Betriebliche Weihnachtsfeiern und Wichteln

Käthe Wohlfahrt´s Christkindlmarkt in Rothenburg ob der TauberAuch alle Jahre wieder gibt es in den Firmen die Weihnachtsfeiern. Nicht jeder Mitarbeiter ist davon begeistert und fragt sich: „Muss ich eigentlich an der betrieblichen Weihnachtsfeier teilnehmen?“

Keine Pflicht zur Teilnahme an der Weihnachtsfeier

Es gibt für Arbeitnehmer keine Pflicht zur Teilnahme an der Weihnachtsfeier.

Rein arbeitsrechtlich betrachtet, kommt es aber darauf an, wann die Feier stattfindet.  Beginnt die Weihnachtsfeier nach der regulären Arbeitszeit, entstehen für die Teilnahme keine Überstunden.

Findet die Weihnachtsfeier in der Arbeitszeit statt, muss der nichtfeiernde Arbeitnehmer arbeiten. Ist dies nicht möglich, weil er ohne seine Kollegen seine Arbeit nicht verrichten kann oder weil im Büro Weihnachtslieder gesungen werden, darf der Arbeitgeber den Lohn des nicht teilnehmenden Arbeitsnehmers nicht kürzen oder von ihm verlangen, dass er Urlaub nimmt.

Verhaltensfalle

Auch auf der Weihnachtsfeier gelten trotz Alkoholgenusses und lockerer Atmosphäre die normalen Anstandsregeln gegenüber den Kollegen und Vorgesetzten. Beleidigungen und tätliche Angriffe können zur Kündigung führen.

Geschenke

Nicht teilnehmende Arbeitnehmer haben keinen nachträglichen Anspruch auf Geschenke, die auf der Weihnachtsfeier verteilt werden.

In so manchem Betrieb wurde das Wichteln als Geschenkform eingeführt. Wichteln wird auch Julklapp genannt. Die Auswahl wer wem etwas schenkt wird zufällig getroffen, niemand weiß, von wem er etwas bekommen wird. In einige Betrieben wird das Geheimnis des Schenkenden doch gelüftet.

Das  Wichteln kommt aus Skandinavien, wo nordische Wichtel den Beschenkten heimlich eine kleine Gabe in der Weihnachtszeit zusteckten. Wichtel sind kleine Geister, die gerne anderen helfen, aber auch gerne Schabernack betreiben.

Das Schrottwichteln ist eine weitere Variante des Brauches. Hierbei wählen die Schenkenden etwas aus, was nutzlos, unbrauchbar oder sogar geschmacklos sein darf.

Es bleibt die Frage offen, warum man überhaupt etwas schenkt, wenn es nicht von Herzen kommt?

(c) Ingeborg Lüdtke

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Siehe auch „Alle Jahre wieder …“

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Halloween – „Süßes oder Saures“

KürbisHalloween-Kostüme für Kinder und Erwachsene, Halloween-Masken, Halloween-Schminke, Halloween-Gruselkürbisse, Halloween-Schokolade und Kürbisse in vielen Formen sind nur einige Produkte die es zurzeit zu kaufen gibt.

Kinder klingeln als Hexen, Vampire, Geister oder Skelette verkleidet an den Türen. Sie verlangen „Süßes oder Saures“. Dieser Spruch ist eine Kombination aus Bitte und Drohung (Trick Or Treat), Wird ihre Bitte nach Süßem nicht erfüllt, kann es vorkommen, dass die Türklinke mit Zahnpasta beschmiert wird. Nicht immer bleiben die Streiche so harmlos. Manchmal werden auch brennende Böller in den Briefkasten oder Eier an die Hausfassade geworfen. Hierbei kann es sogar zu Sachbeschädigungen kommen. Eltern sollten sich über die rechtliche Seite solcher Streiche informieren.

 

Das Herumziehen der  Kinder mit der Bitte um Süßigkeiten ist nicht neu. In Schlesien  gab es im Frühjahr das auf einen heidnischen Brauch beruhende Sommeransingen, um den Winter zu vertreiben.

Wurde die Haustür nicht geöffnet, sangen die Kinder das Schmählied:. „Hühnermist und Taubenmist. In diesem Hause kriegt man nichts. Ist das nicht eine Schande in diesem ganzen Lande?“

Halloween beruht auf dem keltischen Brauch am Ende  des Sommers (31.Oktober) ein Fest zu feiern. Das Fest wurde „Samhain“ genannt und ist auch in der Wicci-Religion ein aktuelles Fest.

Einerseits wurde es gefeiert, um die  Jahreszeit zu verabschieden, andererseits sollten in der „Nacht des Grauens“ die bösen Geister vertrieben werden. Ein bekanntes Symbol für Halloween ist das Irrlicht: Ein ausgehöhlter Kürbis (oder eine Rübe)  mit einer geschnitzten Fratze, in deren Innern eine brennende Kerze steckt.

Einige Rituale erinnern an die Verstorbenen und es gibt einen Bezug  zu dem  katholischen Feiertag Allerheiligen (Gedenktag von allen Heiligen). Der Vorabend von Allerheiligen wurde „All Hallow´s Eve“ oder „All Hallows´s Evening“  genannt. Vermutlich wurde dieser Name in „Halloween“ verkürzt.

Eine Mischung aus den keltischen Bräuchen und christlichen Festen brachten irische katholische Einwanderer um 1930 u.Z. mit in die USA. Inzwischen ist Halloween ein gesellschaftliches Fest geworden, das am 31. Oktober mit Festessen, Geisterpartys und Geschenken für Kinder gefeiert wird.

Seit den 1990er Jahren wird auch in Deutschland Halloween gefeiert.

 

Literaturquelle:

Günther Richter, Feste und Bräuche im Wandel der Zeit -Kirmes, Kürbis und Knecht Ruprecht, Bielefeld 2011

Luther Verlag

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Buchmesse 2014 – Verlust der persönlichen Identität

OLYMPUS DIGITAL CAMERAEigentlich könnte es ein schöner Tag werden. Die Bahn streikt nicht. Der Zug hat nur 10 Minuten Verspätung. Ich treffe meine Kollegin Ellen aus dem Vertrieb, so dass die Wartezeit schnell vergeht. Ellen sitzt in Wagen 4 und ich habe in Wagen 2 einen Sitzplatz reserviert. Die geänderte Zugfolge erweist sich als positiv. Der Weg vom Gleis zur U-Bahn ist also nicht sehr lang. Wir treffen uns später direkt auf dem U-Bahngleis. Die U-Bahn ist recht voll und wir stehen gedrängt vor der Ausgangstür. Ich komme versehentlich – wie ich meine – gegen die Hand des dicht neben mir stehenden Herrn.

Diebstahl

Beim Messegelände angekommen, trennen sich meine Kollegin und ich, da ich noch den Eintrittsgutschein einlösen muss. Als ich auf der Rolltreppe schon nach dem Gutschein suche, bin ich geschockt. Der Reißverschluss der Tasche ist offen und die Brieftasche mit allen Papieren weg. Aufgelöst erkläre ich der Dame vom Messeservice, dass mein Gutschein auch gestohlen wurde. Eine Frau spricht mich an und sagt: „Dann lade ich Sie heute einmal vom Klett-Verlag ein.“ Ihren Namen will sie mir nicht verraten, aber ich bedanke mich herzlich. Es gibt doch noch sehr nette Menschen. Ich lade sie ein, abends einfach mal bei unserem Verlagsstand zum Autorenempfang vorbeizuschauen.

Meine Geldbörse und das Handy sind noch da. So kann ich mit Hilfe des Infoservice meine Bank anrufen und gleich die Karten sperren lassen.

Am Verlagsstand angekommen, erzähle ich von meinem Unglück.

Lizenzgespräch

Heute darf ich zu ersten Mal an einem Lizenzgespräch teilnehmen. Der Kollege von dem spanischen Verlag ist sehr nett und an Titeln über neuere Theologie, Philosophie und Psychotherapie interessiert. Für eine Frage zum Inhalt eines Titels und zur Vita des Autors bitten wir den Lektor für den Fachbereich Psychologie an den Tisch.

Suche der Polizeistation und Anzeige des Diebstahles

Der Schauspieler Hanns Zischler ( „Entführt“, Tatort etc.) läuft mir über den Weg.

Für eine spätere Veranstaltung mache ich schon einmal den Weg ausfindig und erkundige mich auch gleich noch nach einer Polizeistation auf dem Messegelände. Ich soll die Halle 3 verlassen und um die Halle 4 herumgehen. Draußen nieselt es und ich bin froh, dass ich meine Regenjacke nicht an der Garderobe abgeben habe. Ich sehe wie das ORF ein Interview draußen vor der Halle unter einem großen Schirm filmt und nach dem Weitergehen stehe ich nun bei einer Absperrung. Ich frage den Sicherheitsmann nach dem Weg. Er schickt mich zu seinem Kollegen, der mich eigentlich wieder ein Stück zurückschickt. Doch diesmal steht dort ein anderer Kollege von ihm, der mir ziemlich autoritär zu verstehen gibt, dass ich dort nicht lang gehen darf. Ich soll wieder in die Halle reingehen und von dort auf die andere Seite gelangen. Als ich wieder in die Halle will, stehe ich vor der Kartenkontrolle, die mich draufhinweist, dass ich nur ein Tagesticket hätte und vor Verlassen der Halle Bescheid sagen müsse. Leider muss ich noch mehrere Male fragen, bis ich dann endlich den entscheidenden Tipp bekomme.

Irgendwie erinnert mich das Ganze an meine New-York-Reise. Am letzten Abend wurde der  Schwester meiner Zimmerpartnerin die Kreditkarte gestohlen und wir mussten sehr weit bis zur zuständigen Polizeistation laufen. Was sich dann dort noch so abspielte bis wir die Anzeige aufgeben konnten, erinnerte sehr stark an den Film „Police Academy“. Aber ich bin ja in Deutschland. Die Polizisten sind anfangs nicht so begeistert, als ich komme. Ich folge einem Polizisten, der dann meine Anzeige aufnimmt. Er fragt, ob ich mich ausweisen kann. Kann ich nicht. Irgendwie fühle ich mich meiner Identität beraubt. Ich habe nur mein  Namensschild an der Jacke und finde noch eine Visitenkarte. Aber bin ich das wirklich oder habe ich diese von einer anderen Person übernommen? Ich werde nun belehrt, dass ich keine Falschaussage machen darf und auch einen Anwalt hinzuziehen darf. Aha. Im Krimi werden doch immer nur die Verdächtigen auf die Hinzunahme des Anwalts aufmerksam gemacht.

Der Polizist schreibt nun das Protokoll und zeigt auch Mitgefühl. Ich unterschreibe und erhalte eine „Bescheinigung über die Erstattung einer Anzeige“, die ich dann bei der Wiederbeschaffung der Unterlagen vorlegen kann. Am Ende begleitet er mich sogar noch bis zum Ausgang.

Fragestunde zu „Bildrechten“

Ich schaffe es gerade noch rechtzeitig, um mir die Fragestunde des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zum Thema „Bildrechte“ anzuhören. Typische Fragen sind: „ Kann man Bilder mit einer Creative-Commons-Lizenz kommerziell nutzen?“ (Hier lauern viele Fallen, da nicht gewährleistet ist, dass derjenige, der die Bilder einstellt auch der Rechtinhaber ist. Für einen Lizenzverkauf dürfen sie nicht genutzt werden.) „Kann man Bilder verwenden, wenn der Rechteinhaber angefragt wurde, aber nicht antwortet oder nicht ermittelt werden kann? Reicht es hier, dass man sein Bemühen im Werk notiert und den Rechteinhaber bittet, sich zu melden?“ (Schweigen auf Anfrage, ist keine Zustimmung. Das Bemühen der Recherche mitzuteilen, reicht nicht aus, da man mit der Veröffentlichung eine Rechtverletzung begeht. Es fördert aber ein besseres Gesprächsklima, wenn der Rechteinhaber davon erfährt.) „Darf man voraussetzen, dass man bei einer Biografie auch ohne Rückfrage ein Bild von der Person über die man das Buch veröffentlicht auf das Cover setzen kann?“ (Nein, es muss der Abgebildete und der Fotograf gefragt werden.)

Im Anschluss spreche ich noch mit zwei Mitarbeitern vom Börsenverein, mit denen ich schon mehrfach zu tun hatte.

Neue Produktstrategien und Erlöse mit mobilem Content

Mir bleibt noch etwas Zeit, um ein wenig bei der Diskussion „The Mobile Shift – Neue Produktstrategien und Erlösmodelle mit mobilem Content“ zuzuhören. OLYMPUS DIGITAL CAMERA

So richtig viel verdienen, kann man noch nicht damit. Viele Apps sind kostenlos und werden über Werbung finanziert.  Leider ist die Produktion nicht billig. Auch kann man nicht einfach von einem gut verkauften Buch Apps herstellen und dies aus dem Fachbereich heraus erstellen. Es sind externe Dienstleister und ein Produktmanager im eigenen Haus nötig. Das Produkt muss täglich angeschaut werden. Die Ausgangsfrage für eine App ist: „Welches Problem löse ich für den Kunden?“

 

RightsLink

Leider muss ich nun los, da ich mich mit einer Mitarbeiterin von der Buchmesse treffen will, die für die Lizenzierung von Kleinlizenzen über RightsLink zuständig ist. Ich gebe ihr meine gesammelten Überlegungen und Kritiken.

„Hitlers Rache“ und „Der Mauerfall“

So langsam mache ich mich auf den Rückweg, schaue aber noch in Halle 4.2 vorbei. Beim Paschens-Literatur-Café verabschiedet sich gerade Friedrich Wilhelm von Hase (Sohn des Generalleutnants Paul von Hase, der wegen seiner Beteiligung am Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde) der das Buch „Hitlers Rache“ geschrieben hat.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAAnschließend berichtet Sven Felix Kellerhoff über Hintergründe zum Bildband „Der Mauerfall“, den er zusammen mit Lars-Broder Keil erstellt hat.

Mainhardt Graf von Nayhauß (Journalist) ist auch auf dem Podium. Er war dabei, als der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl am Tag des Mauerfalls von Journalisten in Warschau gefragt wurde, ob er jetzt auch nach Berlin fahren würde. Er sagt, dass Helmut Kohl geantwortet habe, er könne doch nicht seine Gastgeber im Stich lassen. Er sei dann erst am nächsten Tag nach Berlin gefahren. In dem aktuellen Buch von Helmut Kohl, wäre es anders dargestellt.

ARD Forum

OLYMPUS DIGITAL CAMERAAuf dem Weg zur U-Bahn liegt das ARD Forum und ich schaue kurz rein. Reinhold Messmer wird gerade vorgestellt.

Vor der Rolltreppe treffe ich noch einen IT-Kollegen und fahre zum Bahnhof. Der Zug ist schon da. Leider sitze ich im ersten Wagen und muss ganz nach vorne laufen. Kurz nach der Abfahrt muss ich die Fahrkarte vorzeigen. Der Schaffner möchte die Bahncard sehen. Ich erzähle ihm, dass mir diese samt Brieftasche gestohlen wurde und zeige die Bescheinigung der Anzeige. Die nette Sitznachbarin bedauert mich und wünscht mir, dass ich die Brieftasche mit Inhalt wiederbekomme.

Parkhaus

In Göttingen muss ich noch mein Auto aus dem Parkhaus herausbekommen. Das Ticket war auch in der Brieftasche. Ich zeige dem netten Parkhauswächter meine Bescheinigung und die Fahrkarte und bezahle ihm das Ticket. Mal sehen, ob ich die Brieftasche mit den Papieren wieder bekomme. Wenn nicht, dann kann die Wiederbeschaffung sich ganz schön lange hinziehen.

 

PS I: Am nächsten Tag stelle ich fest, dass der Dieb oder die Diebin ein Profi war und bereits um 9.31 h und um 9.34 h Geld abgehoben hat und ich um 900,- € ärmer bin. Laut Bank habe ich aber erst um 9.37 h die Sperrung veranlasst und sie will das Geld nicht erstatten.

Nachdem ich mein Veto eingelegt hatte, erhielt ich 4 Wochen später Post von der Bank. Sie will mir aus Kulanzgründen 50% des Schadens ohne Anerkennung einer Rechtspflicht  erstatten.

PS II: Über ein Jahr später meldete sich die Polizei bei mir und sagte, dass sie den international gesuchten Profi-Dieb ermittelt hätten. Das Geld bringt mir dies auch nicht wieder.

(c) Ingeborg Lüdtke

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50. Deutscher Historikertag in Göttingen

Der 50. „Deutsche Historikertag“ wurde von Bundespräsident Joachim Gauck am vergangenen Dienstag in Göttingen eröffnet. Die lokale und überregionale Presse berichtete über den vermutlich größten geisteswissenschaftlichen Kongress Europas. Rund 3000 Teilnehmer wurden erwartet. Zum Thema „Gewinner und Verlierer“ gibt es ca. 130 Veranstaltungen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAAn die 80 HistorikerInnen waren zum Grillfest in die Theaterstraße eingeladen. Im und vor dem Verlagshaus des Traditionsverlages Vandenhoeck und Ruprecht herrschte ein munteres Treiben in lockerer Atmosphäre.

 

Kleiner Pressespiegel:

http://www.welt.de/geschichte/article132554793/Gauck-warnt-vor-der-Annahme-dass-Krieg-reinigt.html

http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/09/140923-Historikertag.html

http://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Wissen/Wissen-vor-Ort/Festrede-von-Bundespraesident-Joachim-Gauck-bei-Historikertag-in-Goettingen

http://www.hna.de/lokales/goettingen/gauck-gibt-kein-ende-geschichte-3912367.html

 

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Vor 75 Jahren: Erster Kriegsdienstverweigerer im NS-Regime hingerichtet

August DickmannAm 15. September 1939 wurde der 29-jährige August Dickmann aus Dinslaken öffentlich  hingerichtet. Dies geschah nur zwei Wochen nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im KZ Sachsenhausen.

Obwohl August Dickmann der erste Kriegsdienstverweigerer aus Gedenkstein August DickmannGewissensgründen war, der von den Nazis hingerichtet wurde, ist sein Name nur wenigen bekannt. Allerdings erinnert ein Gedenkstein in der Nähe des Eingangstores zum KZ Sachsenhausen an seinen Tod.

In den letzten Tagen erschienen drei Artikel, die auf die Hintergründe der seiner Hinrichtung des Zeugen Jehovas aufmerksam machen:

http://www.focus.de/wissen/mensch/geschichte/zweiter-weltkrieg/hinrichtung-vor-aller-augen-bis-heute-unbekannt-so-starb-der-erste-ns-kriegsverweigerer_id_4085051.html

http://www.svz.de/bb-uebersicht/panorama_bb/eine-hinrichtung-vor-aller-augen-id7459871.html

http://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article132199944/Wer-den-Kriegsdienst-verweigerte-wurde-erschossen.html

KarlDomeirSaalKarl Domeier, der in Dorste bei Osterode geboren wurde, war einer der Zeitzeugen, die bei der Hinrichtung dabei waren. Dieses schreckliche Erlebnis prägte sich ihm sehr tief ein und wurde zu einem festen Bestandteil seiner KZ Schilderung. Seinen Lebensbericht kann man unter dem Link https://www.radio-uebrigens.de/?p=152  nachlesen.

Der Filmemacher Fritz Poppenberg hat sich mit den Zeitzeugen Josef Rehwald, Fritz Brinkmann und Richard Rudoph unterhalten. Auszüge aus dem Gespräch findet man unter https://www.radio-uebrigens.de/?p=114.

Am 16. September 2014 um 18 Uhr fand in der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Straße der Nationen 2216515 Oranienburg eine KZ Gedemkstätte SachsenhausenGedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Ermordung von August Dickmann statt.

Unter anderem hielt Dr. Detlef Garbe, der Leiter der Gedenkstätte Neuengamme bei Hamburg den Vortrag: „Die Erschießung von August Dickmann als symbolisches Ereignis für die Geschichte der Zeugen Jehovas im 3. Reich“.

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Tagung „Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945 – Geschichte und Vermittlung“ : Göttingen, den 19.-21. Juni 2014

OLYMPUS DIGITAL CAMERADie Tagung „Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945 – Geschichte und Vermittlung“ fand am 19.-21. Juni 2014 in Göttingen statt. Das Programm können Sie hier einsehen.

Veranstaltet wurde die Tagung von der „Stiftung niedersächsische Gedenkstätten“ in Celle in Kooperation mit der „Geschichtswerkstatt Duderstadt“ und der „Geschichtswerkstatt Göttingen“. Tagungsort war das Intercity-Hotel in Göttingen.

Zusammenfassung der Referate: 

Donnerstag, den 19. Juni 2014

Freitag, den 20. Juni 2014

Samstag, den 21. Juni 2014

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Tagung: Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945: Donnerstag, den 19.6.2014

Die Tagung “Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945 – Geschichte und Vermittlung” fand am 19.- 21. Juni 2014 in Göttingen statt.

Programm:

15:30 h: Dr. Claudia Fröhlich „Widerstand und Verweigerung 1933-1945 – Überlegungen zur Geschichte und Nachgeschichte“

16:45 h: Dr. Hans-Dieter Schmid „Sozialdemokraten im Widerstand: Die Sozialistische Front (SF)“

17:45 h:Dr. Peter Schyga, „Wider die Vergottung des Volkstums und der Rasse“ – Pastor Holtermanns (Goslar) öffentliche Einwürfe gegen das NS-Regime

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Donnerstag, den 21. Juni 2014

Widerstand und Verweigerung 1933-1945 – Überlegungen zur Geschichte und Nachgeschichte

(Zusammenfassung des Referates von Dr. Claudia Fröhlich)

 

Widerstand als Hochverrat?

Haben die militärischen Attentäter des 20. Juli 1944 Landes- und Hochverrat begangen?

Dies behauptete Generalmajor Otto Ernst Remer im Mai 1951 auf einer Parteiversammlung der von ihm mitgegründeten Sozialistischen Reichspartei (SRP) . Daraufhin stellte im Juni 1951 der Bundesinnenminister Robert Lehr gegen Remer wegen Verleumdung. 1952 kam es zu dem sogenannten Remer Prozess vor der Dritten Großen Strafkammer des Braunschweiger Landgerichts

 

Otto Remer und Robert Lehr

Major Otto Ernst Remer war am 20. Juli 1944 Kommandeur des Berliner Wachbataillons. Er hatte vom Berliner Stadtkommandanten General Paul von Hase , einem Mitverschwörer, den Befehl erhalten das Regierungsviertel zu besetzen und Wolfsschanze später den Auftrag Joseph Goebbels festzunehmen. Remer hatte die Besetzung des Regierungsviertels ausführt und bekam Zweifel. Als er Goebbels verhaften wollte, vermittelte ihn dieser eine Telefonverbindung mit Adolf Hitler im Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen. Per Telefon bekam er von Hitler die Anweisung, den Putsch niederzuschlagen. Diese Anweisung hat er auch als gehorsamer Nationalsozialist ausgeführt.

Robert Lehr hingegen hatte Verbindungen zum Kreisauer Kreis.

 

Klage sollte erst nicht angenommen werden

Oberstaatsanwalt Erich Günther Topf  (ehem. Mitglied der NSDAP und SA-Rottenführer), der bei der Braunschweiger Staatsanwaltschaft zuständig war, wollte die Klage zunächst nicht annehmen. Der leitende Staatsanwalt Fritz Bauer (Sohn jüdischer Eltern) konnte ihn nicht umstimmen und erteilte ihm Weisung. Fritz Bauer übernahm die  Anklage gegen Remer wegen übler Nachrede.

 

Rehabilitation des Widerstandes

Fritz Bauers Ziel war die Abwehr des Verratsvorwurfes. Er wollte eine Befreiung vom Stigma des Verrats, eine Rehabilitation des Widerstandes und das Widerstandsrecht sanktionieren.

Als Nebenklägerin stellte Anna von Harnack ebenfalls einen Strafantrag gegen Remer. Ihr Name wurde mit dem Widerstand der Roten Kapelle in Verbindung gebracht. Aufgrund der Bitte von Fritz Bauer zog sie ihren Antrag zurück. Fritz Bauer wollte nur den Widerstand des 20. Juli als Gegenstand des Prozesses  machen.

Gutachter (Theologen u. ein ehemaliger General) unterstützten die Anklage. Ihr einstimmiges Ergebnis lautete:  Die Widerstandskämpfer des 20. Juli seien keine Verräter gewesen, sondern  hätten zum Wohle Deutschlands gehandelt.

Major Otto Ernst Remer wurde zu einer Haftstrafe von drei Monaten verurteilt, allerdings trat er diese nicht an. Er flüchtete ins Ausland.

Mit dem Urteil erkannte die Strafkammer an, dass der nationalsozialistische Staat kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat war. Er diente  nicht dem Wohle des deutschen Volkes.

Durch das Urteil wurde der Widerstand des 20. Juli vom Stigma des Landesverrats befreit.

Aufgrund des  Ausgangs des Prozesses änderte sich die Sichtweise in Bezug auf den Widerstand des 20. Juli sehr positiv.

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Sozialdemokraten im Widerstand: Die Sozialistische Front (SF)

Zusammenfassung des Referates von Dr. Hans-Dieter Schmid

 

Die Sozialistische Front (SF)

Hannover SchlossEine der vermutlich größten und bedeutendsten Widerstandsgruppen der Vorkriegszeit war die Sozialistische Front. Diese sozialdemokratische Widerstandsorganisation war zwischen 1933 und 1936 im Raum Hannover gegen den Nationalsozialismus aktiv.

Diese Gruppe wollte vor allem mit illegalen Flugschriften eine Gegenöffentlichkeit zur nationalsozialistischen Propaganda  schaffen.

Initiator der Sozialistischen Front war Werner Blumenberg, der als Redakteur bei  sozialdemokratischen Tageszeitung „Volkswille“ tätig war.

Der Organisation gehörten in den hannoverschen Arbeiterwohngebieten einige  hundert Menschen an. Sie verzichtete auf spektakuläre öffentliche Aktionen. Verteilt wurden die  Sozialistischen Blätter auch in Cuxhaven, Nienburg an der Weser, Bad Oeynhausen und Rehme. Es gab auch Kontakte nach Magdeburg und Hamburg. Die ersten Flugblätter Blumbergs erschienen bereits 1933. Zwischen April 1934 und August 1936 erhielten mehrere hundert Personen regelmäßig Flugblätter.

 

Rahmenbedingungen

Vor 1933 setzte der Antifaschistische Kampf der Arbeiterparteien ein. Nicht nur die KPD sondern auch linkssozialistische Gruppen und die SPD waren publizistisch und auf der Straße tätig.

Bereits 1924 betätigten sich hauptsächlich Sozialdemokraten im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, dessen Hauptaufgabe die Verteidigung der Weimarer Republik gegen Feinde aus nationalsozialistischen, monarchistischen und kommunistischen Reihen bestand.

Adolf Hitler kam durch die Ernennung von Paul von Hindenburg an die Macht, nicht durch einen Wahlsieg.  Die NSDAP hatte bereits  wieder Stimmen verloren. Die Weltwirtschaftskrise begann wieder abzuflauen. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen linderten die größte Not.

Der Vizekanzler Franz von Papen hoffte durch das Konzept der Einrahmung („Zähmumgskonzept“) Hitlers Macht in der Regierung zu begrenzen. Der Regierung gehörten acht Vertreter aus dem deutschnationalen und konservativen Lager an, sowie Wilhelm Frick und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich. Franz von Papen „Zähmungskonzept“ erwies sich leider als illusorisch, da Hitler am 1. Februar 1933 die Auflösung des Reichstages forderte. Dadurch wurde die Neuwahl des Reichstages notwendig.

Der Wahlkampf der Arbeiterparteien wurde bei den Märzwahlen 1933 massiv behindert. Ein Großteil der Kommunisten war bereits  in den neuen Konzentrationslagern inhaftiert.

Der SPD-Vorstand war sich uneins darüber, wie man sich nun verhalten sollte:

Der Parteivorstand war mehrheitlich  im für eine  Emigration und das Agieren durch einen Exil-Vorstand. Der größte Teil des Parteivermögens wurde nach Prag geschafft. „Eine Minderheit unter Führung Paul Löbes wollte so lange wie möglich im Reich weiterarbeiten“.

Bevor es zu einer Spaltung der SPD kommen konnte, wurde die Partei  im Juni 1933 verboten.

 

These I:

Unterhalb und gegen den Legalitätskurs der Parteiführungen gab es auch in der SPD schon vor 1933 Vorbereitungen auf die Illegalität, einschließlich des bewaffneten Widerstands.

Werner Blumenberg, Albin Karl und Georg Geiger beschlossen bereits im Herbst 1932 die Mitglieder der Pionierketten mit Pistolen auszurüsten.

Im März 1933 gab es z. B. in Leipzig Kampf-Staffeln, die insgesamt aus ca. 2000 bewaffneten Männern bestanden.

Es gab viele Aussagen zur bewaffneten Kampfbereitschaft der Sozialdemokraten, „aber man rief sie nicht.“

 

These II:

„Entgegen mancher Selbstdarstellung und späteren Interpretation waren die Mitglieder der Sozialistischen Front  ausschließlich Sozialdemokraten. Sie war eine reine SPD-Organisation“.

Die Sozialistische Front agierte typisch sozialdemokratisch in Bezug auf ihre illegalen Arbeit. Es gab keine spektakulären Aktionen wie bei der KPD oder auch der ISK. Ihr Ziel war es den Zusammenhalt zu wahren, die Genossen bei der Stange halten und  Organisationsstrukturen für die Zeit „danach“ zu erhalten.

Ihr wichtigstes Mittel waren die Sozialistischen Blätter (April 1934 bis August 1936). Sie dienten innerhalb eines „Lesezirkels“ „als Kommunikationsmedium zur Mobilisierung, Solidarisierung und Organisierung der zur antifaschistischen Arbeit bereiten Teile der Arbeiterschaft“. Unter dem Nazi-Regime wurde diese Tätigkeit schon als Vorbereitung zum Hochverrat gewertet.

 

 These III:

„Die Sozialistische Front war keine linkssozialistische Organisation“.

Linskorientierte Mitglieder hatten die Partei bereits verlassen. Inzwischen distanzierte man sich vom Exilvorstand in Prag, der Sopade.

In den Schriften der Sozialistischen Front mit dem Prager Manifest der Sopade von 1934 zeigt sich der gleiche Radikalismus.

 

These IV:

„Die Sozialistische Front war nicht nur eine der zahlenmäßig größten, sondern auch eine der am längsten illegal arbeitenden Widerstandsorganisationen im Reich“.

Die Sozialistische Front hatte Mitte 1935 etwa 700 Mitglieder, die in die Organisation zumindest als Leser eingebunden waren.

Bis zum Sommer 1936 konnten einzelne Einbrüche der Gestapo in die Organisation abgewehrt werden. Trotzdem kam es zur Verhaftung von Egon Franke im April 1935 und von Fritz Lohmeyer im Februar 1936.

Ihre lange Lebensdauer verdankte die Sozialistische Front den guten Beziehungen Blumenbergs zu einem Gestapobeamten, der ihn vor Aktionen der Gestapo jeweils warnte. Durch ihn erfuhr er auch von seiner geplanten Verhaftung, und konnte noch in der Nacht nach Amsterdam flüchten.

Dem Gestapo Amt Berlin gelang es einen Spitzel einzuschleusen. Dies war ausschlaggebend dafür, dass die Sozialistische Front im Sommer 1936 zerschlagen werden konnte. Unabhängig davon gelang es  Bruno Cickron (Leiter Abt. 6 am 27. Juni 1936) und danach Franz Nause (am 29.6.) durch die Gestapo in Hildesheim zu verhaften. Letzterer war als eigentlicher Organisator der Sozialistischen Front über die ganze Organisation informiert.

 

These V:

Dass für die „Aufrollung“ der Sozialistischen Front nur ein einziger „Verräter“, nämlich „Walter Spengemann“, verantwortlich gewesen sei, ist eine „Legende“.

Vor allem von dem damaligen kommunistischen Funktionär Kurt Müller wurde in der Nachkriegszeit die Legende gegen  Walter Spengemann verbreitet. Sie wurde aber auch von vielen Sozialdemokraten geteilt, besonders von Mitgefangenen, die ihn im Polizeigefängnis auf der Schreibmaschine tippen hörten.

Nachweislich hat Walter Spengemann in der Haft mit der Gestapo zusammengearbeitet. Er wurde wegen seiner ebenfalls verhafteten Mutter erpresst. Sein im Gefängnis geschriebener Bericht ist eher ein allgemeiner Bericht über die Entstehung und Entwicklung der Sozialistischen Front  als eine Aufdeckung der Organisation und der beteiligten Personen.

Präzisere Aussagen kamen von Franz Nause, der als Organisationsleiter genauere Kenntnisse hatte. Dass Nause kein Wort verraten habe, ist ebenfalls eine lang gehegte Legende. Trotz Folter hat Franz Nause 2 1/2 Monate nichts ausgesagt.

Die sechs Hauptbeschuldigten wurden im September 1937 vom Volksgerichtshof verurteilt; Franz Nause und Walter Spengemann erhielten je 10 Jahren Zuchthaus.

 

Schlussüberlegung:

Ist die Sozialistische Front mit ihrem Widerstand gescheitert?

Gemessen an  ihren eigenen Zielen sich zu  bemühen, „ein Vorbild der Überzeugungstreue und Kampfbereitschaft zu geben“, wie Blumenberg dies in dem 1. Flugblatt formulierte ist die Sozialistische Front nicht gescheitert.

Gescheitert ist sie an dem Ziel, Hitler zu stürzen oder auch nur die NS-Herrschaft im Geringsten zu erschüttern.

Nicht gescheitert ist sie darin, dass sie gezeigt hat, dass nicht alle Deutsche Hitler zugejubelt haben, sondern dass es auch ein „anderes Deutschland“ gab.

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„Wider die Vergottung des Volkstums und der Rasse“ – Pastor Holtermanns (Goslar) öffentliche Einwürfe gegen das NS-Regime

(Zusammenfassung des Referates von Dr. Peter Schyga)

GoslarJuli08 002Das vorweggenommene Ergebnis des Referates von Dr. Peter Schyga lautet (Zitat):

a) wir haben es bei den Flugblattaktionen Pastor Adolf Holtermanns mit Akten von widerspenstiger Auflehnung gegen das NS-System zu tun und

b) das Beispiel zeigt, was für eine relativ intakte Organisation wie die Kirche möglich gewesen wäre, wenn die auf christlichem Glauben basierende Haltung dieses Goslarer Pfarrers Allgemeingut dieser Institution gewesen wäre.

Bisher galt eine christliche Weltanschauung,  die „für ein friedlich auskömmliches menschliches Zusammenleben“ eintrat, die auf den 10 Geboten beruhte. Hier galt: „Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch Zeugnis reden“. Die NS-Ideologie verkehrte die Wort in: „Du sollst töten, du sollst stehlen, du sollst falsch Zeugnis reden.“

Es entstand die Frage: „Wie gehen die Kirchenglieder auf allen Ebenen mit diesem eklatanten Widerspruch um?“ „Eine pauschale und prinzipielle Antwort“ müsste lauten: „Widerstand ist Christenpflicht.“

„Die Kirche war die einzige gesellschaftliche Massenorganisation“, die von den Nazis nicht verboten wurde. Eine wichtige gesellschaftspolitische  Frage lautet daher: Wie nutzte diese bürgernahe Großorganisation  ihren „ungewöhnlichen Handlungsspielraum aus, wie ging sie mit dieser potenziellen Gegenmachtposition um?“

„Hinter der Vision vieler Junger Pastoren in Weimar eine „Volkskirche“ anzustreben, stand ihre Kritik an den eingefahrenen, abgehobenen, volksfernen Praktiken der kirchlichen Institutionen. Sie wollten eine religiös motivierte Bewegung in Gang setzen, Engagement der Gläubigen entwickeln und fördern. Ev.-luth. Jugendarbeit war wesentlicher Bestandteil dieses Bestrebens.“ Die Volkskirchen boten den Jugendlichen viele Freizeitaktionen an. Auch Pastor Adolf Holtermann von der Frankenberger Gemeinde in Goslar betreute Jugendliche. „Seine Aktivitäten mit kirchlichen Jugendgruppen gingen weit über das von Pastoren Erwartete und allgemein Geleistete hinaus.“

Pastor Adolf Holtermann war anfangs „ein glühender Verehrer Adolf Hitlers“, auch wenn er nicht der NSDAP angehörte. Wenige Tage vor dem Treffen der Harzburger Front trat er im September 1931 in SA-Uniform bei einem Feldgottesdienst des HJ-Gautreffens im Kalten Tal in Bad Harzburg auf. Auch bei der Leo-Schlageter-Gedächtnisfeier der HJ in der Ratsschiefergrube Goslar im Sommer 1933 trat er als uniformierter Pastor auf.

Anfangs sah Adolf Holtermann in Hitler noch das „Heil“ Wirklichkeit werden würde. Diese Meinung änderte sich später, so dass er sogar von der Kanzel und per Flugschriften die NS-Ideologie massiv mit klaren Worten angriff.

Er stand bis zu seinem Tod der Frankenberger Gemeinde in Goslar vor. Zu seiner Gemeinde gehörten viele Bergleute. Unter Bergleuten findet man eine besondere Volksfrömmigkeit gepaart mit einem ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Der zum Teil lebensbedrohende Arbeitsalltag setzt ein „kollektives verlässliches Handeln aller voraussetzt“.

Die Gemeinde von Pastor Holtermann war etwas Besonderes in der Stadt. „Diese Besonderheit äußerte sich etwa in einer von Holtermann organisierten gemeindlichen Nachbarschaftshilfe“, eine „Selbstorganisation von gegenseitiger Hilfe und Solidarität“ Diese „soziale Lage muss man im Hinterkopf haben, um den Handlungsrahmen, in dem Holtermann agierte, in etwa einschätzen zu können.“

Die Gemeinde wählte war sozialdemokratisch geprägt.“ In der sozialdemokratischen lokalen Parteizeitung schrieb er gelegentlich nachdenkliche Artikel zu Sozialpolitik und Diakonie.

Möglicherweise kam die Gesinnungsänderung von Adolf Holtermann  im November 1933, als die evangelische Jugend in die HJ (Hitler Jugend) eingegliedert wurde. Dies geschah auf Weisung von Reichsbischof. „Holtermann hatte für seinen lokalen Bereich ein andere Vorstellung von Jugendbewegung; er warb um die HJ’ler, um sie in die kirchlichen Jugendverbände zu integrieren“.  Ein weiterer „Grund für seine Entfernung von den Praktiken des NS-Regimes“ mag der „Angriff auf sein soziales Netzwerk, die Nachbarschaftshilfe, im Zuge der NS-Winterhilfswerksaktionen und des damit einhergehenden Aufbaus der NSV (nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ gewesen sein.

Seine  Distanz vertiefte sich im Laufe des Jahres 1934 durch „die Auseinandersetzungen innerhalb der DEK (Deutschen Evangelischen Kirche) mit den Deutschen Christen (DC) um das Bekenntnis. „In der Barmener Synode vom Mai 1934 wandte sich eine kleine Minderheit in der DEK gegen die massiven Eingriffe des Regimes in die Glaubensfreiheit einerseits und gegen eine Verfälschung des christlichen Glaubens durch häretische oder quasihäretische Eiferer innerhalb der DEK“. Die Umgebung zeigte sich immer mehr christenfeindlich.

Das kirchliche Handeln wurde behindert durch propagandistische Angriffe auf den Glauben. Nicht wenige Kirchenvertreter nahmen in ihre Predigten neuheidnisches Gedankengut des Aberglaubens auf.

Pastor Holtermann näherte ich der „Bekennenden Kirche“ an und abonnierte für seine Gemeinde deren Mitteilungsblatt „Grüne Blätter“ (260 Expl.) Er trat aus der SA aus und verteilte regelmäßig Flugschriften an seine Gemeinde.

„So entstanden im Jahr 1935 insgesamt 27 Briefe  (=54 eng beschriebene hektographierte Blätter), bis die Staatsmacht einschritt, ihm seine Hektografiemaschine wegnahm und ihn vor Gericht stellte.“ In seinem ersten Brief berichtet er „unter der Rubrik ‚Kleine Nachrichten‘ über Verhaftungen u. Drangsalierung von Pastoren.“ Am Ende schreibt er: „Vielmehr wollen wir unbeirrt das hohe Ziel vor Augen behalten, das der Führer uns gezeigt hat: ein neues Deutschland auf christlicher Grundlage. Darum ‚haltet nur den Herrn Christus in Euren Herzen heilig und sei allezeit bereit, Euch gegen jedermann zu verantworten der von Euch Rechenschaft über die Hoffnung fordert, die in Euch lebt.“

In einem anderen Brief erklärt er deutlich: „Völkischer Geist wird mit Heiligem Geist verwechselt, und hier liegt die Quelle für alle Irrtümer und Irrlehren, die heute unser Volk verwirren und von der Wahrheit weg führen. Von hier aus erklärt sich z.B. die Gleichsetzung von Christentum und Nationalsozialismus oder die Behauptung, dass die Lebensgesetze des Staates auch die Lebensgesetze der Kirche seien.“

Er schreibt auch davon, dass es „echtes Heidentum sei, wenn Heidentum eben darin besteht, dass das Menschliche vergottet und Gott vermenschlicht wird.“ Des Weiteren spricht er sich gegen eine Nationalreligion aus, die das Wesen des Volkes wiederspiegelt. In dieser Religion würde “das Volk selbst gegenständlich“.

Christen dagegen wüssten, dass es sich „bei jeder echten Religion um das Verhältnis des Menschen zu Gott“ handele.

Der letzte dieser Briefe erschien am 28. Dezember 1935. „Druck und Vertrieb wurden verboten, der Greif-Vervielfältigungsapparat beschlagnahmt und ein Strafverfahren eingeleitet.“ Er wurde angeklagt, weil er verbotenerweise Flugblätter konfessionellen Inhaltes verteilt und Zeitschriften außerhalb der üblichen Zustellungsarten an die Bezieher verbreitet habe. Das Verfahren wurde letztlich eingestellt. „Vertreten vom Goslarer Rechtsanwalt Tappen und gestützt vom Landeskirchenamt wurde geltend gemacht, dass er keine Flugblätter veröffentlicht hätte, sondern an einen ausgewählten festen Stamm von Beziehern gemeindliche Mittelungen verfasst hätte, was nicht strafbar wäre.“ Der Reichskirchenausschuss wandte sich  im Januar und März 1936 an Minister Kerrl und bat darum die Versendung von religiösen Wochenbriefen generell zuzulassen. „Kerrl betonte in seiner Antwort, dass auch solche Schriften der Genehmigung durch die Reichspressekammer bedürften. Gleichzeitig soll er dafür gesorgt haben, dass die anhängigen Verfahren niedergeschlagen wurden.“ Das Verfahren wurde mit der Begründung eingestellt, dass die Schuld des Angeklagten gering sei und „die Folgen der Tat unbedeutend“ seien. Auch ein weiteres Verfahren aufgrund der Auslegung von Flugblättern in Bibelstunden wurde eingestellt.

Holtermann selbst litt wohl sehr unter seiner Verfolgungs- und zunehmenden Ohnmachtsituation.“ Mehrmals ließ er im Laufe der Jahre 1936/37 in die Göttinger Psychiatrie einweisen. Es nicht bekannt, ob dies freiwillig geschah.

Anscheinend blieb die Tätigkeit von Pastor Holtermann nicht ganz ohne Wirkung.  Nach seinem Tod machte die Stadtverwaltung bei der Suche nach einem Nachfolger deutlich, „so einen wie Holtermann würde man in der Stadt nicht noch einmal dulden.“ Auch sein Tod ist rätselhaft. Offiziell verunglückte er „beim Skilaufen im Januar 1938, blieb verletzt fast drei Tage verschollen, bis er aufgefunden wurde. Er war dann aber so sehr geschwächt war, dass er am 7. Februar 1938 im Krankenhaus verstarb.“

Pastor Adolf Holtermann hat weder eine „antifaschistische Zelle geleitet, noch einen Regimewiderstand angeführt“, aber er hat „erheblich dazu beigetragen, dass sich in Teilen des städtischen Gemeinwesen eine Art Gegenöffentlichkeit bilden konnte“, sodass es eine zeitlang in der Stadt einen Raum gab, in dem ein Klima der partiellen Widersprüchlichkeit zum Regime herrschte, in dem Widerworte möglich waren.“

 

(c) Ingeborg Lüdtke

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Tagung: Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945: Samstag, den 21.6.14

Die Tagung „Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945 – Geschichte und Vermittlung“ fand am 19.-21. Juni 2014 in Göttingen statt.

Programm:

9:00 h: Dr. Dietmar Seladczek „Das Thema Widerstand in der Bildungsarbeit der KZ- Gedenkstätte Moringen“

10:00 h: Arnulf Heinemann „Anpassung und Widerstand in der Bildungsarbeit am Beispiel Jehovas Zeugen“

Samstag, den 21. Juni 2014

Das Thema Widerstand in der Bildungsarbeit der KZ- Gedenkstätte Moringen

(Zusammenfassung des Referats von Dr. Dietmar Seladczek)

 

Bei den Schülern hat  das Thema Widerstand keine Priorität. Das Thema Widerstand wird deshalb in verschiedene Projekte verpackt. Verschiedene Formen sind die Widerstand in der BildungsarbeitVorstellung von  Biografien, Comic-Werkstätten, Ausstellungen, Theaterstücke und ein Jugendaustauschprogramm.

Biografie und Ausstellung

Die Widerstandskämpferin und Friedensaktivistin Hedwig Regnart (1908-2002) stellte ihre Zeichnungen in der Stadthalle Moringen aus. Die Bilder waren ursprünglich nicht für eine Ausstellung gedacht. Sie wollte damit  ihre Erfahrungen im Gefängnis und im Konzentrationslager verarbeiten. Mit 15 begann sie, Esperanto zu lernen. Sie hoffte, diese internationale Sprache könne helfen, Kriege zu vermeiden. 1930 trat sie der KPD bei. Bei einer Untersuchung wurde bei ihr faschistisches Liedgut gefunden. Daraufhin wurde sie für 10 Tage in das Fürther Gefängnis eingeliefert. Sie wurde noch weitere Male verhaftet und wieder freigelassen. Sie besuchte mehrfach Kurse der KPD, die sie auf politische Arbeit in der Illegalität vorbereiteten. So lernte sie auch das Klopfalphabet.

1933 kommt sie in „Schutzhaft“. Vom Fürther Gefängnis wurde sie einige Wochen später in das Frauengefängnis Aichach überstellt. Da sie die Aussage verweigerte, drohte ihr die SA mit Peitsche und Auslieferung. Tatsächlich kam sie von Juni bis Dezember in Isolierhaft. 1935 erhält sie erneut Isolierhaft im Landshuter Gefängnis. Als Haftfolge erkrankte sie an Tuberkulose. Sie gelangte nach wechselhafter Unterbringung in Gefängnissen  im Frauen-KZ Moringen. Sie wurde im „Bayernsaal“ untergebracht. Im Januar 1937 wurde sie unter strengen Meldeauflagen entlassen. Anfangs bekam sie keine Arbeit. Freunde vermittelten ihr eine Stelle im Kleinwalsertal in Österreich.

Am 19.10.1939 heiratete sie Karl Regnart. Bis zum Verbot der KPD 1956 blieb Hedwig Regnart Parteimitglied. Später trat sie dem VVN und der DKP bei. Sie engagierte sich aktiv gegen Krieg. In Schulen berichtete sie über ihre Erfahrungen unter dem Nationalsozialismus. Sie arbeitete  mit der Frauengruppe ‚Courage’ zusammen. Am 17. Januar 2001 verstarb sie im Alter von 92 Jahren.

http://www.gedenkstaette-moringen.de/thema/Hedwig_Regnart/hedwig_regnart.html

Theaterstück

In Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Moringen wurde ein Theaterprojekt von „teatro regio e.V.“  unter Leitung von Sylvia Hathazy entwickelt. Das Theaterstück „Swing Heil“ (Uraufführung 2006) beschäftigt sich mit der Swing-Musik im Nationalsozialismus .13 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren beteiligten sich an diesem Projekt. Im Vordergrund steht die Frage, was die Geschichte des NS und das Beispiel der Swings in der Gegenwart für sie bedeutet. Das Stück soll zeigen, was es bedeutete im nationalsozialistischen Deutschland jung gewesen zu sein.

Da Swing eine Stilrichtung des Jazz ist, wurde er als „artfremde“ Musik verboten. Einer der Gründe für das Verbot war das Argument, Swing wäre ein „Kampfmittel der anglo-jüdischen Weltverschwörung“ und solle die deutsche „Volksgemeinschaft“ zersetzen.

In Hamburg 1940 kam  es zu einer Verhaftungswelle, dabei wurden 63 Swings inhaftiert und brutal verhört. Trotz aller Strafen und Einschränkungen wuchs die Swing-Bewegung weiter an. Ein  Hamburger Psychologe bezeichnete diese Jugendlichen als „haltlose willensschwache Psychopaten mit erheblichen Defekten auf ethisch-moralischen Gebiet.“ Heinrich Himmler veranlasste am 26. Januar 1942, dass „mit den schärfsten Mitteln“ gegen die als Rädelsführer bekannten Swings vorgegangen werden solle. Diese sollten mit einer KZ-Strafe von 2 bis 3 Jahren bestraft werden.

Günther Discher wurde aufgrund seiner Liebe zum Swing im Jugend-KZ Moringen inhaftiert. Er leistete dort von 1943 bis 1945 in der Heeresmunitionsfabrik Vollpriehausen Zwangsarbeit. Nach seiner Befreiung litt er lange Zeit unter der Folgeerscheinung zahlloser Schikanen und Entbehrungen, die er im Jugend-KZ Moringen ertragen musste. Seiner Liebe zum Swing tat dies keinen Abbruch. Noch im hohen Alter von 87 Jahren legte er Swing-Platten auf. Er wurde als der „älteste DJ Deutschlands“ bezeichnet. Am 9. September 2012 verstarb Günther Discher.

http://www.gedenkstaette-moringen.de/thema/Swing/swing.html

Jugendaustauschprogramm

Die KZ-Gedenkstätte Moringen veranstaltete 2007 einen Jugendaustausch. Das Projekt stand steht unter der Schirmherrschaft des damaligen Niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Das Projekt wurde von der Jugendstiftung des Landkreises Northeim und aus Mitteln des Fonds „Jugend in Aktion“ der Europäischen Union gefördert. Kooperationspartner auf der österreichischen Seite war die Gedenkstätte Peršmanhof.

Jeweils 17 Jugendliche aus Moringen und der slowenischen Minderheit in Kärnten trafen sich. Beteiligt waren ebenfalls zwei Schulen: Die KGS-Moringen und die zweisprachige Handelsakademie in Klagenfurt.

Der historische Hintergrund dieser Begegnung war die Inhaftierung zahlreicher Jugendlicher aus dem slowenisch-österreichischen Grenzgebiet im Jugend-KZ Moringen. Ihnen wurde vorgeworfen, dass sie oder Angehörige ihrer Familien die Partisanen unterstützten, um gegen die deutsche Wehrmacht zu kämpfen.

Zahlreiche Häftlinge aus Kärtnen kamen in das Jugend-KZ Moringen. Untern den vier Häftlingen aus der Gegend um Bad Eisenkappel im südlichen Kärnten befand sich  auch der bereits verstorbene Johann Kogoj.

Johann Kogoj erfuhr bei seiner Rückkehr in die Heimat, dass zwei seiner jüngeren Geschwister noch am Ende des Krieges  von Angehörigen eines SS- und Polizeiregimentes auf dem Nachbarhof, dem Persmanhof, ermordet wurden. Heute gibt es auf dem Peršmanhof eine Gedenkstätte.

Geplant war, dass die Jugendlichen bei gemeinsamen Aktivitäten  den Alltag der jeweils anderen Gruppe kennenlernen sollten. Auf diese Weise sollten sie viel über die eigene und fremde Kultur und Geschichte erfahren. Bevor es dazu kommen konnte, gab es an dem Ort, wo die Jugendlichen in der Jugendherberge untergebracht wurden einen Eklat. Der Bürgermeister  von St. Kanzian am Klopeiner See, Thomas Krainz (SPÖ), lehnte es zunächst ab, die Gruppe offiziell zu begrüßen. Später lenkte er ein und erschien unangemeldet zu einem Besuch. SPÖ-Klubobmann Dr. Peter Kaiser versuchte die Wogen zu glätten und fand in seiner Begrüßung in der Jugendherberge lobende Worte für das Projekt. Die Landeshauptmannstellvertreterin, Frau Dr. Gabriele Schaunig-Kandut (SPÖ) versuchte ebenfalls den Schaden zu begrenzen und  lud die Jugendbegegnung zu einem Mittagessen ein. Nach der Rückkehr nach Deutschland sorgte der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider (BZÖ) für einen weiteren Eklat. Er bezeichnete den Jugendaustausch als „Partisanenseminar“.

Trotz der negativen Begleitumstände war es eine lehrreiche Zeit für die Jugendlichen. Die Kärntner Jugendlichen hatten Referate und zahlreiche historische Erkundungen  sowie viele Gespräche mit Zeitzeugen vorbereitet. Der Schwerpunkt lag auf Themen wie die  Geschichte der slowenischen Minderheit Kärntens in der Zeit des Nationalsozialismus. Außerdem  beschäftigten sie sich  mit Zwangsaussiedlung und KZ-Haft. Besonders berührt waren  die Jugendlichen von den Begegnungen mit den Zeitzeugen.

Zum Abschluss der Reise nahmen die Jugendlichen an der Gedenkfeier auf dem Peršmanhof teil. Sie findet alljährlich am letzten Wochenende im Juni statt. Ungefähr dreihundert Menschen aus Österreich und Slowenien trafen sich, um der Opfer des Faschismus zu gedenken und um einzutreten für eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Zeit.

http://www.gedenkstaette-moringen.de/thema/Jugendaustausch/jugendaustausch.html

Weiterführende Literatur:

Peršman

Herausgegeben von Lisa RettlGudrun Blohberger, mit dem Verband der Kärntner Partisanen und dem Verein Peršman

Wallstein Verlag, 2014

http://www.wallstein-verlag.de/9783835315884-perman.html

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Anpassung und Widerstand in der Bildungsarbeit am Beispiel Jehovas Zeugen

(Zusammenfassung Referat Arnulf Heinemann – JVA Wolfenbüttel)

Geschichte der Hinrichtungsstätte Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel

Die Schlosserei des Strafgefängnisses Wolfenbüttel wurde  1937 zur Hinrichtungsstätte umgebaut.

Hinrichtungsbuch

Hinrichtungsbuch

Von November 1937 bis Ende 1947 wurden dort Hinrichtungen durchgeführt. Ungefähr 550 Menschen wurden bis 1945 durch die NS-Justiz durch die Guillotine, Erhängen oder  Erschießungen hingerichtet. Nach 1945 gab es noch 67 Hinrichtungen. Sie wurden durch die britische Militärverwaltung gegen Deutsche und Ausländer wegen Kriegsverbrechen oder Verstößen gegen die Anordnungen der alliierten Militärregierung vollstreckt.

In den Räumen der ehemaligen Hinrichtungsstätte wurde 1990 eine Dauerausstellung „NS-Justiz und Todesstrafe“ eingerichtet. Die  Dauerausstellung „Justiz und Strafvollzug im Nationalsozialismus“ wurde 1999 in ehemaligen Hafträumen der JVA eröffnet. Schwerpunkt dieser Ausstellungen sind das Verschwinden der Freiheitsrechte, rassisches Denken und die Ungleichheit der Menschen vor Gericht, die Sondergerichte und die die Nürnberger Prozesse nach 1945.

Im Frühjahr 2013 kam die Wanderausstellung „1933 und das Recht: Der Beitrag der Justiz zur „Machtergreifung'“ hinzu.

Die Ausstellung dokumentiert anhand zahlreicher Beispiele, welche Rolle die Justiz in dieser Phase spielte. Thematisiert wird die Ausschaltung der politischen Gegner, die Ausschließung republikanischer und jüdischer Juristen sowie der Ausgrenzung durch das Erbgesundheitsgesetz.

Bildungsarbeit

Das Niedersächsische Kultusministerium sieht für das Kerncurriculum für das Gymnasium vor, dass verschiedene Formen des Widerstandes verglichen werden. Ziele, Lebenswirklichkeiten und Handlungsspielräume in der NS-Zeit zwischen Unterstützung und Anpassung, sowie Verfolgung und Widerstand sollen beleuchtet werden.

Ein Beispiel  des Widerstandes ist der Katholik und Schweizer Maurice Bavaud. Er wollte Hitler beim Gedenkmarsch am 9. November 1938 zur Münchner Feldherrnhalle erschießen. Es gelang ihm nicht dicht genug an Hitler herangekommen und er fuhr ohne Geld und Fahrkarte nach Paris. Er wurde bei einer Kontrolle gefasst und im  Amtsgericht in Augsburg am 6. Dezember 1938 wegen Fahrkartenbetrugs und unbefugten Waffentragens zu zwei Monaten und einer Woche Gefängnis verurteilt. Da er eine Pistole und auffällige Dokumente bei sich trug, wurde er der Gestapo übergeben. Unter Folter gab er zu, dass er Hitler habe töten wollen. Während des Prozesses sagte er, Hitler wäre „eine Gefahr für die Menschheit, für die Unabhängigkeit der Schweiz und für den Katholizismus in Deutschland“. Maurice Bavaud wurde zum Tode verurteilt und am 14. Mai 1941 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee enthauptet. Sein Vater strengte seine Rehabilitation an. In den Fünfziger Jahren wurde das Urteil postum reduziert.

Die  Verurteilung wegen versuchten Mordes zu fünf Jahren Zuchthaus und zu fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Ehre blieb bestehen. In der Urteilsbegründung hieß es: „Das Leben Hitlers ist […] in gleicher Weise als geschütztes Rechtsgut anzuerkennen, wie das Leben eines jeden anderen Menschen. Ein Rechtfertigungsgrund im Sinne einer etwa erlaubten Diktatorentötung ist dem Strafrecht fremd.“

Eine weniger bekannte Opfergruppe sind die Bibelforscher, die heute als Zeugen Jehovas bekannt sind. In der Bildungsarbeit wird eine Unterrichtseinheit zum Thema Berthold Mehm (ein Hildesheimer Baumeister) beleuchtet. Die Unterrichtseinheit wurde von Wilfried Knauer und Arnulf Heinemann verfasst.

Das Urteil zu Berthold Mehm wird ebenfalls mit Schülergruppen behandelt.

Biografie Berthold Mehm: Er wurde am 17.3.1874 in Langenbach, Kreis Schleusingen in Thüringen als Sohn eines Böttchermeisters geboren. Ungefähr 1895 zog er nach Hildesheim und absolvierte dort die Baugewerbeschule. Die Meisterprüfung legte er in Holzminden ab. Er machte sich als Baumeister selbstständig. Er engagierte sich im „Evangelisch-Lutherischen-Kirchenbauverein“. 1914 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Nach dem 1. Weltkrieg  verkleinerte er sein Unternehmen und spezialisierte sich auf Anbauten, Umbauten und Reparaturen. Er engagierte sich nun bei den Bibelforschern. Ende 1931 trat er aus der evangelischen Kirche aus. Sein Baugeschäft wurde ab 1934 boykottiert.Im Dezember 1936 organisierte Berthold Mehm die Verteilung einer Resolution der Bibelforscher, die auf die Verfolgung der Zeugen Jehovas in Deutschland aufmerksam machte. Berthold Mehm wurde am 17. Dezember inhaftiert. KZ Sachsenhausen WachtturmZuerst kam er ins Gerichtsgefängnis nach Hannover. Er wurde im Februar 1937 von einem Sondergericht zu einen Jahr Haft verurteilt. Am 5. Februar wurde er ins Strafgefängnis Wolfenbüttel überstellt. Am 22. Oktober 1937 lieferte man ihn ins Konzentrationslager Sachsenhausen ein. Dort starb Berthold Mehm am 28. März 1939. Offiziell wurde als Todesursache Magenkrebs bescheinigt. Augenzeugen berichteten jedoch, dass er erschossen wurde, weil er den „Deutschen Gruß“ verweigert habe.

Arbeit vor Ort in der JVA Wolfenbüttel

Da es weder lebende Zeitzeugen noch Bilder der Hinrichtungen gibt, können sich die Schüler nur mit den Urteilen und anderen Quellen, z.B. Abschiedsbriefe der Todeskandidaten beschäftigen. Sie erhalten Einsicht in das Hinrichtungsbuch, das sich als eine Großkopie an einer Wand in der ehemaligen Hinrichtungsstätte befindet.

Die Arbeit mit den Schülern findet in einer Großzelle in der JVA Wolfenbüttel statt. Die Schüler erleben hautnah wie es ist, weggesperrt zu werden. Hinter ihnen wir die Tür abgeschlossen. Zuvor müssen sie ihre Handys abgeben. Ein Besuch der Hinrichtungsstätte ist ebenfalls vorgesehen. Die Schüler erhalten Notfallgeräte für den Fall, dass es ihnen nicht gut geht.

http://wolfenbuettel.stiftung-ng.de/

http://www.forumjustizgeschichte.de/Gedenkstaette-W.156.0.html

http://vernetztes-erinnern-hildesheim.de/pages/home/hildesheim/personen/opfer/berthold-mehm.php

(c) Ingeborg Lüdtke

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Tagung: Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945: Freitag, den 20.6.2014

Die Tagung „Widerstand, Verweigerung und Selbstbehauptung 1933-1945 – Geschichte und Vermittlung“ fand am 19.-21. Juni 2014 in Göttingen statt.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAProgramm:

9:00 h Silke Petry „Im Kampf gegen den Faschismus“ – Organisierter Widerstand sowjetischer Kriegsgefangener in Norddeutschland

10:00 h: Marcus Herrberger „Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Motiven – Opfer der NS-Miltärjustiz (bezogen auf Niedersachsen)“

11:30 h: Dr. Hans-Peter Klausch „Heinz Taxweiler – ein niedersächsischer Deserteur,Moorsoldat und Widerstandskämpfer“

13:30 h Heide Janicki, Paul Pockrandt „Drei Widerstandkämpferinnen aus dem sozialdemokratisch/kommunistischen Milieu, Braunschweig

16:00 h: Dr. Rainer Driver Das Forschungsprojekt „Widerstand in Göttingen“

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 Freitag, den 20.Juni 2014

„Im Kampf gegen den Faschismus“ – Organisierter Widerstand sowjetischer Kriegsgefangener in Norddeutschland

Zusammenfassung des Referates von Silke Petry (Celle)

 

Ein aktiver und organisierter Widerstand sowjetischer Kriegsgefangener entwickelte sich erst ab 1943.

Die sowjetischen, französischen, belgischen und serbischen Kriegsgefangenen organisierten sich in Norddeutschland in jeweils selbstständigen Gruppen.

 

Organisierter Widerstand sowjetischer, französischer, belgischer und serbischer Kriegsgefangener

Im Stalag (Stammlager) X B Sandbostel bemühten sich  kleinere Gruppen französischer Gefangenen (fast ausschließlich Kommunisten) Einfluss auf ihre Kameraden in den industriellen Kommandos Hamburgs zu bekommen.  Im Lager Sandbostel selbst ging es hauptsächlich „um die ideologische und organisatorische Festigung des Zusammenhaltes und um die Weitergabe von Informationen.“

Im Stalag XI B Fallingbostel  organisierten vor allem  die französischen und die sowjetischen Kriegsgefangenen den kollektiven und konspirativen Widerstand; in Bergen–Belsen waren es die sowjetischen Kriegsgefangenen.

 

Quellenmaterial und Erlebnisgerichte der sowjetischen Kriegsgefangenen

Die in Deutschland bekannteste und durch Quellenmaterial am besten belegteste Widerstandsgruppe ist die „Brüderliche Zusammenarbeit der Kriegsgefangenen“ (BSW) .Sie ist „eine kommunistische Organisation sowjetischer Kriegsgefangener, die 1943 von Offizieren in Süddeutschland gegründet und 1944 von der Gestapo aufgedeckt wurde“.

„Bei der Forschung und Recherche“ über den organisierten Widerstand sowjetischer Kriegsgefangener „ist man zum größten Teil auf die Erinnerungen einzelner Mitglieder verschiedener Gruppen angewiesen“.  Zum Teil  wurden diese Berichte bereits unmittelbar nach Kriegsende verfasst, aber erst nach Stalins Tod veröffentlicht. Da „in diesen Berichten der Wille zum Widerstand und die Handlungen der Gefangenen in den Lagern sehr stark betont“ werden, ist anzunehmen, dass dadurch dem „generellen Verdacht der Kollaboration mit dem Feind“ entgegengewirkt werden sollte. Gefangenschaft wurde von Stalin als „Verrat“ gesehen. Möglicherweise hoffte man dieses Stigma tilgen zu können, in dem man bekannt gab, dass  sowjetische Gefangenen den Kampf für „das Vaterland“ auch in der Gefangenschaft weiter führten.

Die Erinnerungen und Erlebnisberichte und „darin geschilderte Ereignisse müssen anhand von Hinweisen in zeitgenössischen Dokumenten oder anhand anderer Hinweise überprüft werden, um die Zuverlässigkeit der Aussagen zu belegen“.

Unterlagen der Verfolgungsbehörden z. B vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA)  und „Stapostellen wurden bei Kriegsende planmäßig vernichtet“. Zu den einzelnen Gruppen sind nur wenige zeitgenössische Dokumente und Aufzeichnungen vorhanden.

Auch  „Sabotage“ aufgrund von Widerstandstätigkeiten lässt sich schwer nachweisen. Da erfolgreiche Sabotage in den meisten Fällen nicht erkennbar war,  wurden sie als „Störungen möglicherweise unter Ausschuss oder Betriebsstörung verbucht“.

 

Die Widerstandstätigkeit der sowjetischen Gefangenen lässt sich in drei Phasen einteilen:

1941/42 Gründungsphase: Im Winter 1942/42 sind erste Zusammenschlüsse nachweisbar. Ihre Tätigkeit bestand hauptsächlich im“ Aufbau von Kontakten und die Anwerbung von Gefangenen für einen organisierten Widerstand. Man stärkte sich gegenseitig „seelisch“.

Da die sowjetischen Gefangenen ums Überleben kämpften, gab es noch keinen Widerstand außer „gegen die schlechte Versorgung“.

1942/1943  Festigung: Fluchten und die Durchführung von Sabotage wurden in den Rüstungsbetrieben organisiert. „Außerdem sollte durch Aufklärungsarbeit verhindert werden, dass Kameraden mit der Wehrmacht kollaborierten“.

1944 – Intensive Arbeit: 1944 nahm „die Bereitschaft zur aktiven Beteiligung an Widerstandsaktionen“ zu. In den Lazaretten der Kriegsgefangenenlager entstanden häufig Widerstandsgruppen: Die dort eingesetzten Kriegsgefangenen Ärzte und Sanitäter verfügten über eine relativ große Bewegungsfreiheit. Sie stellten mit Hilfe der genesenen Gefangenen den Kontakt zu den Arbeitskommandos her und bauten ein konspiratives Netzwerk auf.

Die  Stammlager waren in der Regel die Zentren des Widerstandes. In der Verwaltung und den Lazaretts arbeiteten Kriegsgefangene eigenverantwortlich. Da es nur wenige deutsche Kräfte dort gab, war „in den Stammlagern die Steuerung und Manipulation möglich:

„Zum Beispiel Arbeitseinsatzplanung oder auch ‚Untertauchen‘ im Lazarett bzw. Identitätswechsel (Namen eines Toten übernehmen)“ , sowie „die Steuerung und Verbreitung von Informationen“.

Hinweise auf organisierten Widerstand findet man vorwiegend im Industriesektor.

 

Abwehrbemühungen

Dem Amt Ausland/Abwehr blieb nicht verborgen, dass sich in Lazaretten Nachrichten-Zentralen gebildet hatten, die  Verbindungen zu den Arbeitskommandos geknüpft hatten. Durch „V-Männer“, die als Spitzel eingeschleust wurden, konnten zahlreiche Widerstandsgruppen verschiedener Nationalitäten (Serben, Franzosen, SU) aufgedeckt und deren Mitglieder verhaftet werden.

 

Stalag Fallingbostel „Komitee zum Kampf gegen den Faschismus“ –  Stalag Bergen-Belsen „Hannoveraner Komitee“

 

Das „Komitee zum Kampf gegen den Faschismus“ agierte vom  Stalag XI B Fallingbostel aus, aber „seine Tätigkeit war aber auf zahlreiche Arbeitskommandos im gesamten westlichen Bereich des Wehrkreises XI (geografisch im heutigen Südniedersachsen: Hannover, Salzgitter, Wolfsburg und Braunschweig) ausgedehnt“. Das Komitee wurde Ende 1942 von dem Arzt Arkadij Alalykin initiert.  Im Dezember bestand der  Führungszirkel bereits aus etwa 10 Personen. „Bei der Gründung des Komitees erhielt die Gruppe Hilfestellung und Unterstützung durch die kommunistisch orientierten Untergrundorganisationen der belgischen und französischen sowie der jugoslawischen Kriegsgefangenen im Lager Fallingbostel.“

Besonders die französischen und sowjetischen Kriegsgefangenen arbeiteten eng zusammen.

Henri Cornil (Tarnnamen „Piet“), der Leiter der belgisch-französischen Organisation, unterstützte das Komitee mit deutschen Landkarten, Kompasse und Lebensmittel für Gefangene, die ihre Flucht vorbereiteten.

Als im Herbst 1943 eine Gruppe aus Lazarett in Bergen-Belsen nach Fallingbostel kam, schlossen sie sich dem „Komitee zum Kampf gegen den Faschismus“ an. „Dazu gehörte Wassilij Morosow, der im Herbst 1943 Max Minz als Leiter ablöste.“

Der Führungszirkel des Fallingbostelers Komitees (fast ausschließlich Offiziere) war auf ca. 18 Mitglieder angewachsen. „Zu ihren Aufgaben zählten unter anderem die Werbung und die Auswahl von Mitgliedern sowie die gezielte Delegierung von zuverlässigen Personen für Sabotagetätigkeiten in den Arbeitskommandos“.

Jedes Mitglied im Führungszirkel hatte seinen eigenen Bereich für den er  verantwortlich war: Zum Beispiel als Verantwortlicher für Propaganda und Agitation oder als  Verbindungsmann zu der französischen Widerstandsgruppe im Lager.

 

Efim Pcelkin berichtet in seinen Erinnerungen von („nach 1956“) wie bei der Auswahl und Werbung weiterer Mitglieder vorgegangen wurde (Zusammenfassung des Zitats):

In den Personaldokumenten der Wehrmacht befanden sich  genaue Angaben über jeden Gefangenen, die zum Stalag gehörten. Kriegsgefangene, die in der Schreibstube arbeiteten, trafen zunächst eine Auswahl über evtl. Kandidaten, die man als Mitglieder werben wollte. Durch Gespräche über die Vergangenheit, konnte man die persönlichen Qualitäten herausfinden. Entsprach der „Neuling“ den Anforderungen führte das Kommiteemitglied für propagandistische Tätigkeit ein vertrauliches Gespräch mit ihm.

Als Mitglied galt nur der Kriegsgefangene, der sich auch persönlich einschaltete.  Wurde er in ein Arbeitskommando geschickt, in dem schon eine Untergrundzelle bestand, musste er bei seinem Eintreffen unverzüglich die Verbindung herstellen. Gab es noch keine Untergrundtätigkeit, war er verpflichtet eine Untergrundzelle zu schaffen und zu führen.

So entstand ein „konspiratives Netz von Widerstandszellen weit über das Stammlager Fallingbostel hinaus“, in dem Kriegsgefangene und sowjetische zivile Zwangsarbeiter zusammenarbeiteten.

Ende 1941 hatte sich im Lazarett Bergen-Belsen die Widerstandgruppe „Hannoveraner Komitee“ gebildet. Ab 1943 stand sie im engen Kontakt zum Fallingbosteler „Komitee zum Kampf gegen den Faschismus“. Eine intensive Zusammenarbeit kam durch die Auflösung des Stalags Bergen-Belsen  und die Übernahme des Lazaretts durch das Stalag XI B Fallingbostel als „Zweiglager Bergen-Belsen zustande.

1948 wurden Informationen über das  „Hannoveraner Komitee“ durch  das von Georgij Ovtschinnikov und Vladimir Jakimov verfasste Manuskript „Die Arbeitsmethoden des Hannoverschen Komitees“ bekannt. Die Autoren waren „Pfleger“ im Lazarett des Stalag Bergen-Belsen.

Anfangs bestanden die Tätigkeiten des „Hannoveraner Komitees“ aus der „Beschaffung von Informationen über den Kriegsverlauf und deren Verbreitung sowie auf gegenseitige Hilfe vor allem bei der Organisation zusätzlicher Nahrungsmittel“. Außerdem versuchte man die Gruppe durch die Anwerbung von Kameraden zu vergrößern.

Nach dem Sieg der Roten Armee bei Stalingrad verteilte das  „Hannoveraner Komitee“ ein Flugblatt an alle sowjetischen Kriegsgefangenen. Das sogenannte „Hannoveraner Programm“ legte die Pflichten und Aufgaben eines jeden sowjetischen Kriegsgefangenen dar. Anfangs wurde das Flugblatt per Hand abgeschrieben und später  durch eine heimlich eingerichtete provisorische Druckerei vervielfältigt und verbreitet.

Genesene Gefangene aus dem Lazarett in Bergen-Belsen wurden häufig über Fallingbostel zurück in den Arbeitseinsatz geschickt wurden – es entwickelte sich ein regelrechter „Pendelverkehr“.

Beispiele für solch einen „Pendelverkehr“ kann man an Hand der Personalakten der Kriegsgefangenen Andrijanow und Wladimir Jakimov ausmachen.

„Außer einem ausgeprägten Pendelverkehr zwischen Uslar-Bergen-Belsen-Fallingbostel (auch auf anderen Personalkarten nachweisbar) gibt es aber keine Belege oder sonstige Hinweise für die Existenz einer Untergruppe des Bergen-Belsener Komitees in Uslar.“

 

Spitzel

Trotz sorgfältiger Auswahl der Mitglieder und Vorsichtsmaßnahmen „wurde eine ganze Reihe von sowjetischen Organisationen aufgedeckt, darunter auch das Fallingbosteler ‚Komitee zum Kampf gegen den Faschismus‘. Das ‚Hannoveraner Komitee‘ in Bergen-Belsen blieb unentdeckt“.

Ein sogenannter Provokateur konnte in  eine Untergruppe des Komitees im Arbeitskommando 3133 Salzgitter-Drütte Organisation eindringen. So konnte die Gestapo die gesamte Organisation (bis auf Bergen-Belsen) zurückverfolgen. Die Drütter Gruppe galt als eine der aktivsten Untergrundgruppen. „Sie verübten Sabotageakte, zum Beispiel wurde Werkzeug beschädigt oder Ausschuss produziert. Außerdem organisierten sie mehrere Fluchtunternehmen“. Leiter dieser Gruppe war Fjodor Simonenko. Er wurde am 13. April 1944 von der Gestapo Braunschweig festgenommen und noch am gleichen Tag in das Strafgefängnis Wolfenbüttel eingeliefert. Fünf Tage später beging er in seiner Zelle Selbstmord. Nach dem Tod Simonenkos wurden 21 Personen an vier Orten verhaftet.

Am 9. Juni 1944 vermeldete das Reichssicherheitshauptamt einen Fahndungserfolg.

 

Zweite Verhaftungswelle Ende Juni 1944

Es begann eine intensive Fahndung nach führenden Mitgliedern des „Komitees zum Kampf gegen den Faschismus“.  Man vermutete ähnliche Organisatoren auch in anderen Lagern und betrachtete Fallingbostel als die führende Zentrale.

„Die Folge war eine zweite Verhaftungswelle Ende Juni 1944. Die Gefangenen aus Drütte und Fallingbostel wurden von Wolfenbüttel aus im August 1944 in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald und Mauthausen überstellt. Mit der Überstellung wurden sie aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und galten nun als KZ-Häftling“.

Nur von vier sowjetischen Kriegsgefangenen ist bekannt, dass sie überlebt haben.

 

Schluss

Es bleiben noch viele Fragen offen, zum Beispiel die Frage nach der Zusammenarbeit der einzelnen Gruppen, die für dasselbe Gebiet bzw. dieselben Arbeitskommandos zuständig waren.

„Die Existenz des ‚Komitees zum Kampf gegen den Faschismus‘ mit Zentrale in Fallingbostel und die Vernetzung und Etablierung von Untergruppen in den Arbeitskommandos in der Region steht jedenfalls außer Zweifel“. Überlieferungen über die Verhaftungsaktionen der Gestapo Braunschweig im Frühsommer 1944 bestätigen die sowjetischen Berichte zum Teil.

„Für das Arbeitskommando in Salzgitter-Drütte kann die Verbindung ebenfalls ausreichend dokumentiert werden – für viele andere Untergruppen und deren Tätigkeiten fehlen aber die ergänzenden Nachweise“

Überlieferte Meldungen über das Hannoveraner Komitee im Lazarett Bergen-Belsen gibt es nicht.

Warum fehlen sichtbare Beweise ihres Engagements?

Genau das ist das Dilemma der erfolgreichen Widerstandskämpfer:

Sie werden nicht entdeckt – ihre Urheberschaft z.B. bei Sabotageakten nicht erkannt. Ihr Name taucht in den Akten der Feinde daher nicht auf.“

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Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Motiven – Opfer der NS-Miltärjustiz (bezogen auf Niedersachsen)

Referat Markus Herrberger (Zusammenfassung)

 

Einleitung – Überblick über Wehrdienstverweigerer in Deutschland

Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas bilden den Hauptteil der Opfergruppe der religiös motivierten Kriegsdienstverweigerer.

Hanns Lilje, der ehemalige Landesbischof von Hannover, traf 1944 im Gefängnis mit Zeugen Jehovas zusammen.  In seinem Buch „Im finstern Tal“, S. 58f schreibt er, dass sich keine christliche Gemeinschaft mit der Zahl ihrer Blutzeugen auch nur von ferne mit  den Bibelforscher (jetzt Zeugen Jehovas genannt) messen könne. Sie könnten für sich in Anspruch nehmen, die einzigen Kriegsdienstverweigerer großen Stils zu sein, die es im Dritten Reich gegeben hat, und zwar offen und um des Gewissens willen.

Urteile und Briefe der Familienväter oder Jugendlichen, die hingerichtet wurden, bestätigen den Gewissenskampf. Auch in der Region Niedersachsen findet man  einige dieser „Blutzeugen“.

„In der Zeit des NS zeigt sich die Verweigerung als Akt religiöser Selbstbehauptung“.

Neben den meisten Zeugen Jehovas lehnten auch  Adventisten der Reformgemeinde, einzelne Katholiken und Protestanten sowie Angehörige kleinerer religiöser Gruppen den sogenannten „Ehrendienst in der Wehrmacht“ demonstrativ ab.  „Ebenso wenig konnten und wollten sie Adolf Hitler den „unbedingten Gehorsam“ schwören“. Durch Ablehnung des Absolutheitsanspruch der Nationalsozialisten gerieten besonders die Zeugen Jehovas, aber auch die Splittergruppe der Reformadventisten mit dem Staat in Konflikt. 1935 wurde die allgemeine Wehrpflicht eingesetzt. Regimegegner, die sich noch im Gefängnis oder in Konzentrationslagern befanden, erhielten nun ihre Einberufung.

73 Verurteilungen (5 aus Niedersachsen) von Kriegsdienstverweigerern sind bekannt.

Im August 1939 trat  die „Kriegssonderstrafrechtsverordnung“ (KSSVO) in Kraft, die besagte, dass jede Tat und Äußerung „die den Wehrwillen des deutschen Volkes zersetzen würde“ mit dem Tod bestraft werden soll.

 „Dazu zählte jede Art „Entziehung vom Wehrdienst“ und auch „Äußerungen“ gegen den Krieg oder das NS-System.“

 

Wehrdienstverweigerung im Zweiten Weltkrieg – Verfolgung durch die Wehrmachtsjustiz

Zahlen

Laut den Akten des Reichskriegsgerichtes (RKG) im Militärarchiv Prag , Urteilen und Vollstreckungslisten gab es in Niedersachsen 27 Verurteilte (85 % Zeugen Jehovas), 17 Todesurteile, 14 wurden davon vollstreckt

Nach Niedersachsen einberufen wurden 8 Verurteilte, 3 Todesurteile wurden vollstreckt.

 

Verweigerer in Niedersachsen

„Der erste deutsche zum Tode verurteilte Wehrdienstverweigerer stammte aus Delmenhorst. Adolf

Bultmeyer wurde am 9.9.1939 in Berlin angeklagt und bereits am 13.9. zum Tode verurteilt.

Vier Wochen später im Gefängnis Berlin-Plötzensee enthauptet.“

Heinrich Warnke aus Klein-Bramstedt bei Bassum wurde bereits am 4.10.1939 hingerichtet. Er war  erste Hingerichtete und kam ebenfalls aus Niedersachsen.

 

Die Rolle örtlicher Wehrmachtgerichte

Es ist bekannt, dass gegen drei Personen in Hannover Verfahren eingeleitet wurden:

Gegen „Josef Kischka aus Bottrop (1942 nach Goslar einberufen, hatte bereits in Wolfenbüttel eine Gefängnisstrafe wegen Eidesverweigerung verbüßt), wurde das Verfahren vor dem Gericht der Division 171 in Hannover eingeleitet. Es gab später mehrere Verfahren gegen ihn. Er überlebte den Krieg.“

Alfred Lumma aus Hannover wurde in die Wehrmachthaftanstalt „Am Waterlooplatz“ gebracht; hier gab er an, dass er „als Zeuge Jehovas weder den Eid leisten, noch gegen irgendeinen Menschen die Waffe führen könne. Gott habe verboten, irgendeinen Menschen zu töten.“

Bei Recherchen für eine Stolpersteinverlegung in Baden-Württemberg wurde bekannt, dass der ein Kriegsdienstverweigerer nach Hannover einberufen wurde. Er beging „1942 Selbstmord durch Erhängen in der Standortarrestanstalt Hannover.“

 

In den örtlichen Wehrmachtsgerichten gab es nur in wenigen Fällen eine Verurteilung, da ab 1936 das Reichskriegsgericht in Berlin als oberster Gerichtshof schwerwiegende Delikte aburteilte. „Wehrkraftzersetzung“ war ein schwerwiegendes Delikt.

 

Reichskriegsgericht (RKG)

 

Das Reichskriegsgericht (RKG) war Ende 1939 ausschließlichen zuständig bei Wehrdienstverweigerung als Form der Wehrkraftzersetzung, welche „zu einem

Kapitalverbrechen im Krieg stilisiert“ wurde.

Das RKG sprach insgesamt ca. 1100 Todesurteile mit Vollstreckung aus. Darunter befanden sich 264 Wehrdienstverweigerer.

In einer Handreichung für andere Kriegsgerichte wurde der Grund für die Todesstrafe bei Wehrdienstverweigerung der Zeugen Jehovas (Bibelforscher) genannt: „Gegen den hartnäckigen Überzeugungstäter – Bibelforscher – wird wegen der propagandistischen Wirkung in der Regel die Todesstrafe angezeigt sein.“

Obwohl die Atmosphäre am RKD sehr einschüchternd wirkte, ließ sich nicht jeder Angeklagte davon beeindrucken. Von dem Zeugen Jehovas Gustav Henke wird berichtet, er habe in seinem Schlusswort den Senat gefragt, ob er „in der Lage sei, die Verhängung der Todesstrafe vor Gott zu verantworten.“

„Die Richter hat dies wohl eher nicht beeindruckt. Der Vorsitzende Generalrichter

Werner Lüben, beging allerdings 1944 Selbstmord. Von ihm sind mindestens 20 Todesurteile

gegen Zeugen Jehovas bekannt“. Seltsamerweise findet man seinen Namen im  „Lexikon der Evangelischen Märtyrer des 20. Jh.“ So wird der Täter zum Opfer gemacht.

 

Admiral Max Bastian aus Wilhelmshaven fungierte als Präsident des Reichskriegsgerichts. Er  „ließ ca. 200

Todesurteile gegen Zeugen Jehovas und Adventisten vollstrecken. Nach dem Krieg beteuerte

er in seinen Erinnerungen, dass er alles versucht habe, dem Problem „menschlich Herr“ zu

werden. Die Tatsachen zeigen anderes. Admiral Bastian wurde für sein Wirken nicht zur

Rechenschaft gezogen. 1958 setzte man ihn mit militärischen Ehren der Bundesmarine bei.“

Formen der Kriegsdienstverweigerung

 

Die Formen der Kriegsdienstverweigerung waren unterschiedlich:

  1. Nichterscheinen zur Musterung
  2. Verweigerung der Unterschrift des Wehrpasses
  3. Zurücksenden des Einberufungsbefehls
  4. Fahren zur Einheit, Einkleidung mit Uniform, aber Verweigerung der Ausbildung mit der Waffe
  5. Verweigerung der Vereidigung
  6. Andere gingen bis an die Front und verweigerten nach Wochen oder Monaten den Dienst an der Waffe

 

Motive und Gewissenskonflikt

 

Adolf Bultmeyer schrieb an seine Frau, dass er für den Herrn sterben würde. Er wolle lieber wie ein Christ sterben als wie ein Heuchler.

Bruno Grundmann (20 Jahre) war zwar bereit seinem Volk im friedlichen Sinne zu dienen, war aber nicht bereit gegen die 10 Gebote zu handeln, die u. a. lauten: Du sollst nicht töten. Er liebte Gott und wollte dessen Gebote unter allen Umständen befolgen.

Peter Wrieden (54-Jähriger Witwer und Vater von 4 Kindern) sagte am Schluss seiner Verhandlung, dass er unglücklich werden würde, wenn er anders handeln würde. „Sein Inneres befehle ihm, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.“

 

Einzelbiografien

 

Otto Kolkhorst

Otto Kolkhorst (26, ledig) war ein Landwirtschaftshelfer aus Diepholz. Als Zeuge Jehovas

verweigerte bereits 1935 beim Reichsarbeitsdienst (RAD)  den Eid. Im November 1937 erhielt er  die

Einberufung zur Wehrmacht. Da er den Eid verweigerte verurteilte ihn das Kriegsgericht in Wandsbek zu 4 Jahren Gefängnis. Nach seiner Entlassung wurde er einen Monat später wieder einberufen. Er fuhr zwar nach Delmenhorst, weigerte sich aber die Uniform anzuziehen und den Eid abzulegen anziehen. Im März 1942 fand  in Berlin die Verhandlung statt. Er wurde „wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode verurteilt“. Wer in dieser Weise im Kriege die Treuepflicht gegenüber seinem Vaterland verletze, könne keine Milde beanspruchen.

Das Urteil wurde am 28.2.1942 im Zuchthaus Brandenburg mit dem Fallbeil vollstreckt.

 

Gustav Schnitger

„Beide Eltern kamen 1939 in ein Konzentrationslager: Der Vater Wilhelm kam in KZ Sachsenhausen, seine  Mutter Helene kam erst in KZ  Ravensbrück, später nach Bergen-Belsen. Bruder Heino wurde 1941 vom RKG zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und kam 1945 frei“.

Weil der 18-Jährige Gustav Schnitger den Wehrdienst verweigerte, wurde er im Zuchthaus Brandenburg enthauptet.

Der Vorsitzende Richter Walther Biron beging 1946 im Gefangenenlager Neu-Ulm Selbstmord. Er hatte mindestens 21 Todesurteile  gegen Zeugen Jehovas ausgesprochen.

 

Emslandlager – Übersicht

„Zur Geschichte der Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern gehören für den Raum Niedersachsen auch die Emslandlager“. Verurteilte Kriegsdienstverweigerer waren zwar im Emslandlager inhaftiert, aber die eigentliche Strafe wurde nicht sofort vollzogen. Auf den erhalten gebliebenen Karteikarten steht: „Die Strafe wird nach Beendigung des Krieges vollstreckt.“

Es war nur eine Art der „Verwahrung während der Kriegszeit“, die unter „strengeren Voraussetzungen als üblich“ stattfand. Die bedeutete für die Inhaftierten „schmale Kost, schwere und gefährliche Arbeit“.

Bisher ist bekannt, dass 22 Kriegsdienstverweigerer im Emslandlager „verwahrt wurden“. Die  meisten von ihnen wurden vom Reichskriegsgericht zu Zuchthausstrafen verurteilt. Luftwaffengerichte hatten drei der Kriegsdienstverweigerer zum Tode verurteilt. Obwohl sie nie ihren Standpunkt geändert haben, wurden sie aber erstaunlicherweise von Hermann Göring begnadigt. Sie überlebten den Krieg.

Zwei Kriegsdienstverweigerer „verstarben in Esterwegen. Die Hälfte der 22 Personen überlebte den Krieg mit schweren körperlichen Schäden“.

 

Heinz Hentschel

Der Drogist Heinz Hentschel aus Schlesien erhielt vom Reichskriegsgericht ein  mildes Urteil. Er wurde  nur zu  5 Jahren Zuchthaus verurteilt. Er kam in das Emslandlager Aschendorfer Moor. Nach zwei Jahren im Lager wird er bedingt durch Unterernährung als  nicht lagerfähig für das Moor eingestuft und kam in ein schlesisches Zuchthaus. In seiner Haftakte, die sich in Leipzig befindet, ist ein Brief an Mutter aufbewahrt. Der Brief gelangte nicht durch die Zensur. Er berichtet darin von „Hunger, Kälte, Auspeitschung und übermenschlich schwerer Arbeit“ und, dass er „ nur noch 98 Pfund wog.“ Ebenfalls in der Akte befindet sich eine „Abschrift aus dem Meldebuch des Lagers Aschendorfer Moor“. Es heißt dort, dass 30 Strafgefangene sehr faul gewesen wären und die Arbeit trotz mehrmaliger Aufforderung nicht ausgeführt hätten. Der Halbzugführer habe deshalb den Gummiknüppel gebrauchen müssen.

Heinz Hentschel überlebte den Krieg nicht, sondern verstarb 1944 entkräftet im Zuchthaus Waldheim

 

Keine Entschädigung  für Herbert Steinadler

Herbert Steinadler war zwei Mal in den Emslandlagern gefangen. Sein Name steht für einen beschämenden Teil Justizgeschichte der Bundesrepublik“.

Fast 20 Jahre war er auf Grund seines Glaubens inhaftiert und zwar im Emsland Lager von 1936-38 und ein 2. Mal 1939-45 als Kriegsdienstverweigerer, sowie 1950-1960 in DDR-Zuchhäusern. Seit 1961 lebte er in der Bundesrepublik in Hamburg und beantragte “Entschädigung und klagte“ sich „durch mehrere Instanzen“. Nach seinem Tod  „sprach sich der Bundesgerichtshof im Wesentlichen gegen Wiedergutmachungsansprüche wegen seiner Kriegsdienstverweigerung aus.

Herbert Steinadler hatte ohne Belege für die Zeit 1936-38 im Emslandlager eine Entschädigung bekommen, aber die nachweisbare Haft in den Jahren 1939-45, aufgrund eines kriegsgerichtlichen Urteils, hielt man nicht für entschädigungswürdig.

„Die Bundesrichter urteilten, dass man nicht sagen könne, dass die Verurteilung wegen Wehrkraftzersetzung Unrecht gewesen sei. Denn so würde man den Richtern von damals unterstellen, dass sie kein Recht, sondern Unrecht gesprochen hätten. (am BGH waren damals mehr als 10 ehem. Kriegsrichter tätig.) Außerdem: da der Kriegsdienst in der Wehrmacht kein Verbrechen gewesen sei, könne im Umkehrschluss eine Verweigerung auch kein ‚Widerstand‘ gewesen sein. Es habe sich auch nicht um Verfolgung aus religiösen Gründen gehandelt. Rein militärische Notwendigkeiten hätten die Verurteilung begründet.“

Dies war nicht das einzige negative Wiedergutmachungsurteil in der BRD, dass durch ehemalige Kriegsrichter in der NS-Zeit gefällt wurde.

Da die Opfer nur mangelnde Wiedergutmachung und Anerkennung des erlittenen Unrechts erhielten, gingen viele der Opfer selbst nicht an die Öffentlichkeit. Das führte dazu, dass die „Opfergruppe der Kriegsdienstverweigerer“ als Gesamtheit in Vergessenheit geriet.

In den 1990er Jahren stand die  juristische Rehabilitierung von Kriegsdienstverweigerern im Fokus. Doch erst 2002 wurde per Bundesgesetz die Aufhebung der Urteile wegen Wehrkraftzersetzung beschlossen.

Inzwischen hat auch im öffentlichen Gedenken in Niedersachsen die Kriegsdienstverweigerung ihren Platz gefunden. Dies geschieht u.a. durch die Aufnahme von Biografien in die Dauerausstellungen von Gedenkstätten oder deren Bildungsarbeit, Straßenbenennungen und Stolpersteine.

 

Literaturhinweis:

Marcus Herrberger (Hrsg.): Denn es steht geschrieben: „Du sollst nicht töten!“ Die Verfolgung religiöser Kriegsdienstverweigerer unter dem NS-Regime mit besonderer Berücksichtigung der Zeugen Jehovas (1939–1945). Verlag Österreich, Wien 2005, ISBN 3-7046-4671-7, S. 159, 406 (Schriftenreihe Colloquium, Bd. 12

Ausstellung:

Die Sonderausstellung „Was damals Recht war – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht“ wurde vom Beirat der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ initiiert.

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Heinz Taxweiler – ein niedersächsischer Deserteur,

Moorsoldat und Widerstandskämpfer (Zusammenfassung  des Referats von Hans-Peter K l a u s c h)

 

Heinz Taxweiler wurde am 14. September 1920 in Celle als Sohn eines Schuhmachers geboren.

Am 21. Oktober 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Im Pionierbataillon der „niedersächsischen“ 1 1 1 . Infanterie-Division Fallingbostel erhielt er eine Ausbildung am Karabiner 98 und am Minensuchgerät. Am 15. April 1941 wurde er mit seiner Einheit in das besetzte Polen verlegt. Er bekam mit, dass die jüdische Bevölkerung in den Städten in separaten Vierteln hinter Drahtverhauen zusammen gepfercht lebte. Posten bewachten die Ghettos.

Heinz Taxweiler war von Anfang an beim Überfall auf die Sowjetunion dabei. Fein säuberlich eingetragen in seinem Wehrstammbuch sind die Kämpfe von Mai 1941 bis September 1941, an denen er teilnahm. Nachweislich war er im Oktober 1941 in Lubny stationiert. Dort entfernte er sich im Laufe des Monats von der Truppe. Die Gründe seiner Desertation können nur vermutet werden. Allerdings gibt es ein Dossier der Roten Armee,  in das Ergebnisse verschiedener Verhöre eingeflossen sind. Gründe für seine Desertion könnten die „unaufhörlichen Verlegungen, das schlechte Essen und die Barbarei seiner Kameraden“  sein.

Laut Befehl sollten keine Russen gefangen genommen, sondern auf der Stelle erschossen werden. Es gab aber auch Durchgangslager für Kriegsgefangene. Ein Überlebender Rotarmist berichtet später, dass die Gefangenen ohne Vorwarnung wegen kleinster Verfehlungen erschossen wurden. Jüdische Kriegsgefangene wurden sofort erschossen. Täglich wurde die Prügelstrafe vollzogen. Gefangene verhungerten.

Tätigkeitsberichte des Divisionsgerichts für die disziplinare Ahndung enthalten Berichte für den Juli 1941 über die Wegnahme von Zucht- und Zugpferden und das wahllose Abschlachten von Kühen,  Zuchtschweinen und Geflügel. Plünderungsfälle mehrten sich. Es gibt einen Bericht darüber, dass vier Kameraden von Heinz Taxweiler am 25. September 1941 einer Ukrainerin Lebensmitteln, ein paar Frauenstiefel, eine gesteppte Frauenjacke, eine Armbanduhr und eine Waschschüssel geraubt haben. „Auf die Bitte der Frau ihr wenigstens eine Bescheinigung auszustellen, wurde sie mit Fäusten tätlich angegriffen und mit einer Axt bedroht“.

Laut Aussage eines Soldaten wurden Mitte Oktober 1941 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus der näheren Umgebung von Lubny gesammelt und  in Lubny selbst niedergeschossen. Die übrige Bevölkerung und die Soldaten hätten sich auf das Eigentum der Erschossenen gestürzt.

Es lässt sich anhand von Dokumenten nicht feststellen, ob Heinz Taxweiler zu diesem Zeitpunkt schon zuvor desertiert war.

Aufgrund von brieflichen Berichten von überlebenden Sowjetbürgern kann nachvollzogen werden, wo er zeitweise Unterschlupf gefunden hatte. Längere Zeit hielt er sich im dem  unbesetzten ukrainischen Dorf Besljudowka auf. Man nannte ihn dort Mikola. Als eine deutsche Streife auftauchte und die Bevölkerung zur Arbeit trieb, deckten ihn die Dorfbewohner und sagten er wäre taubstumm und zu nichts zu gebrauchen.

Am 9. März 1942 kamen  vier deutschen Gendarmen ins Dorf. Diesmal hatte er weniger Glück. Er wurde als Deserteur enttarnt und verhaftet.

Er kam vor ein Kriegsgericht. Das gegen Heinz Taxweiler gefällte Urteil ist nicht erhalten geblieben. Laut eigener Aussage sei er zum Tode verurteilt worden. Er durchlief verschiedenen Gefängnisse in den besetzen Gebieten. Danach wurde er in das  Strafgefangenenlager VII in Esterwegen eingeliefert. Durch die schwere Arbeit wurde Heinz Taxweiler im April 1943 völlig erschöpft und ausgezehrt, in ein Lazarett eingeliefert. Er kämpfte fünf Monate mit dem Tod und wurde im Zuchthaus Werl einigermaßen wiederhergestellt. Anschließend wurde er in das Wehrmachtgefängnis Torgau-Fort Zinna überführt. Da er durch seine Desertion „wehrunwürdig“ war, erhielt er die Möglichkeit sich der „Bewährungstruppe 500 anzuschließen. Hierfür durchlief er eine Prüfung der körperlichen und mentalen Eignung für sogenannte „Mutproben“ bei Sport- und Nahkampfübungen. Bei Bewährung stand ihm Strafmilderung und Straferlass in Aussicht. Allerdings wurde die Truppe zu Einsätzen an Brennpunkten des Kampfes berufen. Sein Bataillon  hatte anfangs die Stärke von 1.300 Mann.  Am 27. Januar1944 zählte die Einheit noch ganze 24 Kämpfer. Heinz Taxweiler befand sich zu dieser Zeit schon seit mehr als fünf Wochen auf der anderen Seite der Front.

Strittig ist die Frage, ob er freiwillig zur Roten Armee wechselte oder ob er sich nur gerne von sowjetischen Aufklärern gefangen nehmen ließ. Die sowjetischen Stellen stuften ihn auf Grund seiner Erzählungen von der Desertion im Jahre 1941 als Gegner des Hitlerregimes ein. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Kriegsgefangenenlager lässt er sich von dem Nationalkomitee  „Freies Deutschland“ (NKFD) anwerben. Die Frontorganisation des NKFD versuchte u.a. durch Flugblätter und Lautsprecher-Ansprachen, aber auch in persönlichen Gesprächen mit deutschen Soldaten für die Ziele des Nationalkomitees zu werben. Das Ziel war die Beendigung des Krieges und der Sturz Hitlers. Bewaffnete Einsätze waren innerhalb des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ höchst umstritten. Heinz Taxweiler gehörte zu den Befürwortern der bewaffneten Einsätze. Am 12. Mai schlug eine Granate einen halben Meter neben ihm ein. Er wurde von vier Splittern getroffen.  Trotz Notoperation verstarb er am 13.5.1944.

Heinz Taxweilers Angehörige erfuhren nichts von seinem Tod. In der der Vermisstenbildliste des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes stand der Vermerk „Ort und Zeit der letzten Nachricht: Wolchow I2.43″.

Obwohl er ein Deserteur und „Kriegsverräter“ war, steht sein Name auf einer Bronzetafel  im „Ehrensaal“ des Hannoveraner Wehrbereichskommandos II der Bundeswehr in Celle zu Ehren seiner I I I . Infanteriedivision.

Wären die Todesumstände von Heinz Taxweiler in seiner Heimatstadt bekannt gewesen, wäre ihm eine öffentliche Anerkennung kaum zuteil geworden.

Literaturhinweis: SONDERDRUCK aus OSNABRÜCKER MITTEILUNGEN, Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück (Historischer Verein) Band 118, 2013, Selbstverlag des Vereins

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Drei WiderstandskämpferInnen aus dem sozialdemokratisch/ kommunistischen Milieu, Braunschweig  (Referenten Heidi Janicki/ Paul Pockrandt)

Minna Faßhauer

Ich darf Ihnen Minna Faßhauer vorstellen. Sie gehörte zu den politisch aktiven Menschen der Braunschweiger Arbeiterklasse Anfang des letzten Jahrhunderts. Ihre Verfolgung  beginnt lange vor 1933 und ist im politischen Raum bis heute nicht beendet.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAMinna Nicolai kam aus Bleckenstedt im Bördekreis Wanzleben, heute Egeln, nach Braunschweig. Ihre Kindheit erlebte sie in großer Armut. Als sie 3 Jahre alt ist, stirbt ihr Vater. Sie erinnert sich später:

„Meine Mutter erhielt keine Unterstützung, und so mussten wir Kinder sehr früh mithelfen, unser Brot zu verdienen. Knapp aus der Schule entlassen, musste ich in Dienst bei fremden Leuten.“

Mit 24 Jahren heiratet sie 1899 den Schmied Georg Faßhauer. Die Söhne Walter und Otto werden geboren.

Hermann Wallbaum, mit dem sie 1918 in der Novemberrevolution kämpfen wird, wusste noch, daß sie von Haus zu Haus den Leuten die Wäsche wusch. Sie sei eine ehrliche und aktive Frau gewesen, die für die Bewegung alles hergab. Sie habe sich aus dem niedrigsten Milieu „raufgearbeitet durch Lesen und so weiter“. Verschiedene Schnitzer, die da beim Schreiben vorkamen, die habe die Bourgeoisie ausgeschlachtet und sie als dummes Weib hingestellt.

Das „Raufarbeiten“ war im rückständigen Herzogtum Braunschweig  so eine Sache. Es war den Frauen zwar gestattet, sich karitativ für andere einzusetzen, aber ihnen war bei Strafe verboten, für die eigene Sache politisch tätig zu werden. Gerade das war für die Arbeiterinnen aber dringend notwendig, wenn sie ihre Lage verbessern wollten. Erst das neue Vereins- und Versammlungsgesetz von 1908 schaffte die Voraussetzungen dazu.

Artur Krull, auch ein Zeitgenosse, sagt später bei ihrer Beerdigung: „Auf regionaler Ebene hatte sie erheblichen Anteil daran, daß 1908 das Verbot für die politische Betätigung der Frauen aufgehoben werden muss (…).“ Bis dahin traf sie sich mit der Arbeiterjugend im  sozialdemokratischen Bildungsverein, ihre politischen Diskussionen waren illegal. In diesem Bildungsverein lernten die jungen Menschen ihre  Lage zu erkennen und ihre Erkenntnisse in politisches Handeln umzusetzen.

Minna Faßhauer dazu:

„Schon als junges Mädchen hatte ich Gelegenheit, sozialistische Schriften zu lesen. (…) Wir Frauen durften damals noch nicht am öffentlichen politischen Leben teilnehmen. Wir kamen dennoch heimlich zusammen. Der von uns Frauen geführte Kampf, voll unterstützt durch die Männer, führte 1908 zum Siege und damit zu unserer Gleichberechtigung im Versammlungsleben. Von da ab stand ich ständig in den Reihen der kämpfenden Arbeiterschaft, habe auch meine Söhne in diesem Sinne erzogen.“

Jetzt konnten auch die Frauen für das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht kämpfen.

1908 wird Minna von der Partei zur Nürnberger Frauenkonferenz delegiert, die unter der Leitung von Clara Zetkin und Luise Zietz stand. Beschlossen wurden dort u.a. die Bildung von Kinderschutzkommissionen, die Schaffung von Kindergärten in den  Kommunen  und die Organisierung von Kinderfreizeiten. Im Herzogtum war das auch nötig:

Minna Faßhauers Sorge galt den Wohn- und Lebensbedingungen der Arbeiterkinder. Im Volksfreund steht sie neben anderen als Organisatorin der Kinderfreizeiten.

Bis in die Kriegsjahre unternimmt sie mit den Kindern Sonntagswanderungen, organisiert Feste und Spiele im Wald. Es gibt die Erinnerung eines Teilnehmers an eine Wanderung in den Elm Himmelfahrt 1917, an der Hunderte Kinder und Jugendliche teilnahmen.

Die Bildung einer Kinderschutzkommission folgt, in die sie gewählt wird.

1914 berichtet der Volksfreund auch über ihre Gewerkschaftsarbeit.

Eine organisierte Arbeitsvermittlung oder -verwaltung gab es noch nicht, ein zentraler Arbeitsnachweis wird aber von der Reichsregierung für das Herzogtum Braunschweig gefordert.

Dazu trafen sich Vertreter der Landwirtschafts-, Handels- und Handwerkskammer, der Innungsausschuß, die bürgerlichen Frauenvereine – auch die Gewerkschaften. Von diesen werden drei Kollegen und Minna Faßhauer gewählt, was vor 100 Jahren von dem großen Vertrauen zeugt, das die Arbeiterschaft in sie setzte.

1920 berichtet die Niedersächsische Arbeiter-Zeitung, daß Minna Faßhauer auf einer Arbeitslosen-Versammlung gesprochen hat, die von der KAPD einberufen worden war, einer linken Abspaltung der 1919 gegründeten KPD. Sie prangert die überlangen Arbeitstage an, denen millionenfache Arbeitslosigkeit und große Not gegenüber stehen.

1914. Im Krieg, mit dem Wilhelm II. die Welt überzog, verändert sich auch die politische Frauenarbeit.  Um den Frauen zu helfen, deren Männer sich im Krieg befinden, nahm Minna Faßhauer an einem Treffen des Braunschweiger Verbandes der bürgerlichen Frauenvereine teil. Der Volksfreund dazu:

„Übereinstimmung bestand, (sich für) diese Aufgaben ohne Unterschied der Partei, des Vereins und der Person zu einer Vereinigung unter dem Namen „Nationaler

Frauendienst“ zusammen zu schließen.“ 18 Verantwortlichen, unter ihnen Minna Faßhauer,  wird der Bereich Familienfürsorge übertragen.

Als der Reichstag die Kriegskredite bewilligt, stellt sie sich angesichts der drohenden Kriegsgefahr mit der Mehrheit der Braunschweiger Arbeiterschaft auf die Seite Karl Liebknechts. Und stand auch dazu, als Liebknecht sich 1916 wieder gegen Kriegsanleihen zu Lasten des Volkes wendet und dafür als Vaterlandsverräter beschimpft wurde.

Das hat Folgen. In einer Stadtverordnetensitzung 1916 berichtet der Ortsvorstand der SPD, Genzen, von einem Brief der Vorsitzenden der nationalen Frauenverbände, Frau Götze, an Minna Faßhauer, daß sie nicht mehr mit dieser zusammenarbeiten könne, weil sie nicht auf nationalem Boden stehe.

In einem späteren Schreiben heißt es zum Schluss: „Wir stehen nur auf einem nationalen Boden, und da Frau Faßhauer sich durch ihre öffentlichen Auslassungen von diesem entfernt hat, haben wir ihre fernere Mitarbeit im Interesse der Sache abgelehnt.“

Genzen schreibt daraufhin im Namen des SPD-Ortsvorstandes:

„Sie hat rechtzeitig die Gefahren des Weltkrieges erkannt, hat sich durch ihre Mitarbeit mit den bürgerlichen Damen von ihrer politischen Überzeugung, … nicht abbringen lassen.“

Diese kompromisslose Haltung von Minna Faßhauer gegen nationalistisches Denken markiert und begründet den Beginn ihrer späteren Verfolgung.

Während des Krieges versucht sie, Verpflegung für die Menschen zu organisieren. Vom Rat der Stadt fordert sie mit weiteren Frauen, daß eine „Deputation zu den Ministern geschickt“ und ihnen gesagt wird, daß die Bevölkerung am Ende ist und nicht mehr hungern wolle.

Aus dieser Notlage erwächst nach zwei vorhergegangenen großen Streiks der Generalstreik 1916, der aber schon ausgeprägt politische Züge trägt. Immer häufiger wird die Forderung erhoben, den Krieg sofort zu beenden. Die Losung war Friede!   Freiheit!   Brot!

5.000 Arbeiter aus Braunschweiger Großbetrieben wählen eine Verhandlungskommission und beauftragen sie, dem Ministerium  ihre Forderungen vorzutragen. Eins der fünf Kommissionsmitglieder ist Minna Faßhauer.

Die Forderungen sind u.a.: Einsetzung eines Ernährungsausschusses, gerechte Verteilung der Lebensmittel, gleiches Wahlrecht und die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages. Die Forderungen wurden nicht erfüllt.

Im Bericht der Polizeidirektion an das Herzogliche Staatsministerium heißt es, zu der geplanten Versammlung sei unter anderem „die als Hetzerin bekannte Fasshauer erschienen.“

Nach diesen und den Erfahrungen mit der Hungersnot  im  „Kohlrübenwinter“ 1916/1917

organisiert sich im Frühjahr 1917 die Mehrheit der Braunschweiger Arbeiterschaft mit Minna Faßhauer  in der USPD.  Nicht mehr bereit, für den Krieg Opfer zu bringen und den nächsten Hungerwinter vor Augen sehen sie nur den Ausweg, mit den Verhältnissen zu brechen. Am 8. November 1918 zwingt der Arbeiter- und Soldatenrat den Herzog zum Rücktritt und übernimmt die Regierung.

Durch die Novemberrevolution 1918 wird  der Erste Weltkrieg beendet. Minna Faßhauer wird vom Arbeiter- und Soldatenrat zur Volkskommissarin für  Volksbildung gewählt. Damit ist sie in Deutschland die erste Frau in einem Ministeramt.

Minna Faßhauer hatte sich im „Bildungsverein jugendlicher Arbeiterinnen und Arbeiter“ schon vor 1908 Verdienste um die Frauen und Jugendlichen erworben. Ihr wird das Amt anvertraut.

Als die Wolfenbütteler Arbeiterschaft einen Redner vom Arbeiter- und Soldatenrat anfordert, wird Minna Faßhauer delegiert. Auf ihren Vorschlag wählt dort am 9. November 1918  eine Volksversammlung von 10.000 Menschen einen Arbeiter- und Soldatenrat.

Die Ziele, für die Minna Faßhauer mit Partei und Gewerkschaft Jahrzehnte gestritten hat, wurden durch die Novemberrevolution erreicht: u.a. die Beseitigung der Gesindeordnung, Wahlrecht auch für Frauen, der Acht-Stunden-Arbeitstag, alle Schutzgesetze die heute noch gelten, das Tarifvertragsrecht, die Koalitions- und Versammlungsfreiheit und die Abschaffung der Zensur.

In der ersten Sitzung des A- und Soldatenrates sagt sie laut Braunschweigische Landeszeitung am 9. November 1918: „dass, wenn die Unabhängigen nicht das Szepter in die Hand genommen hätten, noch viele Menschenleben an der Front und auf der See dem alten Regime zum Opfer gefallen wären.“

Mitte Januar 1919 wird sie von der USPD in den Landtag delegiert.

Der Krieg wurde zwar beendet, aber das alte System nicht überwunden. Kaisertreue Offiziere sowie andere Gegner der November-Revolution formieren sich.

Maercker marschiert auf Befehl Eberts und Noskes in Braunschweig ein, zerschlägt die Novemberrevolution und verfolgt die Arbeiter- und Soldatenräte. Die  politischen Auseinandersetzungen über den weiteren Weg der Revolution verschärfen sich.

Die Arbeiterschaft war keineswegs homogen in ihren politischen Ansichten, auch in Braunschweig wird über die zukünftige Verfassung des deutschen Reiches gestritten.

Der linke Flügel des Arbeiter- und Soldatenrates, wie Minna Faßhauer in der USPD, sieht mehr und direkte Demokratie durch die Räterepublik gewährleistet. Die Mehrheitssozialdemokratie will die parlamentarische Verfassung.  Als klar wird, daß diese sich durchsetzen wird, zieht sie die Konsequenzen und legt ihr Landtagsmandat nieder.

Von den Auseinandersetzungen profitierten jene Kräfte, die 1920 mit dem Kapp- Lüttwitz-Ludendorff-Putsch versuchten, die junge Republik zu stürzen mit dem Ziel, die Monarchie wieder herzustellen. Gewerkschaften  und Arbeiterparteien gelingt es, mit einem bis heute einmaligen Generalstreik den Putsch niederzuschlagen. Mehr als 10.000 Menschen versammelten sich auf dem Leonhardplatz. Die Losung ist „Gegen die Militärdiktatur! Gegen den weißen Schrecken! Gegen die Wiederherstellung der Monarchie!“

Laut „Braunschweiger Allgemeine Anzeiger“ im Juni 1921 hatten sich bereits jetzt militärisch eingerichtete Verbände mit Namen wie „Selbstschutz“, „Stahlhelm“ und „Braver Heyderich“ etabliert, die aber trotz ihres kriminellen Treibens nicht juristisch belangt werden. Das reicht von verbalen Ausfällen bis hin zu Morddrohungen und offenem Terror gegen die Arbeiterschaft, die sich immer öfter gegen Übergriffe und konstruierte Anklagen wehren muß.

Auch Minna Faßhauer bleibt nicht verschont. Die Niedersächsische Arbeiter-Zeitung berichtet, „…dass die Wohnung der Genossin Faßhauer stark bespitzelt wird.“ Sie selbst erklärt, man habe bei ihr gehaussucht. Für Minna Faßhauer war der Kampf um die Erfolge der November-Revolution noch lange nicht beendet! Es folgen Verhaftung und Anklage wegen „Vergehens gegen das Entwaffnungsgesetz“. Ihre Strafe von vier Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 300 Mark wird durch Amnestie erlassen.

1921 werden in Braunschweig Sprengstoffanschläge verübt, die der Arbeiterschaft zur Last gelegt werden. Faßhauer wird wegen „kommunistischer Terrorakte“ gegen Kirchen und bürgerliche Institutionen und „Dynamitvergehen“ ohne Beweise zu neun Monaten Haft verurteilt.

Diese Verurteilungen wegen angeblichem Dynamitvergehen waren in der Weimarer Republik das übliche Mittel, um gegen missliebige Personen vorzugehen, in der Regel Teilnehmer an der Novemberrevolution, die dann mit der Niederschlagung des Kapp-Putsches geholfen haben, die Republik zu retten.

Wann genau die nächste Verhaftung erfolgt, konnte ich bisher nicht herausfinden, aber am 5. Dezember 1922 veröffentlicht die Niedersächsische Arbeiterzeitung einen Brief an Bauleute und Spinnereiarbeiter „sowie die der andern Betriebe, welche an uns denken!“ Darin heißt es u.a.:

„Liebe Arbeitsbrüder und –schwestern! Liebe Genossen!

Mit unendlicher Freude haben wir gehört, dass Ihr uns als Klassengenossen mit Eurer Solidarität zur Seite steht, dass Ihr damit unser Schicksal zu dem Eurigen macht, und dass Ihr mit uns zu fühlen wißt. (…)“

Sie schreiben, daß eine blutige Lüge durchs Land ziehe, um die Vergangenheit mit all den vielen Arbeitermorden vergessen zu machen. Wo Mörder und Kappisten immer noch frei herumlaufen, da müsse das Proletariat Mut und Kraft für die kommenden Kämpfe sammeln.

Unterschrieben u.a. von Minna Faßhauer und Rudolf Claus, von dem wir noch berichten werden.

Im März 1922 wird sie angeklagt wegen angeblicher Sprengstoff-Attentate.  Trotzdem ist Minna Faßhauer den Zeitungen zufolge aber „vor einigen Monaten aus der Untersuchungshaft auf ihre Bemühungen entlassen“ worden. Die Mitverhafteten sagen Widersprüchliches zu ihren Lasten aus. Das wird benutzt und behauptet, dass Minna Faßhauer aktiv an der Beschaffung von Sprengstoff beteiligt gewesen sei. Der Beweis steht bis heute aus.

Schwere Beschuldigungen werden von der „Freiheit“, der Zeitung der USPD, gegen den Untersuchungsrichter erhoben.

Sie zitiert den Verteidiger Justizrat Fränkel aus Berlin der empört feststellt, daß er seit 20 Jahren die Anwaltspraxis ausübe, aber noch niemals ähnliches erfahren habe wie in Braunschweig. Den Untersuchungsgefangenen sei das Gespräch mit der Verteidigung untersagt worden, der Untersuchungsrichter habe Spitzel in die Zellen der Angeklagten geschickt, die sich das Vertrauen der Inhaftierten erschleichen und diese unter emotionalem Druck zu Aussagen veranlassen sollten.

Die Staatsanwaltschaft konstruiert eine Anklage in der die Beweise fehlen, und wo es heißen müsste „Im Zweifel für die Angeklagte“ wird sie aufgrund von Vermutungen verurteilt.

Den „Neuesten Nachrichten“ vom 26. März 1922 zufolge werden die Haftbefehle gegen Minna aufgehoben, das Urteil: Frau Faßhauer 9 Monate Gefängnis. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden den Angeklagten nicht aberkannt. Die Untersuchungshaft ist allen Angeklagten in vollem Umfang angerechnet worden. Nach 1933 war diese U-Haft  Anlass für die Faschisten, sie als vorbestraft einzustufen.

Willkürliche Verhaftungen sind auch in den Folgejahren an der Tagesordnung. Die des Ingenieurs Kurt Seyferth von 1925 ist überliefert und in den „Blättern zur Geschichte“ der DKP 1980 festgehalten worden. Ihm  schreibt seine Frau ins Gefängnis u.a.:

„Hast meinen Brief gefunden, wo ich‘s Dir mitteilte, dass Noske während meiner

Abwesenheit Hausdurchsuchung gemacht haben, (…), die schriftlichen Sachen haben sie auch durchgesehen, da sind doch keine Handgranaten drinn. (…)“ In einer Versammlung habe auch die Genossin Fassauer gesprochen. Man müsse Stimmung gegen sie gemacht haben, aber sie habe sich fein durchgesetzt, man könne fast sagen eine zweite Rosa Luxemburg was Energie und Tatkraft anbelangt.

Nach der Machtübertragung an die Faschisten wird gegen Minna Faßhauer 1935 erneut  Anklage erhoben. Sie wird angeklagt

„… des hochverräterischen Unternehmens, mit Gewalt die Verfassung des Reiches zu ändern, insbesondere dadurch (…), dass sie zur Vorbereitung des Hochverrats einen organisatorischen Zusammenhalt herstellte (…) und dass sie zur Beeinflussung der Massen seit 1934 die Schriften  „Kampfsignal“, „Der rote Rebell“, „Deutscher Mann was nun?“ herstellte oder verbreitete.“

Der Chef der Braunschweiger Landespolizei und SS-Führer Jeckeln verfolgte vor allem die Angehörigen der Räterepublik. Er holt den Prozess gegen Minna Faßhauer nach Braunschweig, was unüblich war, um mit einem Tribunal gegen führende Köpfe der Arbeiterbewegung ein deutliches Signal zu setzen: Indem er sie als bekannte Persönlichkeit der Arbeiterschaft kriminalisierte, sollte die ganze Bewegung in Misskredit gebracht und der Widerstand gebrochen werden.

Nicht unerwähnt soll bleiben, daß Jeckeln vor 1932 für Sprengstoffanschläge in Braunschweig verantwortlich war, z. B. auf das Haus des damaligen Oberbürgermeisters der Stadt, Ernst Böhme. Das ist erwiesen. Er wurde nie zur Rechenschaft gezogen.

In einem Schreiben an den Leiter der politischen Polizei wehrt sich Minna gegen die Anklagen und bekommt dafür eine „Hausstrafe“, weil sie die Gründe für ihre Schutzhaft „in unerhörter Weise bemängelt“ habe.

Minna Faßhauer wird ins Frauen-KZ Moringen überführt, aus dem sie 1936 im Alter von 60 Jahren mit einem schweren Magenleiden entlassen wird. Artur Krull sagte später bei ihrer Beerdigung, im KZ habe sie über 50 Pfund Körpergewicht verloren.

Nach der Befreiung vom Faschismus tritt Minna Faßhauer 1946 der KPD bei. Sie kandidiert auch zu den Kommunalwahlen, erringt aber keinen Sitz im Stadtparlament. Über ihre Arbeit in der KPD-Landesleitung und ihre politische Frauenarbeit gibt es leider keine schriftlichen Dokumente, aber Genossinnen aus Braunschweig und Hannover, z. B. Hertha Dürrbeck, haben dies in persönlichen Gesprächen weitergegeben.

Minna Faßhauer brachte 1918 als Volkskommissarin für Volksbildung Gesetze auf den Weg, die bis heute Wirkung entfalten: Befreiung der Schulen von der Oberhoheit und Weisungsbefugnis der Kirche, sie schaffte die gesetzliche Grundlage für weltliche Einheitsschulen, an denen die Geschlechtertrennung aufgehoben wurde; aus den Schulbibliotheken und dem Unterricht wurden Kriegs- und Fürstenverherrlichung verbannt.

Am 28. Juli 1949 erleidet sie im Alter von 74 Jahren während einer Frauenversammlung der KPD einen Gehirnschlag. Sie hatte die Frauen und Mütter aufgefordert, mitzuhelfen, dass zukünftige Kriege verhindert würden. Internationale Verständigung unter den Völkern zur Erhaltung eines dauerhaften Friedens für die Menschheit waren ihre letzten Worte.

Sie ist gestorben wie sie gelebt hat – mitten in der politischen Arbeit für die Menschen ihrer Klasse.

(C) mit freundlicher Genehmigung von Heidi Janicki

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Martha Emilie Henriette Grimm verw. Claus, geb. Deneke

Geb. am 26.Februar 1893 in Braunschweig

Die Volksschule besuchte sie von 1899 – 1907, danach erlernte sie das Putzmacher Handwerk.

Rudolf  und Martha heirateten am 19.Juli 1930.

Ab 1931 war sie Mitglied in der KPD Braunschweig.

Nach dem Besuch von Rudolf im Gefängnis wurde sie bei der Familie Fluck in Berlin in Schutzhaft genommen.

Ihre Überführung durch Beamte der Gestapo Berlin nach Braunschweig war am 10.10.35

Danach wurde sie am 24.10.35 ins KZ Moringen gebracht.

Im KZ übermittelte sie an eine andere Gefangene in einem Kassiber die Gründe ihrer Inhaftierung, dies  wurde bemerkt und sie bekam eine Woche Haftverschärfung, danach  musste sie schwere körperliche Arbeit leisten trotz ihrer Magen OP.

Aus dem KZ Moringen wurde sie am 08.10.36 entlassen und stand bis 1940 unter Polizeiaufsicht.

Die zweite Ehe schloss Martha mit Werner Grimm am 26.Juni 1940

1949 erwirkte sie die Aufhebung des Urteils und der Kampf um die materielle Entschädigung für die Ermordung von Rudolf begann.

Ab August 1953 bekam sie eine Berufsunfähigkeitsrente von 140.-DM

Nach einer Krebserkrankung starb Martha am 02.Januar 1962 in Braunschweig

 

Rudolf Franz Paul Claus

Geb. am 29.September 1893 in Gliesmarode, hingerichtet am 17.Dezember 1935 in Plötzensee

Nach der Volksschule erlernte er den Beruf des Drehers.

Mit 17 Jahre trat er in den“ Braunschweiger Bildungsverein Jugendlicher Arbeiter“ bei.

1912 organisierte er sich in der SPD.

1915 wurde er trotz seiner internationalen Erziehung von der nationalen Kriegsbegeisterung erfasst und meldete sich freiwillig zur Front. Wo er nach einer Verwundung  1917 „als nicht mehr verwendungsfähig entlassen wurde“, dafür bekam er das Eiserne Kreuz zweiter Klasse und das Braunschweiger Verdienstkreuz.

Die Ereignisse und die eigenen Erlebnisse des Krieges machten ihn zum Kriegsgegner.

1918 trat er der USPD bei und war mit August Merges und Minna Faßhauer und anderen im Braunschweiger Arbeiter und Soldatenrat .

Nach Gründung der KPD in Braunschweig trat er in die Partei ein, die er nach dem Heidelberger Parteitag  1919 verließ, und zur KAPD  wechselte (eine linke Abspaltung der KPD).

Während des Mitteldeutschen Aufstandes im März 1921 gehörte er zum engen Kreis um Max Hölz.

Ende März wurde er festgenommen und vom außerordentlichen Gericht in Naumburg am 08. April 1921 zu lebenslangen Zuchthaus, unter Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit verurteilt.

Nach dem Straffreiheitsgesetz vom 21. Juli 1922 wurde Rudolf entlassen und der Strafvermerk aus dem Strafregister getilgt.

Vom Schwurgericht Braunschweig wurde er wegen Raub und Totschlagversuch auf das Lohnbüro der Grube “Treue“ am 03.November 1924 zu 17 Monate Zuchthaus verurteilt.

Nach Aussage des Oberstaatsanwalts „wurde das Geld für den Rechtsbeistand der Kommunisten  beschafft“.

Durch die Amnestie vom 14.Juli 1928 umgewandelt in Gefängnis gleicher Dauer.

Nach der Haft trat er wieder in die KPD ein.

Martha Deneke heiratete er am 19.Juli 1930

Die letzte legale Arbeit war in der Stadtgärtnerei Braunschweig, seine Entlassung vermutlich auf Anordnung vom Ministerpräsidenten des Landes Braunschweig Klagges, der in staatlichen Stellen nur Regimetreue zuließ.

Bei einem Treffen am 05. April 1933 in Holzminden (Rudolf Claus war Instrukteur der Roten Hilfe Hannover, Braunschweig , Halle) wurden er mit anderen verhaftet. Das Amtsgericht Holzminden verurteilte ihn am 18. September 1933 zu über 2 Monate Haft, die er bis zum 05.Oktober 1933 verbüßte.

Nach seiner Entlassung lebte er bei seiner Frau in Braunschweig, dort nahm er Kontakt mit der Roten Hilfe in Hannover und Berlin auf, und lebte illegal bis zu seiner Verhaftung am 14.Juli 1934 in Berlin.

Um an Informationen zu kommen wurde er während seiner Haft in Berlin bei den Verhören misshandelt und gefoltert.

Der Prozess begann am 25 Juli 1935 im Volksgerichtshof Berlin 2. Senat:  Vorsitzender Landgerichtsdirektor Dr. Schaad, Landgerichtsdirektor  Dr. Zieger, Major Stutzer, SS-Gruppenleiter Freiher von Eberstein, Korvettenkapitän Rollmann und der Beamte der Reichsanwaltschaft Staatsanwalt Dr. Kaven.

Mitangeklagt waren Eva Lippold, Ferdinand Steffens, Hans Lippert, Arthur Weißbrot sie bekamen Zuchthausstrafen.

„ Für einen derartigen Verbrecher wie Claus  ist nach der Überzeugung des Senats innerhalb der Volksgemeinschaft des nationalen Staats kein Platz mehr. Gegen ihn ist die Todesstrafe verhängt worden“.

Im Prozess wird das“ Tribunal“ erwähnt, die Zeitung der Roten Hilfe. Für die Gegner des Faschismus war es eine Möglichkeit über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse im Reich zu berichten und sie zu kommentieren.

Die Richter beim Volksgerichtshof interpretierten den Inhalt so:  „Die Zeitungen und Schriften enthalten fast  ausführlich Hetz-Gräuel und Lügengeschichten der übelsten Art.Dabei wird zu den aktuellen Tagesfragen in gemeinster und hämischen Ausführungen Stellung genommen. Vor keiner Beleidigung des Führers, des Staates und seiner Einrichtungen wird zurückgeschreckt. Die S.A. wird systematisch aufgehetzt , die Wehrkraft verhöhnt.“

Rudolf Claus lehnte es ab, auf anraten seines Verteidigers einen Gnadengesuch, auf Grund seiner Verletzung und Auszeichnungen im 1. Weltkrieg beim „Führer“ zu stellen.

Die Überführung nach Plötzensee erfolgte am 26. Juli 1935.

Es wurde vollstreckt am morgen des 17. Dezember 1935 durch den Scharfrichter, der ihn mit dem Handbeil köpfte.

Proteste und Telegramme gegen das Urteil gab es vom französischen Ministerpräsidenten, vom Bürgermeister von Stockholm, der britischen Indepent Labour Party,Zeitungen „LE Peuple“ „Temps“. Der Gegenangriff, Radio Moskau, Verbandstag der Textilarbeiter Norwegens, Der Lutetia – Kreis ein Komitee von Sozialdemoraten, Kommunisten und bürgerliche Hitlergegner im Pariser Exil verfassten eine gemeinsame Resolution,  Heinrich Mann schrieb ein Essay “Es kommt der Tag“

In seinen letzten Brief vor der Hinrichtung schreibt Rudolf:

„Liebe Eltern, Geschwister und Bekannte!

Mariechen, Deinen letzten Brief habe ich mit großer Freude erhalten, auch Hildes Bildchen.

Es ist gerade, als hätte ich sie erst gesehen. Nun steht die gnadenbringende  Weihachszeit bevor. Aber für euch alle, meine Lieben, ist es keine freudige.

Mariechen, ich richte diesen Brief an Dich, denn Du wirst am stärksten sein, diese schreckliche Botschaft empfangen zu können und sie allen, vor allen Dingen meinen lieben Eltern in ihrem betagten Alter, und auch Mutter Deneke schonend mitzuteilen.

Noch einige Stunden, dann ist mein Leidensweg beendet.

Liebe Eltern und Geschwister ! In Gedanken bin ich bei Euch, um Euch alle zu trösten über das brutale Scheiden von Euch. Meine Lieben, die Vollstreckung des Urteils ist beispiellos in der Weltgeschichte. Aber es kommt weniger die Straftat in Betracht, als meine kommunistische Gesinnung und darum sehe ich tapfer und ruhig der Entscheidung entgegen.

Auch bitte ich Euch nochmals, in Ruhe den Schicksalsschlag zu überwinden“.

(Zusammenfassung mit freundlicher Genehmigung von Paul Pockrandt)

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Das Forschungsprojekt „Widerstand in Göttingen“

(Zusammenfassung  des Referates von Dr. Rainer Driever – zum Teil Direktzitate)

 

Idee zum Projekt „Widerstand in Göttingen“

Das Projekt „Widerstand in Göttingen“ sieht „eine biografisch zentrierte Erfassung und Darstellung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in Göttingen“ vor. Parallel sollen die  Organisationen betrachtet werden, „in die der Widerstand eingebettet“ war“ bzw. durch die er unterstützt wurde.“

Anlass für das Projekt war der Antrag zur „Anbringung einer Gedenktafel am Wohnhaus des Kommunisten Gustav Kuhn in der Petrosilienstraße 8“

Der Antrag wurde im Mai 2012 von der Ratsfraktion „Der Linken“ in Kooperation mit dem Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur e.V. im Kulturausschuss gestellt.

Gustav Kuhn war in der Zeit von 1933 bis 1945 mit wenigen Unterbrechungen in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert. 1933 war er auch kurzzeitig im Männerlager des KZ Moringen untergebracht.

Im September 2012 beantragte die SPD-Ratsfraktion in der „Sitzung des Kulturausschusses die Erarbeitung einer zeitgenössischen Erinnerungskultur in Göttingen“.  Die Kulturdezernentin der Stadt Göttingen, Frau Dr. Schlapeit-Beck schlug Thomas Bürgenthal Hausvor, eine Gedenktafel an der Stadtbibliothek (dem Thomas-Buergenthal-Haus ) anzubringen. Diese Gedenktafel soll stellvertretend für alle Widerständler gegen den Nationalsozialismus gewidmet sein. Das Thomas-Burgenthal-Haus wurde deshalb ausgewählt, weil  hier die ehemalige Polizeiwache stationiert war. Die Schutzhäftlinge saßen ab dem Frühjahr 1933 dort ein.

2013 wurde eine  Arbeitsgruppe von Fachwissenschaftler/innen einberufen. Vertreten in ihr sind die Universität, die Stadt, das Stadtarchiv, die Geschichtswerkstätten Duderstadt und Göttingen sowie der Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur.

 

Formen des Widerstandes

Den Fachwissenschaftler/innen  wurde schnell klar, dass der Kreis von Widerständlern in der NS-Zeit breitgefächert ist. Für das Projekt „Widerstand in Göttingen“ wird die Arbeitsgruppe den Begriff „Widerstand“ benutzen für:

a) „… Verhaltensformen …, die eine grundsätzliche Ablehnung des Nationalsozialismus annehmen lassen. So bedeutet dann (Zitat Klaus Schönhoven 1994, 3) ‚Widerstand [gegen die NS-Diktatur] eine Provokation, welche die Toleranzschwelle des nationalsozialistischen Regimes unter den jeweils gegebenen Umständen bewusst überschreitet mit einer Handlungsperspektive, die auf eine Schädigung oder Liquidation des Herrschaftssystems abzielt.‘

b) Widerstand soll zudem als eine aktive, nicht notwendigerweise organisierte, Bekämpfung des Systems und seines Führers Adolf Hitler verstanden werden, wie Herrmann Graml es 1997 (309) formulierte. Nach Ian Kershaw 1994 soll er erklärtermaßen auf die Unterminierung des Systems oder auf Vorkehrungen für den Zeitpunkt seines Zusammenbruches zielen.“

Auch die Sichtweise von Friedrich Zipfel findet Berücksichtigung,  der „mit dem Begriff ‚Widerstand‘ im ‚totalitären Staat‘ die Vorstellung, dass diese Handlungen unter bewußter Inkaufnahme der Gefahr von persönlichen Nachteilen, von Maßregeln Inhaftierungen oder gar der Todesstrafe begangen wurden“, verbindet (Zipfel 1965, 3).

Um Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu würdigen, wird auch der Begriff „Opposition“ definiert und unterschieden. Auch Einzelpersonen und Gruppen werden berücksichtigt, die anfangs eine andere Haltung einnahmen. „Ausgeschlossen werden sollen allerdings Aktionen von Nationalsozialisten gegen einzelne Maßnahmen des Regimes.“

„Weltanschauliche Dissens (Meinungsverschiedenheit)“, „die nicht unbedingt in eine Aktion mündet“, sich aber in unterschiedlicher Art „spontan“, kritisch und empört gegen Einzelaspekte des Regimes  äußerte und „gesellschaftliche Verweigerung“ (nach Richard Löwenthal 1984, 14) soll berücksichtigt werden.

Thematisiert soll auch der Widerstand der Göttinger Arbeiterbewegung werden, „von dem auch Impulse für den Widerstand im Reichsgebiet und im Exil ausgingen: von den Göttinger Eisenbahnern im Zusammenspiel mit der Internationalen Transportarbeiter-Föderation, der KPD sowie dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund.“ Die Verbindungen nach Northeim, Hann. Münden und den inzwischen eingemeindeten Dörfern wird untersucht werden.

 

Göttingen und der Nationalsozialismus

Bei der Reichstagswahl 1920 gewannen die rechten Parteien DVP und DNVP  viele Stimmen dazu. Im „Dezember 1924 trat die NSDAP erstmals selbständig an und gewann über sechs Prozent“. 1929 war sie „mit zweiundzwanzig Prozent bereits zweitstärksten Partei nach der SPD.“ 1930 (Kommunalwahl)  war sie schon mit über 37 Prozent die stärkste Partei und 1932 hatte sie mit 51 Prozent die absolute Mehrheit inne.

„Das Klima war für die Nationalsozialisten in Göttingen günstig.“ Im „Wahlkampf für die Nationalversammlung kam es zu antisemitischen Angriffen“, die sich meist gegen Professoren und Dozenten der Universität richteten.

Im Februar 1922 fand die Gründung der Göttinger Ortsgruppe der NSDAP statt. Ende Dezember 1922 gab es bereits eine Sturmabteilung (SA).  Acht Jahre später hatte sie ca. 300 Mitglieder. „Im Juli 1929 wurde ein erster Trupp der Schutzstaffel (SS) eingerichtet.“ Der Parteigau Südhannover-Braunschweig wurde 1924 gegründet und Göttingen wurde die erste Gauhauptstadt. Am 21. Juli 1932 hielt Adolf Hitler eine Rede im Göttinger Kaiser-Wilhelm-Park.  Angeblich gab es 30 000 Zuhörer.

Der Machtantritt Adolf Hitlers wurde  am 30. Januar 1933 in Göttingen mit Begeisterung begrüßt. Am Fackelzug nahmen mehrere tausend Menschen teil.

 

Ausschreitungen und Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung

Die jüdische Gemeinde Göttingens bestand aus vier- bis fünfhundert Mitgliedern.

Gewalttätige Ausschreitungen gegen jüdische Einwohner und ihre Geschäfte in der Innenstadt gab es am Abend und in der Nacht des 28. März 1933. „Horden von nationalsozialistischen Schlägern“ zogen  „durch die Straßen, zertrümmerten Schaufenster, plünderten Geschäfte und misshandelten Menschen.Niemand protestierte dagegen: Weder die Kirchen, noch die Universität, die Lehrerschaft oder die liberale „Göttinger Zeitung“.

Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums am 7. April 1933  und das Vertretungsverbot für jüdische Rechtsanwälte  hatten weitere Auswirkungen auf die Stadt.

Obwohl der Physiker und Nobelpreisträger James Franck als Kriegsfreiwilliger von einer Ausnahmeregel betroffen war, legte er sein Professorenamt öffentlich nieder. Eine Solidaritätsbekundung gab es nicht, stattdessen betrachteten 42 NSDAP-nahe Professoren die Amtsniederlegung als Sabotageakt und wünschten von der Regierung eine Beschleunigung der „notwendigen Reinigungsmaßnahmen“. Die Universität reagierte umgehend und stieß am 25. April die jüdischen Wissenschaftler aus. Unter ihnen befanden sich der Physiker und Mathematiker Max Born und die Mathematiker Richard Courant und Emmy Noether.

 

SPD

Am 28.02.1933 wurde das sozialdemokratische Volksblatt verboten. Am 7. April wurden fünf von sieben Göttinger SPD-Bürgervorstehern in Haft genommen. SPD-Bürgervorsteher nahmen das letzte Mal am 26. April an einer Ratssitzung teil. An diesem Tag wurde das Volksheim von der SA besetzt und die Einrichtung demoliert. Tags darauf  untersuchte die Kripo unterstützt von der  SA-Hilfspolizei die Räume des Volksblatts. „Am 1. Mai wehte das Hakenkreuz auf dem Mast des Volksheims. Ab dem Juni 1933 war die SPD keine Organisation ernstzunehmender Gegner für die Nationalsozialisten mehr.“

Bisher konnte nur verifiziert werden, dass die KPD und der Internationale Sozialistische Kampfbund systematischen Widerstand leistete.

KPD

„Die Kommunisten hatten in der Stadt einen schweren Stand.“ Die damalige Kommunistin und spätere SPD-Ratsherrin Hannah Vogt erinnerte sich: „In Göttingen war die KP eine Randerscheinung.“  Sie selbst kam aus der Haft heraus im Juni 1933 in das Frauen-KZ Moringen.

Obwohl die KPD-Mitglieder verfolgt wurden, blieben sie nicht untätig. Sie versuchten „mit inzwischen illegaler Propaganda, Klebe- und Flugzetteln den neuen Herren etwas entgegen zu setzen. Zusammen hörten sie Radio Moskau und versuchten, den organisatorischen Zusammenhang zu bewahren.“ 1933 erfolgten dann Verhaftungen, die am Ende der Strafeoft durch andere Strafen verlängert wurden.

 

Der Internationale Sozialistische Kampfbund

Der Göttinger Philosoph Leonard Nelson gegründete 1917 den Internationalen Jugend-Bund (IJB), aus dem der der SDP-nahe  Internationale Sozialistische Kampfbund hervorging. Leonard Nelson betrieb ab 1922 in der Walkemühle bei Melsungen in Nordhessen ein Landerziehungsheim. Nach dem Tod von Leonard Nelsons im Jahr 1927 übernahm Willi Eichler in Göttingen die Führung. „Der ISK verstand Demokratie eher als Schutz des Menschen im Sinne der Einhaltung und Garantie persönlicher Freiheit und Rechte und vertrat einen ethisch begründeter Sozialismus (z.B. strikte Gleichberechtigung).“ Der ISK umfasste nur ca. 300 Mitglieder. „Ab 1926 wurde die Monatsschrift ‚isk‘  herausgegeben.“ Die Parteizentrale wurde von Göttingen nach Berlin verlegt und ab Angang 1932 brachte der ISK die eigene Tageszeitung „Funken“ heraus.

Die SS übernahm im März 1933 das Landerziehungsheim Walkemühle. Willi Eichler emigrierte über Frankreich nach England. Der ISK wurde schon vor 1933 durch den Leiter der Göttinger SS, August Heißmeyer, beobachtet. Die Ortgruppe der Göttinger ISK bereitete sich bereits im Herbst 1932 auf die Illegalität vor: Sie „verbrannten ihre Mitgliedsbücher und lagerten die ISK-Schriften teilweise aus.“

In der Nacht zum 15. März wurden die ISK-Geschäftsräume im Nikolausberger Weg 67 durchsucht. Das Vermögen des ISK und des ISK-eigenen Kindergartens (Verein Kinderheim) wurde im Juli 1933 beschlagnahmt.

Ab August bestand eine enge Zusammenarbeit mit der „Internationalen Transportarbeiter Föderation“ (Gewerkschaftsdachverband). „Gemeinsam wurde die Tarnschrift ‚Willst du gesund bleiben?‘ mit zehn allgemeinen Regeln für die illegale Arbeit verbreitet.“ Im  Oktober 1933 erschien die erste Nummer der „Neuen politischen Briefe“, ab März 1934 erschien dieser Brief monatlich auf Dünndruckpapier und wurde illegal in Deutschland verteilt. Die Briefe wurden bekannt als „Reinhart-Briefe“.

Vierzehn Mitglieder der ISK-Gruppe wurden Mitte Januar 1936 von Göttinger Polizei verhaftet. In der der Verhandlung am Gericht Kassel wurden „drei Angeklagte freigesprochen, vier erhielten 10 Monate Gefängnis, die anderen 2-4 jährige Zuchthaus- und Gefängnisstrafen.“ Bekannt ist, dass Fritz Körber wurde nach Verbüßung der Haft ins KZ Börgermoor überstellt wurde und  Heinrich Oberdieck als Soldat in ein Strafbataillon kam. Er gilt als vermisst.

(c) Ingeborg Lüdtke

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Duderstadt: 6. Konferenz „Gedenken und Erinnern in Südniedersachsen“

Am 17. Mai 2017 fand in der Kreisvolkshochschule  in Duderstadt die 6. Konferenz „Gedenken und Erinnern in Südniedersachsen“ statt. Das diesjährige Konferenzthema lautete „Denkmälererzählen Geschichte(n)“.

Organisiert wurde die Veranstaltung in Kooperation mit der KZ Gedenkstätte Moringen.

Im Vormittagsprogramm ging es um die Frage, wie die nationalsozialistische Zeit in Duderstadt nach 1945 aufgearbeitet wurde und welche Geschichte hinter den heutigen Denkmälern steht. Götz Hütt von der Geschichtswerkstatt Duderstadt informierte die Teilnehmer während des Rundgangs  „Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus – abgebildet in Denkmälern Duderstadts“ ausführlich über deren Entstehung und den Auseinandersetzungen bei ihrer Errichtung.

 

Die Synagogen-Denkmäler

Der Rundgang begann bei dem Denkmal zur Erinnerung an die jüdische Synagoge und endete in der Obertorstraße 59 bei den Stolpersteinen für die Familien Israel und Rosenbusch.

 

Denkmal Synagoge Duderstadt am WallAm 10. November 1938 wurde die jüdische Synagoge in Brand gesteckt. Heute erinnern am Wall nur noch das Denkmal und eine Informationstafel an die Existenz der Synagoge.  Die Tafel enthält Fotos der ehemaligen Synagoge, sowie Informationen zu deren Geschichte, und der Entwicklung der Gedenkformen ab 1952.

Schon vor dem Bau der Synagoge (eingeweiht 1898) gab es gegen den Standort erheblichen Widerstand in der Stadt. Die Bezirksregierung Hildesheim sprach „ein Machtwort“ und erlaubte den Bau auf dem ausgesuchten Baugrundstück. In der Synagoge befanden sich ebenfalls der Klassenraum der kleinen jüdischen Schule und eine Dienstwohnung für den jüdischen Lehrer.

Auch gegen den Standort des heutigen Denkmales gab es Einwände. Ursprünglich beantragten zwei Sozialdemokraten des Ortsrates Duderstadt die Errichtung eines Denkmales vor den ehemaligen Haupteingang in der Christian-Blank-Straße. Der Antrag fand auch die allgemeine Zustimmung und die Ursulinen als Grundstückseigentümerinnen waren damit einverstanden. Letztere zogen ihre Zustimmung wieder zurück, weil ein Ratsherr ihnen geraten haben soll, die Einwilligung zu verweigern. Als Grund habe er angegeben, dass das Grundstück durch das Denkmal eine Wertminderung erleiden würde. Das Denkmal wurde daraufhin 1980 auf dem Wall vor dem Grundstück aufgerichtet. Die Informationstafel wurde erst um das Jahr 2000 aufgestellt.

Inzwischen gibt es ein zweites Synagogen-Denkmal in der Christian-Blank-Straße. Im Januar 2007 bat die Geschichtswerkstatt Duderstadt  die Ursulinen um die Erlaubnis vor dem ehemaligen Eingang der Synagoge Stolpersteine für die Familie Cohn zu errichten. Denkmal jüdische Synagoge DuderstadtDie Familie Cohn lebte zum Zeitpunkt des Pogroms in der Lehrerwohnung. Die Ursulinen sprachen sich gegen Stolpersteine mit der Begründung aus, dass man Namen nicht mit Füßen treten dürfe.

Das Anliegen für eine Erinnerungstafel in der Christian-Blank-Straße wurde diesmal nicht abgelehnt. Es gab lediglich noch unterschiedliche Meinungen über den Text der Tafel. Statt des Vermerks, die Synagoge sei „abgebrannt“, liest man nun, dass die Synagoge durch „Brandstiftung“ zerstört wurde. Auch der Hinweis auf die Familie Cohn wurde aufgenommen.

 

 

Das Ehrenmahl des Gymnasiums

Die Denkanlage vor dem Duderstädter Gymnasium entstand in drei Abschnitten.

 OLYMPUS DIGITAL CAMERAZuerst wurde ein Denkmal zur Erinnerung an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Lehrer und Schüler des Duderstädter Gymnasiums aufgestellt. Es wurde am 2. September 1923 eingeweiht und der Schule übergeben. Dieses Datum fiel auf den im Kaiserreich gefeierten Sedantag. Er wurde zur Erinnerung an den Sieg in der Schlacht von Sedan über Frankreich im Jahr 1870 begangen.Friedensglobus Duderstadt

 Das Denkmal wurde 1958 durch Bronzetafeln erweitert, auf denen die Namen der Kriegstoten des Gymnasiums im 2. Weltkrieg verzeichnet sind.

Mit Unterstützung des Landkreises Göttingen als Grundstückeigentümerin wurde von der Geschichtswerkstatt Duderstadt  2012 ein Friedensglobus aufgestellt. Die Friedenstauben halten Schilder im Schnabel auf denen das Wort „Frieden“ in verschiedenen Sprachen geschrieben steht (z. B. in Ungarisch, Italienisch und Englisch).

 

Kurze Straße 24 (Ohne Denkmal)

Der Historiker Günther Siedbürger berichtete über das sogenannte „Polenlager“, das bis zum Kriegsende bestand.

ehemaliges Polenlager DuderstadtIm  September 1941 wurde eines der ersten Duderstädter „Gemeinschaftslager“ für polnische Zivilarbeiter vom Horst-Wessel-Ring 62 (heute: Ebertring) in die Kurze Straße 24 verlegt. Die Zivilarbeiter waren in unterschiedlichen Betrieben beschäftigt.

Der Hausbesitzer Alfons Jung vermietet die Parterreräume „zum Zwecke eines Polenlagers“ an die Ortsbauernschaft Duderstadt. Die Kosten für die Einrichtung des Lagers wurden an die einzelnen „Arbeitgeber“ der Zwangsarbeiter weitergereicht. Im Mietvertrag wird die Stadt Duderstadt als Träger erwähnt. Der Mietvertrag wurde für die Dauer des Krieges abgeschlossen. Die monatliche Miete betrug 30 RM.

Die offizielle Bezeichnung lautete ab dem März 1943 „Gemeinschaftslager VI Duderstadt/ Eichsfeld“.

Die hygienischen Verhältnisse in diesem Lager waren sehr schlecht. Die Zwangsarbeiter verrichteten ihre Notdurft in einen Eimer und entleerten ihn in den Gully. Da sich die Anwohner durch die Verunreinigungen der Straße belästigt fühlten,  wurde im Oktober 1941 nachträglich eine „Spülabortanlage“ eingebaut. Nach sechs Monaten war die Spülung wieder kaputt. Die Zwangsarbeiter mussten nun völlig ohne Toilette auskommen. Sie benutzten wieder die Straße oder andere öffentliche Orte. Im September 1942 wurden die hygienischen Zustände im Lager durch die DAF (Deutsche Arbeitsfront) überprüft. Eine neue Spülanlage wurde installiert. Das Lager wurde desinfiziert und das Stroh in den Schlafsäcken ausgetauscht. Eine weitere Desinfizierung wurde im Mai/Juni 1943 wegen einer Flohplage notwendig.

In der Regel waren ca. 30 Personen im Lager untergebracht. Einigen polnischen Arbeitern war es möglich auf den Höfen ihrer Arbeitgeber zu übernachten, deshalb lebten Im Mai 1942 nur noch 23 Polen im Lager.

Die Fenster des Hauses waren vergittert. Ein deutscher Lageraufseher und sein Stellvertreter,  ein Arbeiter der Stadt Duderstadt, bewachten das Lager. Angeblich vertrieben sich die eingesperrten Insassen „bis spät in die Nacht hinein“ die Zeit mit Kartenspielen. Auf Betreiben der DAF wurde der Lichtschalter für die Räumlichkeiten nach außen verlegt, so konnte der Lagerführer den Zwangsarbeitenden nachts von außen das Licht abdrehen.

 

Sammelgrab von 37 Opfern der NS-Zeit in Duderstadt

Sammelgrab NS-Opfer DuderstadtAuf dem St. Paulus-Friedhof befanden sich ursprünglich 67 Gräber von ausländischen Opfern der NS-Gewaltherrschaft. Darunter befanden sich 33 Gräber von Kindern.

Die 67 Gräber wurden eingeebnet. Heute erinnert ein symbolisches Sammelgrab an 37 Opfer der NS-Zeit in Duderstadt.

Die Geschichtswerkstatt Duderstadt möchte auf dem St. Paulus-Friedhof ein Denkmal aus 67 Grauwacke-Steinen errichten lassen. Der Standort wurde bereits zugewiesen.

 

Ehrenmal ObertorDenkmal Opfer DUD

Das Ehrenmal Obertor (mit dem Kriegsorden Eisernes Kreuz) gedenkt der gefallenen Opfer der Gewalt aus dem 1. Und 2. Weltkrieg. Eine Differenzierung der Opfer durch Täter und der Opfer, die zu Tätern wurden, wird nicht vorgenommen.

 

 

 

 

Die GeknechteteDie Geknechtete

Der Duderstädter Steinmetz und Bildhauer Bernd Frerix bot 1984 der Stadt Duderstadt die Skulptur „Die Geknechtete“ als Leihgabe an. Sie soll an die ungarischen Jüdinnen im KZ-Außenlager Duderstadt (Außenlager des KZ Buchenwald) erinnern. Laut Götz Hütt habe die Stadt die Skulptur ohne Einweihungsfeier aufstellen lassen wollen. Da es Protest gegeben habe, sei das Datum der Einweihung auf den 20. Juli (1944: Tag des Attentats auf Hitler) gelegt worden. Allerdings sei die Skulpltur als „Mahnmal zum OLYMPUS DIGITAL CAMERANationalsozialismus“ umbenannt worden. Der Künstler Bernd Frerix hatte bei der Gestaltung eigentlich nur die 755 nach Duderstadt verschleppten ungarischen Jüdinnen des KZ-Außenlager Duderstadt im Sinn.

Der Standort der Skulptur wurde an einen anderen nahen Ort versetzt. Die Bedeutung der „Geknechteten“ wird nun durch eine erklärende Gedenktafel hervorgehoben.

 

 

 

Stolpersteine Obertorstr. 59OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

An der Stelle des abgerissenen Duderstädter Judenhaus  verlegte der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine für die jüdischen Familien Israel und Rosenbusch.

 

 

Nachmittagsprogramm der Konferenz

Nachmittags referierte Julia Braun (KZ-Gedenkstätte Moringen) über Denkmäler und Denkmalskultur nach 1945. Es folgte die Möglichkeit zur Diskussion.

Lisa Grow und Günther Siedbürger von der Geschichtswerkstatt Duderstadt berichteten über ihre Erfahrungen mit der Wanderausstellung „Auf der Spur europäischer Zwangsarbeiter – Südniedersachsen 1939-1945“. Anschließend diskutierten die Teilnehmer über die Zukunftsperspektive der Ausstellung.

Die Konferenz „Topographie der Erinnerung  – Gedenken und Erinnern  in Südniedersachsen“ wird im nächsten Jahr fortgesetzt. Die alljährliche Erinnerungskonferenz findet immer in Kooperation mit einem lokalen Partner an unterschiedlichen Orten in Südniedersachsen statt.

Das Motto und der Ort der Veranstaltungsreihe für 2015 stehen noch nicht fest.

(c) Ingeborg Lüdtke

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