900 Jahre Katlenburg (1105-2005)

Magazin „Mix Up“ im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt am 22. August 2005

Interview mit der Lokalhistorikerin Dr. Birgit Schlegel über die Geschichte der Ortschaft Katlenburg im Landkreis Northeim

Ingeborg Lüdtke:

900 Jahrfier KaltenburgFrau Dr. Schlegel, die Ortschaft Katlenburg Katlenburg feiert vom 26. bis 28. August das 900-jährige Jubiläum.
In welchem Zusammenhang wurde Katlenburg zum ersten Mal urkundlich erwähnt?

Dr. Birgit Schlegel:

Im Staatsarchiv Hannover liegt eine Urkunde aus dem Jahre 1105. In dieser Urkunde wird berichtet, dass der Erzbischof Ruthard von Mainz den Hauptaltar einer Kirche geweiht hat, die als Klosterkirche gedacht war. Die Grafen von Katlenburg hatten beschlossen zum Heil ihrer Seele und der ihrer Eltern ein Kloster zu errichten. Hierfür setzte sich besonders Graf Dietrich III. mit seiner Frau Adela ein.

Dies wurde in dieser Urkunde bestätigt und es wurden auch die Besitzungen verteilt, die der Graf und die Gräfin dem Kloster übergeben werden.

Ingeborg Lüdtke:

Aus welcher Familie stammte Graf Dietrich der Dritte?

Dr. Birgit Schlegel:

Wie ich bereits erwähnt, nannte man diese Herrscher die „Grafen von Katlenburg“ und der letzte Graf wurde auch „Graf von Einbeck“ genannt, weil es auch Besitzungen in Einbeck gab.

Die ersten beiden Grafen von Katlenburg hießen Heinrich und Udo. Der Name Udo weißt darauf hin, dass es verwandtschaftliche Beziehungen zu den Grafen von Stade gab. Diese waren damals auch sehr mächtige Herren.

Der Sohn von Graf Udo war Graf Dietrich der Erste, dessen Sohn war Graf Dietrich der Zweite. Im folgte der eben erwähnte Graf Dietrich der Dritte, der der letzte der Katlenburger Grafen wurde.

Ingeborg Lüdtke:

Welche Bedeutung hatte das Katlenburger Geschlecht in der damaligen Reichspolitik?

Dr. Birgit Schlegel:

Goslar KaiserpfalzDer Mittelpunkt des mittelalterlichen deutschen Reiches lag hier in unserer Gegend. Die Ottonen waren Sachsenkaiser und unter Sachsen verstand man das heutige Niedersachsen. Damals war Sachsen das Zentrum des Reiches. In Goslar gab es die Kaiserpfalz und auch hier im Harzumland hatten die Kaiser Besitzungen. Es gab auch einen wichtigen und sehr kämpferischen sächsischen Adel und zu diesen gehörten die Grafen von Katlenburg.

Ingeborg Lüdtke:

Was gibt es Besonderes über das Kloster KatlenburgKatlenburg zu erwähnen?


Dr. Birgit Schlegel:

Es war zunächst ein Kloster für Augustiner Chorherren, also für Mönche und relativ bald wurde es umgewandelt zu einem Kloster für Frauen, für Stiftsdamen. Diese waren ebenfalls Augustinerinnen.

Für mich ist das Wichtigste das Lagerbuch des Klosters, das die letzte Äbtissin hat schreiben lassen. Ein Lagerbuch ist ein Verzeichnis von den Gütern und Rechten, die zu einem Kloster gehören. Zum Beispiel heißt es dort: „Zum Kloster gehören 5 Wiesen in Wachenhausen“ oder „der Bauer Johannes aus Lindau bringt dem Kloster jährlich einen Käse“. Dies war damals ganz wichtig zu verzeichnen, weil in Thüringen die Bauernkriege tobten. Man hatte Angst, dass dies auch auf den Katlenburger Bereich übergreifen würde.

Dieses Lagerbuch ist vollständig und auch sehr gut erhalten.

Ingeborg Lüdtke:

Das Kloster wurde später unter Philipp dem Jüngeren von Grubenhagen zum Schloss umgebaut.

Welche Rolle spielte er in der Reichspolitik?


Dr. Birgit Schlegel:

Philipp der Jüngere war der fünfte Sohn von Herzog Philipp dem Ersten von Grubenhagen. Er wurde erst kurz vor seinem Lebensende Herzog. Er besaß das kleine welfische Territorium Grubenhagen mit dem Schwerpunkt in Einbeck, Osterode und Herzberg Das Schloss Herzberg war das Zentrum.

Da Philipp der Jüngere nicht besonders reich war, hat er sich in den Kriegsdienst des spanischen Königs gestellt. Er hat auch gegen die Türken gekämpft. Obwohl die Welfen Protestanten wurden, hat er auf der katholischen Seite für die Könige von Spanien und der Niederlande gekämpft. Hier sieht man, dass die angeblichen Glaubenskriege auch machtpolitische Kriege waren.

Ingeborg Lüdtke:

Wie erlebte Katlenburg den 30 jährigen Krieg?

Dr. Birgit Schlegel:

Zum Amt Katlenburg gehörten neben dem alten Bauerndorf Katlenburg-Duhm, Wachenhausen, Gillersheim, Suterode und Berka. Den Bewohnern dieser Dörfer ging es 30 jährigen Krieg sehr schlecht. Sie wurden immer wieder überfallen und nach dem Krieg waren sehr viele Häuser zerstört. Besonders schlecht ging es der Katlenburg, weil der damalige Fürst, ein Bruder von Herzog Georg von Lüneburg, sich als neutral erklärt hatte. Leider benahm er sich so, dass man annahm, er sei auf der katholischen Seite. Die katholische Seite hat nicht gewusst, dass er neutral war und so geriet er zwischen alle Machtzentren. Die Katlenburg wurde mehrfach zerstört, besonders stark im Jahre 1626. Darüber gibt es noch an der Kirche eine Inschrift, die besagt, dass in des Friedes Fehde 1626 die Katlenburg, das Amtshaus, die Kirche, das Schloss und auch unten in Duhm die Dörfer von dänischen Besatzungstruppen stark zerstört wurden. Die Besatzungstruppen haben sich in Northeim aufgehalten. Auch Northeimer Bürger haben sich an der Zerstörung beteiligt. Sie kamen als Hintertross der dänischen Soldaten und haben alles, was nicht Nigel und Nagel fest war mitgenommen. Zum Plündergut gehörte vor allen Dingen Proviant, Essen, Eisen und auch Messing, praktisch alles Metallische. Dies haben die Katlenburger den Northeimern lange nicht verziehen.

Ingeborg Lüdtke:

In diesem Jahr wurde der 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus begangen. Welche Rolle spielte der Nationalsozialismus in Katlenburg?

Dr. Birgit Schlegel:

Zunächst muss man sagen, dass die ganze hiesige Gegend schon sehr für und sehr stark nationalsozialistisch gewählt hatte. Als 1933 die entscheidende Wahl im März war wählten schon weit über 50 Prozent nationalsozialistisch, während es im Gesamtreich noch unter 50 Prozent waren.

Es gab keine großen Helden des Widerstandes hier in Katlenburg. Viele waren Mitläufer und viele haben innerlich emigriert. Äußerlich sind sie mitmarschiert, aber innerlich waren sie distanziert.

Die einzige politische Gruppe, die hier relativ lange den Nationalsozialisten standgehalten hat, das war die Welfen-Partei, also die deutsch-hannoveranische Partei. Der letzte Bürgermeister Hillemann wurde dann 1933 dadurch aus dem Amt gebracht, in dem man ihm einen falschen Umgang mit Gemeindefinanzen vorgeworfen hat.

Es gibt allerdings einen Mann, der Widerstand eher aus Glaubensgründen geleistet hat und zwar war er ein Zeuge Jehovas. Karl Domeier war 8 Jahre im Konzentrationslager. Das war eigentlich derjenige, der sicher hier am meisten gelitten hat.

© Ingeborg Lüdtke

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Literaturhinweise:

Birgit Schlegel hat im Juni 2005 einen kurzen Beitrag über die 900 jährige Geschichte Katlenburgs in der Zeitschrift „Südniedersachsen“ veröffentlicht.

Birgit Schlegel (Hg.), Katlenburg und Duhm. Von der Frühzeit bis in die Gegenwart. Verlag Mecke Druck, Duderstadt 2004

In dem „Northeimer Jahrbuch 2006“ 71. Jahrgang ist ein kurzer Beitrag über Karl Domeier erscheinen. Marc Schmidtchen berichtet hier anhand von Dokumenten über die persönliche Verfolgungsgeschichte von Karl Domeier im NS-Regime.

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Geschichtsforschung: Veränderung und Objektivität

Interview mit Dr. Detlef Garbe, dem Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bei Hamburg über Dr. Detlef GarbeVeränderungen in der Geschichtsforschung und Objektivität in der Geschichte im Februar 2007 in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück.

Ingeborg Lüdtke:

Wie hat sich die Geschichtsforschung im Laufe der letzten 60 Jahre verändert?

Dr. Detlef Garbe:

60 Jahre ist ein sehr langer Bereich. In dieser Zeit hat eine Reihe von Entwicklungen stattgefunden. Zunächst war die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit für die Zeitgeschichtsforschung gar kein Thema. Die Zeitgeschichtsforschung hatte sich verstärkt den Ereignissen zu Beginn des 20 Jahrhunderts zugewandt. Der Blick auf die gerade erst kürzlich vergangene Zeit des Hitlerregimes war für die Geschichtswissenschaft ein Thema, das man eher mied. Diejenigen, die sich damit auseinander setzten, waren großteils Historiker, die in der Emigration waren wie Hans Rothfels oder Gerhard Ritter, die sich aus eigener Betroffenheit mit dem Thema auseinander setzten. Die Funktion, die die Zeitgeschichte damals nahm, war diejenige gegenüber der vom Ausland geäußerten sogenannten Kollektivschuld, also der Behauptung, dass das Hitlerregime durch das Deutsche Volk in toto, im Ganzen an die Macht gebracht worden wäre und dass für die Verbrechen des Nationalsozialismus alle Deutschen Schuld seien. Dieser Kollektivschuldthese versuchte die Geschichtswissenschaft in den 50er Jahren entgegen zu treten, zu beweisen sozusagen, dass es ein anderes Deutschland gab. Von daher hat die Geschichtswissenschaft jener Jahre sehr stark den Aspekt dann auf den Bereich des Widerstandes gelegt, allerdings sehr in der Engführung Widerstand aus bürgerlichen, aus kirchlichen Kreisen vor allem aber auf den Staatsstreichversuch des 20. Juli 1944. Das waren die Themen um zu belegen: Es hat nicht nur Deutsche gegeben, die dem Hitlerregime zugestimmt haben, sondern es hat auch ein anderes ein unbeflecktes Deutschland gegeben.

Der Nationalsozialismus selbst wurde sehr stark als deutsche Katastrophe verklärt, als eine Katastrophe, deren Ursachen schon sehr stark in den Bereich des Dämonischen verlegt wurde. Es wurde sehr stark auf die Person Hitlers als Führer fokussiert. Eigentlich verschwanden alle anderen Verantwortlichen hinter der Gestalt Hitlers. Wenn man das heute mit dem Abstand von 60 Jahren sieht, dann waren die frühen Versuche der Auseinandersetzung eher etwas was den Charakter des Nationalsozialismus vernebelte, als ihn offen zu legen. Es hat dann lange Jahre bedurft, ehe in den 60er Jahren mit der Hinwendung zur Alters- und Sozialgeschichte auch andere Fragen in den Blick gerieten. Es wurde sehr viel stärker nach den Funktionsmechanismen, nach den Strukturen, die das nationalsozialistische Regime hervorbrachten gefragt. Es war also weniger das Interesse auf die Programmatik, auf die Ideologie, sondern: Wie konnte der nationalsozialistische Staat funktionieren? Wer waren seine gesellschaftlichen Träger? Es wurde mehr der Ablauf der Ereignisse in den 12 Jahren in den Blick genommen: Die Erkenntnis, dass das System selber eine Phase der Radikalisierung durchlaufen hat. Es wurde die Zäsur des Krieges auch stärker herausgestellt und dann Ende der 60er Jahre auch die ersten Untersuchungen, die sich dem Krieg und der Wehrmacht intensiver auseinandersetzen. Und im Zuge der Hinwendung der Alltags- und Sozialgeschichte kam auch der Widerstand anderer Gruppen, der Arbeiterbewegung, überhaupt die Geschichtsschreibung von unten stärker in den Blick. In den 70er Jahren wurde durch die entstehenden Geschichtswerkstätten, durch die lokalen Initiativen der Blick stärker auf den Nationalsozialismus als ein gesellschaftliches Phänomen gelegt. (Interessant) waren nicht mehr die großen politischen Aktionen, die Staatsebene – das was an Außenpolitik und Innenpolitik im 3. Reich stattgefunden hat -, sondern das wie sich die Politik in regionalen Verhältnissen niederschlug. Es war eine sehr viel konkretere Betrachtungsweise. Dieses wurde dann auch noch dadurch verstärkt , dass eine neue Quellengattung in den Blick geriet. Zwar hat sich die Geschichtsschreibung seit jeher nicht nur die Schriftgutüberlieferung in Form von Dokumenten gestützt, sondern sie hat immer auch Erinnerungsberichte in die Auswertung geschichtlicher Ereignisse mit einbezogen, aber dabei wurde eigentlich immer nur an die Tagebücher und Memoiren bedeutsamer Personen gedacht. Teilweise, wie beim dem großen Projekt zur Geschichte der Vertriebenen, dass in den 50er Jahren durchgeführt wurde, wurden auch schon Befragungen durchgeführt, aber auch die haben sich auf reine Schriftzeugnisse berufen. Erst Ende der 70er Jahre kam über die USA die Bewegung der Oral History nach Deutschland. Man ging also auf diejenigen zu, die als Zeugen der Zeit aus eigenem Erleben berichten konnten. Die etablierte Geschichtswissenschaft hat das erst sehr stark abgelehnt, hat gesagt, dass seien ja alles nur subjektive Wahrnehmungen und man könne dem keinen hohen Stellenwert zuschreiben. Aber dadurch, dass sich nach und nach eine sehr genaue Methodik der Analyse von mündlich erfragter Geschichte entwickelt hat, die ja Dinge abbilden kann, die sich nie in der Schriftgutüberlieferung finden, dadurch ist die Oral History immer stärker etabliert worden. Ich nehme als einen Bereich die Geschichte der Konzentrationslager (heraus).Viele der Vorgänge, die in den Lagern stattgefunden haben, haben natürlich überhaupt keinen Niederschlag in den Akten der NS gefunden und nur durch Befragung der Überlebenden, der ehemaligen Häftlinge und anderer Augenzeugen, lassen sich diese Vorgänge erheben.

Ingeborg Lüdtke:

Haben wir dadurch ein objektiveres Wissen über die NS-Zeit?

Dr. Detlef Garbe:

Jede Zeit, jede Generation stellt ihre eigenen Fragen an die Geschichte. Es gibt dort Wechsel in den Perspektiven. So wurde in den 70er/80er Jahren sehr stark nach den wirtschaftlichen Ursachen, nach den ökonomischen Nutznießern gefragt. Und in den 90er Jahren tauchen dann stärker die Fragen nach den Geschlechterbeziehungen auf, nach den Geschlechterverhältnissen: In wieweit hat das Regime in seinem Frauenbild, in seiner Partizipation von Frauen gewirkt? In den zurückliegenden 10 Jahren tauchen Fragestellungen auf, die wieder stärker die Bevölkerung insgesamt in den Blick nehmen. Fragen wie: Wie war dies eigentlich möglich? War es nur ideologische Verführung und nur Propaganda, die dazu geführt haben, dass Millionen Deutsche diesem Regime zugestimmt haben? Oder war es auch so, dass die Zustimmung zum Regime verbunden war mit Angeboten vom Regime, beispielsweise das man an materiellen Dingen partizipierte? Zum Beispiel ist in den letzten Jahren überhaupt erst untersucht worden, in welchem hohen Maße die nichtjüdische Bevölkerung in Deutschland, die regimetreue Gesellschaft, partizipiert hat an der Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung. Auch andere Aspekte der Einbindung von der Bevölkerung in das Regime sind in den letzten Jahren thematisiert worden, so dass die frühere Rede von dem Führerstaat inzwischen der Rede von Hitlers Volksstaat gewichen ist. Es tauchen Begriffe auf wie Zustimmungs- und Wohlfühldiktatur. Die das also widerspiegeln, dass das Regime des Nationalsozialismus keine Diktatur der wenigen über die vielen waren, sondern eine Gewaltherrschaft der vielen über die Ausgegrenzten und Anderen. Gleichwohl, wie immer in der Geschichtswissenschaft, gibt es Widerspruch und Kritik an solchen Konzeptionen, so dass die Frage nach einem objektiveren Wissen ganz schwer zu beantworten ist. weil mit den unterschiedlichen Fragestellungen natürlich auch immer Perspektiven und Sichtweisen, also subjektive Dinge mit in den Blick kommen. Natürlich hat sich das Faktenwissen enorm erweitert. Insbesondere nach 1989/1990 konnten auch die Quellen, die bisher der westlichen Geschichtsforschung verschlossen waren, zum Beispiel die Quellen in russischen Archiven, in osteuropäischen Archiven mit einfließen; und in dem es eine Vielzahl von Untersuchungen gab, die sehr genaue Analysen hervorgebracht haben, ist das Faktenbild sozusagen immer umfassender geworden.

Die Frage nach Objektivität ist hingegen ganz schwer zu beantworten, weil sie davon ausgeht, was derjenige darunter versteht. Es gibt natürlich ein gesundes Basiswissen, ein solides Fundament. Es gibt Informationen, die nur Einzelne und Wenige in Frage stellen und wo es so etwas wie ein Kommessenz der wissenschaftlichen Forschung gibt. Wenn man das mit objektiv gleich setzt, dann ist sozusagen dieses Basiswissen enorm gestiegen. Aber man darf sich nicht täuschen, dass es immer das Erkenntnisinteresse der jeweiligen Generation der Befrager ist; und ich bin mir ziemlich sicher, dass das Bild auf den Nationalsozialismus sich in 10 oder 20 Jahren in Nuancen wieder weiter verändern wird. Klar ist, dass der verbrecherische Charakter des Regimes sich heute eher noch deutlicher darstellt, als es in früheren Jahren der Fall gewesen ist, also das Versuche der Relativierung, der Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit anderen totalitären Regimen, die es noch in den 80er Jahren im Zuge des Historikerstreites gegeben hat, heute eigentlich kein Thema mehr sind. Niemand würde heute allerdings in Frage stellen, dass man vergleichen muss als Historiker. Selbstverständlich müssen die Verbrechen im Nationalsozialismus verglichen werden können mit dem Unrecht, das sich in kommunistischen Regimen zugetragen hat, weil erst im Vergleich sozusagen die Unterschiede auch deutlich werden.

Ingeborg Lüdtke:

Wie haben sich die neueren Forschungsmethoden auf die Geschichtsforschung bezüglich der Zeugen Jehovas ausgewirkt?

Dr. Detlef Garbe:

Vor 10 oder 20 Jahren konnte man mit gutem Recht die Zeugen Jehovas zu den sogenannten vergessenen Opfern des Nationalsozialismus rechnen. In der Öffentlichkeit war die Verfolgungsgeschichte dieser Glaubensgemeinschaft so gut wie unbekannt. Das hat sich in den zurückliegenden Jahren deutlich geändert. Wie überhaupt den marginalisierten Opfern wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, den Opfern, die am Rande standen, die nicht zu den Gruppen politischer Regimegegner oder den aus rassischen Grund Verfolgten gehörten, wo dabei lange Zeit das Interesse auch nur den Jüdinnen und Juden galt und nicht den Sinti und Roma. Aber die Fragerichtung hat sich in den letzten 10-20 Jahren nicht nur im Blick auf die Zeugen Jehovas, sondern insgesamt den Randgruppen zugewendet. Man kann im Blick auf die Zeugen Jehovas heute davon sprechen, dass es inzwischen eine soweit gesicherte Forschung gibt, dass die Relationen, die Zahlen klar sind. Die Ereignisabläufe sind offen gelegt worden. Es gibt wie immer Detailfragen, die noch nicht untersucht sind. Es sind relativ wenige Studien beispielsweise über die Auswirkung der Verfolgung von Angehörigen der Zeugen Jehovas in den besetzten Gebieten und den mit dem deutschen Reich verbündeten Ländern vorhanden. Solche einzelne Fragen gibt es noch. Aber die Geschichte der Verfolgung der Zeugen Jehovas, ihr Widerstand, ihre Selbstbehauptung, die Verfolgung durch Justiz und Polizei, die Sondergerichtsverfahren und so, dass ist inzwischen gut ausgeleuchtet.

© Ingeborg Lüdtke

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Bilder: Mit freundlicher Genehmigung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Teilausschnitt aus den Radiosendungen vom 20.4.2007 sowie 27.1.2009 ausgestrahlt im StadtRadio Göttingen

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Heeresmunitionslager Volpriehausen bei Uslar

Interview mit Detlev Herbst im Kali-Bergbaumuseum Volpriehausen am 22.Juli 2008

Ingeborg Lüdtke:

Zu welchem Zweck wurde die Schachtanlage Wittekind erbaut?

Detlev Herbst:

Im Jahre 1901 wurde das Kali- und Steinsalzbergwerk Wittekind, das ursprünglich Justus hieß, eröffnet. Man wolle hier bergmännisch Kali- und Steinsalze gewinnen. Ursprünglich hieß das Werk bis 1920 „Werk Justus“.

Ingeborg Lüdtke:

Welche Verbindung besteht jetzt zwischen dem Jugend-KZ Moringen

ehemaliges KZ Moringen

ehemaliges KZ Moringen

und dem Schacht Wittekind?

Detlev Herbst:

Rest der Anlage Wittekind VolpriehausenAnfang der 1930er Jahre merkte man, dass das Kalilager vor allem hier erschöpft war, da die Qualität der noch verbliebenen Salze nicht mehr gut war. Es gab erheblich bessere Kaliwerke hier im südlichen Niedersachsen als Volpriehausen. Man überlegte, ob man das Werk schließen sollte. Dann merkte man, dass die Deutsche Wehrmacht sehr an stillgelegten Salzbergwerken interessiert war. Die Wehrmacht wollte diese Werke in Heeresmunitionsanstalten untertage umbauen. Im Jahre 1937 wurde schließlich der Kali- und Steinsalzbergbau in Volpriehausen eingestellt und die gesamten Werksanlagen über- und untertage an die Deutsche Wehrmacht verpachtet. Im Jahre 1938 erfolgte schließlich die offizielle Übergabe und der Beginn der Umbauarbeiten über- und untertage.

Ingeborg Lüdtke:

Können Sie uns auch etwas über die die Arbeiten der jugendlichen Zwangsarbeiter im Schacht sagen?

Detlev Herbst:

Im Jahre 1942 nach Abschluss der gesamten Umbauarbeiten und Erweiterungsarbeiten begann die Heeresmunitionsanstalt im vollen Umfang zu arbeiten. Ein großes Problem dabei war, die Auswahl der Arbeitskräfte. Es gab nicht sehr viele männliche Arbeitskräfte, weil die meisten in der Wehrmacht waren und von daher also nicht abkömmlich waren, sodass man überall suchen musste. Es kamen natürlich mehr und mehr Deportierte aus den von der Wehrmacht besetzten Ländern und es gab dann auch Kriegsgefangene. Aber all diese Arbeitskräfte reichten nicht aus und deswegen wandte sich die Leitung der Heeresmunitionsanstalt an das Arbeitsamt in Northeim und erfuhr dort, dass in Moringen ein Jugend-KZ existierte, in dem Jugendliche abkömmlich wären, um eventuell auch hier in Volpriehausen zu arbeiten. Nach relativ kurzen Verhandlungen wurde dann festgelegt, dass täglich zwischen 60 und 100 dieser Jugendlichen zur Zwangsarbeit nach Volpriehausen kamen.

Ingeborg Lüdtke:

Wie wurden diese Jugendlichen behandelt?

Detlev Herbst:

Die Jugendlichen arbeiteten hier 10 Stunden täglich. Sie wurden im Werk verpflegt. Das war eine sehr karge Mahlzeit, die sie bekamen. Überwiegend eine Wassersuppe mit Kartoffelstücken und irgendwelchen Speckrändern oder Speckschwarten, die ausgekocht waren. Es gab dann als Zwischenmahlzeit meistens Brot, das mit dünner Marmelade belegt war. Glücklicherweise fanden sich im Werk doch Bergleute zum Beispiel oder Mitglieder des weiblichen Arbeitsdienstes bzw. des weiblichen Kriegshilfsdienstes, die immer wieder Mitleid hatten mit diesen Jugendlichen und ihnen von ihrem Brot, das sie von zuhause mitbrachten dann etwas abgaben. Die Jugendlichen selbst wurden von der SS beaufsichtigt. Das heißt, es war absoluter Gehorsam erfordert und es fand eben eine ziemlich totale Überwachung dieser Jugendlichen statt.

Ingeborg Lüdtke:

Gab es Probleme zwischen der SS und den Bergleuten in Bezug auf die Vollzugsgewalt?

Detlev Herbst:

Probleme gab es dadurch, dass die SS davon ausging, dass sie also die alleinige Vollzugsgewalt dort untertage hatte. Das traf nicht zu, weil die Bergleute praktisch nur dem Bergamt gegenüber und natürlich auch der Werksleitung gegenüber verantwortlich waren. Sodass also diese beiden Gruppen sich durchaus nicht freundlich, doch sondern eher feindlich gegenüberstanden, wodurch es immer wieder zu Problemen kam.

Ingeborg Lüdtke:

Welche Arbeiten mussten die Jugendlichen denn in der Muna (Munitionsfabrik) ausführen?

Detlev Herbst:

Die Hauptarbeiten der Jugendlichen war das Einpacken der fertigen Granaten in Kisten und der anschließende Transport dieser Kisten. Sehr oft mussten sie getragen werden oder sie wurden auf Förderwagen verladen, die dann mit einer kleinen Grubenbahn in die betreffenden Lagerräume gebracht wurden. Das war für diese Jugendlichen, die überwiegend im Alter von 14-21 Jahren waren natürlich (ei)ne körperlich unheimlich harte Arbeit. Eine weitere Tätigkeit, die vor allem die Moringer Jugendlichen zu tun hatten, war das Beladen der Munitionszüge Übertage. Es kam natürlich auch dazu, dass vor allem die Moringer Jugendlichen Sonderaufträge erfüllen mussten, die zum Teil dann eben besonders schwierig waren. So gab es Mitte 1944 sehr große Probleme. Man führte sie wohl auch auf Sabotageakte zurück. Das heißt, es war Munition zurückgekommen, die nicht gebrauchsfertig war und die natürlich nicht leicht zu entschärfen war. Auch da wurden Moringer Jugendliche hinzugezogen.

Ingeborg Lüdtke:

Haben die Jugendlichen Geld für Ihre Arbeit erhalten?

Detlev Herbst:

Die Jugendlichen erhielten für ihre Tätigkeit neben dem Essen 10,- Reichspfennige pro Tag. Dieses Geld wurde auf ein Sperrkonto bei der Sparkasse in Northeim eingezahlt und sollte dann nach Entlassung aus dem Jugend-KZ in Moringen ausgezahlt werden. Was aber nicht geschah. Nach dem Krieg versuchten betroffene Jugendliche, die also als Häftlinge in Moringen waren an dieses Geld heranzukommen und mussten leider feststellen, dass das Konto bereits aufgelöst und leer war.

Ingeborg Lüdtke:

Welchen Widerstand gab es von den Jugendlichen?

Detlev Herbst:

Diese Jugendlichen waren nicht freiwillig dort in Volpriehausen in der Heeresmunitionsanstalt tätig. Es war eine ganz eindeutige Zwangsarbeit, die sie dort ableisten mussten und so etwas erregt natürlich Widerwillen und auch Widerstand. Die Jugendlichen versuchten irgendwie mit den bescheidenen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen zu bewerkstelligen. Dass evtl. die Produktion eingeschränkt, bzw. ganz gestoppt werden konnte. So versuchte zum Beispiel ein Uhrmachergeselle ein Uhrwerk umzubauen, um eine Munitionsladung in einem dieser Lagerräume zur Explosion zu bringen. Was nicht funktionierte, da sie vorher gemerkt wurde. Ein anderer Jugendlicher versuchte mit Hilfe einer beweglichen Lampe, die er an eine Munitionsladung ganz dicht heranbrachte diese Explosionsladung durch die Hitze der Glühbirne zur Explosion zu bringen, was natürlich auch nicht funktionierte. Von den russischen und auch von den weißrussischen Zwangsarbeiterinnen, die in sehr großer Anzahl ebenfall bei der Munitionsfertigung eingesetzt wurden, ist bekannt, dass sie wohl immer suchten zwischen Zünder und Sprengladung Brotkrumen nach den Essenspausen zu drücken, um so die Munition unbrauchbar zu machen. Man durfte in den Räumen, in denen die Munition gefertigt wurde nicht essen. Das heißt diese Frauen mussten immer wieder die Räume verlassen, aber in den Backentaschen behielten sie sehr oft eben Krümel zurück. Die sie dann versuchten in die Patronen zu drücken.

Ingeborg Lüdtke:

Bibelforscher?

Detlev Herbst:

Ja eine Gruppe der Häftlinge bestand aus sogenannten Bibelforschern oder Zeugen Jehovas wie wir heute sagen. Ihre Religion verbietet ihnen den Umgang mit Waffen und Munition. Für diese Gruppe junger Leute war es natürlich besonders schwierig in solch einer Einrichtung zu arbeiten. Sie weigerten sich des Öfteren und bekamen dadurch Ersatzarbeiten, aber das hing dann auch wieder von der SS-Aufsicht ab, wie liberal man nun bei der Zuteilung der Arbeit war. Mir ist von einem Jugendlichen bekannt, der sich also mehrmals geweigert hatte bestimmte Arbeiten zu verrichten, die also mit Munitionsförderung und Beförderung zu tun hatten. Er wurde tot geprügelt und von einem weiteren Jugendlichen ist mir bekannt, dass er in die Schachtröhre hinuntergestoßen wurde, weil er eben auch weigerte.

Ingeborg Lüdtke:

Welche Strafen gab es noch für Jugendliche, die etwas falsch gemacht haben oder sich weigerten?

Detlev Herbst:

Jugendliche, die sich weigerten und das eben deutlich zu erkennen gaben, dass sie nicht arbeiten wollten oder absichtlich nicht das machten, was ihnen befohlen worden war, die erhielten Stockschläge. Diese Stockschläge wurden allerdings erst in Moringen vollzogen und dann also immer vor dem ganzen Schlafraum. Das heißt, das Ganze sollte abschreckend auf die anderen Kameraden wirken.. Dann ist mir auch bekannt, dass als Strafe Jugendliche Häftlinge über den gepflasterten Hof auf allen Vieren, robben mussten, was natürlich sehr schmerzhaft und sehr anstrengend war, vor allem weil eben die ganzen Strafen immer nach einem 10 Std. Arbeitstag, den sie hier in Volpriehausen verbracht hatten, vollzogen wurden .

Ingeborg Lüdtke:

Welcher Inhaftierte ist für Sie jetzt besonders erwähnenswert?

Detlev Herbst:

Im Laufe der Jahre habe ich sehr viele ehemalige Häftlinge kennengelernt anlässlich von Besuchen hier bei uns im Kalibergbaumuseum bzw. bei den alljährlichen Treffen der ehemaligen Moringer Häftlinge in Moringen. Besonders ist mir eigentlich seit dieser Zeit seit mehr als 20 Jahren Antoni Rakocz ans Herz gewachsen mit dem ich auch heute noch korrespondiere. Antoni Rakocz ist 1921 in Katowice geboren. Nach der Volksabstimmung kam Katowice zu Polen und Antoni Vater, ein Deutscher Grenzaufseher verließ den Ort. Er ließ Mutter und Sohn zurück. Die Mutter war Polin. Antoni Rakocz bekam dann auch die polnische Staatsangehörigkeit. 1938 kurz nach Beginn des 2. Weltkrieges meldete sich Antonie, das ist mir nicht ganz verständlich warum, freiwillig zu den Hermann-Göring-Werken in Salzgitter, um dort zu arbeiten. Er wurde als Maler eingestellt. Antoni hatte wohl Angst, dass er zur Wehrmacht eingezogen werden könnte, weil eben ein Elternteil Deutsch war. Und dem wollte er eben durch seinen Beschluss zuvorkommen. Während der Arbeit in Salzgitter kam es zu einem Arbeitsunfall. Dieser Arbeitsunfall wurde als ein Sabotageakt von der Betriebsleitung und den Vorarbeitern gewertet. Antoni und mehrere seiner Arbeitskameraden wurden also dort wochenlang verhört und man wollte ihnen unbedingt nachweisen, dass sie Sabotage geplant hatten. Und bei diesen Untersuchungen in die natürlich auch das Elternhaus mit einbezogen wurde, stellte man fest, dass Antoni eben einen deutschen Vater hatte und dadurch eigentlich als Reichsdeutscher galt und wahrscheinlich in Polen irgendwie verdorben worden war. Man wollte ihn zu einem guten Reichsdeutsche erziehen. Man wollte ihn bessern und brachte ihn deshalb nach Moringen in das 1940 gegründete Jugend-KZ für männliche Jugendliche. Er sollte dort durch Arbeit für die Gemeinschaft und durch Studium nationalsozialistischer Schriften usw. sollte er zu einem guten reichdeutschen erzogen werden. 1941 kurz nach seiner Einlieferung in Moringen kam Antoni dann auch nach Volpriehausen und wurde zur Zwangsarbeit hier untertage eingesetzt. Er war sehr oft für Sondereinsätzen vorgesehen z.B. das hat er mir öfter erzählt, musste er den Grundstoff für Tränengas, der auch in Volpriehausen lagerte, Azin, von Fässern, die beim Transport beschädigt waren in neue Fässer, in andere Fässer um füllen. Was also sehr sehr schmerzhaft war, weil dieses Azin unheimlich die Schleimhäute und da vor allem die Augen reizte. So dass das immer ein furchtbare Arbeit war und Antone immer mit einem total verquollenen Gesicht aus diesem Raum wieder herauskam. Es muss aber trotzdem möglich gewesen sein, bei aller Schwere dieser Arbeit untertage doch auch unbeobachtete Augenblicke genießen zu können. Antoni lernte nämlich untertage bei einer Frühstückspause seine zukünftige Frau kennen. Eine Frau, die aus Polen gekommen war und dort auch zur Zwangsarbeit verurteilt worden war und zwar in der Form, dass sie verschieden Munitionsteile zu fertigen Granaten zusammensetzten musste. Die beiden lernten sich lieben untertage. Und es passierte dann das Julia, so heißt seine Frau, schwanger wurde und sie deshalb von ihre Arbeit untertage entbunden wurde und in ein Krankenhaus nach Blankenburg im Harz entlassen wurde. Nach dem 4. April 1945 als die Muna in Volpriehausen aufgelöst wurde, machte sich Antoni auf den Weg nach Polen. Glücklicherweise machte er eine Rast in Blankenburg, das an seinem Wege lag und dort traf er seine Frau wieder und erfuhr, dass sie einen gesunden Sohn geboren hatte. Antoni ist dann wieder nach Katowice zurückgegangen und hat dort wieder im Bergbau gearbeitet und lebt dort schwer krank in Katowice.

(c) Ingeborg Lüdtke

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Gesendet im StadtRadio Göttingen am 01.10.2008, 23.9.2009 und 8.9.2013

Weitere Informationen:

Martin Guse über Jonathan Stark

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Wie entsteht ein Hörspiel?

Kleiner Studioraum mit Blick zum RegieraumBericht über den Workshop „Hörspiel“ in Berlin „Auraton Studio“ am 24. /25. September 2011

Es ist 5.15 Uhr und ich habe leider keine Chance, das Aufstehen noch weiter hinauszuschieben. Schnell gefrühstückt, die letzten Sachen in dem Koffer verstaut und dann fahre ich mit dem Auto zum Bahnhof. Der Zug fährt pünktlich ein. Auch Berlin erreichen wir mit nur fünf Minuten Verspätung. Die erste Etappe ist geschafft, die richtige S-Bahnlinie zum Zoologischen Garten habe ich auch gefunden, doch leider ist es mit dem Anschluss zum Ernst-Reuter-Platz verzwickter. Die S-Bahnnummern, die Peter E. aufgeschrieben hat verwirren mich und führen mich erst in die Irre. Auf dem Bahnsteig befrage ich den netten Herrn, der die Ansage macht. Ich kann nur die U-Bahn benutzen und die wurde von U 2 in U 12 umbenannt. Na super! Aber ich finde am Ernst-Reuter-Platz zum Glück den richtigen Ausgang und bin nun in der Hardenbergstraße. Warum dürfen ICE´s eigentlich nicht mehr am Bahnhof Zoo halten? Alles wäre viel einfacher für mich!

Vorstellungsrunde

Statt um 10 h komme ich 10:10 Uhr im Studio an. Die Vorstellungsrunde ist in vollem Gange. Gerade ist Holger dran: TV-erfahren bei Sat1, Tele 5, Autor, Schauspieler und Sprecher. Ein Profi. Die beiden Teilnehmer daneben sind glücklicherweise keine Profis. Neben ihnen sitzt Peter, ebenfalls ein Profi mit langjähriger Erfahrung als Sprecher beim ARD, dem NDR, Schauspieler, Sänger und vieles mehr. Zwei weitere Mitstreiter stellen sich vor, keine Profis. Claudia, ist wiederum eine Profisprecherin. Insgesamt sind wir 12 Teilnehmer (fünf Frauen, sieben Männer).

Nun bin ich an der Reihe und habe eigentlich nur 13 Jahre Bürgerfunk im StadtRadio Göttingen entgegenzusetzen. Außerdem habe ich pro Jahr selten mehr als 6 Sendungen produziert. Trotzdem kann ich auch auf zwei mit viel Herzblut produzierte Hörbücher verweisen.

Einführung in das Genre Hörspiel

Kleiner Studioraum mit Blick zum RegieraumUnser Kursleiter Peter E. (steht für Eckardt) führt uns kurz in das Genre Hörspiel ein und erklärt uns anschließend, was uns in dem zweitägigen Workshop erwartet. Wir werden aus dem Text von Edgar Allen PoeHopp Frosch“ ein Hörspiel produzieren. Peter E. hat den Text bereits in mehreren Phasen hörspielgerecht gekürzt und umgeschrieben. Er darf dies, denn der Text ist laut Urheberrechtsgesetz gemeinfrei. Der Autor ist bereits über 70 Jahre tot und auch das 70. Todesjahr ist längst abgeschlossen. Für mich ist das alles sehr vertraut, denn die letzten Monate habe ich mich beruflich sehr mit dem Urheberrecht auseinandergesetzt.

Wir legen nun fest, wer welche Personen spricht. Da nur wenige Frauenstimmen erforderlich sind, bleibt für mich kein Text übrig, was mir sehr entgegen kommt.

Verteilung der Sprecherrollen und Textinterpretation

Peter übernimmt die Rolle des „Erzählers“ und hat den längsten Text zu sprechen. Er hat eine sehr angenehme Stimme und seine Art zu sprechen, gefällt uns sehr. Wir können uns lebhaft die Geschichte vorstellen. Er setzt die Latte für die anderen Sprecher sehr hoch. Tröstlich ist für mich aber, dass er auch einige Passagen mehrfach spricht, sei es als „Sicherheitskopie“ (wegen eventueller Zwischengeräusche), weil er selbst nicht zufrieden ist oder weil Peter E. eine andere Vorstellung vom Text hat. Peter gefällt es, dass er auch ein direktes Feedback aus der Regie bekommt.

Die Rolle des „Königs“ übernimmt Lutz. Er spielt in einer Band, aber als Sprecher hat er heute seine Premiere. Wir erleben, wie er sich langsam in seine Rolle hineinfindet. Anfangs spricht er sehr gepresst und wird am Ende lockerer. Da es aber schon 18:00 Uhr ist, machen wir für heute Schluss. Ich fahre zu meiner Unterkunft und gehe zeitig schlafen. Berlin hat sehr viel zu bieten, aber dieses Wochenende ist mir mein Schlaf lieber.

Ausgeruht stehe ich morgens wieder auf und schaffe es diesmal als erste beim Studio zu sein.

König und Hopp Frosch

Zuerst sprechen wir das ganze Stück in der jeweiligen Rollenbesetzung durch. Lutz hat sich überlegt, dass er die meisten Passagen neu sprechen will und gibt „seinem König“ nun einen leicht weinseligen Touch. Dies trägt sehr zu unserer Heiterkeit bei und versüßt uns die Wartezeit. Er geht so richtig in seiner Rolle auf.

Hopp Frosch“ wird von Holger gesprochen, der den Text als Schauspieler interpretiert. Mich erinnert dies sehr stark an „Puck“ aus einer modernen Fassung des „Sommernachtstraum“ von William Shakespeare. Peter E. bittet ihn, den Text noch einmal etwas spielerischer zu sprechen.

Erinnerungen an erste Sprechversuche in einem Tonstudio

Inzwischen kam jemand auf die Idee, dass doch eigentlich jeder etwas gesprochen haben sollte. Auch ich muss also ins Studio. So schaue ich mir den Text an und gehe auf den Balkon, um ihn laut zu sprechen. Ich fühle mich zurückversetzt in die Zeit, als ich während eines VHS-Kurses den Text probte, den ich vor laufender Videokamera lesen sollte. Das Ergebnis war damals grausam, viel zu schnell und die Stimme ohne Volumen. Auch denke ich an meine ersten Sprechversuche in einem Tonstudio. Der Tontechniker hatte Mühe meine leise Stimme ohne Verzerrung hörbar zu machen. Ich wollte nur weg vom Mikrofon, weg von meinen Zuhörern und schnell den Kopfhörer abnehmen. Auch muss Kleiner Studioraum mit Blick zum Regieraumich an ein „Hörfunk-Seminar“ während meines Journalistenstudium denken. Nils-Holger interviewte mich und fing plötzlich im Studio an zu lachen. Wir konnten vor lauter Lachen nicht mehr weitermachen.
Nun soll ich in der Sprecherkabine meinen Satz als erste Kammerzofe sprechen. Das Studio empfinde ich als angenehm. Es ist hell, neu und modern ausgestattet. Kopfhörer gibt es nicht, aber ein riesiges Sprecherpult mit einem Deckchen auf dem ich mein Manuskript ablege. Über dem beleuchteten Pult schwebt das Mikrofon. Jakob, einer der Höflinge spricht zuerst. Peter E. ist mit meinem Satz nach dem 2. Versuch zufrieden. Ich bin es auch und überlasse Eugenie den Platz.

Tripetta, Minister, Zofen, Höflinge und die Hofgesellschaft

Eugenie spricht Ihre Bitte als „Tripetta“ mit lieblicher Stimme und russischem Akzent. Ihre Anweisung an die Zofe ist da aber schon energischer.

Lustig wird es auch, als Luisa als Kammerzofe Jacob herunterputzt, er solle sich nicht so anstellen, schließlich wäre es ja die „königliche Unterhose“, die mit Teer anzustreichen sei.

Claudia wirkt sehr elfenhaft, als sie dem König die Kette um den Bauch legt.

Inzwischen sind auch die Parts aller Höflinge, Kammerzofen, Minister und die der Hofgesellschaft aufgenommen und wir machen erst einmal Pause.

Auswahl der Tonwerke, der Musik und Geräusche

Peter E.´s Frau bereitet uns wieder leckeres vegetarisches Essen zu. Anschließend hat Patrick alle Hände voll zutun, unsere Tonwerke zu bearbeiten. Später sitzen wir gruppenweise abwechselnd im RegieraumRegieraum und hören zu, welche Version unserer Tonwerke von Peter E. und ihm ausgewählt werden. Auch Musik und Geräusche fügt er ein. Eigentlich muss jetzt noch der Klang bearbeitet werden. Da es aber zu lange dauert, bitten wir ihn, uns die derzeitige Fassung vorzuspielen.

Beifall für unser „Kunstwerk“

Wir sind doch sehr angenehm überrascht, wie sich so mancher Part so harmonisch in das Hörspiel einfügt und es mit Leben füllt. Unsere Interpretation ist sehr heiter und nicht so düster, wie Edgar Allan Poe sie sich gedacht haben mag. Wir sind begeistert von unserem „Kunstwerk“ und klatschen am Ende Beifall. Dann kommen noch die Dankeswort an unseren Kurleiter Peter E, dem Tontechniker Patrick und natürlich lobende Worte für die gute Küche.
Unsere „Küchenfee“ bedankt sich stilvoll mit einem Hofknicks.

Eugenie und ich verlassen schnell die Gruppe, da wir zum Zug müssen. Schade, dass wir die Gruppe in der Formation wohl nicht wieder treffen werden. Wir waren ein gutes, lustiges und harmonisches Team. Alle, auch die Profi-Sprecher, fügten sich gut ein.

Damit ich nicht wieder so viel Zeit zum Hauptbahnhof benötige, laufe ich diesmal bis zur S-Bahn-Station „Zoologischer Garten“. Der Zug ist pünktlich. Ich arbeite die Seminarunterlagen durch und muss bald aussteigen.
Zuhause angekommen, werde ich gefragt: „Wie war es in Berlin?“ Schön war´s!

© Ingeborg Lüdtke

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Veranstalter (Leitung)
Peter Eckhart Reichel
Hohenzollernstrasse 31
14163 Berlin
Tel: +49 (0)30 883 1978
Fax: +49 (0)30 885 0302
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Veranstaltungsort:

auraton studio
Hardenbergstraße 6
10623 Berlin
Ansprechpartner: Patrick Ehrlich
Tel: +49 (0)30 3151 8683
E-mail: info@auraton-studio.de
www.auraton-studio.de

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Nach dem Hörspiel-Workshop aufgenommene Version:

Ausschnitt aus Edgar Allan Poe, Hopp-Frosch gelesen und interpretiert von Peter Bieringer

http://www.peter-bieringer.de/hoerspiel

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KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora – neue Ausstellung wird eröffnet (2006)

Die Sendung wurde am 9. September 2006 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt

Interview anlässlich der Eröffnung der ständigen Ausstellung „Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1943 am 10. September 2006 mit dem KZ-Gedenkstättenleiter [Anm.: bis Herbst 2014] Dr. Jens-Christian Wagner

Ingeborg Lüdtke:

Warum heißt die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora?

Dr. Jens-Christian Wagner:

Mittelbau-Dora in dieser zusammengesetzten Form ist eigentlich kein Quellenbegriff. Dora war zunächst ein Außenlager von Buchenwald, das im Herbst 1943 Mittelbau-Doragegründet wurde. Im Jahr darauf, im Herbst 1944 wurde das Lager Dora mit anderen Buchenwalder Außenlagern im Südharz zum selbstständigen KZ Mittelbau, das heißt es wurde aus der Verwaltung Buchenwalds herausgenommen. Es wurde das letzte eigenständige Konzentrationslager der Nationalsozialisten.

Ingeborg Lüdtke:

Wodurch unterscheidet sich das KZ-Mittelbau-Dora von anderen KZ´s ?

Dr. Jens-Christian Wagner:

Es unterscheidet sich zum einen erstmal dadurch, das es erst sehr spät gegründet wurde. Es hat ja nur 1 ½ Jahre existiert. Es wurde mit dem Ziel gegründet, die Arbeitskraft seiner Insassen in der Rüstungsindustrie auszubeuten. Das heißt wir verstehen Mittelbau-Dora als Modellfall der KZ-Zwangsarbeit. Diese KZ-Zwangsarbeit hatte diverse Folgen: unter anderem dass überall im Reich Außenlager in der Nähe von Rüstungsbetrieben gegründet wurden, in denen KZ-Häftlinge Zwangsarbeit verrichten mussten. Durch diese vielen Außenlager drang das KZ-System immer stärker in die Gesellschaft ein, das heißt die deutsche Kriegsgesellschaft war in den letzten 1-2 Kriegsjahren durchdrungen vom KZ-System.

Ingeborg Lüdtke:

Warum wurde eine neue Dauerausstellung notwendig?

Dr. Jens-Christian Wagner:

Eine umfassende Gesamtschau zur Geschichte des KZ Mittelbau-Doras hat es bis lang noch nicht gegeben. Es gab eine alte DDR-Ausstellung, die natürlich in dem Geschichtsbild der SED verhaftet war. Sie wurde 1993 geschlossen. 1995 wurde sie durch eine immer nur als MittelbauDora 054provisorisch verstandene Ausstellung in einer Baracke zum 50. Jahrestag ersetzt.
Die Ausstellung beruhte weder auf neuen Forschungen noch auf Recherchen für neue Exponate. In den folgenden 10 Jahren haben wir erhebliche Forschungen in internationalen Archiven angestellt und viele neue Exponate auf der Welt recherchiert. Auf Grundlage dieser völlig neuen Quellenlage haben wir diese Ausstellung völlig neu bearbeitet. Im Grunde ist es jetzt so, dass wir das erste Mal eine ständige Ausstellung eröffnen, die einen gesamten Überblick auf die Geschichte Mittelbau-Doras vermittelt.

Ingeborg Lüdtke:

Was wird in der Ausstellung gezeigt?

Dr. Jens-Christian Wagner:

Wir versuchen auch die KZ-Zwangsarbeit übergreifend zu zeigen. Es ist keine Regionalausstellung im engeren Sinne, sondern eine Ausstellung, die das Spezifikum Mittelbau-Doras – nämlich das Modell KZ-Zwangsarbeit – exemplarisch ausbreitet und damit auch für Besucher aus Süddeutschland, Norddeutschland oder aus den Vereinigten Staaten interessant ist. Insgesamt haben wir eine narrative Struktur über Biografien und zwar nicht nur in Bezug auf ehemalige Häftlinge, sondern auch gerade in Bezug auf die Täterschaft. Es ist ohne hin einer unserer zwei Schwerpunkte, dass wir versuchen die Menschen zu zeigen, die mit dem Konzentrationslager zutun hatten, die einen freiwillig und die anderen gezwungenermaßen. Die Biografien der Häftlinge geben einen mehr oder weniger repräsentativen Querschnitt durch die Bandbreite der Verfolgung. Es werden politische Häftlinge vorgestellt: deutsche, französische Häftlinge, polnische, russische, jüdische Häftlinge. Es werden aber auch Häftlinge vorgestellt, die aus anderen Gründen verfolgt wurden, zum Beispiel weil sie vermeintlich kriminell waren. Der dritte Punkt ist, dass wir uns ganz stark thematisch der Täter- und Mittäterschaft widmen. Das ist ein Novum in Ausstellungen in deutschen KZ-Gedenkstätten, die bislang immer sehr stark, berechtigter Weise natürlich, opferzentriert gewesen sind. Die Häftlinge wurden in den Mittelpunkt gestellt, was aus moralisch ethischer Sicht gerechtfertigt ist. Das bringt aber aus historiografischer Sicht eine Schieflage. Meines Erachtens muss sich die Post-Tätergesellschaft, denn das ist die deutsche Gesellschaft, mit den Tätern auseinandersetzen. Das versuchen wir ganz stark in der neuen Ausstellung zu machen.

Ingeborg Lüdtke:

Die Dauerausstellung beschäftigt sich aber auch mit den Deutschen, die in der Umgebung der Lager gewohnt haben und den Häftlingen nicht halfen. Welche Fragen werden in der Ausstellung gestellt?

Dr. Jens-Christian Wagner:

Was war die Motivationsstruktur erstens Häftlingen feindselig gegenüber zu treten, zweitens das NS-System tatsächlich bis zum letzten Tag weitgehend zu stützen? Das sind Fragen, die meines Erachtens einen starken Aktualitätsbezug haben, denn es geht ja zum Teil um mentale und auch politische gesellschaftliche Strukturen von heute. Diese können zwar nicht direkt mit dem Nationalsozialismus verglichen werden, aber es gibt gewisse Ähnlichkeiten. Nehmen wir nur den Rassismus, der natürlich ein wesentlicher Beweggrund gewesen ist Häftlingen gegenüber feindselig aufzutreten. Einen latenten, häufig auch einen aggressiven Rassismus erleben wir auch heute noch. Das sind meines Erachtens Fragen, die sehr viel stärker geeignet sind einen Aktualitätsbezug zu heute herzustellen, als sich in KZ-Gedenkstätten mit dem Völkermord in Ruanda auseinander zu setzten. Wir geraten da sehr schnell in die Gefahr ein singuläres Verbrechen zu relativieren.

© Copyright Ingeborg Lüdtke

Literaturhinweis:

Jens-Christian Wagner, Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora. Hrsg. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Wallstein Verlag 2001

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Konferenz „Topographie der Erinnerung“ – Gedenken und Erinnern in Südniedersachsen

Die Sendung wurde am 21. April 2009 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt.

ehemaliges KZ Moringen

ehemaliges KZ Moringen

Am 21. März 2009 fand in Moringen in der LKH Moringen [Anm.:Landeskrankenhaus] die Konferenz „Gedenken und Erinnern in Südniedersachsen“ statt.

Gefördert wurde die Konferenz von der Amadeu-Antonio-Stiftung und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Das Ziel der Konferenz „Gedenken und Erinnern in Südniedersachsen“ war es Initiativen und Einzelpersonen zusammen zu führen, die sich mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinandersetzen.

Einzelne Projekte wurden den Teilnehmer vorgestellt.

Dr. Dietmar Sedlaczek, der Leiter der KZ Gedenkstätte Moringen und seine Kollegin Julia Braun begrüßten die Konferenzteilnehmer.

Auch Dr. Nader von der Amadeu-Antonio Stiftung übermittelte einige Grußworte.

Danach wurde es erstmal recht wissenschaftlich.

Dr. Habbo Knoch referierte über die veränderten Aufgaben der Gedenkstätten. Seine Ausführungen standen unter dem Motto „Vom Ort der Tat zum Raum des Erinnern.“

Marc Czichy stellte das Göttinger Aktions Bündnis „Gedenken an die Opfer des NS 27. Januar“ vor. Er war einer der Mitbegründer des Bündnisses. Das Bündnis „Gedenken an die Opfer des NS 27. Januar” war eine Reaktion auf die Einsetzung des „Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus“ am 27. Januar von dem damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog im Jahre 1996.

Dr. Hilko Linnemann von der Kreisvolkshochschule Holzminden stellte die geplante Ausbildung zum Geschichtsmoderator im Landkreis Holzminden vor.

Jutta Henze von der Realschule Delligsen sprach über die Schüler-AG Spurensuche im Hils.

Aufgelockert wurde das Programm durch Dr. René Mounajed. Er überraschte mit einem Plädoyer für Comics im Geschichtsunterricht.

Der Historiker Günther Siedbürger von der Geschichtswerkstatt Duderstadt berichtete über ein internationales EU-Projekt. Das Projekt ist eine Wanderausstellung mit dem Arbeitstitel “Europäische Dimensionen der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ – Eine Fallstudie über Südniedersachsen – Region Göttingen und Northeim” [Anm.: endgültiger Titel „Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit – Südniedersachsen 1939 – 1945]. Die Geschichtswerkstätten Göttingen und Duderstadt e.V. sind daran beteiligt.

Firouz Vladi rundete mit seinem Beitrag die Konferenz „Gedenken und Erinnern in Südniedersachsen“ ab. Er befasste sich mit dem geplanten Rad-Wander- und Gedenkweg zur Helmetalbahn. Firouz Vladi vertrat Arbeitgemeinschaft Spurensuche in der Südharzregion.

Diese Arbeitsgemeinschaft hat sich inzwischen aufgelöst. Die Arbeitsergebnisse wurden der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora übergeben.

Zwischen den einzelnen Beiträgen gab es auch genug Zeit für Diskussionen und Gespräche.

In der Abschlussrunde wurde vereinbart, dass eine gemeinsame Internetseite eingerichtet werden soll. Diese Internetseite soll die einzelnen Projekte der Teilnehmer aufzeigen.

Außerdem wurde angeregt, sich 1-2 Mal im Jahr zu treffen.

Soweit zu der Moringer Konferenz „Gedenken und Erinnern in Südniedersachsen“ am 21.März 2009.

(c) Ingeborg Lüdtke

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KZ Neuengamme

Das Interview mit dem KZ-Gedenkstättenleiter Dr. Detlef Garbe von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wurde am 24.11.2003 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt.

Ingeborg Lüdtke:

Dr. Detlef GarbeHerr Dr. Garbe, von wann bis wann bestand das KZ Neuengamme und welche Häftlingsgruppen gab es?

Dr. Detlef Garbe:

Das Konzentrationslager Neuengamme ist im Dezember 1938 als Außenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen in der Nähe Hamburgs, in den Hamburger Landgebieten eingerichtet worden. Im Januar 1940 kam der Reichführer der SS Heinrich Himmler hier her und beschloss bei dieser Besichtigung, dass Neuengamme zu einem großen, zentralen Konzentrationslager für den norddeutschen Raum erweitert werden sollte. Es wurde dann im Laufe des Frühjahrs 1940 selbstständiges KZ-Hauptlager und bestand bis zur Auflösung im Mai 1945.

Über 100.000 Menschen waren hier inhaftiert. Es waren Menschen, die in das Lager kamen, weil sie in den von der Deutschen Wehrmacht besetzten Ländern Widerstand geleistet hatten. Sie hatten sich gegen die ihnen auferlegte Zwangsarbeit gewehrt. In das Lager kamen auch Menschen, die KZ Gedenkstätte Neuengamme Bearackenmarkierungaus politischen, rassistischen und religiösen Gründen verfolgt worden waren. Unter den über 100.000 Häftlingen befanden sich zu über 90% Menschen aus dem Ausland. Sie kamen vor allem aus der damaligen Sowjetunion, aus Polen, aus Frankreich und dann auf Grund der Lage Neuengammes im Norden Deutschlands, auch aus Belgien, Niederlande und Dänemark.

Ingeborg Lüdtke:

Was war nun das Besondere an dem KZ Neuengamme?

Dr. Detlef Garbe:

Der Zweck des Konzentrationslagers Neuengamme war die Ausnutzung der Arbeitskraft der Häftlinge und zwar unter Bedingungen, die keinerlei Rücksicht auf das Leben nahm. Das heißt, die Menschen wurden sehr schlecht versorgt, ernährt und untergebracht. Aber gleichzeitig wurden sie zu mehr als 12 Std. täglich zu sehr schwerer Arbeit eingesetzt. Sie arbeiteten vor allem im Abbau von Ton und in der Produktion von Klinkersteinen. Das war anfangs der Hauptzweck des Konzentrationslagers Neuengamme. Ab Mitte des Krieges kam die Rüstungsproduktion hinzu. Zunächst arbeiteten sie in Fabriken, die auf dem Gelände des KZ selbst entstanden. Die Häftlinge waren vor allem aber für die Waffenfirma Walther tätig. Später mussten sie aber auch im Bereich der U-Boot-Teile-Fertigung arbeiten und auch Zünder für Flakgranaten herstellen.

Ab 1942 entstanden eine Vielzahl von Außenlagern in den industriellen Ballungsgebieten Norddeutschlands, wie in Hamburg, Bremen, Braunschweig, Salzgitter. In den Außenlager sind die Häftlinge vor allem bei Firmen und auf Werften zu Zwangsarbeiten in der Rüstungsproduktion eingesetzt worden. Insgesamt zählten zum KZ Neuengamme 86 Außenlager.

Ingeborg Lüdtke:

Warum ist das KZ Neuengamme weniger bekannt als zum Beispiel das KZ Bergen-Belsen und wie ging es nach 1945 weiter?

Dr. Detlef Garbe:

Das Konzentrationslager Neuengamme ist, obwohl es mit über 100.000 Häftlingen und über 80 Außenlagern eines der großen Konzentrationslager auf deutschen Boden ist, weniger bekannt als Buchenwald, DachauHaupteingang KZ Neuengamme und Bergen-Belsen.

Der Grund dafür ist, dass hier am 5.Mai 1945, als britische Truppen das Lager betraten, das Lager vollständig geräumt war. Von Neuengamme gibt es also nicht die Aufnahmen von zu Skeletten abgemagerten Menschen und Leichenbergen, die es von Buchenwald, Bergen-Belsen oder Dachau bei der Befreiung gibt. Und diese Aufnahmen haben sehr stark das Bild und die Bekanntheit der jeweiligen Lager geprägt. Denn von Neuengamme waren die letzten 30.000 Häftlinge vor allen in die Sterbelager Bergen-Belsen, Sandbostel und Wöbbelin transportiert worden. Die letzten über 10.000 Häftlinge des Stammlagers kamen auf Schiffe, die als schwimmende Konzentrationslager genutzt worden. Das bekannteste Schiff ist die „Cap Arcona“, die dann tragischerweise am 3. Mai 1945 durch britische Jagdbomber versenkt worden ist, weil sie dieses Schiff für einen Truppentransporter hielten. Das Lager Neuengamme konnte, da es die Verbrechen verbarg, die sich an diesem Ort zugetragen hatten, ungeachtet moralischer Bedenken sehr bald weitergenutzt werden. Zunächst brachten die britischen Besatzungsbehörden hier Kriegsgefangene und dann Internierte unter, also vor allem Funktionsträger der Nazi-Partei und anderer Nazi-Organisationen. Ab September 1948 befand sich auf dem Gelände, nach Rückgabe an die Stadt Hamburg, ein Gefängnis. Dieses Gefängnis bestand fast 55 Jahre und erst im Juni des Jahres 2003 wurde der Gefängnisbetrieb eingestellt und die zahlreichen noch erhaltenen KZ-Gebäude an die Gedenkstätte übergeben.

© Ingeborg Lüdtke

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Bilder: mit freundlicher Genehmigung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

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Frauen gegen Hitler – Interview mit Dr. Martha Schad

Am 19. November 2001 las die Historikerin Dr. Martha Schad in der Deuerlichschen Buchhandlung am Campus aus ihrem Buch “Frauen gegen Hitler“.

Vor der Lesung beantwortete Frau Dr. Schad noch einige Fragen.Deuerlich am Campus S760>

Ingeborg Lüdtke:

Frau Dr. Schad, Sie haben das Buch „Frauen gegen Hitler“ geschrieben. Was ist das Besondere an dem Buch?

Dr. Martha Schad:

Das Besondere an dem Buch ist, dass meine Zeitzeuginnen, die ich noch befragen konnte, inzwischen doch ältere oder sogar sehr alte Damen sind und das es ganz wichtig war, diese Frauen, die soviel Schreckliches erlebt haben, noch einmal zu Wort kommen zu lassen.

Ingeborg Lüdtke:

Welche Frau ist Ihnen denn ganz besonders an Herz gewachsen?

Dr. Martha Schad:

Also wenn ich ehrlich bin, ist es beim Schreiben oder auch bei den Forschungen in den Archiven immer die Frau, über die ich forsche oder über die ich schreibe. Und dann kristallisieren sich natürlich einige Sachen heraus. Ich würde mal eine Frau nennen, deren Leben bisher wenig beachtet wurde: Die Elisabeth von Thadden. Eine junge Frau, die aus einem pommerschen Gut stammt und die sich zur Lehrerin ausbilden lässt und in Wieblingen bei Heidelberg ein Mädchenlanderziehungsheim gründet. Eine Frau, die anfänglich dem Nationalsozialismus gar nicht so abgeneigt war. Die durchaus bereit war, sich damit mal auseinander zu setzen. Ihre Gedanken waren sogar mal dahingehend in die Partei einzutreten. Sie lernt aber dann eine der großen Frauen gegen den Nationalsozialismus kennen: Ricarda Huch. Und das Ende ihres Lebens ist für Elisabeth von Thadden die Hinrichtung in Plötzensee.

Ingeborg Lüdtke:

Sie werden heute Abend auch etwas über die Kommunistin Hilde Coppi lesen. Was können Sie uns denn über sie berichten?

Dr. Martha Schad:

Die Hilde Coppi ist auch eine Frau, die mir sehr an Herz gewachsen ist. Sie gehört zur Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen, die von der Gestapo „Die Rote Kapelle“ genannt wurde. Ich habe in meinem Buch ein Kapitel, in dem ich mich [mit den Fragen] auseinandersetze: „Wieweit geht die Mutterverehrung in der NS-Zeit? Was geschieht mit Frauen, die sich nicht regimegetreu verhielten?“ Diese Frauen wurden nämlich nicht mit dem Mutterkreuz ausgezeichnet, sondern die wurden hingerichtet. Das ist ein Schicksal das mich sehr berührt hat: Eine junge Frau hochschwangere Kommunistin wird mit ihrem Mann zusammen verhaftet. Ihr Mann wird hingerichtet und sie wird [zu Tode verurteilt]. Sie hatte im Gefängnis ihr Kind zur Welt gebracht, ihren Hans. Das Todesurteil hatte den Zusatz, dass sie solange leben darf, wie sie ihr Kind stillen kann. Ich denke, es kann nichts Schlimmeres für eine junge Mutter geben, als zu wissen: „Wenn ich mein Kind nicht mehr ernähren kann, wird es mir weggenommen und ich muss sterben.“

Ingeborg Lüdtke:

Wissen Sie auch, was aus dem Jungen geworden ist?

Dr. Martha Schad:

Ja, es war mir ein großes Anliegen herauszufinden, was aus „Hänschen“ geworden ist. So nennt Hilde Coppi ihren Sohn in einem Brief an ihre Mutter. Ich habe dann versucht – es war ein Geistesblitz – in dem Telefonverzeichnis in Deutschland den Namen Hans Coppi zu finden. Und da stand tatsächlich unter Berlin der Namen Dr. Hans Coppi. Eines Tages habe ich ihn dann angerufen und ich habe mich ihm vorgestellt und ihm gesagt, dass ich ein Buch schreibe. Und da hat er mir geantwortet: „Sie haben mich gefunden. Ich bin das Hänschen.“ Er ist ein Historiker geworden und er hat mir dann erzählt, wie sein Leben weiterging, nachdem ihn seine Großmutter aus dem Gefängnis geholt hat. An die Mutter hat er natürlich keinerlei Erinnerung, aber es gibt ein Foto von ihm als 3- oder 4 Jährigen auf dem Arm seiner Großmutter. Das Bild hat er mir für mein Buch zur Verfügung gestellt. Dafür bin ich ihm sehr, sehr dankbar.

Ingeborg Lüdtke:

Sie berichten ihn Ihrem Buch ja über sehr viele Grausamkeiten. Erleben Sie jetzt beim Schreiben diese Schicksale der Frauen mit oder haben Sie auch einen gewissen Abstand?

Dr. Martha Schad:

Also einen Abstand kann ich nie zu den Personen wahren, über die ich schreibe. Auch wenn ich etwas Schönes, etwas Hübsches schreibe, ich lebe immer mit den Frauen mit, über die ich schreibe. Und es gab Zeiten beim Schreiben, da konnte ich nicht mehr weiterschreiben, weil mich das Schicksal dieser Frauen so berührt hat. Und wieder auf Hans Coppi zurückzukommen: Ich war dieses Jahr [2001] im September in Amerika als dieses schreckliche Unglück am Flughafen in Washington war. Ich wusste nicht, ob ich wieder nach Deutschland zurückkomme. Dieses Erlebnis hat mich sehr traumatisiert. Ich hatte dann anschließend eine Lesung und da konnte ich zum Beispiel die Briefe der Hilde Coppi an ihre Eltern und Schwiegereltern nicht lesen, weil mir die Tränen herunter liefen. Also, ich kann nicht auf Abstand gehen. Und ich will das auch nicht. Es ist manchmal dann schon so, das dieses Schreiben natürlich auch mit in den Schlaf beziehungsweise in die Träume geht. Das nächste Buch, ist ein Buch, das nicht so traurig ist und das ist gut so, weil man sonst [die Last] doch mitträgt. Aber bei dem Buch „Frauen gegen Hitler“, bei diesen Schicksalen denke ich, da muss man mitfühlen und mitleiden, wenn man das in Etwa erfassen möchte, was diese Frauen durch ihren Widerstand auf sich genommen haben. Nicht nur die Frauen, die namentlich genannt wurden, sondern auch die vielen unbekannten Frauen haben vieles auf sich genommen. Sie spielen ja in meinem Buch auch eine Rolle. Über die kann nicht geschrieben werden, weil sie selber kein Zeugnis hinterlassen haben. An die Frauen, die im Volk humanitäre Hilfe, nennen wir das einfach mal so, geleistet haben, an die ist ja auch zu denken. Die brachten ja durch ihre Nächstenliebe, sich, ihre Familie und ihre Kinder auch in Gefahr.

(c) Copyright Ingeborg Lüdtke

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Die Sendung wurde im StadtRadio Göttingen am 7. Dezember 2001 ausgestrahlt

Literaturhinweis:

Frauen gegen Hitler
Vergessene Widerstandskämpferinnen im Nationalsozialismus

Ergänzte und überarbeitete Neuauflage 2010, 272 Seiten mit Abb.

Herbig

Weitere Bücher von Dr. Martha Schad:

– Sie liebten den Führer, München 2009
– Gottes mächtige Dienerin, Schwester Pascalina und Papst Pius XII. , 3-Auflage 2010
– 50 bedeutende Frauen: Von der Antike bis zum 17. Jahrhundert . Wiesbaden 2007
– „Komm und setz dich, lieber Gast“ – Zu Tisch bei Bertolt Brecht und Helene Weigel, München 2005
– Stalins Tochter. Das Leben der Swetlana Allilujewa, Bergisch Gladbach 2005
– Mozarts erste Liebe – Marianne Thekla Mozart. Mozarts Bäsle, Augsburg 2004

Weiterführende Links zum Thema „Widerstand von Frauen“:

http://www.chbeck.de/Geyken-standen-abseits/productview.aspx?product=13040848

http://geschichtsverein-goettingen.de/fileadmin/pdf/neuerscheinungen/2014_Geyken_Buchbesprechung.pdf

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wir-waren-nicht-viele

http://www.staatsanwaltschaften.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=31001&article_id=106904&_psmand=165

http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_von_Scheliha

http://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Kapelle

http://de.wikipedia.org/wiki/Cato_Bontjes_van_Beek

http://de.wikipedia.org/wiki/Annedore_Leber 

http://www.gdw-berlin.de/index.php

http://www.fembio.org/biographie.php

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„Die Besserung“ – Ein Theaterstück der „Stillen Hunde“

Interview mit dem Schauspieler Stefan Dehler von der Theatergruppe „Stille Hunde“ über das Theaterstück „Die Besserung

Da die Zeitzeugen des Jugend-KZ Moringen aussterben, versucht die KZ-Gedenkstätte MoringenKZ Gedenkstätte Moringen S760>
neue Wege der Erinnerung zu gehen. Jugendlichen soll vermittelt werden, dass im Jugend-KZ Moringen ganz normale Jugendliche inhaftiert waren, die mit dem damaligen politischen System aus unterschiedlichsten Gründen nicht konform gingen. Die Jugendlichen sollen sich bewusst werden, dass die ehemaligen Inhaftierten zum Teil noch leben, auch wenn sie schon sehr alt und krank sind.

Das Theaterstück „Die Besserung“ handelt von zwei Jugendlichen, die in das Jugend-KZ Moringen
ehemaliges KZ Moringenkamen und in ihrem späteren Leben nie mit ihren Söhnen über das Lagerleben gesprochen haben. Franz, einer der beiden ehemaligen Inhaftierten, ist schwer krank und wird sterben. Er schreibt einen Brief an seinen Freund, mit dem er im Jugend-KZ war. Sein Sohn soll den Brief überbringen. Er trifft auf den Sohn des Freundes, der ihm erzählt, dass sein Vater verstorben ist. Dieser öffnet zögernd den Brief an seinen Vater und erfährt zum ersten Mal von der Inhaftierung seines Vaters im Jugend-KZ Moringen.

Das Stück zeigt in einen Rückblick die Gründe, die zur Inhaftierung dieser beiden
Jugendlichen führten, aber auch etwas über die Ausbeutung der Jugendlichen durch Zwangsarbeit, die tägliche Gewalt, die Strafen und über die kriminalbiologische Selektion des Dr. Dr. Robert Ritters.

Die Theatergruppe „Stille Hunde“ hat in Kooperation mit der KZ Gedenkstätte Moringen auf Grundlage von Zeitzeugenberichten dieses Theaterstück entwickelt und für die Aufführung im Klassenzimmer konzipiert.

stille_hunde_PRESSEFOTO_Die_Besserung_4Das Zwei-Mann-Stück wird von Christoph Huber und Stefan Dehler gespielt.

Stefan Dehler war bereit einige Fragen zu beantworten.


Ingeborg Lüdtke:

Warum haben Sie sich entschieden dieses Theaterstück zu spielen?


Stefan Dehler:

Ja, wie immer oder so oft im Leben gibt es Gründe und Anlässe. In diesem Fall gab es zwei gute Gründe ein solches Theaterstück zu produzieren und einen Anlass, der das Ganze dann tatsächlich auch ins Rollen gebracht hat. Der erste Grund, den ich nennen möchte ist, dass die Existenz dieses ehemaligen Konzentrationslagers in Moringen erstaunlicher Weise auch hier in der Region gar nicht so bekannt ist. Also ich haben mit einer Reihe von Geschichtslehrern und -lehrerinnen gesprochen, die von der Existenz dieses sogenannten Jugendschutzlagers in Moringen nichts wussten. Ich selbst bin vor neun Jahren nach Göttingen gekommen und hatte auch noch nie von Moringen gehört. Das heißt, ich wusste, dass es eine Stadt dieses Namens gibt, aber mehr auch nicht. Also dieser besondere Fall, diese Geschichte Moringens, die kannte ich nicht. Also es ging jetzt darum ein Stück Regionalgeschichte wieder bekannt, wieder erlebbar zu machen. Das ist das Eine. Das Andere ist, da spreche ich jetzt sicherlich eher im Namen der Gedenkstätte, dass neue Wege der Gedenkstättenpädagogik begangen werden müssen, weil die Zeitzeugen langsam so alt werden, dass sie eben nicht mehr mitarbeiten können. Auf der Mitarbeit der Zeitzeugen basiert natürlich ein Großteil der pädagogischen Arbeit der Gedenkstätte. Also gab es von Seiten der Gedenkstätte auch Interesse, etwas Neues zu finden, was anstelle dieser Augenzeugenberichte treten kann. Diese Lücke, dadurch entsteht, dass Leute einfach zu alt sind, um an diesen Foren teilzunehmen und in die Schulklasse zu kommen, die wird nie ganz geschlossen werden können. Das ist klar und deshalb suchten wir nach einem Weg, der diese Art von Arbeit eben so halbwegs plausibel und auch funktionierend ersetzen kann. Der Anlass war: Der Landschaftsverband Südniedersachen hat einen Förderschwerpunkt ausgeschrieben in der Jugendbildung. Da ging es darum, dass eine Bildungseinrichtung mit Künstlern zusammen arbeiten sollte, um ein Projekt für Jugendliche anzuschieben. Wir haben uns dann zusammengesetzt, also Christoph Huber und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von der Gedenkstätte, allen voran die Annegrit Berghoff und der Dietmar Sedlaczek und dieses Projekt erfunden.


Ingeborg Lüdtke:

Was empfinden Sie als Schauspieler, wenn Sie in die Rolle des Dr. Ritter schlüpfen? Ist das jetzt auch ein Stück mit dem Sie sich in dem Moment identifizieren oder wie läuft das?


Stefan Dehler:

Das ist eine sehr interessante und recht schwierig zu beantwortende Frage. Es ist sicherlich so, dass weder der Christoph Huber etwas mit diesem Vater zutun hat oder auch zutun haben möchte, noch ich mit dem sehr sehr fragwürdigen Dr. Ritter. Es sind nicht unsere Worte. Es sind nicht unsere Gedanken. Es spiegelt auch überhaupt nicht unsere Einstellung. Also das ist uns tatsächlich sehr fremd. Das ist aber im schauspielerischen Beruf gar nicht so selten. Also man wird mit vielen Rollen, Lebensentwürfen, Gedanken, Situation konfrontiert mit denen man in seinem persönlichen Bereich nichts zutun hat. Also Dinge, die man auch überhaupt nicht mit seiner Lebenserfahrung überein bringen kann. Das ist einfach so. Das ist auch gut so. Natürlich muss eine solche Figur dann schon auch verstehen. Also man muss wissen, warum sagt eine Figur wie der Vater: „Ich werde dich totschlagen, wenn es nottut.“

Warum sagt der Dr. Ritter: „Ich mag dich Franz. Es tät mir Lied, wenn das genetische Material verschwendet würde.“ Was sind die Gedanken dahinter. Es ist aber tatsächlich so, dass man sich mit diesen Ideen, diesen Motiven beschäftigt, wie man sich mit etwas völlig Fremden beschäftigt. Man geht mit einer gewissen Neugier daran, mit einer gewissen, ich sag mal, Unbefangenheit auch, weil man weiß. Für den Moment ist es wichtig, dass das auch überzeugend klingt. Selbstverständlich distanzieren wir uns als Privatperson von diesen Äußerungen. Das ist klar. Im Rahmen der Berliner Festspiele gibt es ein Jugendforum und dorthin kam ein koreanischer Theatermacher, der auch als Ausbilder arbeitet. Der sagte während des zweiwöchigen Seminars einen schönen Satz: „Ein richtig guter Schauspieler muss auch lügen können, mit der Lüge leben oder die Lüge akzeptieren können.“ Das trifft es natürlich schon auch. Also natürlich lügt man eine Moment lang [lacht], wenn man in eine Rolle schlüpft und überzeugend verkörpert: „Ich denke jetzt so, deswegen rede ich so, deswegen handle ich so.“ Mich als Privatperson gefragt, muss ich sagen: „Ich empfinde eher Abscheu vor einer solchen Figur, wie die des Dr. Ritter.“

Ingeborg Lüdtke:

Wie reagieren denn die Schüler, wenn Sie so mitten im Klassenzimmer Ihre Rollen spielen? Das ist ja quasi auf engsten Raum, was da passiert?

Stefan Dehler:

Wir haben unterschiedliche Reaktionen. Es gab jetzt gerade in einer der zurückliegenden Vorstellungen mal einen Moment lang scheinbar bei den Schülern das Gefühl, dass es sich um etwas handelt, woran sie teilnehmen könnten. Also die reagierten auf das Klopfen an der Tür, was den Beginn der Handlung darstellt, mit „Herein“ [lacht], also noch bevor ich das sagen konnte. Oder „Guten Morgen“ oder so etwas wurde dann auch gesagt. Den meisten war noch nicht klar, dass es sich um einen Kunstvorgang handelt, in den sie gar nicht eingeweiht sind. Also können sie logischerweise gar nicht richtig mitmachen, aber das war so eine spontane Reaktion. Das haben wir allerdings sehr selten. Im Nachgespräch haben uns oft Schüler und Schülerinnen gesagt, dass sie sich manchmal angesprochen gefühlten, wenn zum Beispiel der Vater des Franz hinter ihrem Rücken sehr laut und sehr aggressiv agiert, dass sie sich angesprochen fühlen, wenn zum Beispiel der Heimleiter oder nachher der Dr. Ritter sie anschaut bzw. mit den Blick nur streift. Dass sie sich unbehaglich fühlen bei dem Gedanken, dass solche Menschen plötzlich eine Urteil über sie fällen und ihre weitere Zukunft bestimmen könnten. Ansonsten zeigt unsere Erfahrung, dass die Schüler sehr konzentriert sind, sehr ruhig sind und schon auch differenzieren können, ob sie gemeint sind und wann sie gemeint sind und dann auch doch recht damit viel zutun haben die Dramaturgie dieses Stückes zu verstehen. Ich will das nicht als Schwierigkeit beschreiben, aber es ist so, dass es die Aufmerksamkeit der Schüler und Schülerinnen sehr in Anspruch nimmt. Man muss ja doch diesen vielen Schauplatzwechseln, diesen Zeitsprüngen folgen und das zwingt einen auch immer ein bisschen in die Distanz. Das verhindert eine totale Einfühlung. Das ist allerdings auch ein Effekt, den wir schon bei Konzeption des Stücks mit bedacht haben. Wir wollen sicherlich Empathie für die Opfer, aber wir wollen keine Einfühlung, die dann den Blick auf das große Ganze, also beispielsweise den geschichtlichen Ablauf verhindert.

Ingeborg Lüdtke:

Welche Reaktion auf das Theaterstück hat Sie besonders bewegt?

Stefan Dehler:

Diese Frage ist leicht zu beantworten. Es hat sehr viele sehr unterschiedliche Reaktionen gegeben, zumeist positive. Die Reaktionen bezogen sich allerdings immer auf besondere Aspekte. Für mich waren sicherlich die bewegensten Reaktionen, die wir nach der Vorstellung erfahren haben, sie wir vor den überlebenden Häftlingen gespielt haben anlässlich des letztjährigen Treffens [2009] der Lagergemeinschaft. Diese Vorstellung war für uns ohne hin mit einer sehr großen Anspannung verbunden, weil wir diese Aufführung als Prüfungssituation empfunden haben. Wir waren ja sicher, dass wir keinen Unsinn erzählen. Wir waren auch überzeugt davon, dass wir die Zeitzeugenberichte angemessen verarbeitet haben. Aber uns war schon auch klar, es ist einfach eine Unterschied, ob man vor Leuten spielt, die noch nie etwas davon gehört haben, die uns also mehr oder weniger unbesehen glauben müssen oder vor Leuten deren Geschichte das ist. Die im Fall Moringen die kompetentesten Zuschauer sind. Da hat mich die herzliche Zustimmung, so würde ich das mal beschreiben, sehr berührt. Natürlich mischt sich da eine Erleichterung in das Gefühl hinein, aber ich hatte auch das Gefühl oder das Empfinden, dass die ehemaligen Häftlinge, die sich da nach der Vorstellung geäußert haben, uns ihre Geschichte sozusagen als Erbe anvertraut haben: „Das dürft ihr machen, weil es in unserem Sinne ist. Das ist nicht ganz unsere Geschichte“. Einer sagte auch: „ Das war viel, viel schlimmer als eine Theaterstück das beschreiben kann, aber es ist wichtig, dass es jemand tut und da wir es nur noch ein paar Jahre lang machen können, muss es andere Menschen geben, die diese Erzählungen weitertransportieren und wenn es halt mit den Mitteln des Theaters ist.“ Das hat mich insofern eben angerührt, dass ich dachte: Das hat das Theater tatsächlich noch eine ganz besondere existenzielle Bedeutung für jemand. Also nicht nur für uns als Darsteller, sondern auch für Menschen deren Geschichte da erzählt wird [Ende des Interviews].

Auch die Zeitzeugen waren sichtlich von dem Theaterstück „Die Besserung“ bewegt. Alfred Grasel aus Österreich sagte nach der Aufführung:

„Ein grandioses Werk und es erinnert sehr stark. Zu Beginn habe ich Tränen gehabt. Sie haben mich wieder soweit gebracht, dass ich mich erinnere. Es war eine furchtbare Zeit.

Hans Becker: „Da sind Sachen, die wohl nicht in dem Stück vorkommen. Das Stück war sehr sehr gut. (Das) hat jeder von uns selbst erlebt, nur war es viel viel schlimmer. Die Stockhiebe, ich kann mich entsinnen waren 25.“

© Ingeborg Lüdtke

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Literaturhinweise und weiterführende Links:


Hans Hesse, Das frühe KZ Moringen (April – November 1933). ”…ein an sich interessanter psychologischer Versuch…”, hrsg. von der Lagergemeinschaft und Gedenkstätte Moringen e.V., Moringen 2003, ISBN 3-8334-0429-9

http://www.gedenkstaette-moringen.de/geschichte/geschichte.html

http://www.hans-hesse.de/html/publizierte_forschungen.html

http://www.martinguse.de/jugend-kz/moeinfuerung.htm

http://www.martinguse.de/jugend-kz/moselektion.htm

http://www1.uni-hamburg.de/rz3a035//robertritter.html

http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Ritter

http://www.einbecker-morgenpost.de/interessantes-nachricht/items/theaterstueck als-geschichtsunterricht.html

(Fotos: Mit freundlicher Genehmigung der Theatergruppe “Stille Hunde”)

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„In der DDR gibt es keine welken Rosen“ – Der Maler Heinz Tetzner

Interview mit dem international bekannten DDR-Maler Heinz-Tetzner und Dr. Elke Purpus der Direktorin der Kunst- und Museumsbibliothek / Rheinisches Bildarchiv der Stadt Köln anlässlich der Lesung von Charlotte Tetzner im Holbornschen Haus in Göttingen (15. Januar 2005).

Charlotte Tetzner las aus ihrem Buch „Frierende“, das von dem Historiker Dr. Hans Hesse und seiner Frau Dr. Elke Purpus im Klartext Verlag herausgegeben wurde. Elke Purpus hat in dem Buch eine Einführung über das graphische Werk von Heinz Tetzner geschrieben. Sie promovierte über das Thema „Die Blockbücher der Apokalypse“.

Nach der Lesung von Charlotte Tetzner sprach Dr. Hans Hesse einige überleitende Worte zum Interview mit Heinz Tetzner.
Heinz TetznerDer Künstler Heinz Tetzner wurde 1920 in Gersdorf bei Chemnitz geboren. Er war unter anderem Heinz Tetzner Museum GersdorfDozent an der Hochschule für Bau und Bildende Kunst in Weimar. Er eckte mit seiner Auffassung von Kunst in der DDR an. Er arbeitete viele Jahre als freischaffender Künstler und erhielt einige Preise. Zweimal erhielt er den Max-Pechstein-Kunstpreis und wurde 1999 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für sein Lebenswerk ausgezeichnet. 2001 wurde für ihn in Gersdorf das Heinz-Tetzner-Museum eröffnet.

Einige der Bilder des Künstlers, die in dem Buch „Frierende“ abgebildet sind, wurden auch an diesem Abend gezeigt. Sie wurden 2003 angefertigt und haben einen Bezug zu dem Inhalt der Lesung von Charlotte Tetzner. Auch wenn die Werke sich nicht unmittelbar mit dem Leben von Charlotte Tetzner auseinandersetzen, befassen sie sich mit dem Thema Konzentrationslager und Nationalsozialismus. Sie zeigen ausgemergelte Körper oder auch eine Zyklondose.


Dr. Elke Purpus:

Tetzner PurpusHerr Tetzner können Sie bitte etwas zu der Entstehung dieser Zeichnungen [Anm.: 1. Bild, Tafel 13, “Vergewaltigt“, 1990, 2. Bild, Tafel 9, „Bibelleserin“] erzählen? In welchem Zusammenhang und seit wann haben Sie sich mit diesem Thema beschäftigt?


Heinz Tetzner:

Diese Bildgestaltungen sind nach den Erzählungen meiner Frau [Anm.: Charlotte Tetzner, KZ-Überlebende]
entstanden, die ich immer wieder in meinen Zeichnungen niedergeschrieben habe. Diese Holzschnittserie werde ich fortsetzen. Einige davon sind schon entstanden, sodass ein Gesamtzyklus im Nachhinein aus dieser Zeit entstehen wird.


Dr. Elke Purpus:

Als wir letztes Jahr bei Ihnen waren, hatten Sie gesagt, dass diese beiden Bilder eher Vorzeichnungen für Bilder sind, die noch als Zyklus entstehen werden. Wir sehen hier auch einen Holzschnitt. Der Holzschnitt ist ja eine graphische Drucktechnik von Ihnen. Warum bevorzugen sie den Holzschnitt?


Heinz Tetzner:

Darüber kann man geteilter Meinung sein. Der Holzschnitt ist eine uralte Technik, den die Japanern und Chinesen schon pflegten. Mir liegt einfach die Niederschrift dieser graphischen Kunst am ehesten. Ich mache Lithographien bzw. Radierungen, die eine Vervollständigung meiner graphischen Arbeiten bilden, aber im Vordergrund ist mir der Holzschnitt mit seiner Niederschrift in dieser Einfachheit und Ausdrucksweise immer sehr entgegen gekommen und steht mir deshalb am nächsten. Ich versuche deshalb immer wieder durch diese Technik meine graphischen Arbeiten zu realisieren.

Dr. Elke Purpus:

Das gelingt Ihnen auch hervorragend. Gehen wir kurz auf diesen Holzschnitt ein. Wir sehen im Vordergrund eine Frau. Sie ist nackt. Sie ist anscheinend nur geschützt durch einen Umhang, den sie sich übergeworfen hat. Sie hat die Hände fast vor das Gesicht gezogen. Mich erinnert diese Situation, dieses Gefühl das ausgedrückt wird, sehr stark an das, was Frau Tetzner am Anfang vorgelesen hat. Die Frau steht nackt vor den Soldaten, die sich schon abgewendet haben. Das schmälert aber nicht den Ausdruck, die Erniedrigung, die rüber kommt. Ich finde, dass das Leid immer sehr intensiv in Ihren Werken zu spüren ist.

Heinz Tetzner:

Ja, dass ist natürlich immer eine individuelle Betrachtungsweise von Seiten des Betrachters. Vom Ausdruck her versuche ich immer in einer realen Gestaltung das Wesentliche aus dieser Situation hervorzuheben. Ich denke, dass dieses Bild auch so zu verstehen ist, dass eine Frau von der Soldateska vergewaltigt wurde. Durch dieses Weggehen von ihr findet dieses Beschämende und Bedrückte ihren Niederschlag.


Dr. Elke Purpus:

Zu diesem Holschnitt gibt es hier in dem Buch „Frierende“ Vorzeichnungen, so dass man die Entwicklung nachvollziehen kann. Für Sie sind ja Zeichnungen sehr wichtig. Während der Holzschnitt in der Werkstatt entsteht, haben Sie die Zeichnung an der Sie arbeiten ständig bei sich. Sie arbeiten ein Motiv heraus und greifen auch wieder auf ein altes Motiv zurück.


Heinz Tetzner:

Die Zeichnung ist die erste Phase meiner Intuition vom Erlebnis her wie eine Schrift mit Hieroglyphen niederzuschreiben. Ich entwickle etwas ganz Einfaches über eine graphische Technik. In diesem Falle ist es der Holzschnitt. Das ist eine Meinung zu diesen wesentlichen Dingen, die ich sehe. So habe ich schon jahrelang gearbeitet. Ich habe eine Unmenge von Holzschnitten von bestimmten Themenkreisen, nicht nur im menschlichen Bereich, sondern auch im landschaftlichen Bereich Ich habe diese Form gewählt, weil sie mir am besten zu eigen ist, und ich kann mich darin am besten ausdrücken.

Dr. Elke Purpus:

Ich würde jetzt gern noch einmal den anderen Holzschnitt zeigen, den wir auch mitgebracht haben. Dieser Holzschnitt ist Ende der 1970er Jahre entstanden. Es wird eine ältere Frau dargestellt, die ein Buch in der Hand hält, in dem sie bisher gelesen hat. Ihr Blick ist aus dem Holzschnitt heraus gerichtet. Sie ist nachdenklich. Der Holzschnitt „Die Bibelleserin“ ist in einer Zeit (Ende der 70er Jahre) in der DDR entstanden, als die Zeugen Jehovas verboten waren. Ich gehe mal davon aus, dass Sie diesen Holzschnitt nicht ausstellen konnten.


Heinz Tetzner:

Ja, solche Themen waren nicht erwünscht. Also man war da sehr stur und man eckte dann sozusagen an mit einer solchen Thematisierung und das habe ich dann auch lieber gelassen. Aber zum Bild selbst: Als Bub und junger Mensch sah ich meine alte Mutter, wie sie da saß mit einer großen Bibel in der Hand und darin las. … Ich habe dann viele, viele Zeichnungen gemacht bis tatsächlich dann eine endgültige Lösung in Form eines Schnittes, wie Sie ja sehen, zustande kam. Natürlich, wie gesagt, diese Thematik war in der DDR weniger erwünscht. Man wollte sogenannte fortschrittliche Bilder sehen, die nach der Meinung dieser politischen Leute in meinem Oeuvre [Anm: das gesamte Werke eines Künstlers] überhaupt nicht vorhanden waren. Wenn ich zum Beispiel ein Bild malte mit einen Bauernstall und mit Kühen, ja so musste das Bild natürlich „LPG-Rote Rübe“ heißen. Ich bekam eine Auszeichnung für ein Still-Leben mit dem Titel „Welke Rosen“. Ja, da wurde mir gesagt: „In der DDR gibt es keine welken Blumen. Da blüht alles hervorragend. Da gibt es keine welken Rosen.“ Ich meine, das ist natürlich kindisch, so etwas überhaupt zu erwähnen. Aber das waren so die Macher, die nichts mit Kunst zutun haben, sondern nur von ihrer politischen Ideologie ausgingen. Mir gefiel so etwas nicht. Ich habe diesen Kram einfach nicht mit gemacht.

Dr. Elke Purpus:

Sie erzählen das so locker und auch humorvoll, aber ich denke in der Realität war es dann doch anders. Teilweise waren Sie ja auch in Ihrer Existenz bedroht. Sie und Ihre Frau hatten mir die Möglichkeit gegeben, in die Stasi-Akten reinzuschauen. Dort wird ja jetzt sehr interessant dokumentiert, wie es Ihnen jedes Mal nach den Wahlen gegangen ist, an denen sie nicht teilgenommen haben. Können Sie uns schildern, wie das Procedere war?

Heinz Tetzner:

Ja, das waren mehrere Ereignisse. Ich wurde in den 60er Jahren vom Ministerium, als Dozent an eine Fachschule für bildende Kunst im Erzgebirge in dem Ort Schneeberg eingestellt. Da hatte ich schon den Gedanken: “O, ist das eine Falle oder haben sie da irgendwie etwas vergessen, was sie vielleicht später bereuen durften.“ Nein, es war so: Es war ein Dozent an dieser Schule erkrankt und man konnte nach der Meinung der Direktion keinen besseren finden wie mich. Ich muss mich ja mal loben. Aber jedenfalls wurde ich eingestellt und ich habe dort ein Jahr lang zelebrieren können, so wie ein Pfaff unter Schülern. Und sie waren begeistert von meinem Unterricht. Aber als dann kurz nach der Semesterpause wieder eine Wahl stattfand, musste ich wieder gehen. Also es wurde dann nicht lang gefackelt. Ich hatte dann die Wahl, entweder zur Wahl zu gehen oder nicht, aber es war keine Wahl. Und ich ging eben nicht zur Wahl. Durch meine Ablehnung zur Wahl zu gehen, wurde ich wieder ein freier Künstler. Ja, das waren meine Nachteile, die sich natürlich wirtschaftlich enorm auswirkten. Meine Frau war so nett und hatte bei einem Anwalt eine Arbeitsstelle angenommen und sie verdiente so zu sagen die Brötchen … und ich konnte dann eben rein künstlerisch weiter arbeiten. Auf diese Weise habe ich auch heute noch eine Unmenge Bilder in meinem kleinen Haus. Ja, das ist eben auch ein Vorteil, wenn man konsequent ist.

Dr. Elke Purpus:

In den Stasi-Akten heißt es, man verstände nicht, warum Sie dort so positiv angesehen seien. Auch fragte man sich, ob das alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Ich fand es so erschreckend, dass man nach den Wahlen Ihre Nachbarn befragt hat. Auch in der Schule fragte man, wie das möglich sei, dass Sie eine solche Anstellung haben könnten. Ich fand das sehr unangenehm.

Heinz Tezner:

Ja auf einem Dorf ist das so. Da kennt jeder jeden und da wurde man bespitzelt. Ich habe das augenzwinkernd hingenommen. Das war nun mal so. Ich habe auch getestet, wie weit ich den Bogen spannen kann, um eine Anstellung zu bekommen. Ich habe sogar mit Hilfe eines Rechtsanwaltes, den ich sehr gut kannte, an das Ministerium geschrieben. Meine Anfrage wurde immer mit „wenn und aber“ abgelehnt. Es ging einfach nicht. Das war auch so in den Jahren in Weimar an der Hochschule für bildende Kunst. Mein Chef, Dr. Henzelmann ließ mich zu sich kommen und sagte: „Sie können jetzt wählen. Entweder Sie gehen zur Wahl oder ich muss Sie leider entlassen.“ Das war sehr höflich. Er hat dann die Entlassung auf geschickte Weise mit ‚Strukturveränderung’ in der Schule begründet. Das war sehr schlau und human. Er wollte eigentlich mich nicht gern einbüßen. Aber wie gesagt, es war eben die Sturheit des Tetzners.


Dr. Elke Purpus:

Als Sie an der Hochschule in Weimar nicht mehr lehren konnten, sind Sie zurück nach Gersdorf gegangen. Sie waren dann auch wieder mit ihrer Frau zusammen, die dort bereits lebte.

Sie haben versucht in den Verband bildender Künstler aufgenommen zu werden. Das hat aber nicht gleich geklappt. Warum wollten Sie überhaupt in den Verband bildender Künstler aufgenommen werden?

Heinz Tetzner:

Das war nicht aus Eitelkeit, um zu sagen zu können: “Ich bin Künstler,“ sondern damit waren diese wirtschaftlichen Dinge verbunden, die man einfach haben musste. Wenn man aufgenommen wurde, bekam man im Winter z. B. eine Karte für Kohlen und man hatte da so kleine, kleine, kleine Vorrechte. Man konnte dadurch bei Einkäufen Farben und Leinwände und Utensilien besser bekommen. Oder man konnte an Ausstellungen teilnehmen, die man sonst nicht beschicken konnte und so weiter. Es waren also gewisse Vorteile vorhanden, die ich natürlich auch versucht, in Anspruch zu nehmen. Das war ja mein gutes Recht. Ich wurde aber abgelehnt mit der Begründung, wörtlich: „Es ist zwar ein hervorragendes Talent vorhanden, aber diese Arbeiten stimmen nicht mit diesen Vereinbarungen unserer politischen Ideologie überein. Und deshalb können wir Sie nicht in unseren Verband unserer Deutschen Demokratischen Republik aufnehmen.“ Nun ja. Ich habe es hingenommen. Da stand mir aber das Recht zu, mich innerhalb von 8 Tagen zu beschweren, und ich habe tatsächlich eine Beschwerde eingereicht und ich habe gefragt, ob denn nur Flöte spielende Kinder oder Mädchen in der DDR aufgenommen würden, die ein blaues Hemd anhatten und so weiter. Ich bin da auch sehr deutlich geworden. In dem damaligen Bereich des Kulturministeriums war der Prof. Otto Nagel tätig. Er war ein Berliner Maler. Er war Präsident im Verband „Bildender Künstler“ und er hat sich sofort dieser Sache angenommen und gratulierte mir schon im Voraus für die Aufnahme, obwohl ich noch gar nicht vom Verband in Chemnitz aufgenommen worden war. Aber ich war in Berlin schon durch Prof. Nagel sicher aufgenommen. Ich hatte nun das Glück im Verband „Bildender Künstler“ zu sein.


Dr. Elke Purpus:

Im Endeffekt dauerte es aber noch 2 Jahre bis Sie aufgenommen wurden.

Heinz Tetzner:

Natürlich. Man musste dann erstmal erklären, was man so macht. Ich habe heute noch diese Utensilien, um da noch einmal reinzuäugen. Es ist im Nachhinein auch ein Amüsement, was man gerne mal liest.

Dr. Elke Purpus:

Im Nachhinein ja. [Anm.: Beide lachen]

Es war ja nicht so einfach an Material zu kommen, das Sie für Ihre Zeichnungen und auch für Ihre Holzschnitte brauchten. Deshalb ist auch dieser Holzschnitt, den wir hier sehen, sehr interessant. Können Sie uns erklären, warum diese beiden Linien, auf dem Holzschnitt zu sehen sind?

Heinz Tetzner:

Ja, es waren ganz einfache Kuchenbretter. Es war sehr schwierig solche Formate in Holz zu bekommen. Kein Tischler hatte das vorrätig und wenn, dann musste man eine Gegenleistung in Form von Fressalien oder Materialen bringen. Geld war ja nicht so wichtig. Das hatte ich ja auch nicht. Eines Tages kam ich in ein Konsumgeschäft Da lagen stapelweise Kuchenbretter. Das sah ich und ich habe die Formate beäugt. Ich ließ mir von der jungen Verkäuferin ein Metermaß geben. Ich maß dann und stellte fest, dass dies die Formate für meine Holzschnitte sind. So kam ich auf die Idee diese Kuchenbretter zu kaufen. Die Verkäuferin wunderte sich nur, in welch hoher Anzahl ich Kuchenbretter kaufte. Sie fragte: „Backen Sie denn soviel Kuchen?“ „Natürlich.“

Dr. Elke Purpus:

Ich habe gerade ein Zeichen bekommen, dass die vorgesehene Zeit für das Interview abgelaufen ist. Ich bedanke mich bei Ihnen recht herzlich für das Gespräch.

© Ingeborg Lüdtke

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Der Mitschnitt des Interviews wurde am 27. Januar 2005 im StadtRadio gesendet.

Anmerkung:

Das Künstlerhaus mit Galerie e.V war nicht bereit die Bilder von Heinz Tetzner auszutellen, da man der Meinung war, dass das Thema NS-Geschichte noch nicht wieder interessant für sie sei.

Eine Ausstellung in einem renomiertem Altersheim in Göttingen mit Ausstellungsmöglichkeiten lehnte mit der Begründung ab, dass diese Bilder den Bewohnern nicht zumutbar seien, außerdem befänden sich in dem Heim eher “Täter” als “Opfer” aus der NS-Zeit.


Literaturhinweis:

Hans Hesse/Elke Purpus, Heinz Tetzner: Geschriebenes. Das druckgrafische Werk, Klartext Verlag, Essen 2006

Charlotte Tetzner, Frierende. Mit Zeichnungen und Holzdrucken von Heinz Tetzner, Klartext Verlag, Essen 2004

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