Hannah Vogt – Ausstellung im Amtsgericht Osterode

Die Radiosendung wurde am 1. Dezember 2003 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt

Amtsgericht Osterode

Amtsgericht Osterode

Am 10. November 2003 wurde im ehemaligen Gerichtsgefängnis in Osterode in einer Zelle und im davorliegenden Flur eine Dauerausstellung eröffnet. [Anm.: Bilder und Bericht auf www.spurensuche-harz.de im Artikel „Einweihung des Gedenkortes im Amtsgericht Osterode“]

Die Ausstellung behandelt die „Geschichte des Amtsgerichtes und die Erosion des Rechtsstaates in den 30er Jahren.“

Am Beispiel von Hannah Vogt wird über die Verfolgung von Widerständlern informiert.

Firouz Vladi von der Arbeitsgemeinsschaft Spurensuche Südharz dankte dem Historiker Hans Hesse hat die Briefe von Hannah Vogt in einen historischen Kontext gestellt und veröffentlicht.

Ich sprach mit ihm über die Hintergründe dieser Veranstaltung.


Ingeborg Lüdtke:

Herr Dr. Hesse, Sie haben sich dafür eingesetzt, dass ein Gedenkraum für die Göttingerin Hannah Vogt in Osterode eingesetzt wurde. Wer war Hannah Vogt überhaupt?


Hans Hesse

Dr. Hans Hesse:

Sie war eine politisch äußerst engagierte, kämpferische Frau, die sich für bestimmte Belange sehr intensiv eingesetzt hat und dazu gehört in Göttingen natürlich die Kulturpolitik.

Jeder, der in Göttingen den Namen Hannah Vogt hört, erinnert sich an ihren Einsatz für die Kulturpolitik. Man könnte diese Frage so beantworten. Eine andere Antwort ist: Hannah Vogt ist eigentlich eine geborene Berlinerin. Sie ist vor dem 1. Weltkrieg mit ihren Eltern nach Göttingen umgezogen und ist dann dort zum Entsetzen ihrer Eltern der KPD beigetreten. Hier zeigt sich schon ihr erstes politisches Engagement und für diese Tätigkeit der KPD ist sie dann in Osterode inhaftiert worden und von Osterode dann ins Frauen-Konzentrationslager nach Moringen überführt worden. Nach 1945 ist dann Hannah Vogt in die FDP eingetreten und als Ratsherrin in Göttingen tätig gewesen. 1968 ist sie dann Ratsherrin der SPD in Göttingen geworden. Später hat man ihr dann die Ehrenbürgerwürde angetragen. Sie hat sogar einmal für die Oberbürgermeisterwahl in Göttingen kandidiert.


Ingeborg Lüdtke:

Sie haben ja in dem Buch „Hoffnung ist ein ewiges Begräbnis“ die Briefe von Hannah Vogt veröffentlicht. Welcher Brief hat Sie jetzt besonders bewegt.

Dr. Hans Hesse:

Es gibt mehrere. Ich könnte als Historiker die Frage unter dem Gesichtspunkt beantworten, welcher Brief wichtige historische Informationen beinhaltet. Ich kann aber die Frage auch als Mensch beantworten und da spricht mich der Brief von Hannah Vogt vom 7. April 1933 besonders an, den sie ihren jüngeren Bruder anlässlich seiner Konfirmation geschickt hat. In diesem Brief formuliert Hannah Vogt ihr politisches Credo, in dem sie sagt: „Wir dürfen uns nicht mit dem zufrieden geben, was wir haben, wenn es uns sehr gut geht, vor allem materiell gut geht. Wir sollten dann unser Streben nicht danach auslegen, dieses zu erhalten und zu vermehren, sondern wir sollten sehen, wie es unseren Mitbürgern geht.“[Anm.: kein Direktzitat] Sie gibt das sozusagen ihrem jüngeren Bruder anlässlich seiner Konfirmation mit auf den Weg. Mir ist noch der Brief vom 28. Juni 1933 aufgefallen. Sie schreibt ihn aus dem Frauen-KZ Moringen, in dem sie nun inhaftiert ist. Sie wird dort massiv unter Druck gesetzt. In diesem Brief an ihren Vater schreibt sie: „Einen offiziellen Rücktritt von meinen allgemeinen Ideen aber mache ich nicht, am allerwenigsten im Gefängnis.“ Diesen Satz finde ich angesichts der Situation, in der sie sich damals befand, doch sehr beeindruckend und mutig. Sie hat also trotz der Repression, der sie ausgesetzt war, zu ihrer Überzeugung gestanden.

Der Präsident des Oberlandesgerichts in Braunschweig, Edgar Isermann, bestätigte in seiner Einweihungsrede, dass die ND-Justiz mehr vom Unrecht als vom Recht geprägt war.

Für die Justiz sei es eine Frage der Ehre, dass diese Gedenkstätte im Osteroder Amtsgericht eröffnet wird. Die Justiz in Osterode leiste damit einen Beitrag, um mahnend an die dunklen Seiten der Geschichte zu erinnern.

Bisher ist die Ausstellung nur auf Hannah Vogt ausgerichtet. Laut Hans Hesse soll die Ausstellung aber erweitert werden.

© Ingeborg Lüdtke

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Weiterführende Literatur:

Hannah Vogt: Hoffnung ist ein ewiges Begräbnis. Briefe von Dr. Hannah Vogt aus dem Gerichtsgefängnis Osterode und dem KZ Moringen. Hrsg. Hans Hesse. Edition Temmen, Bremen 1998

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Dransfeld: Jüdisches Leben und Erinnerungskultur

„So wurde es zu einer Redenart, dass man wie Julchen und Berta sei, wenn man seine eigenen Bedürfnisse zurückstellte und sich gegenseitig das Beste wünschte.“

Diese Redensart stammt aus Dransfeld bei Göttingen. Julchen und Berta waren zwei Jüdinnen, die in der Gerlandstraße wohnten.

Durch ein Referat von Ernst Achilles vom Dransfelder „Bürgerforum 9. November“ wurde mir klar, dass es in Dransfeld eine aktive jüdische Gemeinde gab.

Mein Wissen über das jüdische Leben in Dransfeld ist nicht groß. So nehme ich jetzt gerne das Angebot von Wilhelm Behrendt an, mir die Synagoge und den jüdischen Friedhof zu zeigen. Er richtet gerade eine Bibliothek und ein Archiv im Haus Hoher Hagen bei Dransfeld zum jüdischen Leben und NS-Geschichte in der Region ein.

Ich möchte Sie einladen mich auf meiner „Spurensuche“ zu begleiten.

(Motorengeräusch)

Wir befinden uns nun in Dransfeld und biegen von der Langen Straße in die Gerlandstraße ab. (Motorengeräusch) Ich denke an das Referat von Ernst Achilles:

„Außerdem wurde uns von den beiden jüdischen Schwestern Julchen und Berta erzählt, die in der Gerlandstraße wohnten. Die beiden haben sich alles geteilt und immer gegenseitig nur das Bessere gewünscht. So wurde es zu einer Redenart, dass man wie Julchen und Berta sei, wenn man seine eigenen Bedürfnisse zurückstellte und sich gegenseitig das Beste wünschte.“

Wo mögen Julchen und Berta hier wohl in der Straße gewohnt haben?

Wilhelm Behrendt macht mich auf ein anderes Haus mit grauen Klinkern aufmerksam. Es befindet sich links fast am Ende der Gerlandstraße. Dies ist die ehemalige jüdische alte jüdische SchuleSchule. Gegenüber etwas zurückliegend steht die ehemalige jüdische Synagoge.
Sie ist direkt an die Tischlerei gebaut. Das Gebäude ist weiß gestrichen und hat neue Dachziegel. Die beiden hohen Fenster mit Rundbogen befinden sich links und rechts neben der Eingangstür aus Eiche. Die beiden Fenster sind mehrfach unterteilt und bestehen aus vielen kleinen roten Fensterscheiben.

(Musikakzent)

Pax ChristiS760>Mich irritiert das große P über der Eingangstür. Über das P ist ein X gelegt ist. Es ist das Christusmonogramm (Anm.: XP, griechische  Buchstaben für ch und r, gesprochen chi ro). Gemäß dem jüdischen Glauben wird das Kommen des Messias noch erwartet. Jesus Christus wird nicht als Messias anerkannt.

Eigentlich hätte ich erwartet hier die hebräischen Buchstaben JHWH zu sehen. Das sogenannte Tetragramm, das für den Gottesnamen steht. Christen sprechen den Namen zum Beispiel mit Jahwe, Jachwe oder Jehova aus.

Ich frage Wilhelm Behrendt, warum der Gottes Name nicht an der Synagoge angebracht ist.

„Das haben wir in Göttingen einzig in der reformierten Kirche in der Oberen Karspüle. Das istObere Karspüle Göttingen ja ein uraltes Gebot den Namen Gottes nicht auszusprechen. Wir finden ihn auch selten an äußeren Wänden und Synagogen überhaupt.“

Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Name Gottes als so heilig angesehen, dass man ihn nicht mehr ausgesprochen hat und im Text der hebräischen Schriften ersetzte:

Der Name Gottes wird ja nicht ausgesprochen, es wird Adonai gesagt.“

(Musikakzent)

Mir fällt nun auch wieder ein, warum an der ehemaligen Synagoge das Christusmonogramm (XP) zu sehen ist:

„Nach der Nazizeit nach dem zweiten Weltkrieg, gab es keine jüdische Gemeinde mehr. Alle Menschen jüdischen Glaubens waren verschwunden; sie waren deportiert; sie sind emigriert. Die katholische Gemeinde in Dransfeld hat dann dieses Gebäude als Kapelle benutzt und zwar in der Zeit von 1951 bis 1975.“ (E. Achilles)

DavidsternInzwischen wurde der sechszackige Davidstern wieder unter das Christusmonogramm aufgemalt. Unter dem Hitler-Regime mussten die Juden den gelben Davidstern an ihrer Kleidung tragen. Heute gilt der Davidsstern als Symbol für das Judentum.

(Musikakzent)

Rechts neben dem Eingang in Höhe des Türgriffes befindet am Türpfosten ein faustgroßes Loch. Es wird auch Auslassung der Mesusa genannt. Die Mesusa bedeutet Türpfosten und ist eine auf Pergament geschriebene Inschrift. Diese Inschrift befindet sich in einer Hülle aus Holz oder Metall.

(Musikakzent)

Leider können wir heute Abend nicht mehr in die Synagoge gehen, aber in der Woche ist es tagsüber möglich, einen Blick in die Synagoge zu werfen.

Man kann anklopfen und anfragen und die Tischlersleute sind bereit, einen Blick in die Synagoge werfen zu lassen. (W. W. Behrendt)

Was kann man denn heute noch sehen?

Von drinnen kann man die Frauenempore sehen, auch noch die Wandmalereien und die Aussparung für den Thoraschrein. (W. W. Behrendt)

Wir gehen nun zum Nachbargrundstück rechts von der Synagoge und dürfen durch den Gemüsegarten gehen.Dransfelder Synagoge von hintenS760> Von hier kann man die Synagoge von hinten sehen.
Sie ist mit grauen Platten behangen und hier sind ebenfalls 2 große Fenster mit Rundbogen zu sehen. Die Fensterscheiben sind größer als die der Vorderfront. Man kann von hinten auch einen kleinen mit Wellblech überdachten Vorbau sehen. Es ist der zugebaute Thoraschrein. Hier wurden früher die Thorarollen aufbewahrt. Die Thora besteht aus den ersten 5 Büchern der Bibel: Der 5 Bücher Moses.

(Musikakzent)

Wann wurde denn die Synagoge erbaut?

„… die Stadt Dransfeld ist 1834 abgebrannt und danach nach dem Wiederaufbau ist auch die Synagoge aufgebaut worden.“ (W. W. Behrendt)

Mich interessiert, wie die Tischler damit umgehen, dass sie in einer jüdischen Synagoge arbeiten.

„Für die Menschen, die dort arbeiten, ist das ein alltäglicher Arbeitsraum. Aber das Bewusstsein, dass es mal ein heiliger Raum war, ein heiliger Ort war, dass es ein Ort war für Glaubensversammlungen sowohl der Juden als später der katholischen Kirche, das spielt heute glaube ich für die dort arbeitenden Lehrlinge, Gesellen und Tischler keine Rolle mehr.“ (W. W. Behrendt)

(Musikakzent)

Die jüdische Synagoge in Dransfeld wurde während der Pogromnacht nicht zerstört.

Auf die Frage warum dies so ist, gibt es verschiedene Antworten:

„Die Reichspogromnacht hat auch in Dransfeld stattgefunden. Dort sind SA-Leute aus Hann. Münden gekommen, haben aus der Synagoge bewegliches Inventar vorne auf dem Vorplatz aufgeschichtet und angezündet. Dass die Synagoge selber nicht angezündet worden ist, haben wir der Tischlersfrau zu verdanken, die den SA-Leute deutlich gemacht hat, wenn die die Synagoge anstecken, dass dann auch die ganzen Nachbarhäuser mit aufbrennen, vor allem auch die Tischlerei. Das haben die Leute eingesehen…“ (W. W. Behrendt)

„Und hier ist schon eine wichtige Geschichte, die jetzt kommt. Es wurde gesagt: Das Abbrennen der Synagoge ist von einem Feuerwehrmann verhindert worden. Und jetzt teilt sich im Grunde die Interpretation der Handlung. Das Abbrennen, das Abfackeln ist verhindert worden. Die einen sagen, ein Feuerwehrmann mit großer Zivilcourage hat es verhindert, dass die Synagoge abgebrannt wurde. Die anderen sagen: Nein eigentlich steckt dahinter die ganz dichte Bebauung, die angrenzende Tischlerei: Wenn es zu einem Brand gekommen wäre, wäre die ganze Straßenzeile abgebrannt. Das ist der Grund. Dies ist eine Frage, die in Dransfeld bei den älteren Bewohnern immer wieder aufkommt, wenn man ins Gespräch kommt. Einer Antwort scheint man da nicht näher zu kommen.“ (Ernst Achilles)

(Musikakzent)

Soll die ehemalige jüdische Gemeinde immer nur ein Lagerraum für die Tischlerei bleiben?

„Ein Wunsch vieler Dransfelder ist es die Synagoge wieder einzurichten als einen Ort der Begegnung, als ein Ort der Besinnung oder als Bücherei oder als Archiv. Das ist eine Vision für die Zukunft. Mit dieser Synagoge vielleicht auch einen Ort zu haben, entsprechend dem Ort hier am Dransberg dem jüdischen Friedhof an die jüdische Gemeinde zu erinnern.“(W. W. Behrendt)

Gibt es Informationen über das jüdische Leben in Dransfeld?

„Das [jüdische Leben] können wir mehr oder weniger rekonstruieren. [Wir haben Informationen] von Dransfelder Einwohner, die damals als Kinder miterlebt haben wie z.B. Hochzeiten oder das Chanukka-Fest [Wiedereinweihung des Tempels nach der Zerstörung durch die Makkabäer um die Wintersonnewende] gefeiert und auch der Sabbat eingehalten wurde.“ (W. W. Behrendt)

(Musikakzent)

Wir verlassen nun die Gerlandstraße und fahren nun zum jüdischen Friedhof.

(Motorenbrummen)

(Musik)

„Wo liegt eigentlich der jüdische Friedhof?“, frage ich meinen Begleiter Wilhelm Behrendt von der Projektwerkstatt „Spurensuche“ Haus Hoher Hagen in Dransfeld:

„Der Weg hoch heißt Lange Trift. Neben der Viehweide, da wo das Vieh auf die Weide getrieben wurde hat man den Juden erst eine Fläche verpachtet und dann auch verkauft. Für die Juden selbst hat ein Steilhang durchaus eine symbolische Bedeutung. Es erinnert an den Ölberg in Jerusalem.“ (W. W. Behrendt)

Wir können nicht direkt zum jüdischen Friedhof von Dransfeld fahren und lassen das Auto am Rande Dransfeldeines Feldweges stehen. Wir gehen nun zu Fuß weiter. Vom Dransberg aus haben wir einen wunderschönen Ausblick auf Dransfeld [Insekten brummen, Vögel zwitschern] und die Umgebung.

Wir befinden uns nun im Wald und auf der linken Seite des Weges gehen einige Stufen steil nach oben. Treppe zum jüd. FriedhofWir haben den jüdischen Friedhof erreicht.

(Musik)

Muss ich denn etwas beachten, bevor ich einen jüdischen Friedhof betrete?

„Erstmal das was für alle Friedhöfe gilt: Es ist ein Ort, wo die Toten ruhen sollen, wo sie geehrt werden sollen mit entsprechendem Respekt und Ehrfurcht. Ein jüdischer Friedhof knüpft natürlich an die jüdische Tradition der Beerdigung, der Totenruhe an. Wichtig ist, dass dieser Friedhof als ein Beth o’lam, ein „Haus der Ewigkeit“ aber auch als „Haus des Lebens“ gesehen wird und damit ein heiliger Ort ist. Von daher ist es nicht angebracht am Sabbat den Friedhof zu betreten oder an den jüdischen Feiertagen, vor allem an ihren hohen jüdischen Feiertagen.“ (W. W. Behrendt)

Dieser Gedanke ist für mich neu, denn ich dachte bisher, dass es im jüdischen Glauben keine Unsterblichkeit der Seele gibt.

In der Lutherbibel lesen wir ja im Bibelbuch Prediger Kapitel 9 Verse 5 und 6:

„Denn die Lebenden wissen, dass sie sterben werden, die Toten aber wissen nichts; sie haben auch keinen Lohn mehr, denn ihr Andenken ist vergessen. Ihr Lieben und ihr Hassen und ihr Eifern ist längst dahin; sie haben kein Teil mehr auf der Welt an allem, was unter der Sonne geschieht.“

(Musikakzent)

Muss ich denn auch meinen Kopf bedecken, wenn ich den Friedhof betrete?

„Für die Männer heißt es immer auf einem Friedhof eine Kopfbedeckung zu tragen: Eine Kipa oder eine Mütze oder ein Hut. Aber sonst sind jüdische Friedhöfe offen.“ (W. W. Behrendt)

Eine Kipa, ist eine kleine Kappe, die auf dem Hinterkopf getragen wird.

(Musikakzent)

tor jüd. Friedhof S760>Das eiserne Tor am Friedhofseingang steht offen. Der jüdische Friedhof ist von Bäumen umgeben und zwischen den Grabsteinen wächst Gras. [Insektenbrummen]

Die Kultusgemeinde in Hannover ist nun für den Friedhof verantwortlich. Da die Kultusgemeinde wenig Geld besitzt, wurde ein Abkommen mit dem Forstamt Dransfeld getroffen, den Rasen zu mähen und auch den Zaun auszubessern.

Auf dem unteren Teil des Friedhofes liegen leicht vermooste Grabsteine. [Vogelstimmen] Die Inschriften
hebräische Inschrift mit Informationen über die Person wurden in hebräischen Buchstaben eingemeißelt.vermooste GrabsteineS760> Hier kann man nicht nur das Geburts- und Todesdatum lesen, sondern auch Informationen über die Person.

Wir stehen vor dem Grab von Jakob Meyer. Wilhelm Behrendt hält ein Blatt [Papierrascheln] mit der Übersetzung des hebräischen Textes in der Hand. Ich lese:

Ein Mann, zuverlässig und redlich wandelnd.

Er lebte von der Mühe seiner Hand und Arbeit

Alle Tage seines Lebens und war beliebt bei all

Seinen Brüdern alle Tage seines Lebens.

Darunter steht als Schlusszeile der Wunsch „Es sei seine Seele eingebunden in das Bündel des Lebens, in dem Bund des Lebens, eingeschrieben in das Buch des Lebens.

(Musikakzent)

Wir gehen nun in den oberen Teil des Friedhofes. Hier stehen die Grabssteine aufrecht. Spannend an einem jüdischen Friedhof ist die Tradition keine Blumen zu haben. Es soll an die Vergänglichkeit [des Lebens] erinnern, aber auch an die eigene Vergänglichkeit des Besuchers in der Grabsteine jüd.FriedhofAuseinandersetzung mit dem Leben. Wichtig ist dieser Begriff „Haus des Lebens”. Damals wurden die alten Grabsteine noch mit Blick nach Jerusalem ausgerichtet, also mit Blick auf die Auferstehung und mit Blick auf das Zukünftige. (W. W. Behrendt)

Hier sind die Grabsteine sind auf beiden Seiten beschrieben. Es gibt einen hebräischen und einen deutschen Text.

Mir springt der Name Isenberg ins Auge und ich denke an das Referat von Ernst Achilles vom Bürgerforum 9. November:

„Uns wurde berichtet, dass Jakob Isenberg Wortführer im Dransfelder Stadtrat war und sein Name daher auch auf der evangelische Kirchenglocke eingraviert wurde.“

(Musikakzent)

Der Friedhof wirkt sehr ruhig und friedlich auf mich. [Insektenbrummen] Doch ist dies leider nicht immer so.

„Außerdem wurde uns eine traurige Geschichte über die letzte Beerdigung auf dem Judenfriedhof 1937 erzählt. Einigen Dransfelder Jungen wurde erzählt, dass die Beerdigung stattfinden sollte und so gingen sie dazu angestachelt diese zu stören in die Nähe des Friedhofs. Dort machten sie Lärm und warfen mit Schneebällen. Heute tut es ihnen ihr Verhalten leid.“ (E. Achilles)

Auch in neuerer Zeit gab es Übergriffe auf den jüdischen Friedhof:

„Da hat es mehrere Übergriffe gegeben. [ Es gab] einen sehr starken Übergriff 1988 und jetzt im letzten Jahr erneut wieder … Die Öffentlichkeit hat entsprechend reagiert, aber man ist den Tätern nicht auf die Spur gekommen.“ (W. W. Behrendt)

(Motorengeräusch)

Nun ist es Zeit sich wieder auf den Weg zu machen. Unser nächstes Ziel an diesem Abend ist das Haus „Hoher Hagen“.

(Jüdische Musik)

Wir kommen am Haus „Hoher Hagen“[Stimmen] an und begegnen einigen Schülerinnen.

Der ehemalige Berggasthof liegt in der Nähe des Gausturmes. Das Haus Hoher Hagen ist nun ein Schullandheim und Bildungsstätte.

Wir gehen nun in das Obergeschoss. [Schritte auf der Treppe und Stimmen] Im Obergeschoss wurde Wilhelm Behrendt ein Raum zur Verfügung gestellt. Es gibt eine Sitzecke und viele Regale mit Büchern und anderen Informationen zu Konzentrationslagern und dem jüdischen Leben in Dransfeld. Hier hat er begonnnen eine Bibliothek und ein Archiv aufzubauen. Das Archiv soll helfen die Erinnerung an die nächsten Generationen weiterzugeben.

„Das kann einmal im Unterricht passieren, aber wir haben neben dem jüdischen Friedhof am Dransberg hier auf dem Hohen Hagen noch ein Schullandheim. Hier arbeiten verschiedene Gruppen zum jüdischen Leben in Dransfeld. Sie machen Interviews. Einige Gruppen kommen hier hoch, um den 9. November, die Gedenkstunde, vorzubereiten. [Sie kommen aber auch, um] sich [mit der Geschichte] auseinander zu setzen, Zeitzeugengespräche zu führen und diese Arbeitsergebnisse immer wieder dann öffentlich zu präsentieren. Eine Gruppe war auch mal auf den Spuren der Kinder in Auschwitz, Sie hat dann die Ergebnisse in Form einer Ausstellung in der Dransfelder Martini Kirche gezeigt. Diese Projektwerkstatt ist auf der einen Seite ein Raum mit einem Archiv und einer Bücherei. Diese Materialien können die Schüler beim selbstständigen Lernen unterstützen. Gleichzeitig mit der Projektwerkstatt verbunden, ist auch ein Bildungsprogramm: Die Gestaltung der Gedenkfeier des 27. Januars in Göttingen, in diesem Jahr in Form eines Konzertes im Januar oder die Beteiligung an den Veranstaltungen des Bündnisses gegen das Vergessen in Göttingen oder die Zusammenarbeit mit dem Bürgerforum 9. November in Dransfeld.“

Das Dransfelder Bürgerforum 9. November begrüßt diese Zusammenarbeit:

„… bisher waren wir ja immer nur ein loser Zusammenschluss, der sich halt zu diesem Gedenkstättenvorbereitungen traf oder sonst etwas unternahm, aber wir merken, das wir jetzt doch dort intensiver in der Zusammenarbeit auch in der Dokumentation vorgehen müssen.“ ( E. Achilles)

(Jüdische Musik)

Das Dransfelder „Bürgerforum 9. November“ hält sei einigen Jahren eine Denkveranstaltung am 9. November vor der ehemaligen Synagoge ab. Unterstützt wurde das Forum auch von Jugendlichen, die Zeitzeugen befragten. Die Jugendlichen haben viele Einzelheiten erfahren, wie:

„Wir haben erfahren, dass Herr Katzenstein aus der Bahnhofstraße schon früh ein Auto besaß. Dies war etwas ganz besonderes und deshalb freuten sich die Jungen aus der Nachbarschaft immer sehr, wenn er sie ein Stück mit dem Auto mitnahm. Häufig ließ Herr Katzenstein die Kinder bis zum Ortsausgang mitfahren, was ihnen, ob wohl sie von dort dann zu Fuß zurücklaufen mussten viel Freude bereitete“. Es ging hier also um ganz einfache Geschichten. „Uns wurde erzählt, dass nicht jüdische Kinder, sondern katholische Sprösslinge in der Gemeinde nicht integriert und als irgendwie anders abgestempelt wurden. Ein Dransfelder erinnert sich, dass der katholische Bahnhofsvorsteher Gunke mit seiner Familie nach Dransfeld kam und die Kinder im Ort sich vorher ausmalten, wie denn wohl ein katholischer Junge aussehen würde.“ (Ernst Achilles)

(Musikakzent)

Das Dransfelder „Forum 9.November“ plant für einige jüdische Bürger Stolpersteine zu legen. Stolpersteine sollen niemanden buchstäblich zum stolpern bringen, aber Fußgänger sollen bei den Steinen stehen bleiben und die Texte lesen.

(Musikakzent)

Ich bin nun vollgestopft mit Wissen über das jüdische Leben in Dransfeld und den Formen der Erinnerung.

Wir fahren nun wieder zurück nach Göttingen.

(Motorengeräusch)

Ganz sicher bin ich mir, dass es einmal eine Zeit gab, in der Bürger jüdischen Glaubens voll und ganz in das Gemeindeleben von Dransfeld integriert waren.

Sonst gäbe es sicherlich nicht die Redewendung über die beiden jüdischen Schwestern Julchen und Berta aus der Gerlandstraße:

„So wurde es zu einer Redenart, dass man wie Julchen und Berta sei, wenn man seine eigenen Bedürfnisse zurückstellte und sich gegenseitig das Beste wünschte.“ (Ernst Achilles)

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Die Sendung wurde am 10. Juli 2011 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt

Literaturhinweis:

F. Hauck/ G. Schwinge, Theologisches Fach- und Fremdwörterbuch (KLVR 1480),  5. neubearbeitete Auflage, Göttingen 1982

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Die Helmetalbahn – Eine Bahnlinie wird nie vollendet

Geplanter Rad-, Wander- und Gedenkweg auf der ehemaligen Bahntrasse der Helmetalbahn

Osterhagen_heute20-30 Kilometer vom KZ-Außenlager Ellrich-Bürgergarten entfernt wurde die gebaut. Während der Konferenz „Gedenken und erinnern in Südniedersachen“ im März 2009 in Moringen referierte Firouz Vladi über den geplanten Radwander- und Erinnerungsweg zur Helmetalbahn.

Er sprach als Vertreter der „Arbeitsgemeinschaft Spurensuche“. Sie wurde 1997 gegründet. Moderator war die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Die Triebfeder war, dass besonders die niedersächsische Seite des Südharzes die Geschichte des NS-Unrechtes nach dem Krieg weitgehend ausgeblendet hatte. Es bestand bei vielen Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft das Bedürfnis, die Geschichte aufzuarbeiten, zumal ungenau bekannt war: „Da war was.“ So wurde dieses „Das was da war“, zum Beispiel ein KZ-Außenlager und ähnliche Einrichtungen, Stätten des Unrechts aufgearbeitet und dokumentiert. Nach dem diese als ehrenamtliche Pflicht aufgefasste Aufgabe abgewickelt war, ist bei vielen auch die Triebfeder erloschen. Die AG „Spurensuche“ hat sich dann aufgelöst. Die letzte große gemeinsame Veranstaltung war die Einweihung einer Gedenktafel an einen Todesmarschstandort im Oberharz. Das Restvermögen und das damit verbundene Pflichtprogramm wurde der Stiftung Thüringischen Gedenkstätten vertraglich übergeben. Die Stiftung hat die Bereitschaft erklärt, diese Dinge weiter zu führen.

Das Hauptprodukt der Arbeitsgemeinschaft „Spurensuche“ war die Recherche zu einem Bahnbauprojekt: Die Helmetalbahn, die in den letzten Kriegsmonaten im Binnenland gebaut wurde. Die Helmetalbahn würde sich laut Firouz Vladi gut für eine Gedenkortpädagogik anbieten.

Es geht um die Hauptachsen der Eisenbahn. Die Bahnstrecke Hannover-Frankfurt gab es im Leinetal bereits ca. 1850. Die Ostwestachse entlang des Südharzes befand sich ab ca.1851 in der Planung. Die Strecke sollte von der Umgebung von Northeim entlang des Südharzes bis in das Industrierevier Halle-Leipzig verlaufen. Die Trassenplanung verlief durch viele Territorien, zum einen durch das Königreich Hannover mit seinem damals wichtigsten Industrieort Osterode am Harz. Während man noch mit Preußen verhandelte, verlor das Königreich Hannover die Schlacht bei Langensalza und wurde von Preußen annektiert. Die Bahnbauplanung stagnierte und wurde dann wieder mit einer anderen Trassenplanung aufgenommen. Es ist die Strecke über Katlenburg nach Herzberg, die man auch heute noch fährt. Osterode wurde nicht mehr angeschlossen. Laut der ersten Planung sollte die Eisenbahnstrecke südlich von Bad Lauterberg verlaufen und dann ab Osterhagen durch das Helmetal bis nach Nordhausen führen. Es folgten politische Einsprüche der heutigen Luftkurorte Wieda, Zorge, Ellrich und Walkenried, die damals noch Industriestandorte waren (z.B. gab Gießereien). In Zorge wurde die erste deutsche Lok gegossen. Da es aber dort keinen Gleisanschluss gab, wurde die Lok mit Ochsengespannen quer durch den Harz nach Braunschweig gezogen und dann in die Schiene gesetzt. Der Einspruch der Industrieorte im Südharz hatte Erfolg und sie wurden an die Bahnstrecke angeschlossen. Diese Strecke war verkehrstechnisch nicht sehr günstig, weil sie durch Senkungsgebiete führte.

Im August 1943 wurde die Heeresversuchsanstalt Peenemünde von den Engländern bombardiert. Dies hatte zur Folge, dass die gesamte Produktion der Raketen von Peenemünde in kürzester Zeit in den Südharz in den Kohnstein, ein großes Anhydritmassiv, bei Nordhausen verlegt wurde. Hier waren schon große Hohlräume vorhanden, in denen Treibstoffe gelagert waren. Die Nutzung wurde umgeändert und man plante den Einbau der Produktionsstätte für die V 2 und V1 Rakete , die auch pilotenlose Flügelbombe genannt wurde. Zu dieser Einrichtung der Waffenproduktion kamen weitere Anlagen, die zur Produktion von Fugzeugen dienten. Das führte dazu, dass die Bahnlinie zwischen Ellrich und Nordhausen sensibel würde, weil sie mitten durch die Fabrikanlagen, sozusagen durch ein hochschutzbedürftiges Sicherheitsareal führte. Aber diese Bahnlinie war die Hautverbindungsachse Nord-West und musste für den zivilen Güterverkehr betrieben werden. Deshalb hat man sich im Mai 1944 entschieden, diesen wirtschaftlich sensiblen Bereich zwischen Ellrich-Wofffleben und dem Kohnstein zu umgehen und südlich davon das zu bauen, was ursprünglich 1850 schon mal geplant worden war. Wir wissen heute nicht, ob es dafür bereits ausführungsreife Pläne oder abgesteckte Trassen gab. So fällte man im Mai 1944 die Entscheidung, eine neue Bahn durch das Helmetal zu bauen. Ein Vorauskommando bereitete den Bahnbau vor, der dann im Juli eigentlich begann. Es sollte eine 22 kilometerlange Reichsbahnhauptstrecke werden. Die Landeigentümer dieses Areals bekamen Ende Juni 1944 einen Brief der SS, der besagte: „Nächste Woche beginnen wir mit dem Bahnbau. Über Ankauf, Enteignung usw. wird nach Abschluss des gewonnenen Krieges weiter verhandelt.“ So befanden sich die Eigentümer, also die Landwirte, auch die Kirche von Osterhagen, die hier Forstgelände besaß, im Besitz einer Baustelle. In Nüxei,Mackenrode, Günzerode, Hesserode und Ellrich wurden daraufhin KZ-Außenlager errichtet. Meist war dies

Ellrich ein kleiner Platz, der mit Maschendraht umgeben war. Es waren 4 Wachtürme vorhanden, die mit Scheinwerfern und Maschinengewehren ausgestattet waren. Es gab 1-2 Baracken und einen kleinen Appellplatz, der für 300 Mann ausgerichtet war. Die Lager bestanden bis zur Auflösung des Bahnbaubetriebs bis zum 4./6. April 1945, als die Alliierten kamen und nur wenige Tage davor die Lager evakuiert wurden. Die Auftraggeberein war die Mittelwerk GmbH in Halle, die die Rüstungsprojekte am Kohnstein betrieb. Die Projektierung hatte die Reichsbahn und die Bauleitung hatte ein extra dafür geschaffenes Neubauamt. Der zuständige Reichsbahndirektor war Josef Merkel aus München. Die Aufsicht über das Projekt hatte der SS-Führungsstab B13. Hier hatte der Sonderstab Kammler das Sagen. Der Bau wurde durch den zivilen Betrieb Julius Berger mit Sitz in Berlin ausgeführt. Sie hatte zwei Bagger und zwei SS-Baubrigaden im Einsatz. SS-Baubrigaden waren Häftlingskommandos, die in den westdeutschen Großstädten zur Trümmerräumung eingesetzt worden waren. Die dritte Baubrigade saß in den Kölner Messehallen und hatte Trümmer nach Bombenabwürfen u.a. Blindgänger zu räumen. Die 3. und 4. SS-Baubrigade wurden im Juni 1944 in den Südharz verlegt. Ihre Aufgabe bestand darin, von Osterhagen eine neue Trasse zu bauen. Hierbei musste ein Höhengefälle über eine Wasserscheide überwunden werden, deshalb wurde das Berggleis in einer weiteren Kurve ausgelegt.

Diese Bahnlinie ist nie vollendet worden. Vor Kriegsende waren das Baugleis und der Schotter und die Schwellen bis fast vor Nordhausen gelegt worden. Da das Bahnbaumaterial ein Wertstoff war, stellten 1946 die Reichsbahn Ost und die Reichsbahn West bei den Aliierten einen Antrag, damit sie die Bahnstrecke, das heißt die Gleise, Schwellen und Schotter zurückbauen konnten.

Ab 1946 wuchs diese Trasse zu, weil bedingt durch den Verlauf der neu errichteten innerdeutschen Grenze, die ehemalige Bahntrasse auch gar nicht mehr durchgehend begangen werden konnte.

Nach der deutschen Wiedervereinigung stellte der Häftlingsbeirat an der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora den Antrag, den eindruckvollsten Abschnitt dieser Trasse, also etwa 6 km zwischen Osterhagen und Mackenrode der Öffentlichkeit als Rad-, Radwander- und Erinnerungsweg zugänglich zu machen. Der Antrag ging als Petition je an die Landtage von Niedersachsen und Thüringen und wurde von dort jeweils sehr positiv beschieden. So stellte Niedersachsen den Wegeausbau innerhalb des hier eingerichteten Naturschutzgebietes frei und bot einen Finanzierungsanteil an. Leider ist seither beiderseits der ehemaligen Grenze nichts passiert; dies hat seine Ursache in der heterogenen Eigentumsstruktur am Bahndamm. Ausbauträger hätte sicher die Kreisverwaltung sein müssen. Kleine Teilstückekonnten im Zuge der Flurbereinigung in der Gemarkung Osterhagen 2011 erschlossen werden; doch ist das zusammenhängende Ziel damit beileibe nicht erreicht. Hier bedarf es weiterer Anstrengungen; auch muss erkennbar werden, ob es in der Region den politischen Willen gibt, ein solches Gedenkprojekt zu verwirklichen.

Die in der Gedenkarbeit Beteiligten haben den – sicher verständlichen – Wunsch, dass die Einweihung des Weges auf der alten Bahnbaustrecke noch in Anwesenheit ehemaliger Häftlinge geschehen sollte. Doch sind die wenigen Überlebenden heute alle älter als 80 Jahre, man müsste sich also beeilen!

© Ingeborg Lüdtke (die letzten 2 Abschnitt: Firouz Vladi)

(Die Pläne der KZ-Außenlager Nüxei, Osterhagen und Mackerode sowie des
Gedenk- und Erinnerungesweges wurden ebenfalls von Firouz Vladi zur Verfügug gestellt.)

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Weiterführende Literatur:

Firouz Vladi, Der Bau der Helmetalbahn
Titel_Helme

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Umgang mit Kindern religiöser Minderheiten

Die Sendung wurde am 21.11.2005 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt.

Am 21.09.2005 fand im StudienInstitut NiederrheiN (SINN) in Krefeld das Seminar „Umgang mit Kindern religiöser Minderheiten“ statt. Das Studieninstitut hatte LehrerInnen, Pädagogische Fachkräfte aus Kindergärten, Kindertagesstätten und Sozial- und JugendamtmitarbeiterInnen eingeladen. Der Referent war der Theologe und Religionswissenschaftler Dr. Joachim Süss. Zum damaligen Zeitpunkt war er Leiter der Kontaktstelle neureligiöse Gemeinschaften am Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien. Das Seminar hatte drei Ziele:

1. Gesellschaftliche Entwicklungen im Hinblick auf den Pluralismus religiöser Richtungen und die daraus resultierenden Herausforderungen an Bildungs- und Beratungseinrichtungen zu beleuchten

2. Über grundlegende Theologie und damit verbundene Lebenspraxis für Kinder der religiösen Minderheiten – etwa der Siebenten-Tags-Adventisten, Mennoniten, Baptisten, Zeugen Jehovas, Neuapostolischen Kirche sowie Juden und Moslems –aufzuklären und Konfliktpotential zu benennen

3. Anhand von Fallbeispielen und Rollenspielen angemessene Handlungsoptionen zu diskutieren und aufzuzeigen

Um solche Ziele zu erreichen, ist der Referent immer auf die Mitarbeit und Toleranz der Seminarteilnehmer angewiesen. Laut der Pressereferentin des Institutes (SINN) Christiane Willsch, die auch freundlicherweise einen Teilmitschnitt des Seminars anfertigte, herrschte eine positive Stimmung unter den 10 Teilnehmern.

Die Gruppe bestand hauptsächlich aus Erzieherinnen in Kindertagesstätten, sowie einem Leitenden Mitarbeiter eines Advent-Kindergartens, einem Lehrer und einer Mitarbeiterin aus einem Jugendamt, die mit Sorgerechtsfragen betraut ist.

Durch die richtige Mischung aus Theorie und Praxis kam keine Langeweile auf.

MoscheeZu Beginn fragte Dr. Joachim Süss nach den akuten Problemen. Hier wurden besonders Konflikte mit Kindern muslimischer Herkunft und Kindern von Zeugen Jehovas genannt. Bei den muslimischen Kindern betraf es das Schminken zum Karneval, das Basteln von Schutzengeln, das Osterfrühstück, das Anziehen eines T-Shirt eines türkischen Mädchens in einem Raum, in dem sich auch Jungen befanden oder die Tatsache, dass die Meinung der muslimischen Mutter vom Vater nicht akzeptiert wurde.

Bei den Kindern von Zeugen Jehovas ging es um die Ablehnung der Teilnahme an Geburtstags- und Weihnachtsfeiern.

Schon bei der Konfliktbesprechung erzählten die Teilnehmer, welche Lösungen sie gefunden haben. Interessant war es zu erfahren, dass Kinder weniger Probleme haben, etwas nicht mitmachen zu dürfen, als die Betreuer.

Eine weitere Erkenntnis war, dass unsere Kultur immer mehr verweltlicht und bei vielen Traditionen nicht mehr nach dem religiösen Hindergrund gefragt wird. Eine Vermeidung von Konflikten könne man schon dadurch erreichen, dass man sich mehr mit den religiösen Ursprüngen und dem jeweiligen Kulturkreis des Kindes befasse.

Danach gab Dr. Joachim Süss einen Überblick über die gesellschaftliche Entwicklung der religiösen Pluralität aus religionssoziologischer Sicht.

Es wurde festgestellt, dass es in Deutschland eine Hierarchie in der Religionslandschaft gibt. An der Spitze der Akzeptanz stehen die evangelische und katholische Kirche. Bekannte Religionsgemeinschaften werden ebenfalls akzeptiert. Alles was fremd ist, wird als neutral, kritisch, potentiell gefährdend oder als gefährlich eingestuft.

Im täglichen Leben kann sich dies durch ungewollte geduldete Ausgrenzung bemerkbar machen.

Aber es gibt auch die bewusste Ausgrenzung. Ein Beispiel hat Michael Krenzer in seinem Beitrag in der Zeitschrift „Religion – Staat – Gesellschaft“ 2002 veröffentlicht. Er berichtet über einen 13 jährigen Schüler, der von seinem Lehrer aufgefordert wurde, das morgendliche Gebet vorzulesen. Anschließend ist es in dieser Schule üblich, sich zu bekreuzigen. Der Schüler lehnt es ab, das Gebet vorzulesen, da dies nicht mit seiner Überzeugung als Zeuge Jehovas übereinstimmt. Er wird vom Lehrer und den Mitschülern unter Druck gesetzt und gibt nach, fühlt sich danach aber als Versager. Der Lehrer hält ihm danach eine 20-minütige Standpauke, in dem ihm Parallelen zur Verfolgung der Juden und der Zeugen Jehovas im NS-Regime vor Augen geführt werden. Diese seien deshalb verfolgt worden, weil sie sich ausgrenzt hätten. Der Lehrer droht ihm Probleme von seiner Seite und der Seite der Schüler an, wenn er sich künftig weiterhin ausgrenzen würde.

In den folgenden Tagen wird der Schüler mehrfach außerhalb der Schule von Mitschülern beschimpft, bedroht und tätlich angegriffen.

Ähnliche massive Probleme konnte Dr. Süss von den evangelischen Kindern eines Kollegen an einer katholischen Schule in Thüringen berichten.

Die TeilnehmerInnen hatten Gelegenheit im Rollenspiel Konfliktsituationen nachzuspielen.

Am Ende des Seminars wurden noch einmal die eingangs erwähnten Konflikte angesprochen. Zum Teil hatten die betroffenen BetreuerInnen schon Lösungen für sich gefunden oder erhielten neue Impulse:

Bei Geburtstagsfeiern wurde das Kind von Zeugen Jehovas in eine andere Gruppe geschickt und nach der Feier wieder abgeholt. Für die feiernden Kinder und das nichtfeiernde Kind war diese Situation normal.

Das Schminkverbot des muslimischen Vaters wurde heimlich umgangen und die Kinder vor Verlassen der Einrichtung wieder abgeschminkt.

Dr. Süss wies darauf hin, dass man auch hier nach dem religiösen Hintergrund forschen müsse, da das Schminken auch im Zusammenhang mit einem religiösen Fest stehen und nur zu bestimmten Zeiten vorgesehen sein könne.

Das Basteln der Schutzengel wurde durch das Basteln eines anderen Gegenstandes ersetzt.

Beim gemeinsamen Essen kennzeichnete man das Schweinefleisch oder bot nur vegetarische Kost an.

In dem bewusst von muslimischen Eltern ausgewählten adventistischen Kindergarten, vermittelte man keine traditionellen Werte, sondern nur die biblischen Geschichten.

Das türkische Mädchen, das ein T-Shirt anziehen sollte, wurde mit den anderen Mädchen aufgefordert, sich im Nebenraum umzuziehen.

Die Erzieherin wurde nicht als Erziehungsberechtigter akzeptiert. Das Kind sagte: „Ich brauche nicht auf Frauen zu hören.“

Das Gespräch mit den Eltern wurde mehrfach gesucht. Da keine Änderung erreicht werden konnte, wurde das Kind bei eventuell zu erwartenden Konflikten teilweise in eine andere Gruppe eingeteilt.

Es wurde vorgeschlagen, einen männlichen Kollegen mit ins Boot zuholen und eng mit dem Kollegium zusammenzuarbeiten. In diesem Fall war der Junge das einzige muslimische Kind. Das Problem wurde erst dadurch gelöst, weil er in die Schule gekommen ist.

Dr. Süss forderte die TeilnehmerInnen auf Querdenker zu werden und gemeinsam mit dem Kollegium nach anderen Lösungen zu suchen. Er sagte, sie sollten sich auch fragen, ob immer die Norm eingehalten werden müsse oder ob man auch einmal einen Standpunkt so stehen lassen könne.

In seinen abschließenden Worten fasste er den Zweck des Seminars zusammen:

„Ich wollte in diesem Seminar dafür sensibilisieren, dass es notwendig ist, sich mit den Fakten auseinander zu setzen, die einfach da sind. Sie sind nicht sehr erfreulich. Sie produzieren Schwierigkeiten. Hinter den Fakten stehen jeweils Menschen und ich glaube es ist wichtig, dass man den Einzelnen sieht. … Es lohnt sich zu kämpfen für jedes kleine Mädchen, jeden kleinen Jungen, ob es deutscher oder türkischer Abstammung ist.“

Die TeilnehmerInnen fühlten sich verstanden und nahmen neue Erkenntnisse mit nach Hause.

© Ingeborg Lüdtke

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Weiterführende Literatur:

Neue Soziale Bewegungen – Forschungsjournal Heft 4, Dezember 2004: DOES RELIGION MATTER? Zum Verhältnis von Religion und Sozialer Bewegung, Lucius Verlag

Religionsfreiheit und Konformismus – Über Minderheiten und die Macht der Mehrheit
(Zeitdiagnosen, Bd. 8), LIT Verlag 2005

Klöcker/Tworuschka, Handbuch der Religionen, 3. Ergänzungslieferung 2000 (April),
Olzog Verlag

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Intelligent Design?

Gesendet am 28.11.2005 in dem Magazin MixUp im StadtRadio Göttingen

In der amerikanischen Kleinstadt Dover fordern Eltern per Zivilklage, dass neben der Evolutionstheorie auch die „Intelligent Design-Theorie“ gelehrt werden darf.

Auch in Deutschland werden Stimmen laut, an den Schulen sowohl die Evolutionstheorie als auch die Schöpfungstheorie im Unterricht vorzustellen.

Während in Amerika [2005] selbst der Präsident George Bush vorschlägt den Schülern unterschiedliche Ideen über die Entstehungsgeschichte zu vermitteln, ist ein solcher Vorschlag in Deutschland verpönt.

Aus wissenschaftlichen Kreisen werden Wissenschaftlern und deren Anhänger, die die Intelligent-Design-Theorie vertreten, heftig kritisiert.

Der Fall des AffenmenschenIn dem Film „Der Fall des Affenmenschen“ von Fritz Poppenberg erklärt der Genetiker Dr. Wolf-Ekkehard Lönnig den Begriff „Intelligent-Design“:

„Intelligent Design ist die Wissenschaft, die die Signale, Zeichen und Kennzeichen von Intelligenz studiert. Die Signale, Zeichen und Kennzeichen von intelligentem Wirken studiert und wir unterscheiden prinzipiell zwischen Gesetzlichkeiten, physikochemischen Gesetzlichkeiten, Zufällen und Intelligent Design. Und es gibt klare naturwissenschaftliche Kriterien mit deren Anwendung wir unterscheiden können zum Beispiel zwischen Zufall und Intelligent Design.“

Wolf-Ekkehard Lönnig selbst wird sehr heftig wegen seiner Forschungen von dem Evolutionsbiologen Prof. Ulrich Kutschera von der Universität Kassel angegriffen.

Auch der Filmemacher Fritz Poppenberg wird wegen seiner evolutionskritischen Filme heftig kritisiert. Er wird als Kreationist bezeichnet.

Ein Kreationist glaubt, dass die Erde und das Leben auf ihr innerhalb von 6 Tagen erschaffen wurde. Es handelt sich hierbei um buchstäbliche 24-Stunden-Tage.

Fritz Poppenberg selbst bezeichnet sich nicht als Kreationist.

Im letzten Jahr [2004] wurde der Film „Der Fall des Affenmenschen“ in Berlin vorgestellt.

Fritz Poppenberg berichtet in dem Film „Der Fall des Affenmenschen“ über seine Reise nach Guinea und den Versuchen eines sowjetischen Wissenschaftlers, Affenweibchen mit menschlichen Samen zu besamen:

„Aus Moskau bekam ich weitere Informationen. Danach reiste Ilja Iwanowitsch Iwanow das erste Mal 1926 nach Guinea. Dort begann er damit Schimpansenweibchen fangen zu lassen, was nicht ganz einfach war. Schließlich versuchte man einige Weibchen mit dem Sperma eines der Expeditionsmitglieder zu besamen. Der Erfolg blieb aber aus. Nun wollte Ivanov tatsächlich afrikanische Frauen finden, die sich mit dem Sperma von Schimpansen besamen ließen.

Nach dem Verbot durch die französische Kolonialverwaltung, entschlossen sich die Russen, die Schimpansen mit in die Sowjetunion zu nehmen, um dort Frauen zu finden, die für die Evolutionstheorie ein Opfer bringen würden. Doch bereits auf der Seereise starben die meisten Affen und die, die krank in der Sowjetunion ankamen, starben wenige Monate später. Übrigens wurde bei der Untersuchung der toten weiblichen Tiere festgestellt, dass in keinem Falle eine Schwangerschaft eingetreten war.

Trotzdem interessiert mich, wie die heutige Forschung den sowjetischen Kreuzungsversuch bewertet. Wir bekommen einen Termin im Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung:

`Die Wissenschaft ist natürlich in der Lage Hybride herzustellen, das ist bekannt aus der Historie bei den großen Katzen zum Beispiel. Bei den Affen ist es eine ganz spezielle Frage, weil die großen Affen, also die andern großen Primaten außerhalb des Menschen, eine vom Menschen verschiedene Chromosomenzahl haben. Und wenn man ein solches Hybrid, also die Verschmelzung der Zellkerne von Männchen und Weibchen unterschiedliche Arten, also Mensch und Schimpanse, in diesem Fall durchführen würde. Dann würden bei den ersten Zellteilungen Problem auftreten. Die sind ganz einfach darin begründet, dass wenn sich die Chromosomen bei der Zellteilung anlagern und gleichmäßig verteilen, unterschiedliche Chromosomzahlen dazu führen würden, dass eben die Zellen im sehr frühen Stadium absterben würden. Und aus dieser Sicht heraus, glaube ich nicht, dass ein solches Hybrid möglich ist.’

Ein weiteres Argument gegen die Durchführung der Kreuzung besteht laut Dr. Jörn Fickel darin, dass nicht nur die Anzahl der Chromosomen, sondern auch die Chromosomen an sich verschieden sind. Die Gene liegen auf den Schipansenchromosomen in einer andern Reihenfolge als die Chromosomen des Menschen.“

Fritz Poppenberg zeigt auch Irrtümer und Fälschungen der Wissenschaftler auf. Eine davon ist der Piltdown-Mensch:

Ein weiteres Beispiel für wissenschaftliche Irreführung stellt der sogenannte Piltdown-Fund aus England dar. Schädelfragmente, die vom Direktor des anthropologischen Instituts Sir Arthur Keith persönlich begutachtet und zusammengesetzt wurden. Etwa 50 Jahre lange wurde unser angeblicher Vorfahre, halb Affe halb Mensch in den Lehr- und Schulbüchern als Beweis für die Abstammungslehre beschrieben. Doch Ende der 1940er Jahre ergaben genauere Untersuchungen, dass der Kopf des Piltdown-Menschen aus dem Schädeldach eines heutigen Menschen und dem Unterkiefer eines jungen Menschenaffen zusammengesetzt war. Um die unterschiedliche Herkunft zu verschleiern, hatte jemand an den Zähnen herumgefeilt und die Knochen mittels chemischer Behandlung bräunlich eingefärbt. Natürlich wurde zuerst der Entdecker Charles Dawson verdächtigt, doch waren auch der berühmte Theologe und Forscher Teilhard de Chardin an de Ausgrabung beteiligt. Es gab noch einige andere Verdächtige in diesem Kriminalfall der Paläoanthropologie, doch vermutlich wird die ganze Wahrheit niemals ans Licht kommen.

Fritz Poppenberg greift eine weitere Frage auf:

Dabei ist seid Darwin die Frage nicht überzeugend beantwortet, wie ein Organ, welches nur als fertiges Organ existieren kann, sich über unfertige Stadien entwickelt haben soll.

Eines der Kriterien der Intelligent Design bezieht sich genau auf dieses Frage. Es lautet: Nicht reduzierbare Komplexität. Der Mikrobiologe Siegfried Scheerer von der Uni München erläutert, was darunter zu verstehen ist: ‚Man kann das an einem Beispiel zeigen. Das ist ein Beispiel von Prof. Michael Behe genannt wurde: Eine ganz einfache Mausefalle. Es ist einsichtig, dass eine Mausefalle aus unterschiedlichen jeweils notwendigen Strukturen besteht. Da ist ein Bügel, da ist eine Feder drin, da haben wir den Bügel, der nachher die Maus festhält und erschlägt. Da muss etwas da sein, dass das Lockmittel, den Käse oder so festhält. Jede einzelne dieser Strukturen muss da sein, muss zusammenwirken mit allen anderen. Wenn Sie eine Struktur wegnehmen, wenn sie den Bügel wegnehmen, wenn Sie die Platte wegnehmen, wenn Sie die nur die Feder wegnehmen, dann funktioniert das Ganze nicht mehr. Dieses Grundprinzip kann man zeigen an allen komplizierten organismischen Strukturen. Und man weiß nicht, welcher Prozess dazu geführt haben könnte, dass die verschiedenen notwendigen Strukturen zum gleichen Zeitpunkt da waren und ihre Funktion ausgeübt haben. Das ist einfach rätselhaft.’

Dies sind nur einige der kritischen Punkte, die Fritz Poppenberg in seinem Film „Der Fall des Affenmenschen“ aufzeigt.

Egal ob man persönlich die Evolutionstheorie oder die Schöpfungstheorie befürwortet, unser ganzes Leben und Denken wird durch die Evolutionstheorie beeinflusst.

Dies bestätigt der Biologe Dr. Henning Kahle. Er ist der Autor des Buches „Evolution – Irrweg moderner Naturwissenschaft?“:

„Die Evolutionstheorie hat den gesamten Zeitgeist des 20. Jahrhunderts geprägt und das bedeutet auch, dass diese Theorie letztlich alle Wissenschaften durchdrungen hat. Nicht nur die Naturwissenschaften, sondern auch die Geisteswissenschaften und viele gesellschaftliche Bereiche. Man könnte vielleicht verschiedene Aspekte dazu nennen. Darwin machte ja für die Erklärung der Organismenwelt kein übernatürliches Prinzip mehr verantwortlich. Der Ursprung des Lebens wurde also rein materiell, das heißt also auch ohne irgendein göttliches Einwirken erklärt. Das passte in die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts als man sich sowieso z.B. von der Religion immer mehr abwandte oder auch ganz andere Werte wurden beeinflusst. Die Darwinschen Schlagworte sind „Survival of the Fittest“ sind gut bekannt, also das Überleben der Tüchtigsten und allein dieses Prinzip hat z.B. die Wirtschaftswelt erheblich beeinflusst, das Prinzip des ungehemmten Wettbewerbs ist dadurch stark beflügelt worden. Oder vielleicht noch ein ganz anderer Aspekt. Auch das Stichwort Sozialdarwinismus gründet sich letztlich auf die Evolutionstheorie. Und der Sozialdarwinismus hat geführt bis hin zur Rassenpolitik von Hitler und hat auch Antisemitismus begünstigt. Auch das ist wohl glaube ich keine Frage.“

Die wissenschaftliche Debatte, ob man Kritik an der Evolutionstheorie üben darf, wird sicherlich noch weitergeführt.

Kritiker werden sich weiterhin keiner Beliebtheit erfreuen.

Weiterhin wird diskutiert werden, ob man den Schülern auch die Intelligent-Design-Theorie vorstellen darf.

Mich beschäftigen derzeit auch die Fragen:

Wer legt in wissenschaftlichen Kreisen überhaupt fest, welche Theorie die Richtige ist?

Welche Motive stecken dahinter?

© Copyright Ingeborg Lüdtke

Die Verwendung der Texte aus dem Film „Der Fall des Affenmenschen“ wurden von Fritz Poppenberg freundlicherweise genehmigt.

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Weiterführende Literatur:

Reinhard Junker/Siegfried Scherer: Evolution – Ein kritisches Lehrbuch
4. , völlig neu bearbeitete Auflage 1998
Weyel Lehrmittelverlag Gießen

Henning Kahle: Evolution – Irrweg moderner Wissenschaft?
4. Auflage 1999
Buchversand Edeltraut Mindt, Bielefeld

Gefälschte Daten:

http://www.sueddeutsche.de/panorama/skandal-um-anthropologieprofessor-protsch-vermessen-in-jeder-hinsicht-1.923873

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Impressionen der Buchmesse 2009

Impressionen der Buchmesse 2009

Am Freitag begebe ich mich gleich zum Forum Literatur und Sachbuch. Auf der Bühne befinden sich der 104 jährige Österreicher Leopold Engleitner und sein Biograf Bernhard Rammerstorfer. Leopold Engleitner RammerstorferEngleitner ist der älteste Überlebende des KZ Buchenwald bei Weimar. Er sieht eher aus wie 80.

Der 104 jährige Leopold Engleitner und sein Biograf Bernhard Rammerstorfer Vor uns sitzt ein gut gekleideter freundlich blickender älterer Herr im Rollstuhl. Nur wenn er auf die Fragen von Bernhard Rammerstorfer antwortet, merkt man, dass er doch schon etwas älter als 80 Jahre sein muss. Viele sind gekommen und hören gebannt zu, wenn er über seine Begegnung mit dem Kaiser Franz Josef und seine Erfahrungen im KZ erzählt. Als der Kurzfilm über ihn gezeigt wird, stehe ich auf und gehe zur Halle 4.2, da ich den Film schon kenne.

Beim Forum Verlagsherstellung werden ausführlich neue Marketingstrategien in der Verlagswelt diskutiert. Ich beschließe zu bleiben und finde einen Platz in der ersten Reihe. In Erinnerung bleiben mir Schlagworte wie: Kulturflatrate, veränderter Auslieferungsrhythmus, Themenportale, Interaktion, Themenchats, und googlefähige Vorschautexte. Die Diskutierenden sind sich einig, dass die Verlage ihre Kunden nicht richtig kennen.

Nun ist es 11 Uhr und der Diplom-Psychologe und Psychotherapeut Dr. Rudolf Stroß hält ein Referat über die „Kunst der Selbstveränderung“. Eine Auszubildende verteilt Fragebogen an die Zuhörer. Rudolf Stroß fordert die Anwesenden auf, sich während des Vortrages Gedanken über ihre eigenen Veränderungswünsche zu machen. Er nennt 5 ausgewählte Schritte zur Selbstveränderung: 1.) Selbstbeobachtung, 2.) der erste aktive Schritt in die neue Richtung, 3.) tägliche kleine Schritte, 4.) Naheliegendes sofort erledigen und 5.) die vorhandenen Ressourcen aktivieren.
Die Fragebogen werden eifrig beschrieben. Rudolf Stroß fragt die Zuhörer, was sie verändern möchten und ob sie Fragen haben. Eine Dame spricht von Ängsten und ein Herr von dem Wunsch abzunehmen. Es folgen noch einige wenige Wortmeldungen. Trotz wiederholter Aufforderungen ist das Publikum sehr zurückhaltend. Ich sehe 3 Augenpaare meiner Kolleginnen auf mich gerichtet. Ich schüttele den Kopf und denke: »Nein Leute, ich will nichts sagen.« Auf meinem Zettel steht natürlich eine Frage. Ich kann verstehen, dass sich kaum einer zu seinen eigenen Problemen äußern möchte, aber ich möchte auch den Referenten unterstützen. Also melde ich mich und frage: »Wenn ich mich verändert habe und andere sehen meine Veränderung, wie schaffe ich es, dass ich ernst genommen werde?« Die Antwort lautet, man müsse mit Widerstand rechnen, aber kämpfen lohne sich. Am Ende der Veranstaltung spreche ich noch kurz mit dem Referenten.

Als ich beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vorbeikomme, wird gerade deren Pressesprecherin Regina Lange interviewt.

Auf meinem Terminplaner steht um 13 Uhr das Interview mit Günther Grass und Michael Naumann. »Die Blechtrommel« ist 50 Jahre alt geworden. Günther Grass ist wie immer ein Publikumsmagnet. Ich höre ein wenig zu. Mir ist es zu voll am Stand und ich besuche Halle 3.0.

Kreischen und Pfiffe kann man vorne hören. Aber rechts von mir ist ebenfalls eine Menschentraube. Der Schauspieler Sebastian Koch spricht über den Seewolf. Ich mache einige Fotos. Ich gehe weiter und erfahre, dass die Pfiffe und das Kreischen Till Schweiger gegolten haben. Er hat sich aber schon zurückgezogen.
Irgendwann werde ich vor der Rolltreppe von einem Herrn angesprochen. »Sind Sie Messegast?« Während ich überlege, was ich sage, fragt er noch: »Sprechen Sie Deutsch?«. Ich antworte: »Ich bin Buchhändlerin und der Verlag, in dem ich arbeite, hat einen Stand, aber ich bin privat hier. Na ja und Presse bin ich auch.« Das war dann wohl die falsche Antwort: »Dann sind Sie nicht die richtige Zielgruppe.«

Mir drängt sich die Frage auf: »Wer bin ich? Und wenn ja wie viele?« Dies ist der Titel eines Buches von Richard David Precht. Dieser ist mir im Gedränge plötzlich dicht auf den Fersen. Gerne hätte ich ihn zu seinem Buch “Lenin kam nur bis Lüdenscheid” befragt, aber das ist in dieser Situation wohl nicht angebracht.

Nun ist es endlich soweit, das Interview mit dem Schriftsteller Frank Schätzing auf der ARD-Bühne hat begonnen. Da man aber wenig von ihm sehen kann, ziehe ich es vor, mich auf die Stufen zu setzen und mir das Gespräch auf dem Bildschirm anzusehen. Ein sehr sympathischer gutaussehender Mann. Ich kann schon verstehen, dass hier Frauenherzen höher schlagen.

Um 15 Uhr gehe ich zum Bahnhof. Ich verlasse die Welt der Großen und Intellektuellen in dem Bewusstsein, dass ich nie zu ihnen gehören werde. Dies will ich auch nicht. Für mich war heute der 104 jährige Leopold Engleitner der Größte von allen.

© Ingeborg Lüdtke

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„… mit Himmlers Auto unterwegs“

Die Sendung wurde im StadtRadio Göttingen am 26. Januar 2007 ausgestrahlt

Karl Domeier, der ist auch 8 Jahre im Konzentrationslager geblieben.

(O-Ton Dr. Birgit Schlegel)

Große Augen machte die Kontrolle, als sie erfuhr, dass wir mit Himmlers Auto unterwegs waren.

(O-Ton aus dem Lebensbericht von Karl Domeier)

(Musikakzent)

Karl Domeier verstarb im Mai 1999 fast 90 jährig in Göttingen.

KarlDomeirSaalKarl Domeier lebte nur die letzten Jahre seines Lebens mit seiner Frau Elfriede im Altenheim Bode und ist deshalb nur wenigen Göttingern bekannt.

Er war fast blind und seine Frau litt sei Jahren an der Alzheimer Krankheit.

Wer war eigentlich Karl Domeier?

Und warum kam er ins Konzentrationslager?

Karl Domeier wurde am 3.Juni 1909 in Dorste bei Osterode geboren und lebte später mit seiner Mutter und seinen 2 Geschwistern in Katlenburg bei Northeim.

1930 heiratete er seine erste Frau Julia und wohnte in Haan im Rheinland.

1931 wurde die gemeinsame Tochter Anita geboren.

In demselben Jahr trat er aus der evangelischen Kirche aus, weil er ein Sympathisant der Sozialdemokraten war.

Als er bei einem Altpapierhändler aushalf, stieß er auf ein beschädigtes Buch, das ihn sehr interessierte.

Es war das Buch „Regierung“, dass von der Internationalen Bibelforscher Vereinigung in Magdeburg herausgegeben wurde.

Wenig später hatte er persönlich Kontakt zu den Bibelforschern, wie die Zeugen Jehovas damals genannt wurden.

Obwohl er kein Zeuge Jehovas war, verteilte er ihre Schriften und musste deshalb 1933 nach Hitlers Machtergreifung aus dem Rheinland fliehen.

Er kehrte zurück nach Katlenburg und arbeitete dort als Maurer. In der Freizeit verteilte er weiterhin die Schriften der Zeugen Jehovas.

Die Schriften und die Tätigkeit der Bibelforscher wurden verboten und bei einer Hausdurchsuchung fand die Gestapo Hildesheim verbotene Literatur bei Karl Domeier.

In seinem Lebensbericht schreibt er:

„Es kam das Frühjahr 1937, am 0stersonnabend, dem 23.03. hatte ich als Interessierter an der Verbreitung bibelerklärender Literatur teilgenommen. Die Northeimer Brüder hatten bei uns zu Hause Material vom Gedächtnismahl zurückgelassen; sie überließen mir auch einen „Informator”, wie „Unser Königreichsdienst” damals hieß. Noch am gleichen Abend kam die Gestapo zu mir nach Hause und führte eine Haussuchung durch, man fand die Literatur und den Informator. Wegen des Informators wurde ich von der Gestapo als Hauptübeltäter und Drahtzieher für die ganze Umgebung angesehen. Man verhaftete mich und brachte mich von zu Hause fort. Unten in ihrem Wagen befanden sich bereits die Brüder Karl Mieske, Karl Minne, Eduard Lauterbach aus Osterode, und der Bruder Wilhelm König aus Göttingen.“

Karl Domeier berichtet in seinem Lebensbericht weiter:

Uns wurde der Prozess gemacht, ich wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt (daraus wurden leider 8 Jahre Konzentrationslager).“

Weil Karl Domeier seinem Glauben nicht abschwor, verbüßte er die Strafe zum Teil in Hannover und im Moorlager Emslandlager V, Neusustrum bei Bremen.

1939 wurde er dann in das KZ Sachsenhausen (bei Oranienburg) eingeliefert.

Julia Domeier teilte nicht die religiösen Ansichten ihres Mannes und verlangte nach der Einlieferung die Scheidung.

Hier zu Karl Domeier:

In 1939 reichte meine erste Frau wegen meines Glaubens die Scheidung ein. Durch einen SS-Mann wurde ich davon unterrichtet, er forderte mich dazu auf, doch schriftlich meinen Glauben zu widerrufen, um meine Ehe zu retten. Das tat ich natürlich nicht. Obwohl ich nicht in die Scheidung einwilligte, wurde die Ehe damals geschieden. Meine Frau Julia verließ mich mit unserer gemeinsamen kleinen Tochter, Anita.

Karl Domeier litt sehr unter dieser Trennung.

Möglicherweise wurde er durch sein Lieblingslied, die Elisabeth-Serenade an glücklichere Tage erinnert.

(ELISABETH-SERENADE)

Der Leiter der KZ Gedenkstätte Sachsenhausen Prof. Dr. Günter Morsch berichtet über die Anfänge des KZ Sachenhausen folgendes:

KZ Sachsenhausen WachtturmNun das KZ-Sachsenhausen ist seit 1936 im August begonnen worden. … Das Lager Esterwegen ist aufgelöst worden. … Das gleiche gilt für das Lager Lichtenburg, sowie das KZ Columbia. Diese Lager sind aufgelöst worden und diese Häftlinge sind hierher nach Sachsenhausen im September bzw. November 1936 gebracht worden und all diese Häftlinge haben am Aufbau von Sachsenhausen mitgewirkt.“.

Über die verschiedenen Opfergruppen sagt Günter Morsch:

Gleich bei der Errichtung des Lagers zwischen 1936 und 1938 befanden sich vor allem die Gruppen der politischen Verfolgten im Lager, also die ehemaligen politischen Gegner der Nationalsozialisten: Kommunisten, Sozialdemokraten, aber auch Christen, Liberale, ganz unterschiedliche Gruppen. Ab 1936 gab es aber auch sogenannte „befristete Vorbeugungshäftlinge“, die aus „kriminalpräventiven Gründen“ inhaftiert wurden, aber auch Zeugen Jehovas, Homosexuelle und andere Gruppen … fast ausschließlich waren es deutsche Häftlinge. Ab 1938.. sind … mehr als 6000 Juden ..eingeliefert worden. Vorher sind vor allem Sinti und Roma nach Sachsenhausen gekommen. Mit Beginn des 2. Weltkrieges wird dann die Häftlingsgesellschaft sehr schnell viel internationaler. Tausende von Polen werden nach Sachsenhausen deportiert, vor allem darunter auch viele Intellektuelle, Priester, Krakauer Professoren, viele Widerstandskämpfer. Je nach dem welches Land gerade erobert worden ist, sind dann viele aus diesen Ländern nach Sachsenhausen deportiert worden. … Am Ende des Krieges als sich etwa 60000-75000 Häftlinge im Konzentrationslager Sachsenhausen befanden, waren etwas 90 % davon ausländische Häftlinge.“

Die Behandlung der Häftlinge veränderte sich im Laufe der Jahre.

In der Regel sind die Häftlinge misshandelt worden. Jeder Tag ist ein Tag gewesen, an dem man nicht wusste, was er bringt. Die Häftlinge haben nicht nur unter Hunger oder Krankheiten gelitten oder Mangelernährung mit allen Folgen. Das Spezifische an den Konzentrationslagern, sind auch die ständig sich wiederholenden und auch unvorhersehbaren Mordaktionen gewesen.

ehemaliges sowjetisches Lager SachsenhausenEs gab noch eine zweite Geschichte von Sachsenhausen. Eine Geschichte des sowjetischen Speziallagers, in dem nochmals viele inhaftiert worden sind. Im Unterschied zum sowjetischen Speziallager, wo auch Tausende drin umgekommen sind, ist im Konzentrationslager auch ganz gezielt ermordet worden. Es hat Vernichtungsaktionen gegenüber Juden gegeben. Die größte Vernichtungsaktion war gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen. Solche Aktionen sind immer wieder vorgekommen und dies nicht auf Initiative der Lokal-SS, sondern aufgrund der Befehle von Himmler oder sogar Hitler.“.

(Musikakzent)

In dem Film “Fürchtet Euch nicht” von Fritz Poppenberg wird von der 1.Erschießung eines Wehrdienstverweigerers im 2. Weltkrieg berichtet. Der Zeuge Jehovas August Dickmann wurde am 15.9.39 im KZ-Sachsenhausen hingerichtet. Fritz Poppenberg sprach mit den beiden Zeugen Jehovas Josef Rehwald und Richard Rudolph, sowie mit dem politischen Häftling Fritz Brinkmann. Alle drei waren Augenzeugen der Erschießung.

(Film-O-Ton): “Lagerkommandant Baranowski bat seinen obersten Vorgesetzten Himmler, um Erlaubnis ein Exempel statuieren zu dürfen, um den Widerstand der Zeugen Jehovas zu brechen. Es war der 15. September 1939. Wenige Tage nach dem Überfall deutscher Truppen auf Polen, als die Außenkommandos früher als üblich ins Lager zurückkehren mussten:(Richard Rudolph: O-Ton)’Nun ordnete der Vierkant, der Lagerkommandant Baranowski an, dass der Schutzhäftling August Dickmann vorgeführt werden soll. Wir wunderten uns schon. Bruder August Dickmann war schon 3 Tage im Arrest. Nun ahnten wir, dass hier etwas besonders im Gange sei’. (Josef Rehwald: O-Ton): ‘Eines Tages musste das ganze Lager (hier) aufmarschieren. … Vor uns war eine große Kugelwand aufgebaut worden, rechts von uns standen 7 SS Leute, ein Erschießungskommando und ein SS Offizier im Range eines Sturmbannführers also mit 4 Sternen. Dann plötzlich kam ein SS Mann zwischen den Baracken hindurch und führte August Dickmann vor und er musste sich dann vor diese Kugelwand platzieren und zwar mit dem Gesicht zur Kugelwand.’ (Richard Rudolph: O-Ton): ‘Und ihm wurde dann vorgelesen, dass er ein Feigling sei, dass er sich weigere für das deutsche Vaterland zu kämpfen und dass er als Feigling standrechtlich erschossen werden soll. Und nun wurde er noch gefragt: ‘Halten Sie Ihre Aussage aufrecht?’ Und er sagte: ‘Jawohl.’ (Josef Rehwald: O-Ton): Dann gab der SS-Offizier den Schließbefehl und August Dickmann fiel dann rückwärts um. Der zog dann noch seinen Revolver, der Offizier und schoss ihm wohl in Kopf, also den sogenannten Fangschuss geben. ‘
(Fritz Bringmann: O-Ton):’ Nicht nur für mich, sondern für uns alle war dieser Akt ein glatter offener Mord, den es bis dahin in Sachsenhausen nicht gegeben hat. Morde hat es etliche gegeben, aber so offen und vor der angetretenen den Lagerbestand hat es nie zuvor eine solche Erschießung gegeben. Und ich muss sagen, dass hat nicht nur auf mich, das hat alles sehr deprimierend gewirkt, denn mit anschauen zu müssen, wie ein Mensch, der nur seiner Auffassung treu geblieben ist und keinen Wehrdienst leisten wollte, der sich also nicht zum Handlanger der Wehrmacht machen wollte. Das man den nur wegen seiner Gesinnung und wegen dieser Verweigerung erschießt.“

Prof. Dr. Günter Morsch ergänzt:

Die Erschießung von August Dickmann ist die erste gewesen, die öffentlich auf dem Appellplatz stattgefunden hat, in Anwesenheit der Häftlinge. Dafür wurde auf dem Appellplatz ein eigener Schießstand errichtet durch Holzpalisaden gebaut und dann wurde er vor einen Peleton der SS gestellt. Sein Bruder [Heinrich Dickmann], der ja auch im KZ Sachsenshausen war, musste sich in die Nähe stellen und zusehen. August Dickmann ist dann durch das SS-Peleton öffentlich auf dem Appellplatz erschossen worden.

August DickmannAuch Karl Domeier war Augenzeuge der Erschießung von August Dickmann.

Dieses schreckliche Erlebnis prägte sich ihm sehr tief ein und wurde zu einem festen Bestandteil seiner KZ Schilderung.

Auch der Film „Standhaft trotz Verfolgung“ berichtet von der Erschießung August Dickmanns.

Fast blind saß Karl Domeier während einer Filmaufführung in Göttingen still und unscheinbar in der letzten Reihe und stöhnte laut auf, als die Zeitzeugen von der Erschießung berichteten.

(Musik)

Auch ein weiteres Erlebnis hat sich bei Karl Domeier ganz tief eingeprägt. In seinem Lebensbericht schreibt er:

In Sachsenhausen sollte ein Gruppengebäude für die SS aufgebaut werden. Da ich von Beruf Maurer war, machte man mich zum Vorarbeiter und teilte mir 100 Personen, darunter 70 Brüder zu, denen ich beibringen musste, wie sie am Bau Maurer-Arbeiten verrichten könnten. Es war nicht einfach, diesen Brüdern zu zeigen, wie man eine Wand im Verbund mauert, und wie eine Ecke hochgezogen wird. Aber trotzdem machte der Bau Fortschritte. Im Herbst 1939, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, hatte man uns das Unterzeug weggenommen und wir hatten nichts weiter als das Drillichzeug auf dem Leib. Es war bereits Januar, nasser Schnee fiel, und es war sehr sehr nasskalt und stürmisch. Kein trockener Faden befand sich mehr auf unserem Leibe, weil wir auch des Nachts im Lager unser Zeug nicht wechseln oder trocknen konnten. Damals befanden wir uns auf dem Gerüst und mauerten die zweite Etage. Fünf Brüder hatten sich kurzfristig unter das Gerüst gestellt, um etwas Schutz vor der schlechten Witterung zu finden. Ein Kommandoführer der SS hatte sie dabei erwischt. Ich musste zu ihm kommen; in einer viertel Stunde hätte ich die Nummern der Häftlinge aufzuschreiben und in die Baubude zubringen, wurde mir befohlen. Das tat ich aber nicht, ich hoffte, es in Vergessenheit bringen zu können. Aber der Kommandoführer trat mit einer Pfeife aus der Baubude und beorderte mich zu ihm:“Komm, gib mir die Nummern”, sagte er fordernd. „Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen die Nummern nicht geben. Ich kann mein Gewissen damit nicht belasten, die Männer bekommen dann 10 Wochen kein warmes Essen – was für sie den Tod bedeuten wird.” „Dann weißt du ja, was dir passiert; du willst doch wohl nicht etwa den Befehl verweigern!?” „Das hatte ich eigentlich nicht beabsichtigt” erwiderte ich leise. „Gib mir deine Nummer”, befahl er gereizt! Er notierte sich die 37, – meine Häftlingsnummer. „Du wirst an den Pfahl gehängt, die Beine nach oben, und dann wirst du hin und her geschleudert!” Die Brüder wollten mir ihre Nummern geben, damit ich sie pflichtgemäß melde; sie fühlten sich dafür verantwortlich, dass sie mich in diese bedrohliche Lage gebracht hatten; aber ich tat es nicht. Der Mittagsappell kam, aber meine Nummer wurde nicht aufgerufen. Auch am Abend, als wir wieder in unsere Unterkünfte kamen, war meine Nummer wieder nicht unter denen, die aufgerufen wurden. Erst am dritten Tag danach hatten wir wieder den besagten Kommandoführer. „Komm mal rein!”, sagte er zu mir, und weiter :“Weil du dich so konsequent verhalten hast, habe ich deine Nummer nicht angegeben.“

(Musik)

Im Februar 1940 kamen Karl Domeier und 69 andere Zeugen Jehovas in das KZ Niederhagen in Wewelsburg, das seit 1939 bestand.

Wewelsburg
Kirsten John-Stucke ist die Gedenkstättenleiterin für das KZ Niederhagen in Wewelsburg. Sie berichtet über die Pläne Heinrich Himmlers für die Wewelsburg:

Mit dem Machtzuwachs von Himmler änderten sich seine Pläne, dass er nicht mehr so eine reine EingangGruftSchule hier einrichten wollte, sondern dann kommt dieser Repräsentations- und Kultgedanke mit dazu. Er wollte für seinen SS-Orden, dem er ja vorstand, hier eine Zentrale einrichten. Wir sagen eigentlich: Es ist eine Art ideologische Zentrale, ein ideologisches Zentrum für seinen NordturmSS-Orden. … Dafür wurden die Umbauarbeiten an dem Nordturm vorgenommen. Die beiden Räume – SS-Oberführergruppenführersaal und Gruft – sollten errichtet werden und weitere Baumaßnahmen waren nach 1941 bis in die späten Kriegsjahre hinein geplant. Man wollte eine ringförmige Anlage um die Wewelsburg selbst herumlegen, die ein Ausmaß und Durchmesser von über einem Kilometer gehabt hatte. Das heißt, das ganze Dorf wäre wirklich vernichtet worden, wäre abgerissen worden und ein großer Stausee wäre angelegt worden. Also man hatte ganz gigantische Pläne“.

Für die Bauarbeiten wurden verschiedene Häftlingsgruppen eingesetzt. Hierzu Kirsten John-Stucke:

In dem aller ersten kleineren Kommando waren dort kriminelle Häftlinge, die dann gegen die Bibelforscher ausgetauscht wurden. Diese blieben dann einige Monate wirklich unter sich. Das ist auch die Besonderheit für Wewelsburg: zu bestimmten Zeiten waren fast ausschließlich nur Zeugen Jehovas im Konzentrationslager in Wewelsburg. Aber mit dem Machtzuwachs der Nationalsozialisten und dem Kriegverlauf kamen auch andere Häftlinge mit dazu. Es spielten dann auch noch verschiedene Verhaftungswellen eine Rolle, sodass politische Häftlinge in das Lager kamen. Es wurden sogenannte Asoziale, Sinti und Roma, auch Juden – wenn auch nur wenige hier in Wewelsburg – und eben nach 1941 verstärkt polnische Häftlinge auch westeuropäische, niederländische, französische und als die größte Häftlingsgruppe wurde die sowjetische Häftlingsgruppe angegeben.“

Außer dem Baukommando gab es auch noch andere Arbeitskommandos.

(O-Ton-Kirsten John-Stucke)

Die Häftlinge selbst mussten aber ansonsten noch in anderen Arbeitskommandos arbeiten. Es gab Steinbrüche, in denen die Steine gebrochen werden mussten. Das waren sehr sehr schlimme und sehr brutale Kommandos. Die sowjetischen Häftlinge berichten aber auch davon, dass sie zum Beispiel Straßen bauen mussten. Das war wohl auch ein sehr gefürchtetes Arbeitskommandos, weil sie ziemlich brutal behandelt wurden. Es gab verschiedene Gebäude, die innerhalb des Dorfes gebaut wurden. Der Architekt Hermann Barthels hat sich seine eigene Villa errichten lassen. Die spätere Bauleitung wurde die in dem Gebäude Haus Marx untergebracht, das komplett neu gebaut wurde. Es gab noch mehrere kleine (Projekte), in denen die Häftlinge dann gearbeitet haben.“

Karl Domeier half zunächst beim Aufbau des Lagers
.

Er wurde gezwungen, an der Erstellung des Bunkers mitzubauen. Der Bunker diente zur Sonderbestrafung der Häftlinge.

Außerdem gehörte Karl Domeier den Arbeitskommandos Waldsiedlung, Stabsgebäude des Bauleiters Bartel, Lagerbau, Barackenbau, Haus Marx und Steinbruch/Burg an

(Musik)

Über die Behandlung der Häftlinge berichtet Kirsten John-Stucke:

Die Häftlinge wurden sehr schlecht hier in Wewelsburg behandelt. Eigentlich berichten alle Überlebenden, dass es hier in Wewelsburg ein besonders brutales Arbeiten und Leben war und zwar, weil man hier aufgrund dieser kleinen Verhältnisse schlecht untertauchen konnte. Also viele berichten, dass man in den größeren Lagern wie Buchenwald und später auch Ravensbrück(…) leichter mal untertauschen konnte. Man konnte leichter die Arbeitskommandos wechseln. Und das war für Wewelsburg schwierig, weil es insgesamt ein eher kleines Lager war mit durchschnittlich 1000-1200 Häftlingen. Da kannte man seine Leute so zu sagen, da konnte man sich nicht mal so verdrücken … Von daher war man unter der ständigen Kontrolle der SS, die eben hier auch besonders brutal war. Der Kommandant fühlte sich wie ein kleiner Herrgott, was er auch immer vor den Häftlingen deutlich machte. Es gab einige Kapos, diese Vorarbeiter von den Häftlinge von den Kriminellen gestellt, die hier besonders brutal waren, also es war wohl ein ziemlich heftiges Konzentrationslager.“

In dem Film „100 Jahre ungebrochener“ über Leopold Engleitner wird dies bestätigt:

(O-Ton Film)

Am Bahnhof Wewelsburg, wo er in einem Außenkommando Werkzeug verpacken musste, bekam er die Brutalität der SS wieder am eigenen Leib zu spüren. Am Heimweg musste er sich einem anderen Kommando anschließen. Da er nicht Schritt halten konnte, entstand zwischen ihm und dem Vordermann ein kleiner Abstand. Ein Posten bemerkte das, wurde deshalb wütend und trat ihm von hinten mit dem Stiefel brutal in den Unterleib. Engleitner brach zusammen, krümmte sich vor Schmerzen und konnte sich nicht mehr bewegen.

‚Ich konnte nicht mehr gehen. Die anderen Häftlinge mussten mich direkt ins hinein tragen. Beim Appell wurde ich daneben hingelegt. Erst später stellte sich heraus, dass mir dieser Wachtposten den Hoden zertreten hatte.’

Trotzdem musste er bereits am nächsten Tag wieder arbeiten und durfte sich nicht einmal vom Lagerarzt behandeln lassen.“

(Musikakzent)

Es gab auch Erschießungen und Erhängungen in Wewelsburg.

Hierzu Kirsten John-Stucke:

Es sind einerseits Erschießungen gewesen, entweder wenn Häftlinge auf der Flucht erschossen wurden oder weil sie wirklich freiwillig in den Selbstmord gegangen sind, indem sie sich quasi über die Postenkette bewegt haben. (Es kam auch vor), dass SS-Posten einen Häftling so zu sagen hinter die Postenkette gelockt haben, damit sie ihn erschießen konnten, um dadurch irgendwelche Vorzüge zu erhalten. Man erhielt 2 Wochen Urlaub, wenn man jemand auf der Flucht erschossen hat. Das Konzentrationslager war in der Zeit während dieser Selbstständigwerdung des Lagers auch Hinrichtungsstätte für die Gestapoleitstellen Westphalen-Lippe und da ist es insgesamt zu 52 Tötungen gekommen. Es waren sowohl Erschießungen als auch Erhängungen. Es sind wirklich Leute von Außerhalb auf Anordnung des Reichführers ermordet wurden.“

Dies bestätigt auch Karl Domeier in seinem Lebensbericht:

Auch in Wewelburg mußten wir mitansehen, wie Menschen grauenvoll mit dem Tode bestraft wurden. Eine Frau war zum Tode durch den Strang verurteilt. Ihr wurde zur Last gelegt, dass ihre Kinder während der nächtlichen ‚Verdunklung’ mit Streichhölzern hantiert hatten, und dass dabei das Haus lichterloh abbrannte. Ein Berufsverbrecher musste sie hängen. Diese Frau wartete aber nicht bis der Mann sie hinrichtete. Sofort als sie die Schlinge um ihren Hals spürte, sprang sie vom Gerüst in den Tod. Dabei war der Daumen des Verbrechers mit in die Schlinge geraten und riss ab. Die Frau war sofort tot. Bevor man ihren Leichnam im neuerrichteten Krematorium verbrannte, gestattete man Berufsverbrechern den toten Frauenkörper zu schänden.“

Es waren Jahre voller Anblicke des Grauens der Erniedrigung und der Unmenschlichkeit, die ich nie vergessen werde
.

(Musikakzent)

Er gab aber auch positives zu berichten:

„Von 1942 an erhielten wir gelegentlich Lebensmittelpakete von unseren Glaubensbrüdern aus der näheren Umgebung des Lagers. Es waren Pakete der Familie Isemann dabei (deren Tochter Elfriede später meine 2. Frau wurde).

Im Lager erhielten wir auch 1943 durch geheime Post den Wachtturm, der dann von Hand zu Hand ging und von den Brüdern gelesen wurde. Karl Schurstein, ein seit dem Ersten Weltkrieg beinamputierter Bruder schmuggelte bei seinen Besuchen Literatur und Post ins Lager hinein, und er nahm die Gefangenenpost in seinem Holzbein versteckt wieder mit hinaus So konnte sich eine Brieffreundschaft mit Elfriede entwickeln, die mir auf diesem Wege sogar ein Bild von sich zusenden konnte.

Im KZ-Wewelsburg wurde ich mit drei weiteren Brüdern im Jahre 1943 heimlich in einer Regentonne getauft.

Einem Landwirt namens Münster wurde 1943 im Krieg das Haus in der Stadt Büren zerstört, er forderte [aus dem KZ] Wewelsburg vier Mann zum Wiederaufbau seines Hauses an.

Zusammen mit Schwester Paula Sander reiste Elfriede mit einem wegen des Krieges verdunkelten Zug nach Büren. Bei ihrer Ankunft auf der Baustelle guckten sie durch ein Fenster in das Zimmer, in dem sich Bruder August Rudek, Karl Kellermann und ich befanden. ‚Welches ist denn nun der Karl?‘ fragte Elfriede. Der Posten wäre vor Lachen fast unter den Tisch gefallen. Da haben wir uns im Jahre 1945 zum ersten Male gesehen.

(Musikakzent)

Die Wewelsburg wurde dann am 2. April 1945 von amerikanischen Truppen befreit. Die SS hatte die Wewelsburg selbst eigentlich schon verlassen. Die waren schon einige Tage vorher geflohen, sodass auch die Häftlinge im Konzentrationslager nicht mehr bewacht wurden. Die Amerikaner waren sehr überrascht dass sie hier überhaupt ein Konzentrationslager und ein Häftlingskommando vorfanden.

Es waren also seit 1943 nur noch 42 Häftlinge hier in Wewelsburg: das sogenannte Restkommando, dass aus zwei politischen Häftlingen und ansonsten aus Zeugen Jehovas bestand.“ (Kirsten John-Stucke)

Auch Karl Domeier gehörte zum Restkommando:

„Nachdem der Krieg zu Ende war, versuchte ich mit einigen Brüdern per Auto nach Hause zu fahren. Wir wurden aber durch eine Polizeikontrolle gestoppt und nach unserem Reiseziel befragt. Große Augen macht die Kontrolle, als sie erfuhr, dass wir mit Himmlers Auto unterwegs waren. Man empfahl uns, ins Lager zurückzukehren und abzuwarten bis sich die Situation im Lande geklärt hätte. Das taten wir dann auch, so gehörten wir zum Restkommando des Konzentrationslagers Niederhagen in Wewelsburg bis die Amerikaner das Lager auflösten.“

(Musikakzent)

Nachdem er einige Zeit in Werste bei Bad Oeynhausen verbrachte, kehrte er nach Katlenburg zurück.

Königreichsaal Katlenburg1951 wurde auf seinem Grundstück ein Königreichsaal gebaut, wie die Gemeindesäle der Jehovas Zeugen genannt werden.

Zeitweise wurde der Königreichsaal auch als Schule benutzt.

Dies und sein Widerstand werden in der 2004 erschienenen Chronik über Katlenburg erwähnt.

Die Katlenburger Historikerin Birgit Schlegel. ist die Herausgeberin der Katlenburger Chronik. Sie berichtet über Karl Domeier:

Es gibt allerdings einen Mann, von dem bekannt war, dass er Widerstand gemacht geleistet hat, aber eher aus Glaubensgründen heraus und zwar war er Zeuge Jehovas: Karl Domeier, der ist auch 8 Jahre im KZ geblieben. Das war eigentlich derjenige, der hier sicher am meisten gelitten hat.

(Musik)

In dem „Northeimer Jahrbuch 2006“ 71. Jahrgang ist ein kurzer Beitrag über Karl Domeier erscheinen. Marc Schmidtchen berichtet hier anhand von Dokumenten über die persönliche Verfolgungsgeschichte von Karl Domeier im NS-Regime.

(c) Ingeborg Lüdtke

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Literaturhinweis:

Birgit Schlegel (Hrsg.), Katlenburg und Duhm. Von der Frühzeit bis in die Gegenwart.
ISBN 3-936617-21-X, Mecke Druck und Verlag

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„O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen“

Die Sendung wurde am 12. Juni 2002 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt

Besuch der KZ-Gedenkstätte Buchenwald

Wir verlassen Weimar und fahren Richtung Ettersberg nach Buchenwald. Es ist der 9. Mai 2002. Die Sonne scheint. Wir biegen links in die Zufahrtsstraße zur KZ-Gedenkstätte Buchenwald ab. Rechts an der Straße steht ein Schild mit der Aufschrift „Blutstraße“. Die lange Straße durch den schönen Wald wurde 1939 von den Häftlingen gebaut. Teilweise ist die Straße noch original erhalten. Im Geist hören wir das Hämmern der Häftlinge beim Straßenbau. Uns fällt der Liedtext von Gunter Gabriel ein: „Getränkt mit unserm Schweiß ist jeder Meter Gleis…“ [Anm.aus: Intercity Linie Nr. 4] Nur Schweiß? Wie viele der Häftlinge haben wohl bei dem Bau der Straße und 1943 bei dem Bau der Bahnstrecke ihr Leben verloren? Uns beschleicht ein sehr beklemmendes Gefühl.

Wir lassen den Wald hinter uns und befinden uns auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers, das 1951 größtenteils abgerissen wurde. Der Weg gabelt sich. Rechts geht es zum ehemaligen Bahnhof Buchenwald. Wir stellen uns vor, wie Züge ins Vernichtungslager Auschwitz abfahren, neue Häftlinge eintreffen und Material der Rüstungsindustrie angeliefert wird. Wir fahren an der ehemaligen Kommandantur vorbei, von der noch Gebäudereste stehen. Wir parken auf dem ehemaligen SS-Exerzierplatz vor den wenigen erhaltenen SS-Kasernengebäuden. Sie werden von der KZ-Gedenkstätte benutzt. Der Kinosaal ist in einem der Gebäude.

Dort berichtet der 87 jährige Max Liebster mit heiserer Stimme und Odenwalder Dialekt über die wenigen Monate, die er als Jude hier zugebracht hat. Halb tot kam er am 26. Januar 1945 in Buchenwald Max und Simone Liebsteran und wurde wie alle Juden in dem Kleinen Lager untergebracht. Typhus, mangelnde Hygiene und Überbelegung führte zum großen Sterben. Ein Bibelforschern (Zeuge Jehovas) stellte den Kontakt zu einem kommunistischen Kapo aus seiner Heimatstadt her. Er kam in das große Lager und erhielt nun mehr Essen. Plötzlich sollten alle Juden vernichtet werden. Zuerst wurden die Juden zusammengetrieben, auf die Eisenbahnwaggons geladen und sollten dann im Wald erschossen werden. Max Liebster und sein Freund versteckten sich hinter einem Holzstapel mit Schwellen. Im Chaos wurden sie vergessen und überlebten. Der Holzstapel existiert noch.

250 000 Menschen waren in Buchenwald inhaftiert und mehr als 50 000 Menschen starben.

Wir gehen nun zum Häftlingslager und treten durch ein eisernes Tor im Torgebäude mit der Aufschrift
Jedem das Seine„Jedem das BuchenwaldSeine”. Welch eine Ironie! Wir sind überrascht, aber auch betäubt von dem Anblick, der sich uns bietet: Vor uns liegt eine große graue öde Fläche mit nur wenigen noch erhaltenen Gebäuden. Lagerbaracken gibt es nicht mehr. Ihre Standorte sind wie Gräber eingefasst und mit Schotter aufgeschüttet. Wir werfen kurz einen Blick in das Desinfektionsgebäude, im dem die Kleider abgegeben werden mussten und gehen anschließend in das gut erhaltene Krematorium mit der pathologischen Abteilung. Im weiß gekachelten Sezierraum sehen wir mitKrematorium Buchenwald geistigem Auge die Toten vor uns liegen. Bei den Verbrennungsöfen ist es wieder da das beklemmende Gefühl! Wie viele Menschen wurden hier wohl verbrannt? Wer hat wohl die Verbrennungsanlage bedient? Warum dieser Wahnsinn?

Nun ist es Zeit sich wieder auf den Weg zu machen. Wir fahren zurück über die „Blutstraße“ und hören im Geist wieder die arbeitenden Häftlinge. Wo mag wohl der Holzstapel mit den Schwellen sein, hinter denen sich Max Liebster versteckte? Wir halten noch kurz bei dem riesigen Mahnmal an und werfen einen letzten Blick auf die Stadt Weimar. Weimar, Goethe Schiller Weimarhier wo Johann Wolfgang von Goethe 1832 gestorben ist. Wie hätte Goethe auf den Bau des KZ Buchenwald reagiert? Gab es Widerstand der Weimarer Bürger? Was hätten wir getan?

Auf Befehl texteten die Häftlinge die Liedzeilen: „O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist. Wer dich verließ, der kann erst ermessen, wie wundervoll die Freiheit ist.“ (Text: Fritz Löhner-Beda, Melodie: Hermann Leopoldi) Auch wir werden so schnell nicht vergessen.

© Ingeborg Lüdtke

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Anmerkung:

Über 1.000 Weimarer Bürger mussten am 16. April laut Befehl von General Patton (hauptsächlich Mitglieder der NSDAP) das befreite Lager mit den Leichenbergen besichtigen.

Links zum Buchenwaldlied:

http://rudolf-homann.blog.de/2010/12/21/fast-vergessene-lieder-heute-buchenwaldlied-10229108/

Link über die Befreiung des KZ Buchenwalds:
http://www.buchenwald.de/index.php?p=138

Literaturhinweis:

Max Liebster, Hoffnungsstrahl im Nazisturm. Geschichte eines Holocaustüberlebenden

Editions Schortgen, Esch-sur-Alzette, 2003

Heyne-TBb 19/9, Kindler Verlag, München 2001

Eugen Kogon, Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager

Gedenkstein für Max Liebster in Bad Reichenbach
http://www.morgenweb.de/region/bergstrasser-anzeiger/lautertal/denkmal-fur-max-liebster-eingeweiht-1.1088744

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Ellrich: KZ und Zwangsarbeit in einer deutschen Kleinstadt

Interview am 8.4.2009 mit Dr. Jens-Christian Wagner, dem Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora Jens Christian Wagner Ellrichund dem ehemaligen belgischen Häftling Josef Huybregts über das KZ Ellrich-Juliushütte

Am 8. April 2009 stellte der KZ-Gedenkstättenleiter [Anm.: bis Herbst 2014] Dr. Jens-Christian Wagner sein neues Buch in der St. Johannis Kirche in Ellrich vor.


Ingeborg Lüdtke:

Herr Dr. Wagner, Ihr Buch Ellrich 1944/45 – Konzentrationslager und Zwangsarbeit in einer deutschen Kleinstadt ist nun erschienen.

Was ist das besondere an diesem Buch?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Zum einen ist Ellrich-Juliushütte auch heute noch ein weitgehend vergessenes KZ, das es aber allein schon wegen seiner quantitativen Dimension verdient, in die Erinnerung zurückgerufen zu werden; und allein schon wegen der über 4000 Häftlinge, die das Lager nicht überlebt haben, die dort innerhalb von nur einem Jahr gestorben sind. Und sicherlich ist eine Besonderheit geradezu singulär in der Geschichte des Lagers Ellrich-Juliushütte die Zeit nach 1945. Da das Lager durch die deutsch-deutsche Grenze durchschnitten wurde und hier kann wie an keinen anderen Ort wirklich geradezu räumlich auf engsten Raum verdichtet ansehen, was NS-Verbrechen nach 1945 für Folgen gehabt haben. Es wird hier an diesem Ort deutlich, dass die deutsche Teilung eine Folge der NS-Verbrechen gewesen ist und das darf nicht vergessen werden. Wir erleben ja in den letzten Jahren, dass immer mal historisch Sinn entleert über die Verbrechen im 20. Jahrhundert lamentiert wird, ohne das Ursache und Folgen säuberlich auseinander gehalten werden. Das muss man meines Erachtens machen. Man darf die Opfer der DDR nicht mit den Opfern des Nationalsozialismus in einen Topf werfen. Diese beiden politischen Systeme sind nicht miteinander vergleichbar.


Ingeborg Lüdtke:

Welche Bedeutung hatte der Nationalsozialismus in Ellrich?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Im Grunde war Ellrich bis im Jahre 1944 eine Stadt im Nationalsozialismus wie jede deutsche Kleinstadt auch. Das heißt, es hatte 1933 bereits die Verfolgung politischer Gegner gegeben. Diejenigen, die außerhalb der Volksgemeinschaft zu stehen schienen, sind im Laufe der 1930er Jahren an die Seite geschoben, verfolgt und zum Teil auch bereits vernichtet worden. Dies betraf insbesondere die jüdische Bevölkerung Ellrichs. In Ellrich gab es eine recht große jüdische Gemeinde. Seit 1939 nahm die Zahl der Zwangsarbeiter in der Stadt kontinuierlich zu. Bis zum Mai 1944 war es aber im Grunde nicht wesentlich anders, als in allen anderen deutschen Städten zu jener Zeit. Im Mai 1944 wurden in der Stadt zwei Konzentrationslager eingerichtet. Ein KZ befand sich in einer Gaststätte, die einen angeschlossenen Tanzsaal hatte. Hier wurden etwa 1000 Häftlinge untergebracht. Ein anderes wesentlich größeres Lager mit durchschnittlich 8000 Insassen wurde in den leerstehenden Gipsfabriken am Bahnhof eingerichtet. Das heißt, in eine Stadt, die durchschnittlich etwa 4000-5000 Einwohner hatte, kamen im letzten Kriegsjahr über 9000 KZ-Häftlinge hinzu. Dies veränderte den Alltag in der Stadt komplett.


Ingeborg Lüdtke:

Wie waren die hygienischen Zustände in den Lagern?


Dr. Jens-Christian Wagner:

In dem Lager, das in der Gaststätte eingerichtet war, waren die hygienischen Verhältnisse zwar schlecht, aber im Gegensatz zu dem, was sich im Lager Juliushütte am Bahnhof abgespielt hat, war dies noch relativ günstig. In Juliushütte herrschten katastrophale hygienische Bedingungen. Dieses Lager wurde völlig improvisiert in leerstehenden Gipsfabriken eingerichtet. Die Gebäude waren zum Teil baufällig und verfügten über keine sanitären Einrichtungen. Es gab keine Toiletten und dort wurden innerhalb kürzester Zeit 8000 Häftlinge untergebracht, die keine Möglichkeit hatten sich zu waschen. Es gab ein paar Klosetts, die notdürftig eingerichtet wurden. Diese reichten aber für achttausend Menschen überhaupt nicht aus. Schon nach kurzer Zeit war das gesamte Lagergelände innerhalb des elektrisch geladenen Zauns von Exkrementen übersät. Es breiteten sich Seuchen in dem Lager aus. Es herrschte ein gnadenloser Hunger, insbesondere ab Januar 1945. Zwei Monate lang wurde kein Brot ausgegeben. Es gab eine dünne Wassersuppe zu essen, sonst nichts. Die Häftlinge starben buchstäblich wie die Fliegen.


Ingeborg Lüdtke:

Ich habe gelesen, dass die Häftlinge zum Teil keine Kleidung hatten.


Dr. Jens-Christian Wagner:

Genau, das ist auch noch mal ein Spezifikum der Geschichte des KZ Außenlagers Ellrich-Juliushütte. Es gab dort eine eigene Häftlingskategorie namens „Ohne Kleider“, die die SS in den täglichen Veränderungsmeldungen explizit als eigene Kategorie aufgeführt hat. Dies waren Häftlinge, deren völlig zerschlissene blauweißen Anzüge von Ungeziefer verseucht waren. Die SS hat sich im Oktober 1944 bemüht, die Kleidung zu desinfizieren, dass heißt, es ist ein mobiler Entlausungszug aus dem Hauptlager Dora gekommen. Die Kleidungsstücke wurden eingesammelt und in siedend heißen Dampf gehalten, was zur Folge hatte, dass die Kleidung sich im wahrsten Sinne des Wortes aufgelöst hat. Und am Ende der Entlausung im Lager Ellrich-Juliushütte hatten etwa 2000 Häftlinge keine Kleider. Diese Häftlinge wurden dann auch gar nicht mehr bzw. nur teilweise zur Arbeit eingesetzt. Sie mussten ihre Kleidung jeweils mit der Schicht tauschen, die gearbeitet hatte. Die Hälfte der Häftlinge blieb ohne Kleider im Lager und die andere Hälfe wurde mit den Kleidern zur Arbeit geschickt. Das hatte natürlich zu Folge, dass sich Infektionen ausbreiteten, die in den Kleidern saßen und das führte noch einmal verschärfend dazu, dass die Todesrate in Ellrich- Juliushütte extrem im Herbst 1944 anstieg. Dieses Außenlager des KZ Mittelbaus hatte die höchste Todesrate mit Ausnahme der Boelckekaserne, das ein reines Sterbelager gewesen ist.


Ingeborg Lüdtke:

Welche Tätigkeiten mussten die Häftlinge ausführen?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Die meisten Häftlinge aus den beiden Lagern in Ellrich (Gaststätte Bürgergarten + Juliushütte) wurden in den Baukommandos eingesetzt; davon arbeiteten wiederum ein sehr großer Teil in unterirdischen Kommandos, das heißt beim Ausschachten, beim Vorantreiben von Stollen, die der Aufnahme von Junckers Flugzeugwerken dienen sollten. Diese Stollenanlagen sind nie fertig geworden. Man kann resümierend festhalten: Hier in Ellrich als auch auf vielen anderen Baustellen des KZ Mittelbau war das einzige tatsächliche Produkt des Rüstungszentrums im Südharz der massenhafte Tod der auf den Baustellen eingesetzten Zwangsarbeiter und nicht eine wie auch immer geartete Wunderwaffe.


Ingeborg Lüdtke:

Gibt es Berichte darüber, dass die Bevölkerung den Inhaftierten geholfen hat und wie die Bevölkerung auf die Inhaftierten reagiert hat?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Ja, die Frage der Wechselwirkungen zwischen den Lagern und ihrem gesellschaftlichen Umfeld, also den Beziehungsstrukturen zwischen den Häftlingen und der Lokalbevölkerung, ist quellenkritisch sehr, sehr schwierig zu beantworten, weil es sehr wenig zeitgenössische Quellen darüber gibt. Es gibt sehr viele Berichte von überlebenden Häftlingen, aber auch von Zeitzeugen aus der Bevölkerung, die natürlich mit Vorsicht zu bewerten sind. Insbesondere sind Berichte der Zeitzeugen aus der Bevölkerung mit Vorsicht zu betrachten, da diese unisono immer von Hilfeleistungen in Form von dem berühmten Brotzustecken sprechen, während überlebende Häftlinge so etwas sehr selten berichten. Es gibt Einzelfälle, die tatsächlich belegt sind, die besagen dass Ellricher Bürger Häftlingen geholfen haben. Zum Beispiel hat der katholische Pfarrer von Ellrich in den letzten Tagen zwei entflohene, ukrainische, katholische Pfarrer versteckt. Das ist sogar fotodokumentarisch festgehalten worden. Das sind belegte Fälle, aber das sind Einzelfälle. Der weitaus größte Teil der Bevölkerung hat versucht wegzuschauen. Dies war allerdings bei der Präsenz der Lager kaum möglich, immerhin waren doppelt so viele Häftlinge in der Stadt, wie es Einwohner gab. Und ein nicht unbeträchtlich kleiner Teil der Bevölkerung ist auch aktiv zu Mittätern geworden. Handwerker oder Gewerbetreibende in der Stadt haben KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter in ihren Betrieben beschäftigt. Auch das fällt in den Bereich der Täterschaft. Viele Menschen, insbesondere junge Menschen, wurden in sogenannte „Häscherkommandos“ eingespannt, um geflohene Häftlinge wieder einzufangen. Dies waren die berüchtigten „Hasenjagden“, die auch aus anderen KZ-Komplexen überliefert wurden. So etwas hat es hier im Südharz seit dem März 1944 fast täglich gegeben. Und auch da hat sich die Ellricher Bevölkerung dran beteiligt, natürlich nicht alle. Das war eine Minderheit, aber eine doch recht große Minderheit, die aktiv zu Mittätern geworden ist. Dann gab es noch eine große schweigende Mehrheit, die dem Massensterben weitgehend teilnahmslos gegenüber gestanden hat und eine ganz, ganz, ganz kleine Minderheit, die versucht hat den Häftlingen zu helfen.


Ingeborg Lüdtke:

Sind diejenigen, die sich schuldig gemacht haben zur Rechenschaft gezogen worden?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Ich denke, man muss generell bei dieser Frage nach der Schuld und der Verantwortung differenzieren zwischen juristisch messbar, also justiziabler Schuld im juristischen Sinne und zwischen so etwas wie historischer Verantwortung. Und ich als Historiker arbeite natürlich in historischen Kategorien und ich bin kein Staatsanwalt. Es geht hier überhaupt nicht darum auf irgend jemand mit dem Zeigefinger zu zeigen und zu sagen: „Der ist schuldig“, sondern es geht darum zu fragen, welche ideologischen, welche strukturellen, welche habituellen Gründe dazu beigetragen haben, dass ein großer Teil der Bevölkerung den Häftlingen feindselig gegenüber gestanden hat; und warum sich eine nicht kleine Minderheit auch aktiv an den Verbrechen beteiligt hat. Das kann man durchdeklinieren. Es gibt eine Menge Gründe von denen erschreckender Weise manche Strukturen auch heute noch Wirkung entfalten.

Was die justizielle Ahndung nach dem Krieg anbelangt, so ist aus der Bevölkerung niemand zur Rechenschaft gezogen worden, auch nicht der Ellricher Bürgermeister. Er ist als Exponent des NS-Regimes vor Ort ein langjähriger sogenannter „Kämpfer der NSDAP“ oder salopp gesagt, ein „scharfer Hund“ gewesen. Gegen Kriegsende hat er von der SS verlangt, dass sie die Häftlinge doch einfach in den Stollen jagen und vernichten sollten. Er hat danach verlangt, dass die Häftlinge auf den Todesmarsch geschickt wurden. Er war aktiv an der Einrichtung dieser beiden Lager beteiligt. Gegen ihn hat es nach dem Krieg ein Verfahren gegeben. Er war Insasse eines britischen Internierungslagers in Westfalen und er ist de facto freigesprochen worden, also zu einer geringen Geldstrafe verurteilt worden. Er wurde aber nicht wegen der KZ-Verbrechen verurteilt. Diese haben dabei gar keine Rolle gespielt, sondern er wurde wegen seiner Beteiligung an der Niederbrennung der jüdischen Synagoge 1938 verurteilt.


Ingeborg Lüdtke:

Kommen heute auch noch Personen aus Ellrich hierher und arbeiten ihre Geschichte auch gemeinsam mit der nachfolgenden Generation auf?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Die Stadt Ellrich hat sich meines Erachtens lange Zeit mit diesem Erbe schwergetan.

Es hat in den 1980er Jahren einen sehr rührigen Lehrer an der einzigen Schule gegeben, der mit seinen Schülern Zeitzeugen befragt hat, also damals die Eltern und Großeltern. Da ist eine beträchtliche Sammlung von Zeitzeugenberichten zustande gekommen. Dies ist dann alles wieder eingeschlafen, zumal ja erschwerend hinzukam, dass das Lagergelände in Ellrich-Juliushütte bis 1989/90 direkt im Bereich der deutsch-deutschen Grenze lag und ja nicht zugänglich war. Der westliche Teil des Geländes des ehemaligen Lagers gehörte zu Niedersachsen, der östliche Teil gehörte zur DDR. Auf der östlichen Seite kam man gar nicht zum ehemaligen Lager hin. Seit 1990 ist das Gelände wieder zugänglich und wird schrittweise auch wieder begehbar gemacht. Es gibt einen sehr aktiven Jugendverein im Südharz, den Verein „Jugend für Dora“, der sich da sehr eingebracht hat. Auch die Stadt Ellrich ist mittlerweise mit ihrem seit 3 Jahren neuamtierenden Bürgermeister vorne dabei, wenn es darum geht sich kritisch mit der Lagergeschichte, die ja ein Teil der Stadtgeschichte ist, auseinanderzusetzen. Anders sieht es zurzeit auf der westdeutschen Seite aus. Der westliche Teil des Lagergeländes gehört zur Gemeinde Walkenried, aber wie es aussieht, wird heute Nachmittag kein offizieller Vertreter der Gesamtgemeinde Walkenried daran teilnehmen.


Ingeborg Lüdtke:

Was ist denn mit den Gebäuden des KZ-Lagers geschehen?


Dr. Jens-Christian Wagner:

Also ich habe am Ende des Buches einen längeren Abschnitt zur Nachgeschichte geschrieben, weil sich an diesem Ort Ellrich-Juliushütte sehr, sehr deutlich zeigen lässt, wie an der Nahtstelle zwischen Ost und West, die wechselseitigen Schuldprojektionen zwischen Ost und West dazu beigetragen haben, sich auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze mit der eigenen Verantwortung für NS-Verbrechen nicht zu befassen. Auf westlicher Seite war es das antikommunistische Narrativ. Der Verweis auf das verbrecherische DDR-Grenzregime stand dort vor Ort im Mittelpunkt. Die Schulklassen wurden zu einem Übersichtspunkt hingeführt, den der Bundesgrenzschutz angelegt hat. Er lag nur 50 m vom ehemaligen Krematorium entfernt. Von hieraus wurde auf den Bahnhof von Ellrich Bahnhof Ellrichherunter geschaut und zugesehen, wie die Züge da immer so hinein- und hinausfuhren. Und es wurde berechtigterweise natürlich darüber lamentiert, was die deutsche Teilung für die Menschen vor Ort bedeutet. Dass dies aber ein ehemaliges KZ-Gelände war, darüber wurde kein Wort verloren. Man darf dem deutschen Grenzschutz noch nicht mal einen Vorwurf machen. Die Beamten, die dort die Führungen gemacht haben und auch die Zollbeamten wussten das gar nicht. Sie hätten allerdings mal nachfragen können. Es gab ja noch bauliche Relikte. 1964 hat der Bundesgrenzschutz die vorhandenen Unterkunftsgebäude des ehemaligen KZ´s auf der westlichen Seite gesprengt. Diesem Abriss fiel auch das Krematorium zum Opfer. Damals wusste man das noch ganz genau und hat auch explizit mit dem Wissen der KZ-Vergangenheit diesen Ort in Anführungsstrichen „gesäubert“, um diesen „Schandfleck verschwinden zu lassen“, wie es damals in den Zeitungen stand. Das war ganz explizit und so verlegt sich sozusagen das kommunistische Narrativ völlig auf die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und auf östlicher Seite ist es im Prinzip sehr ähnlich. Da machte man Ausstellungen wie hier in Dora „Die Blutspur führt nach Bonn“. Das heißt die Schuldigen sitzen alle in Westdeutschland und man selbst gehört dem Volk an, das aus dem antifaschistischen Widerstandskampf hervorgegangen ist.

—————————————–

Nach der Buchpräsentation „Ellrich 1944/45 – Konzentrationslager und Zwangsarbeit in einer deutschen Kleinstadt“ hatte ich noch Gelegenheit mit dem ehemaligen Inhaftierten Josef Huybreght aus Belgien zu sprechen.

Josef Huybreght sieht man seine 86 Jahre nicht an. Er trägt einen blauen Anzug mit passender Krawatte. Die wenigen Haare sind korrekt zurückgekämmt. Er wirkt sehr ruhig und zurückhalten. Er gehört zu denjenigen Zeitzeugen, die nicht so sehr viel über ihre Erlebnisse reden. Reden überlässt er lieber anderen.

Seine Augen blicken mich durch die Brille freundlich an, während ich ihn befrage. Manchmal habe ich ein Sprachproblem, wenn er plötzlich Flämisch mit mir spricht. Wir lachen. Doch ich erfahre eine Menge von ihm.

Er war im Widerstand tätig:

Ich war im Widerstand. Jemand hat mich verraten.

Er kam ins Kriegsgefängnis nach Antwerpen. Nach 26 Tagen am 19. Juni 1944 wird er in das KZ Buchenwald gebracht. Auch hier bleibt er 26 Tage. Er erhält die Häftlingsnummer 60069. Danach kommt er ins KZ Mittelbau-Dora und später dann nach Ellrich-Juliushütte. Als Beruf gibt er Sanitäter an. Er wird als Häftlingspfleger eingeteilt:

Dann bin ich Häftlingspfleger geworden. In unserer Ambulanz. Und dann [bin] ich in Himmelberg Pfleger gewesen bis 25.Dezember 1944. Und … in unsere neue Ambulanz … bin ich [am] 1. Januar 1945 [gekommen].

Die medizinische Versorgung war unzureichend, deshalb ist er einmal Fuß mit einem Soldaten in zum KZ-Mittelbau Dora gegangen.


Ich [bin] mit einem Soldat[en] zu Fuß nach Dora ge[gangen], um Medikamente und Material zu holen. Das war schrecklich.

Vermutlich ist er auf dem Weg zum Dora-Lager durch die Tunnel von Dora gegangen:


Und dann bin ich mit der Wache durch[den] Stollen gegangen [und] auf [dem] Revier gewesen
.

Die hygienischen Zustände waren schrecklich. Er erzählt, dass er seine gestreifte Häftlingskleidung in Buchwald bekam und fast ein Jahr später in Schwerin wieder ausziehen konnte. Die Kleidung wurde nie gereinigt:

Das habe ich in Buchenwald empfangen und [habe] das abgegeben in Schwerin [am] 5. April 1945. Niemals [sind die] Sache[n im] Wasser gewesen.

Auch die Strohsäcke waren schmutzig. Sie schliefen in Etagenbetten. 3 Personen mussten sich ein Bett teilen.

Josef Huybreght war nicht immer in demselben Block untergebracht. Freundschaften gab es nicht:

Nein, ich war auch … im Block 1, 2 ,3, 4, 7 . Morgens Schicht, abends Schicht, nirgends [waren wir] zusammen.

Nach der Befreiung wurde er von dem Roten Kreuz nach Brüssel in ein Krankenhaus gebracht. Er blieb nicht lange im Krankenhaus.

1958 war er das erste Mal wieder in Ellrich. Er fotografierte die Baracke. Er wurde von der Ellricher Bevölkerung gut aufgenommen.

Sehr gut, wir waren ein ganzer Bus, 36 Personen. Witwe[n] und Häftlinge. Na ja, da hab ich noch Erinnerungen dran.

Und heute am 8. April 2009 ist Joseph Huybreght wieder in Ellrich. Sicherlich hat er viele Erinnerungen an das schreckliche Leid im Lager. Aber ich respektiere, dass er nicht alle Erinnerungen mit mir teilen möchte.

(c) Copyright Ingeborg Lüdtke

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Bilder: aufgenommen anlässlich der Gedenkfeier des KZ Ellrich bei Nordhausen am 8.4.2009 und der Buchpräsentation in der St. Johannis Kirche Ellrich.

Die Radiosendung wurde am 5. Mai 2009 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt.

Literaturhinweis:

http://www.wallstein-verlag.de/9783835304383-jens-christian-wagner-ellrich-1944-45.html

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Leopold Engleitner: Film „100 Jahre ungebrochener Wille“ (ungekürzt)

Die Sendung wurde am 25. Juli 2006 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt und mehrfach wiederholt.

Sprecherin:

Können Sie sich vorstellen 100 Jahre alt zu werden? Und angenommen Sie wären jetzt 100 Jahre alt, auf welchen Lebenslauf könnten Sie jetzt zurückblicken?

Der Österreicher Leopold Engleitner wurde am 23. Juli 2005 hundert Jahre alt. Er stammt aus St. Wolfgang im Salzkammergut.

Leopold Engleitner

Leopold Engleitner

Der 100 Jährige stellte am 21. Januar 2006 an der Universität Innsbruck den Film und das Buch “100 Jahre ungebrochener Wille” von Bernhard Rammerstorfer vor.

Engleitner RammerstorferIch hatte Gelegenheit mit dem österreichischen Buchautoren und Filmemacher Bernhard Rammerstorfer telephonisch zu sprechen. eine erste Frage an ihn war:

Wann und wo haben Sie Leopold Engleitner das erste Mal getroffen?

Ich habe Leopold Engleitner 1994 zufällig im Kurpark von Bad Ischl kennengelernt und habe mich auf die Parkbank zu ihm gesetzt. Er hat mir seine Geschichte erzählt und erzählte mir, dass er in drei Konzentrationslagern gewesen ist. Das hat mich sehr interessiert und daraufhin hat er mich zu sich nach Hause eingeladen uns so habe ich seine Geschichte nach und nach erzählt bekommen.

Sprecherin:

Es ist zwischen Ihnen auch eine intensive Freundschaft entstanden. Warum ist Ihnen diese Freundschaft wichtig?

Rammerstorfer:

Mich hat vor allem bedrückt, dass er in seinem Leben immer wieder von seinen Verwandten und Freunden enttäuscht und auch erniedrigt wurde. Da war klar für mich, dass diese Freundschaft, die damals begonnen hat, wirklich lange dauern und zwar bis zu seinem Lebensende dauern sollte.

Sprecherin:

Nicht jeder berichtet in einem Buch oder Film über seinen besonderen Freund. Wie kamen Sie auf die Idee die ungewöhnliche Lebensgeschichte von Leopold Engleitner als Buch und Film zu veröffentlichen?

Rammerstorfer:

Zum einem war ich fasziniert und beeindruckt von seiner Geschichte und ich wollte diese Geschichte für die Nachwelt aufzeichnen, sodass zukünftige Generationen eine Lehre aus seinem Leben ziehen können. In dem Buch ergab sich die einmalige Gelegenheit einen Zeitzeugen zu fragen, wie er in den verschiedensten Situationen gefühlt: Was waren seine Ängste und Sorgen. Es ist ein großer Unterschied zu einer Biographie, die man nur aufgrund von Gerichtsakten oder anderer Unterlagen erstellt. Ich wollte auch unbedingt einen Film machen, weil der Film die Möglichkeit bietet, die Geschichten von Leopold Engleitner selbst erzählt zu bekommen. So konnte ich dokumentieren, wie er erzählt, denn er erzählt auf eine ganz besondere Art. Das kann nur der Film wiedergeben.

Sprecherin:

Für Ihren Film und das Buch war eine intensive Recherche nötigt.
Stießen Sie bei Ihren Recherchen auch auf Widerstand?

Rammerstorfer:

Also zu Beginn war es sehr schwierig. Ich habe bei sämtlichen Archiven nachgefragt, ob es noch Akten aus den 1930er Jahren über die Gerichtsverfahren geben würde, die gegen Leopold Engleitner geführt wurden. Ich bekam jedes Mal die Antwort, dass alles vernichtet wäre. Man sagte mir, dass es eine Gerichtsordnung gäbe, die besagt, dass alle Akten nach 30 Jahren vernichtet werden. Ich habe mich aber nicht entmutigen lassen. Ich bin dann persönlich in das Landesarchiv von Oberösterreich gegangen und habe dort sämtliche Strafverfahren aus den 1930er Jahren durchgesehen. Ich bin zufällig auf ein Strafverfahren gegen Leopold Engleitner aus dem Jahre 1936 gestoßen. Darin habe ich dann Aktenzahlen von anderen Gerichtsverfahren gefunden und mit Hilfe dieser Aktenzahlen habe ich dann sämtliche Gerichtsverfahren gegen Leopold Engleitner aus den 1930er Jahren erhalten. Das war sehr bedeutsam, denn so konnte ich die damalige Vorgehensweise der Behörden besser verstehen, aber auch die Probleme, denen Herr Engleitner gegenüber gestanden hat. Vor allem die Originalprotokolle sind sehr beeindruckend, da man dort wirklich Wort für Wort lesen kann, was Leopold Engleitner von sich gegeben hat, als er vor dem Tod stand. Das ist sehr beeindruckend für mich gewesen.

Sprecherin:

Was hat sie an der Lebensgeschichte besonders fasziniert?

Rammerstorfer:

Mich hat besonders fasziniert, dass Leopold Engleitner als einfacher Bauernknecht den Mut aufbrachte “Nein“ zum Kriegsdienst zu sagen, obwohl er gewusst hat, das er dadurch mit den schlimmsten Folgen rechnen musste und dass er diesen enormen Druck des Hitler-Regimes stand zu halten vermochte. Wenn man bedenkt, dass dieses totalitäre Regime ganze Massen mobilisierte, aber den Willen eines einfachen Bauernknechtes nicht brechen konnte, dann ist das, denke ich, etwas ganz besonderes. Obwohl er jahrzehntelang nach dem Krieg als Feigling oder Vaterlandsverräter dargestellt und von seiner Umgebung kaum wahrgenommen wurde, hat er sich seine positive Lebenseinstellung bewahrt. Das ist auch etwas, was mich sehr beeindruckt hat.

Sprecherin:

Wie finanzieren Sie die Veröffentlichung des Buches und des Filmes?

Rammerstorfer:

Es ist interessant, dass sich zu Beginn kein Verlag gefunden hat, dieses Buch zu veröffentlichen. Es war nur möglich, dass ich es im Eigenverlag herausgebracht habe. Das hat die Aufnahme eines Kredites vorausgesetzt. Das ganze Projekt wird auch dadurch finanziert, dass ich meine Privatersparnisse investiere und eigentlich damit auch ein hohes finanzielles Risiko trage. (Das Projekt wird auch durch Spenden z.B. der Arnold-Liebster-Stiftung unterstützt.)

(Musik)

Sprecherin:

Der Film „100 Jahre ungebrochener Wille“ zeigt einige Stationen des Lebens von Leopold Engleitner.

Leopold Engleitner ist Kaiser Franz Joseph I. als Kind mehrfach begegnet. Er berichtet:

„Anlässlich eines Sommerbesuches wollte der Kaiser noch einmal alle Schulkinder von Bad Ischl sehen. Wir mussten daher Spalierstehen vom Bahnhof bis zur Kaiservilla.“

Sprecherin:

Im Sommer 1930 nahm der arbeitslose Leopold Engleitner eine Statistenrolle an.

„Im Sommer 1930 war Sankt Wolfgang Schauplatz von Dreharbeiten für den Film ‚Liebling der Götter’. Der Kammersänger, Albert Winkelmann dargestellt von Emil Jannings, kehrte nach einer Südamerika Tournee in seine Heimat zurück. Leopold Engleitner musste ihn als Statist in der jubelnden Menge einen feierlichen Empfang bereiten. Dabei brillierte Hans Moser als Komödiant, während Engleitner in den hinteren Reihen seine Statistenrolle erfüllte.“ (Filmsprecher)

Sprecherin:

Aufgrund seiner religiösen Überzeugung als Zeuge Jehovas verweigerte er während des Nazi-Regimes den Dienst in der deutschen Wehrmacht. Er kam deshalb in die Konzentrationslager Buchenwald, Niederhagen und Ravensbrück.

Leopold Engleitner kam am 09. 10. 1939 in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, in dem er bis 07. 03. 1941 bleiben sollte.

Wann wurde das KZ Buchenwald eingerichtet?

Der stellvertretende Gedenkstättenleiter Rikola-Gunnar Lüttgenau erklärte:

Das KZ-Buchenwald ist 1937 durch die SS eingerichtet worden. Es war ein KZ einer wirklich neuen Generation. Die ersten KZ´s dienten1933 direkt nach der Machtergreifung vorrangig noch der Bekämpfung des politischen Gegners. Viele, auch die Nationalsozialisten gingen davon aus, dass man die KZ´s nicht mehr brauchen würde, wenn der Widerstand gebrochen wäre. Man dachte: „Wir lösen alle KZ´s auf.“ Und da ist Heinrich Himmler im Oktober 1936 zu Adolf Hitler gegangen und hat gesagt: „Wir sind hier nicht als Nationalsozialisten eingetreten, um nur die Macht zu erringen. Das wäre zu wenig. Wir wollen eine neue rassisch definierte Gesellschaft aufbauen.“ Und da gehören eben viele nicht dazu: Homosexuelle, Zeugen Jehovas, wie renitente Kommunisten, Asoziale und Obdachlose. All solche wollten sie eben nicht mehr in der deutschen Gesellschaft haben. Das war ihre sozial-rassistische Perspektive. Dafür haben sie eine Art Masterplan entwickelt und 3 große Männerlager neu aufgebaut, das heißt Sachsenhausen war für Norddeutschland zuständig, für Mitteldeutschland Buchenwald und für Süddeutschland Dachau. Für die Frauen ist dann das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück nördlich von Berlin aufgebaut worden.

Sprecherin:

Über die verschiedenen Opfergruppen sagte Rikola-Gunnar Lüttgenau:

BuchenwaldBuchenwald war für Mitteldeutschland zuständig, das heißt die Gestapostellen verhafteten Menschen aus Mitteldeutschland und brachten sie dann nach Buchenwald. Das waren in den Friedenszeiten Deutsche. Das Lager ist zunächst für Deutsche errichtet worden, dass heißt für Homosexuelle, für Obdachlose, für renitente politische Gegner, von den man glaubte, dass man sie nicht mehr in die Gesellschaft zurück lassen könne. Zunehmend nach dem November-Pogrom 1938 wurden Juden inhaftiert. Das änderte sich mit Kriegsbeginn, weil dann sowohl die rassistische Verfolgung von slawischen Völkern, vor allem aus der Sowjetunion und Polen, aber vor allem auch die rassische Verfolgung von Juden und Sinti und Roma anhob. Diese wurden dann auch in die Lager und vor allem auch in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht. Sodass am Ende des Krieges 1944/45 nur noch etwa minimal 4-5% deutscher Häftlinge im Lager waren.

Sprecherin:

Wie wurden die Häftlinge im KZ Buchenwald von der SS behandelt?

Rikola-Gunnar Lüttgenau:

Zunächst nannte man das Lager offiziell Arbeitserziehungslager. Die Erziehung bestand darin, die Menschen durch Arbeit zu brechen. Arbeit hatte keinen normalen Sinn und Zweck zum Beispiel etwas zu produzieren, sondern der einzige Produktionszweck war die Menschen zu brechen. Man musste in den Steinbruch hinein, dann hat man den einen Tag die Steine von links nach rechts und am nächsten Tag von rechts nach links getragen. Es ging lediglich um das Brechen der Menschen in ihrem Willen, zum Beispiel als Zeugen Jehovas oder als politische Häftlinge. Das ist häufig nicht gelungen. Erst nach der Wende des Krieges in Stalingrad ging die SS dazu über, die Arbeitskraft der Häftlinge an die Rüstungsindustrie zu vermieten. Die Arbeit diente dann nicht mehr dazu, die Häftlinge zu brechen, sondern sie produktiv einzusetzen. Das war mit vielen Schwierigkeiten verbunden, da die SS-Männer nicht darauf getrimmt waren. Dadurch ging es den Häftlingen nicht besser, denn gleichzeitig überschnitt sich diese andere Aufgabe der SS damit, den Holocaust durchzuführen. Das heißt die Häftlinge, auch jüdische Häftlinge sollten noch zur Arbeit gepresst werden, um sie auszubeuten. Gleichzeitig lief die große Vernichtungsmaschinerie der Konzentrationslager im Osten der sogenannten Vernichtungslager an, wo jüdische Häftlinge und Sinti und Roma aus den Konzentrationslagen aus dem Arbeitsprozess herausgenommen wurden, um sie in Auschwitz und anderen Lagern in Gaskammern zu ersticken.

Sprecherin:

Das KZ-Buchenwald war selbst kein Vernichtungslager. Hier gab es keine Vergasungen.

Erschießungen an den eigentlichen KZ-Häftlingen gab es nicht, aber:

Neben dieser SS-und NS-Normalität in den Konzentrationslagern gab es noch zusätzliche Aufgaben, die die Konzentrationslager übernehmen mussten. Innerhalb des Krieges gab es 1941 dem sogenannten „Kommissarbefehl“, dass heißt: Die politischen Kommissare in der sowjetischen Armee, häufig auch Juden waren, wurden durch die Gestapo vorher herausselektiert und an der Front durch die Wehrmacht erschossen. Aber auch in den Kriegsgefangenenlagern hat die Gestapo die sowjetischen Soldaten herausselektiert. Sie sind dann in die Konzentrationslager verbracht worden. Genauer gesagt nicht in die Lager selbst, sondern sie sind in Tötungseinrichtungen gebracht worden.

Man hat in Buchenwald einen ehemaligen Pferdestall als Krankenhaus getarnt, sie sollten glauben, dass die sowjetischen Soldaten untersucht werden sollten. Dort war dann eine Vorrichtung für das Messen der Körpergröße, wo ein SS-Mann den jeweils vorgetretenen sowjetischen Soldaten einen Genickschuss versetzte. Auf dese Art und Weise sind in Buchenwald über 8000 sowjetische Soldaten in Buchenwald umgebracht worden. (Rikola-Gunnar Lüttgenau)

Sprecherin:

In Buchenwald gab es auch medizinische Versuche.

Rikola-Gunnar Lüttgenau:

Dieser geringe Wert, den die Menschen hatten, drückt sich darin aus, dass dann die Häftlinge auch den Hygiene-Instituten der Waffen-SS und anderen Medizinern zur Verfügung gestellt wurden, um Experimente zu machen. Zum Beispiel gab es Experimente mit Typhus. Es wurde geschaut, wie Menschen an Fleckfieber erkrankten oder nicht. Daran sind viele Häftlinge gestorben und diejenigen, die nicht gestorben sind, hat man nach den Experimenten dann auch getötet. Man wollte durch Operationen und andere abstruse medizinische Experimente Homosexuelle heilen und sie heterosexuellen machen. Das hat es auch in Buchenwald gegeben. Menschen waren keine Menschen, sondern galten als Experimentiermasse und als solches hat sie die SS auch zur Verfügung gestellt.

(Musikakzent)

Insgesamt sind über 56.000 Menschen von der Viertelmillion Menschen, die im KZ inhaftiert waren, hier in Buchenwald gestorben.(Rikola-Gunnar Lüttgenau)

(Musik)

Sprecherin:

Über die erste Zeit im KZ-Buchenwald berichtet Leopold Engleitner:

EngleitnerIn dem Wachzimmer hat mir das Aufsichtsorgan Fragen gestellt, die unmöglich zu seiner Zufriedenheit beantworten hätte können. Also musste ich mich jetzt über eine Bank hinüber beugen. Dann hat er mich mit einem spanischen Stock kräftig auf den Rücken und Hintern geschlagen. Dabei nahm er das dünne Ende des Stockes in die Hand und mit dem dicken Ende drosch er auf mich ein. Und weil ihm das auch nicht ausreichte, hat er gesagt: “Ich muss dich erschießen.” Aber er erlaubte mir, noch eine Abschiedskarte nach Hause zu schreiben. Jetzt hat er mir eine Karte hergelegt und wie ich schreiben wollte, hat er mich am Ellbogen immer wieder gestoßen, sodass die Karte voller Gekritzle war. Dann schrie er: „Schau dir diesen Trottel an, nicht einmal schreiben kann er, aber Bibellesen kann er.“ Dann zog er die Pistole ganz umständlich heraus, dass ich Zeit zum fürchten hätte und schließlich setzte er sie mir an die Stirn an und fragte mich: „Jetzt ziehe ich ab, bist du gefasst.“ „Jawohl, ich bin gefasst“, habe ich gesagt. „Nein”, hat er gesagt “Du bist zum Erschießen auch zu blöde.“

Sprecherin:

Leopold Engleitner berichtet weiter:

Als Neuankömmling wurde ich der Strafkompanie zugeteilt, bekam diese Bekleidung mit dem lila Winkel, was zeigte, dass ich ein Zeuge Jehovas war und einen schwarzen Punkt, dass ich im Steinbruch arbeiten musste.

Sprecherin:

Über die Arbeitsmethoden im Steinbruch erzählt er:

Die Arbeitsmethoden waren sehr primitiv. Werkzeuge gab es nur die einfachsten. Die Schaufel und Krampen wurden auf einen Haufen hingeworfen. Es wurde sogar darum gerauft, weil, der keine Schaufel, keinen Pickel erreichte, der musste den ganzen Tag mit den Händen arbeiten. Die Situation war so schwer, dass junge Häftlinge von 15, 16 Jahren in ganz kurzer Zeit schon graue Haare bekamen.

Sprecherin:

Von mutigen Lastwagenfahrern erhielten sie heimlich Essen:

Die Lastwagenfahrer haben bemerkt, dass wir großen Hunger hatten, [sie] waren entschlossen, uns in den Sandfuhren, die sie uns brachten, irgend ein Essen zu bringen. Und damit wir wussten, wo es in der Sandfuhre vergraben war, machten sie das mit einem Zahnstocher oder einem Zündholz auf der rechten oder linken Seite [kenntlich]. Jeder Fuhrmann wurde genau fixiert. Wie wir feststellten, auf dieser Seite ist auf der Fuhre etwas zu finden, haben wir gleich dort nachgeschaut und haben es gleich versteckt, um es später zu essen.

Sprecherin:

Er erhielt aber auch Hilfe innerhalb des Lagers von dem Lagerleiter Arthur Rödl.:

Zwei Häftlinge hoben mir einen Stein auf die Schultern, [so]dass ich fast zusammenbrach. Doch der Lagerführer Rödl kam [und] bemerkte, dass ich diese schweren Steine auf der Schulter habe und forderte mich auf sie wegzuwerfen. Natürlich verstand ich das sofort nicht, das mutete ich ihm gar nicht zu. Aber nachdem er es wiederholt hatte, überzog ich also diese Aufforderung und warf die Steine weg. Mit dem Schuh stieß er mir einen kleinen Stein her und sagte: „Den nimm jetzt, den bringst [du] hinein!“

(Musik)

Sprecherin:

Leopold Engleitner war vom 07. 03. 1941 bis April 1943 im Konzentrationslager Niederhagen in Wewelsburg in Westphalen.

Die Wewelsburg war für Reichsführer Heinrich Himmler von besonderem Interesse.

Er hatte mit der Wewelsburg besondere Pläne, hier zu die stellvertretende KZ-Gedenkstättenleiterin Kirsten John-Stucke:

Wewelsburg NordturmAlso zunächst hatte Himmler vor, aus der Wewelsburg eine Art „Nordische Akademie“ zu machen. Hier sollten SS-Führer Zweckforschung betreiben zur Untermauerung der neuen nationalsozialistischen Weltanschauung.

Mit dem Machtzuwachs von Himmler änderten sich seine Pläne, dann kommt dieser Repräsentations- und Kultgedanke mit dazu. Er wollte für seinen SS-Orden, dem er ja vorstand, eine Zentrale einrichten: eine Art ideologisches Zentrum.

Sprecherin:

Über die Umbauten an der Wewelsburg berichtet Kirsten John-Stucke:

WewelsburgHimmler hat dann mit den Umbauten zunächst innerhalb der Wewelsburg angefangen umzubauen und dann fing er ab 1939/40 an auch die ganzen Baumaßnahmen auszuweiten. Die Baumaßnahmen sollten nicht nur die Wewelsburg betreffen, EingangGruftsondern auch das Dorf. Und dann sind so zu sagen jede Menge Pläne gemacht worden, die auch ins Dorf hineingetragen wurden, so dass die Dorfbevölkerung auch schon etwas besorgt war, was denn dort kommen würde. Direkt gebaut wurde aber vor allem an der Wewelsburg und eben am Nordturm. Der ist halt von den Häftlingen angefangen worden umzubauen, das heißt dass dort zwei sogenannte ideologische Kulträume hin sollten: Ein SS-Obergruppenführersaal, der für Repräsentationen dienen sollte und die sogenannte „Gruft“, in der vermutlich verstorbene SS-Führer geehrt werden sollten.


Sprecherin:

Eigens für den Umbau der Wewelsburg wurde ein KZ eingerichtet. Zunächst gab es ein Außenlager des KZ Sachsenhausen:

Das muss so sehen, dass hier zunächst ein Außenkommando von Sachenhausen bestand. Das war das erste Lager, das sich dann unterhalb des Burgberges befand. Dann gab es das sogenannte „kleine Lager“, das aus 4-5 Baracken bestand. Es befand sich gegenüber der Wewelsburg und von dort aus haben die Häftlinge dann ein Schutzhaftlager aufgebaut. Dies befand sich auf dem Gebiet Niederhagen. Das war jetzt einfach der Name, weil es halt die Waldlichtung war. Und dieses Lager ist dann 1941 zu einem selbständigen Lager ernannt worden und war damit das kleinste staatliche Hauptlager im Deutschen Reich.(Kirsten John-Stucke)


Sprecherin:

Himmler benutzte zum Umbau der Wewelsburg KZ-Häftlinge.

Kirsten John-Stucke:

Die Arbeit an dem Nordturm an der Wewelsburg war so zu sagen der Grund, warum das Konzentrationslager hier überhaupt in Wewelsburg eingerichtet wurde. Die Häftlinge selbst mussten aber ansonsten noch in anderen Arbeitskommandos arbeiten. Es gab Steinbrüche, in denen die Steine gebrochen werden mussten. Das waren sehr, sehr schlimme und sehr brutale Kommandos. Die sowjetischen Häftlinge berichten aber auch davon, dass sie z. B. Straßen bauen mussten. Das war wohl auch ein sehr gefürchtetes Arbeitskommandos, weil sie dort ziemlich brutal behandelt wurden. Es gab verschiedene Gebäude, die innerhalb des Dorfes gebaut wurden. Der Architekt Hermann Barthels hat sich seine eigene Villa errichten lassen. Es wurde die spätere Bauleitung in dem Gebäude Haus Marx untergebracht, das komplett neu gebaut wurde. Es gab noch mehrere kleine Stellen, an denen die Häftlinge dann gearbeitet haben.

Sprecherin:

Wann kam das Häftlingslager ins Dorf?

Kirsten John-Stucke:

Das erste Häftlingskommando kam 1939 zur Wewelsburg. Die Häftlinge wohnten zunächst unterhalb des Burgberges in einem Zeltlager und sind dann bis Kriegsausbruch dort geblieben. Dann wurde das Lager kurzfristig aufgelöst und erst im Mai kamen die neuen Häftlinge. Da es dann dort zu Fluchtversuchen kam, sind dann diese Häftlinge ausgetauscht worden. Es handelt sich dabei um sogenannte kriminelle Häftlinge. Die Fluchtversuche hatten für sehr viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gesorgt, sodass dann dieses Kommando gegen ein sogenanntes Bibelforscherkommando ausgetauscht wurde. Dabei handelt es sich um Zeugen Jehovas, die aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Schutzhaft genommen worden waren.

Sprecherin:

Welche Häftlingsgruppen gab es im KZ Niederhagen in Wewelsburg?

Kirsten John-Stucke:

In dem allerersten kleineren Kommando waren kriminelle Häftlinge, die dann gegen die Bibelforscher ausgetauscht wurden. Diese blieben dann einige Monate wirklich unter sich. Die Besonderheit für Wewelsburg ist, dass zu bestimmten Zeiten fast ausschließlich nur Zeugen Jehovas im Konzentrationslager in Wewelsburg waren. Aber mit dem Machtzuwachs der Nationalsozialisten und dem Kriegverlauf kamen auch andere Häftlinge mit dazu. Die verschiedenen Verhaftungswellen spielten dann auch noch eine Rolle, sodass politische Häftlinge in das Lager kamen. Es wurden sogenannte Asoziale, Sinti und Roma, Juden auch, wenn auch nur wenige hier in Wewelsburg inhaftiert und nach 1941 verstärkt polnische Häftlinge und auch westeuropäische, niederländische, französische Häftlinge. Die größte Häftlingsgruppe war die sowjetische Häftlingsgruppe.

Sprecherin:

Wie wurden die Häftlinge behandelt?

Kirsten John-Stucke:

Die Häftlinge wurden sehr schlecht hier in Wewelsburg behandelt. Eigentlich berichten alle Überlebenden, dass es hier in Wewelsburg ein besonders brutales Arbeiten und Leben war. Aufgrund dieser kleinen Verhältnisse konnte man schlecht untertauchen, als in den größeren Lagern wie Buchenwald oder Ravensbrück. Dort konnte man leichter die Arbeitskommandos wechseln. Dies war für Wewelsburg schwierig, weil es insgesamt ein kleines Lager mit durchschnittlich 1000-1200 Häftlingen war. Hier kannte man seine Leute, da konnte man sich nicht mal soeinfach verdrücken. Man war unter der ständigen Kontrolle der SS, die hier auch besonders brutal war. Der Kommandant fühlte sich wie ein kleiner Herrgott und machte dies auch immer vor den Häftlingen deutlich.

Sprecherin:

Es gab auch Erschießungen in der Wewelsburg.

Kirsten John-Stucke:

Es hat Erschießungen gegeben. Zum Beispiel wurden Häftlinge auf der Flucht erschossen: Einige sind freiwillig in den Selbstmord gegangen, indem sie sich über die Postenkette [Anm.: Der Lagerbereich war von Wachposten umgeben.] hinaus bewegt haben. Manchmal haben SS-Posten einen Häftling hinter die Postenkette gelockt haben, damit sie ihn erschießen konnten. Man erhielt zwei Wochen Urlaub, wenn man jemand auf der Flucht erschossen hatte. Das Konzentrationslager war auch eine Zeit lang während dieser Selbstständigwerdung des Lagers Hinrichtungsstätte für die Gestapoleitstellen Westphalen-Lippe. Dabei ist es insgesamt zu 52 Tötungen gekommen, sowohl Erschießungen als auch Erhängungen. Es kam also vor, dass wirklich Leute von Außerhalb auf Anordnung des Reichführers ermordet wurden.

Sprecherin:

Das Konzentrationslager wurde noch vor Kriegsende aufgelöst:

Kirsten John-Stucke:

Das Bemerkenswerte ist dran, dass selbst nach 1943 nachdem eigentlich das Konzentrationslager aufgelöst worden war und die Bauarbeit eingestellt worden waren, die Bauleitung und der Architekt munter weiter geplant haben.

Sprecherin:

Über die Befreiung des Restkommandos der Wewelsburg berichtet Kirsten John-Stucke:

Die Wewelsburg wurde dann am 2. April 1945 von amerikanischen Truppen befreit. Die SS hatte die Wewelsburg selbst schon verlassen. Sie waren schon einige Tage vorher geflohen, sodass auch die Häftlinge im Konzentrationslager nicht mehr bewacht wurden. Die Amerikaner waren sehr überrascht, dass sie hier überhaupt ein Konzentrationslager und ein Häflingskommando vorfanden.

Seit 1943 war nur das sogenannte Restkommando mit 42 Häftlingen hier. Es bestand aus zwei politischen Häftlingen und ansonsten aus Zeugen Jehovas.

(Musik)

Sprecherin:

Über Leopold Engleitners Erlebnisse im KZ Wewelsburg berichtet der Film „100 Jahre ungebrochener Wille“:

Am Bahnhof Wewelsburg, wo er in einem Außenkommando Werkzeug verpacken musste, bekam er die Brutalität der SS wieder am eigenen Leib zu spüren. Am Heimweg musste er sich einem anderen Kommando anschließen. Da er nicht Schritt halten konnte, entstand zwischen ihm und dem Vordermann ein kleiner Abstand. Ein Posten bemerkte das, wurde deshalb wütend und trat ihm von hinten mit dem Stiefel brutal in den Unterleib. Engleitner brach zusammen, krümmte sich vor Schmerzen und konnte sich nicht mehr bewegen. (Filmsprecher)

Ich konnte nicht mehr gehen. Die anderen Häftlinge mussten mich direkt ins hinein tragen. Beim Appell wurde ich daneben hingelegt. Erst später stellte sich heraus, dass mir dieser Wachtposten den Hoden zertreten hatte. (Leopold Engleitner)

Trotzdem musste er bereits am nächsten Tag wieder arbeiten und durfte sich nicht einmal vom Lagerarzt behandeln lassen.

Anfang November 1942 wurde Engleitner zusammen mit ungefähr 100 Häftlingen eingeteilt, im Garten neben dem Krematorium, Kartoffeln „einzumieten“. (Filmsprecher)

Während wir arbeiteten, bemerkte ich, dass die Häftlinge neben mir gebratene Kartoffeln essen. Der Leichenverbrenner sagte zu mir: „Weißt du, wo sie diese braten?“ Dann zeigte er mir, dass sie die Kartoffeln auf dem Rost gebraten haben, wo sie die Leichen verbrannten. Natürlich hat mich ein furchtbares Grausen überfallen, umso mehr als mir gezeigt wurde, wie die Leiche aussahen. Sie waren über und über voller Geschwüre. (Leopold Engleitner)

(Musik)

Leopold Engleitner wurde im Frühjahr 1943 mit dem Zug nach Ravensbrück transportiert. (Filmsprecher)

(Musik)

Sprecherin:

Cordula Hoffmann (jetzt Hundermark) ist die stellvertretende Gedenkstättenleiterin der Mahn-und Gedenkstätte Ravensbrück.

Ravensbrück 051Cordula Hoffmann erklärte gegenüber dem StadtRadio Göttingen, dass das Frauen-KZ Ravensbrück das größte Frauen-KZ auf deutschem Reichsgebiet gewesen sei und von 1938 bis 1945 bestanden habe. Die ersten Männerhäftlinge seien zu Beginn des Jahres 1939 in einem sogenannten Aufbaukommando aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen nach Ravensbrück gekommen. Zunächst hätten sie zwei Baracken zur eigenen Unterbringung errichten müssen und danach dann die ersten Gebäude und Baracken des Frauen-KZ. Im April 1939 sei der größte Teil der Männerhäftlinge wieder in das KZ Sachsenhausen zurückgeschickt worden. April 1941 sei das sogenannte Männerlager im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück errichtet worden. Das Nummernbuch des Männer-KZ mit über 20.000 namentlichen Eintragungen sei erhalten geblieben. 19.600 personenbezogenen Daten würden Rückschlüsse auf die Nationalität zu und Haftkategorien zulassen. Die im Männer-KZ Ravensbrück inhaftierten Häftlinge hätten für die SS ein Arbeitskraftreservoir gebildet. Sie seien in den baulichen Gewerken ausgebildet worden und wären zum weiteren Ausbau des Frauen-KZ Ravensbrück eingesetzt worden. Das Frauen-Konzentrationslager wäre um den Industriehofes mit verschiedenen Textilwerkstätten erweitert worden. Häftlinge, die zum Beispiel den Beruf des Mechanikers erlernt hätten, wären zu Instandsetzungsarbeiten eingesetzt worden. Die Männerhäftlinge seien aus den Konzentrationslagern Dachau, Buchenwald, Sachsenhausen, Natzweiler, Neuengamme, Flossenburg oder der Wewelsburg nach Ravensbrück gekommen. Auch Erdarbeiten und den Aufbau des Jugend-KZ Uckermark und des Siemenslagers hätten die Männerhäftlinge mit ausführen müssen. Zwischen 1.500 und 2.000 Häftlinge hätten sich dann zeitgleich im Männer-Konzentrationslager befunden. Die Zahlen hätten geschwankt und unter ihnen seien auch Kinder, Jugendliche, Männer und auch Greise gewesen.

Cordula Hoffmann berichtet, dass die stärkste Häftlingsgruppe des Männerlagers aus polnischen Männern und die zweitgrößte Gruppe aus Häftlingen aus Sowjetunion gebildet worden seien. Deutsche, österreichische, französische, ungarische, tschechische, slowakische Männerhäftlinge seien ebenfalls inhaftiert gewesen. Auch hätte es Häftlinge aus Italien, Belgien und den Niederlanden gegeben. Inhaftiert gewesen seinen auch jüdische Häftlinge, als Zigeuner stigmatisierte Männer, Jugendliche, Kriegsgefangene und Männer, die als Zwangsarbeiter nach Deutschland gebracht wurden oder Männer, die im Spanienkrieg gekämpft hatten, aber auch Männer, die aufgrund ihrer religiösen Bekenntnis inhaftiert worden seien. Eine sichtbare Kategorisierung der Häftlinge sei durch das Tragen farbiger Dreiecke, vorgenommen worden. Das rote Dreieck stände für einen politischen Haftgrund, das Grüne für sogenannte kriminelle Vorbeugehäftlinge und das Schwarze für sogenannte Asoziale. Den rosa Winkel hätten homosexuelle Männer tragen müssen. Die Zeugen Jehovas, auch Bibelforscher genannt, hätten den lila Winkel tragen müssen. Sie seien verfolgt worden, weil sie trotz Verbote ihre Religion ausgelebt und den Kriegsdienst verweigerten hätten.

Cordula Hoffmann erzählte, dass der Lageralltag bestimmt gewesen sei durch schwere körperliche zehn- und zwölfstündige Arbeit Es hätte keine oder nur geringe medizinische Versorgung gegeben. Erst ab 1942 hätten Häftlinge mit einer medizinischen Ausbildung mitbehandeln können. Der Lageralltag sei bestimmt gewesen durch Schikanen, ein unmenschliches Strafsystem, Misshandlungen, Erniedrigungen und eine schlechte Verpflegung. Insbesondere in den ersten Jahren hätten Leichenberge gehörten vor dem Revier [Anm.: Krankenstation], zum täglichen Anblick gehört. Die Männer seine ausgehungert und entkräftet gewesen. Wer keine Kraft mehr zur Arbeit gehabt hätte, sei in ein anderes Lager gebracht worden oder der Selektion für die Gaskammer zum Opfer gefallen. Männerhäftlinge seien auch in Hartheim ermordet worden. Zeitzeugen hätten vom Exerzieren nach den täglichen Zählappellen im Lager berichtet, sowie über brutales Schlagen. Sie hätten über Erschießungen in den Arbeitskommandos außerhalb des Barackenlagers berichtet. Häftlinge seien durch die Postenkette getrieben und angeblich auf der Flucht erschlossen worden. Es hätte Essensentzug, Prügelstrafe, stehen, Bunkerhaft, Pfahlhängen und Strafarbeit nach dem Abendappell als Strafen gegeben.

Es hätte auch medizinische Versuche im Männerlager gegeben.

Cordula Hoffmann erwähnte auch die gut dokumentierten medizinischen Versuche im Männer-KZ Ravensbrück. Dazu hätten Entnahmen einzelner Knochenteile gezählt, die für die Transplantationen verwendet worden seien. Es hätte Sterilisationen an Sinti und Roma gegeben, unter ihnen seien 10-11- und 12jährige Jungen gewesen. Mit Homosexuellen hätte man sogenannte Abkehrprüfungen durchgeführt.

Die Besonderheit im Männerlager, so Cordula Hoffmann, sei die schlechte Verpflegung, die Zwangsarbeit, die verweigerte oder schlechte medizinische Versorgung und die Brutalität im Lageralltag gewesen , die die Häftlinge an die Grenze physischer und psychischer Existenz gebracht hätte. Dies könne man an der hohen Todesrate in den ersten 18 Monaten des Bestehens dieses Männer-Konzentrationslagers Ravensbrück ersehen. Fast 50 % der Männer seien in diesen ersten 18 Monaten gestorben und ganz besonders seien während dieses Zeitraumes auch die jüdischen Männer betroffen gewesen.

Sprecherin:

Leopold Engleitner berichtet über seine Erfahrungen im KZ-Ravensbrück:

Die Lagerverhältnisse waren in Ravensbrück ganz schlecht. Der Wäschewechsel war sehr selten, sodass wir am ganzen Körper voller Läuse und ganz zerfressen waren und die anderen Häftlinge waren gegen uns Bibelforscher so gehässig, schlimmer wie die SS.

Das bekam ich am Pfingstsonntag 1943 am eigenen Leib zu verspüren.

Am Morgenappell wurde bekanntgemacht: „Gearbeitet wird heute nichts, die Klamotten werden sauber gewaschen und zum Trocknen in der Sonne aufgehängt. Und niemand darf vor 4 Uhr nachmittags aus der Baracke.“ Als dann freigegeben wurde, war meine Hose weg. Ich war sehr erschüttert. „Was mache ich jetzt?“ Es bleibt mir nichts anderes übrig, als in der Unterhose zum Appell anzutreten. Zum Unglück nahm jetzt der Kommandant den Appell selbst durch und als er die Reihen durchging bemerkte er mich und sagte: „Der steht ja in der Unterhose da. Wieso denn das? Heraus!“ Dann sagte ich zu ihm: „Herr Kommandant ich habe es genauso gemacht, wie sie befohlen hatten. Ich hatte meine Sachen gereinigt, zum Trocknen aufgehängt und als nachmittags freigegeben wurde, war meine Hose weg.“ „Warum hast du das nicht dem Stubendienst gemeldet“, frug er mich jetzt. „Das habe ich ja gemacht Herr Kommandant. Das trug mir nur eine tüchtige Ohrfeige ein“. „Stubendienst heraus!“, schrie er jetzt und er bekam natürlich auch eine tüchtige Ohrfeige. Und dann schrie er wütend: „Wenn ich als Kommandant den Befehl gebe, die Klamotten zu reinigen, hat alles in Ruhe gelassen zu werden. Wenn morgen früh die Hose nicht da ist, steht den ganzen Tag das Lager ohne Essen!“ Das hatte Erfolg. Nächsten morgen hängte meine Hose draußen, natürlich in nassem Zustand, ohne Winkel und ohne Nummer.

(Musik)

Sprecherin:

Aufgrund der Fürsprache des Bürgermeisters in seiner Heimat wurde er am 15. Juli 1943 aus dem Konzentrationslager Ravensbrück entlassen.

Allerdings musste er sich zur „lebenslangen Zwangsarbeit in der Landwirtschaft“ verpflichten.

Kurz vor Kriegsende – am 17. April 1945 – bekam er noch den Einberufungsbefehl in die Deutsche Wehrmacht.

Leopold Engleitner floh in das Gebirge des Salzkammerguts und versteckte sich in einer Almhütte und in einer Höhle. Wochenlang wurde er von den Nazis gejagt, aber nicht gefunden.

Am 5. Mai 1945 konnte Leopold Engleitner nach Hause zurückkehren.

(Film-Auszug „100 Jahre ungebrochener Wille“ von Bernhard Rammerstorfer)

Diese abenteuerliche Flucht bewahrte ihn vor dem sicheren Tod, denn am Stützpunkt Krumau, wohin er einberufen worden war, gab es nach einem Angriff der Tschechen keine Überlebenden.

Es hatte sich für Leopold Engleitner bezahlt gemacht, dass er selbst unter Todesgefahr nicht von gerechten Grundsätzen abgewichen war.

„Er ging einen anderen Weg“ und konnte so sein Gewissen bewahren.

Engleitner stellte mit seinem Leben unter Beweis, dass es möglich war, sich als einfacher Mensch Hitlers-Terrorregime zu verweigern.

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts wäre in der Tat anders geschrieben worden, hätten mehr Menschen genauso couragiert gehandelt, wie Leopold Engleitner. (Filmsprecher)

Sprecherin:

Leopold Engleitner ist inzwischen 101 Jahr [Anm.:2006] alt geworden. Er hat seine circa 27. 000 Kilometer lange USA-Reise gut überstanden. Während seiner Reise besuchte er:

Holocaust-Einrichtungen und Universitäten in Washington, New York, Chicago, San Fransisco und Los Angeles, darunter die Stanford University.

Wir haben sehr viel vor. Wir planen auch wieder viele Schulbesuche in Österreich. Der Herr Engleitner ist ja vom Bildungsministerium beauftragter Zeitzeuge. Zum Thema Nationalsozialismus und besucht daher im Auftrag des Bildungsministeriums auch die Schulen. Und wir würden uns auch freuen, in Deutschland etwas mehr Veranstaltungen machen zu können. Nachdem der Herr Engleitner ja der älteste Überlebende der Konzentrationslager Buchenwald, Niederhagen und Ravensbrück ist, würde er sich sehr über Einladungen von Schulen oder Universitäten aus Deutschland freuen. (Bernhard Rammerstorfer)

© Ingeborg Lüdtke

Der Abdruck der Texte aus dem Film „100 Jahre ungebrochener Wille“ wurde freundlicherweise von Bernhard Rammerstorfer genehmigt.

Die Texte der Interviews mit Kristen John-Stucke (stellvertretende Gedenkstättenleiterin der KZ-Gedenkstätte Wewelsburg) und Rikola-Gunnar Lüttgenau (stellvertretender Direktor der KZ-Gedenkstätte Buchenwald) dürfen mit der freundlichen Genehmigung von beiden auf meine Webseite gestellt werden.

Leopold Engleitner verstarb am 21. April 2013.

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