Die Helmetalbahn – Eine Bahnlinie wird nie vollendet

Geplanter Rad-, Wander- und Gedenkweg auf der ehemaligen Bahntrasse der Helmetalbahn

Osterhagen_heute20-30 Kilometer vom KZ-Außenlager Ellrich-Bürgergarten entfernt wurde die gebaut. Während der Konferenz „Gedenken und erinnern in Südniedersachen“ im März 2009 in Moringen referierte Firouz Vladi über den geplanten Radwander- und Erinnerungsweg zur Helmetalbahn.

Er sprach als Vertreter der „Arbeitsgemeinschaft Spurensuche“. Sie wurde 1997 gegründet. Moderator war die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Die Triebfeder war, dass besonders die niedersächsische Seite des Südharzes die Geschichte des NS-Unrechtes nach dem Krieg weitgehend ausgeblendet hatte. Es bestand bei vielen Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft das Bedürfnis, die Geschichte aufzuarbeiten, zumal ungenau bekannt war: „Da war was.“ So wurde dieses „Das was da war“, zum Beispiel ein KZ-Außenlager und ähnliche Einrichtungen, Stätten des Unrechts aufgearbeitet und dokumentiert. Nach dem diese als ehrenamtliche Pflicht aufgefasste Aufgabe abgewickelt war, ist bei vielen auch die Triebfeder erloschen. Die AG „Spurensuche“ hat sich dann aufgelöst. Die letzte große gemeinsame Veranstaltung war die Einweihung einer Gedenktafel an einen Todesmarschstandort im Oberharz. Das Restvermögen und das damit verbundene Pflichtprogramm wurde der Stiftung Thüringischen Gedenkstätten vertraglich übergeben. Die Stiftung hat die Bereitschaft erklärt, diese Dinge weiter zu führen.

Das Hauptprodukt der Arbeitsgemeinschaft „Spurensuche“ war die Recherche zu einem Bahnbauprojekt: Die Helmetalbahn, die in den letzten Kriegsmonaten im Binnenland gebaut wurde. Die Helmetalbahn würde sich laut Firouz Vladi gut für eine Gedenkortpädagogik anbieten.

Es geht um die Hauptachsen der Eisenbahn. Die Bahnstrecke Hannover-Frankfurt gab es im Leinetal bereits ca. 1850. Die Ostwestachse entlang des Südharzes befand sich ab ca.1851 in der Planung. Die Strecke sollte von der Umgebung von Northeim entlang des Südharzes bis in das Industrierevier Halle-Leipzig verlaufen. Die Trassenplanung verlief durch viele Territorien, zum einen durch das Königreich Hannover mit seinem damals wichtigsten Industrieort Osterode am Harz. Während man noch mit Preußen verhandelte, verlor das Königreich Hannover die Schlacht bei Langensalza und wurde von Preußen annektiert. Die Bahnbauplanung stagnierte und wurde dann wieder mit einer anderen Trassenplanung aufgenommen. Es ist die Strecke über Katlenburg nach Herzberg, die man auch heute noch fährt. Osterode wurde nicht mehr angeschlossen. Laut der ersten Planung sollte die Eisenbahnstrecke südlich von Bad Lauterberg verlaufen und dann ab Osterhagen durch das Helmetal bis nach Nordhausen führen. Es folgten politische Einsprüche der heutigen Luftkurorte Wieda, Zorge, Ellrich und Walkenried, die damals noch Industriestandorte waren (z.B. gab Gießereien). In Zorge wurde die erste deutsche Lok gegossen. Da es aber dort keinen Gleisanschluss gab, wurde die Lok mit Ochsengespannen quer durch den Harz nach Braunschweig gezogen und dann in die Schiene gesetzt. Der Einspruch der Industrieorte im Südharz hatte Erfolg und sie wurden an die Bahnstrecke angeschlossen. Diese Strecke war verkehrstechnisch nicht sehr günstig, weil sie durch Senkungsgebiete führte.

Im August 1943 wurde die Heeresversuchsanstalt Peenemünde von den Engländern bombardiert. Dies hatte zur Folge, dass die gesamte Produktion der Raketen von Peenemünde in kürzester Zeit in den Südharz in den Kohnstein, ein großes Anhydritmassiv, bei Nordhausen verlegt wurde. Hier waren schon große Hohlräume vorhanden, in denen Treibstoffe gelagert waren. Die Nutzung wurde umgeändert und man plante den Einbau der Produktionsstätte für die V 2 und V1 Rakete , die auch pilotenlose Flügelbombe genannt wurde. Zu dieser Einrichtung der Waffenproduktion kamen weitere Anlagen, die zur Produktion von Fugzeugen dienten. Das führte dazu, dass die Bahnlinie zwischen Ellrich und Nordhausen sensibel würde, weil sie mitten durch die Fabrikanlagen, sozusagen durch ein hochschutzbedürftiges Sicherheitsareal führte. Aber diese Bahnlinie war die Hautverbindungsachse Nord-West und musste für den zivilen Güterverkehr betrieben werden. Deshalb hat man sich im Mai 1944 entschieden, diesen wirtschaftlich sensiblen Bereich zwischen Ellrich-Wofffleben und dem Kohnstein zu umgehen und südlich davon das zu bauen, was ursprünglich 1850 schon mal geplant worden war. Wir wissen heute nicht, ob es dafür bereits ausführungsreife Pläne oder abgesteckte Trassen gab. So fällte man im Mai 1944 die Entscheidung, eine neue Bahn durch das Helmetal zu bauen. Ein Vorauskommando bereitete den Bahnbau vor, der dann im Juli eigentlich begann. Es sollte eine 22 kilometerlange Reichsbahnhauptstrecke werden. Die Landeigentümer dieses Areals bekamen Ende Juni 1944 einen Brief der SS, der besagte: „Nächste Woche beginnen wir mit dem Bahnbau. Über Ankauf, Enteignung usw. wird nach Abschluss des gewonnenen Krieges weiter verhandelt.“ So befanden sich die Eigentümer, also die Landwirte, auch die Kirche von Osterhagen, die hier Forstgelände besaß, im Besitz einer Baustelle. In Nüxei,Mackenrode, Günzerode, Hesserode und Ellrich wurden daraufhin KZ-Außenlager errichtet. Meist war dies

Ellrich ein kleiner Platz, der mit Maschendraht umgeben war. Es waren 4 Wachtürme vorhanden, die mit Scheinwerfern und Maschinengewehren ausgestattet waren. Es gab 1-2 Baracken und einen kleinen Appellplatz, der für 300 Mann ausgerichtet war. Die Lager bestanden bis zur Auflösung des Bahnbaubetriebs bis zum 4./6. April 1945, als die Alliierten kamen und nur wenige Tage davor die Lager evakuiert wurden. Die Auftraggeberein war die Mittelwerk GmbH in Halle, die die Rüstungsprojekte am Kohnstein betrieb. Die Projektierung hatte die Reichsbahn und die Bauleitung hatte ein extra dafür geschaffenes Neubauamt. Der zuständige Reichsbahndirektor war Josef Merkel aus München. Die Aufsicht über das Projekt hatte der SS-Führungsstab B13. Hier hatte der Sonderstab Kammler das Sagen. Der Bau wurde durch den zivilen Betrieb Julius Berger mit Sitz in Berlin ausgeführt. Sie hatte zwei Bagger und zwei SS-Baubrigaden im Einsatz. SS-Baubrigaden waren Häftlingskommandos, die in den westdeutschen Großstädten zur Trümmerräumung eingesetzt worden waren. Die dritte Baubrigade saß in den Kölner Messehallen und hatte Trümmer nach Bombenabwürfen u.a. Blindgänger zu räumen. Die 3. und 4. SS-Baubrigade wurden im Juni 1944 in den Südharz verlegt. Ihre Aufgabe bestand darin, von Osterhagen eine neue Trasse zu bauen. Hierbei musste ein Höhengefälle über eine Wasserscheide überwunden werden, deshalb wurde das Berggleis in einer weiteren Kurve ausgelegt.

Diese Bahnlinie ist nie vollendet worden. Vor Kriegsende waren das Baugleis und der Schotter und die Schwellen bis fast vor Nordhausen gelegt worden. Da das Bahnbaumaterial ein Wertstoff war, stellten 1946 die Reichsbahn Ost und die Reichsbahn West bei den Aliierten einen Antrag, damit sie die Bahnstrecke, das heißt die Gleise, Schwellen und Schotter zurückbauen konnten.

Ab 1946 wuchs diese Trasse zu, weil bedingt durch den Verlauf der neu errichteten innerdeutschen Grenze, die ehemalige Bahntrasse auch gar nicht mehr durchgehend begangen werden konnte.

Nach der deutschen Wiedervereinigung stellte der Häftlingsbeirat an der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora den Antrag, den eindruckvollsten Abschnitt dieser Trasse, also etwa 6 km zwischen Osterhagen und Mackenrode der Öffentlichkeit als Rad-, Radwander- und Erinnerungsweg zugänglich zu machen. Der Antrag ging als Petition je an die Landtage von Niedersachsen und Thüringen und wurde von dort jeweils sehr positiv beschieden. So stellte Niedersachsen den Wegeausbau innerhalb des hier eingerichteten Naturschutzgebietes frei und bot einen Finanzierungsanteil an. Leider ist seither beiderseits der ehemaligen Grenze nichts passiert; dies hat seine Ursache in der heterogenen Eigentumsstruktur am Bahndamm. Ausbauträger hätte sicher die Kreisverwaltung sein müssen. Kleine Teilstückekonnten im Zuge der Flurbereinigung in der Gemarkung Osterhagen 2011 erschlossen werden; doch ist das zusammenhängende Ziel damit beileibe nicht erreicht. Hier bedarf es weiterer Anstrengungen; auch muss erkennbar werden, ob es in der Region den politischen Willen gibt, ein solches Gedenkprojekt zu verwirklichen.

Die in der Gedenkarbeit Beteiligten haben den – sicher verständlichen – Wunsch, dass die Einweihung des Weges auf der alten Bahnbaustrecke noch in Anwesenheit ehemaliger Häftlinge geschehen sollte. Doch sind die wenigen Überlebenden heute alle älter als 80 Jahre, man müsste sich also beeilen!

© Ingeborg Lüdtke (die letzten 2 Abschnitt: Firouz Vladi)

(Die Pläne der KZ-Außenlager Nüxei, Osterhagen und Mackerode sowie des
Gedenk- und Erinnerungesweges wurden ebenfalls von Firouz Vladi zur Verfügug gestellt.)

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Weiterführende Literatur:

Firouz Vladi, Der Bau der Helmetalbahn
Titel_Helme

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