder vorhandene geschlossen waren.

Einmal mussten wir kurzfristig unsere Wanderroute ändern. Auf der Fahrt zum Ziel sahen wir viele SUVs im Wald. Wir waren sehr stolz darauf, den Parkplatz ohne viel Sucherei gefunden zu haben, mussten aber feststellen, dass der Wanderweg zur Ruine abgesperrt war. Wegen der „Jagd“ war es unter Todesgefahr untersagt den Weg zu betreten. Da wir eigentlich auch nicht vorhatten zum „Hasenbraten“ zu werden, sind wir noch ca. 20 km weiter zu der nächsten Burgruine gefahren.

Inzwischen bin ich auch stolze Besitzerin von Aluminium-Wanderstöcken, die besonders brauchbar sind, wenn man die steilen Wanderwege wieder hinablaufen muss. Auch bei dem Wintereinbruch und Schneemassen auf den Wegen beim Göttinger Kiessee kamen sie zum Einsatz.

Corona und Schnee bedeuten auch zusätzliche Isolation. Aber einige haben sich bei dem Winter- und Kälteeinbruch bestimmt auch gerne in den heimischen warmen Wänden „isoliert“. Andere wiederum strömten nach draußen. Einer blockierte mit dem Schlitten seines Kindes die schneebedeckte Straße, um dort ein Schwätzchen zu halten. Völlig unverständlich schaute er, als ich um das andere auf der Straße parkende Auto und seinem Schlitten Slalom fahren musste.

An der nächsten Kreuzung blieb ich im Schnee stecken, da die Straßen nur auf 1,5 Autos ausgerichtet/ausgefahren waren. Aber was macht man mit der anderen Hälfte seines Autos bei Gegenverkehr? Man bleibt stecken und falls man ein Kehrblech dabeihat, schaufelt man (Frau) sich frei. Erfreulich war das Angebot einer freundlich lächelnden Mutter mit Kindern so zwischen 6-8 Jahre, mich anzuschieben. Durch Freischaufeln und Zurücksetzen musste ich auf dieses Angebot nicht zurückgreifen.

Und wo war die vielgepriesene „Nachbarschaftshilfe“ beim Schnee schippen? Auf „Nextdoor.de“ war dies gar kein Thema. Kein Angebot eines Nachbarn oder Nachbarin bei einem anderen Schnee zu schippen oder eine Schaufel zu verleihen.

Der Stellplatzvermieter hatte sehr schön breit die Wege für die Autos freigeschoben und es gab auch dicht neben und vor meinen Parkplatz einen gut freigeschaufelten Weg. Leider hatte er nicht bedacht, dass ich ja auch Platz zum Einsteigen brauche. Da es weiterschneite und sich in unserem Keller keine Schaufel befand, habe ich dann links und rechts des Stellplatzes den Schnee mit dem Kehrblech auf den Weg vor den Autos geschaufelt. Nach rechts konnte ich den Schnee nicht werfen, da ich sonst das Einsteigen in das Nachbarauto völlig unmöglich gemacht hätte.

Als ich fast fertig mit dem Schneeschaufeln war, kam ein mir völlig unbekannter netter, jüngerer Nachbar mit Schaufel auf mich zu und fragte: „Junge Frau, kann ich Ihnen helfen?“ (Da er doch ca. 20 Jahre jünger war als ich, klang „Junge Frau“ schon etwas sonderbar.) Etwas Schnee hat er dann doch noch für mich geschaufelt.

Am nächsten Tag blieb ich zuhause und ging nur nachmittags zu Fuß bis zur Hauptstraße im Ort. Der Fußweg war nur teilweise geräumt. Auf der anderen Seite lief eine Frau so um die 65 J im Schnee. Sie lief wie ein Hampelmann, der seine Beine im Wechsel ganz hochhebt und durch den Schnee stapft. Ich rief ihr zu, sie solle aufpassen und doch lieber auf meine Seite kommen. Sie rief zurück: „Ich mach das doch so gerne.“ Man sah ihr die Freude an, in dem Schnee zu stapfen wie ein Kind. Als sie weiterging, sah ich, dass der Rücken voller Schnee war. Möglicherweise hat sie sich einfach mal mit dem Rücken in den Schnee gelegt.

Den Stadtfriedhof in Grone habe ich allerdings nicht bei Schnee aufgesucht. Seit März habe ich miterlebt, wie sich der Friedhof ständig in seiner Vegetation verändert hat. Es gab die schönsten und farbenreichen Veränderungen, angefangen bei der Kirschblüte bis zu den malerischen Herbstfarben. Immer wieder stand ich vor Grabsteinen von bekannten Persönlichkeiten oder meinen Seniorchefs und einer Kollegin.

Auf einer der Burgruinen-Eroberung-Touren bin ich im Unterholz mit dem linken Fuß hängen geblieben und gestürzt und anschließend noch weitergelaufen. Zuhause war der Knöchel angeschwollen. Während ich dabei war einen Quarkwickel anzulegen, klingelte es unten an der Haustür. Ich humpelte zur Sprechanlage und ließ das Mädchen hochkommen, damit sie mir den selbstgemachten Apfelsaft vor die Tür stellen konnte. In der Zwischenzeit hatte ich den Fuß umwickelt und einen Schuh angezogen. Bis ich dann die Tür geöffnet hatte, war das Mädchen bereits wieder die Treppen hinabgegangen. Ich rief ihr nach, dass sie meine Unhöflichkeit entschuldigen solle und bedankte mich. Es ist doch seltsam, dass man immer in den ungünstigsten Momenten gestört wird. Aber über die nette Geste mit dem Apfelsaft habe ich mich gefreut.

Mehrfach fand ich kleine Geschenke im Briefkasten oder es klingelte an der Haustür und man bat mich doch herunterzukommen, damit man mir eine kleine Tüte mit Inhalt oder einen Blumentopf überreichen konnte.

Ich selbst verteilte auch an einige Bekannte und die Nachbarin von dem Haus gegenüber Schokolade, selbstgebackene Kekse und Karten.

Die Telefonate und die Länge der Telefonate haben sich verändert. Sie sind häufiger und länger geworden.

ZOOM-Konferenzen (oder per TEAMS) gab es bisher zu Hauf, entweder in der Firma oder zum Gottesdienst. Das Headset längere Zeit zu tragen, nervt und drückt.

Unsere weitzerstreute Familie hat auf meine Initiative hin auch an einem freien Tag gemeinsam per ZOOM gefrühstückt. Das war eine neue Erfahrung, aber lustig. Wir haben uns danach auch später in verkürzter Form per ZOOM getroffen. Dadurch, dass man sich sieht, ist es persönlicher.

Das Abendmahl per ZOOM zu begehen oder religiöse Kongresse per STREAM anzusehen, war schon sehr gewöhnungsbedürftig. Auch in der Wohnung Lieder zu singen, mutet etwas seltsam an. Durch das Headset hört wenigstens der Nachbar nicht die laute Musik.

Im Gegensatz zu anderen leide ich nicht unter Isolation und Langeweile. Allerdings bin auch ich nicht vor grauen trüben Stimmungen gefeit, aber diese Stimmung hielt glücklicherweise nicht lange an.

Anfangs habe ich noch sehr viele Romane und Krimis gelesen, wie schon seit Jahren nicht mehr. Doch dann stellte sich auch wieder diese „Sättigung“ und die Bestätigung der Worte aus Prediger 12:12 ein :

„ … Das Schreiben vieler Bücher wird nie aufhören, und sich ihnen viel zu widmen, ermüdet den Körper.“

Inzwischen lese ich wieder Sachbücher.

Mein neuestes Hobby, ist „Hoffnungstütchen“ (positive Gedanken und Bibeltext) zu basteln und an öffentlichen Stellen zum Trost auszulegen. Vielleicht hilft es jemanden …

(C) copyright Ingeborg Lüdtke

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Einge der obigen Texte wurden von Schauspielern im Zusammenhang mit Texten anderer Göttingern gelesen und im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt.

Autor*in: Annette Andresen, Melanie Buhl, Rebecca Patricia Claude, Delia Ehrenheim-Schmidt, Martina Frigge-Filbir, Astrid Lätsch, Ingeborg Lüdtke und Roland Lange. Sprecher*innen: Rebecca Klingenberg, Angelika Fornell, Gaby Dey, Marco Matthes, Christoph Türkey, Ronny Thalmeyer. Dramaturgie und Regie: Brit Hennig. Ton: Farhad Ghafourian. Schnitt, Produktion: Andreas Goos

Man kann dies nachhören unter:

https://www.stadtradio-goettingen.de/beitraege/serien/coronafragmente_episoden/episode_13_lockdown_blues

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